Falls es irgendeine sinnvollere Tätigkeit geben sollte (was halbwegs auszuschließen ist), bitte ich dringend um Hand- oder Schriftzeichen. Lebenserhaltende Maßnahmen von derartiger Informationstiefe sollten nicht aus schamhafter Zurückhaltung in dunklen Gehirnkammern vor sich hin schmoren.
In einem Moment der atheistischen Leere und Verzweiflung hatte Escher den Entschluss gefasst, sich einer Wallfahrt nach Altötting anzuschließen. Er setzte großes Vertrauen in den Reiseveranstalter, da dieser über eine mehr als zweitausendjährige Erfahrung verfügte.
Das Gehen bereitete ihm vom ersten Tag an kein Vergnügen. Schon nach wenigen Stunden schmerzten die Füße und er verspürte die meiste Zeit einen unstillbaren Bierdurst. Außerdem störten ihn die Gesänge und Gebete der Wallfahrer bei der Suche nach dem Heiligen in der Welt seiner innersten Vorstellung.
An einem Waldrand gab er vor, sich die Schuhe zu binden und blickte der Infanterie Gottes nach, die andächtig hinter ihrem Hauptmann marschierte und zwischen absterbenden Kiefern verschwand. Aus einem Dorf im Tal vernahm Escher die feuchtfröhlichen Klänge einer Blasmusik.
Mag Gott dort oben an seinem Kreuz durch das Waldsterben getragen werden, das Leben spielt sich doch unten in den Tälern des Jammers ab, dachte Escher, während er seinen Schritt an grasenden Kühen vorbei in Richtung des Dorfes lenkte. Beim Gedanken an einen Krug frisch gezapften Bieres bildete sich klebriger Speichel an seinem Gaumen. Bald konnte er den Ursprung der Blasmusik einem blauweiß gestreiften Festzelt am Rande des dorfeigenen Fußballplatzes zuordnen.
Als Escher das Bierzelt betrat, in dem sich die sommerliche Hitze staute, verstummte die Blasmusik. Das hatte aber nichts mit ihm, Escher, zu tun. Die Kapelle hatte ihr letztes Stück gespielt, und die Bühne in der Mitte des Zeltes wurde zu einem Boxring umgebaut.
Escher holte sich am Ausschank bei einer schwergewichtigen Frau im Trachtenkleid eine Maß Bier und setzte sich zwischen die Dorfjugend. Die Frau hatte ihm frivol zugezwinkert. Sie gefiel ihm, aber aufgrund seiner Zurückhaltung wäre ihm nie ein erwiderndes Zwinkern über die Augen gekommen.
Die Boxkämpfe hatten begonnen und die Dorfjugend prostete ihm eifrig zu. Das gefiel ihm gut, denn sein Durst war groß. So ließ er bei der schwergewichtigen Trachtenträgerin in regelmäßigen Abständen die Luft im Glas durch Gerstensaft ersetzen. Jedes Mal zwinkerte sie auf dieselbe herausfordernde Weise mit den Augen.
Inzwischen waren die Kämpfe der Jugendlichen vorüber, und die höhere Altersklasse stieg in den Ring. Die Stimmung im Festzelt siedete fröhlich aggressiv von einem Höhepunkt zum nächsten, und Escher traute seinen Augen nicht, als ein Mann in den Ring stieg, der aussah wie er selbst. Noch weniger mochte er glauben, dass auch der Gegner des Mannes aussah wie er, Escher.
Als der Gong zur ersten Runde geschlagen wurde, war Escher ganz bei der Sache, und bei jedem schweren Treffer durchfuhr es ihn wie Blitz und Donner. Bereits in der dritten Runde ging der eine Escher zu Boden und der andere Escher streckte triumphierend die Fäuste in die Luft. Der Sieger blieb im Ring und ein weiterer Herausforderer, der Escher, dem Sieger, bis aufs Haar glich, beschritt den Weg auf die Bühne des Kampfes, an den Bierbänken und der gröhlenden Menge vorbei.
Escher gewann wieder und Escher verlor. Das Ganze wiederholte sich einige Male, und immer stieg ein neuer, unlädierter Escher in den Ring. Escher als Beobachter auf der Bierbank konnte am Ende eines jeden Kampfes nicht mit Sicherheit bestimmen, welcher Escher gewonnen hatte.
Am Lärmpegel des johlenden Publikums erkannte Escher, dass sich das Bierzeltboxen seinem Höhepunkt näherte.
Völlig unerwartet stieg plötzlich die schwergewichtige Trachtenträgerin vom Ausschank zu Escher in den Ring. Sie trug nun eine krachlederne Sporttracht und 10 Unzen Boxhandschuhe über ihren Fäusten.
Es war ein gnadenloser Kampf, in dem sich beide Gegner trotz, oder vielleicht auch aufgrund, der geschlechtlichen Verschiedenheit nichts schenkten. Von Beginn an zeichnete sich eine leichte Überlegenheit der Trachtenträgerin ab, und von der vierten Runde an musste Escher schwere Treffer einstecken.
- Halt die Deckung oben!
rief Escher immer wieder in Richtung des Boxrings. Dazwischen trank er in tiefen Zügen von seiner Maß.
Während der siebten Runde kippte Escher von seiner Bierbank und verlor das Bewusstsein.
Es wurde bereits Nacht, als er hinter dem Zelt neben Bierleichen erwachte und sich den schmerzenden Schädel rieb. Escher würde nie erfahren, wer den Hauptkampf gewonnen hatte. Aber es dämmerte ihm eine Ahnung.
Der Revolverman Nomak hat einen Stab an mich übergeben. Ich bin ein miserabler Staffelläufer, finde aber den olympischen Gedanken im Ansatz knorke.
Warum bloggst du? Ich wollte nur kurz den Müll vor die Tür bringen, und da habe ich gesehen, dass im Internet auch noch Platz ist.
Seit wann bloggst du? Meine Leser meinen, schon zu lange - aber irgendwer muss die Typen bestrafen!
Selbstportrait:
Warum lesen deine Leser deinen Blog? Vermutlich handelt es sich bei den beiden um notorische Müllsammler.
Welches war die letzte Suchanfrage, über die jemand auf deine Seite kam? Suchanfragen spielen keine Rolle, da ich davon überzeugt bin, dass sich die stümperhafte Technologie von Suchmaschinen genauso wenig durchsetzen wird, wie das restliche Internet.
Welcher Deiner Blogeinträge bekam zu Unrecht zu wenig Aufmerksamkeit? Die noch ungeschriebenen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird.
Wie viele Feeds hast du gerade im Moment abonniert? Ca. 0 (grobe Schätzung)
An welche vier Blogs wirfst du das Stöckchen weiter und warum? AK47%: für schwindelerregende Gratwandelei Martha: für korrekte Tagesverlaufsprotokolle Stard: gegen Migräne Tillmister: für lustiges Lachen im Club ´77
Sonntag (julianischer Kalender) / Montag (gregorianischer Kalender), 28. Juli 1006
11:20 Außerirdische landen während einer Kaffeefahrt neben der Porta Nigra in Trier.
15:50 Das Raumschiff verlässt den Planeten. Keine einzige Heizdecke verkauft, der Veranstalter streicht die Erde für die nächsten tausend Jahre vom Tourprogramm. -- >> Ewiger Kalender
Auf der Suche nach einer sommerlichen Abkühlung im Web bin ich auf die Seite eines tschechischen Speiseeisherstellers gestoßen. Es wäre ein Frevel, diese digitale Erfrischung nicht mit der hoch geschätzten Leserschaft zu teilen.
Zuerst fällt dem Besucher der Site ein Foto ins Auge, auf dem ein höchstens halbedler Ritter damit zugange ist, einem vermutlich nicht ganz unschuldigen Burgfräulein ein dickes Eis am Stiel in den Mund zu stopfen. Vielleicht stopft sie sich das Eis auch selbst rein, hier wurde der semiotische Zusammenhang durch eine geschickte Beschneidung des Bildes offen gelassen. Das Foto ist mit Sündige Liebe betitelt. Nur aufgrund einer bierbedingten Reaktionsverzögerung habe ich die Site nicht binnen Sekundenbruchteilen verlassen. Aber hier scheint es tatsächlich um Eis zu gehen: Eis nur für Sie..., Eis für schöne Stunden mit Ihren nahestenden Personen ... und Eis für Ihres Café ...
Auf den Bildern in der Dachzeile ist ein weiterer mittelalterlicher Bartträger zu sehen, der neben einem Kühlregal steht und debil lachend eine Zeichnung seines zweieinhalbjährigen Sprösslings in Richtung zweier grimmiger Knappen hält, die schon darauf brennen, dem Debilen mit Schwert und neunschwänziger Katze eins überzuziehen. Das versteht man im finsteren Tschechien anscheinend unter Spaß und Distribution.
Raffiniert finde die prominent platzierte Frage an den Leser im Content-Bereich der Homepage: Bieten Sie in Ihrem Verkaufssortiment Butterfett an? Vielleicht werde ich endlich die sieben Tonnen Butterfett los, die seit Jahren auf dem Dachboden gammeln. Ich kenne mich nicht bis ins Detail damit aus, aber die Zielgruppe der Großeinkäufer für Speiseeis und der Großanbieter von Butterfett sollte in den meisten Fällen deckungsgleich sein, oder?
Etwas aufdringlich finde ich den Vorschlag in der Newsletter-Anmeldung, ich solle mit Speiseeis Troy leben. Aber ich werde entschädigt durch den Satz am Ende der Homepage: Und wenn Sie einmal probiert haben, bleibt die Liebe zum Speiseeis Troy in Ihnen... Hoffentlich nicht nur die Liebe. -- >> Eiscreme Troy
In einem allabendlichen Ritual schaltete Escher den Fernsehapparat ein, pünktlich zu Beginn der Nachrichten im ersten Programm. Dann setzte er sich in den Ohrensessel und starrte geistesabwesend auf den Bildschirm.
Meistens hätte er nach Ende einer Sendung die Neuigkeiten nicht widergeben können, da er zwar hörte, was die Sprecher sagten und sah, was die Bilder zeigten, aber den Inhalten keine verweilende Bedeutung zuordnen konnte. Jede Nachricht schien sich ständig zu wiederholen.
Das Betrachten des Bildschirms während der Abendnachrichten war eine nicht zu ersetzende Gewohnheit, die er von seinen Eltern übernommen hatte. Seine Eltern hatten die Gewohnheit von ihren Eltern übernommen, und in den Generationen davor gab es andere abendliche Gewohnheiten.
An einem Dienstagabend trug es sich zu, dass Escher aus seiner Abwesenheit gerissen wurde. Für einen Moment glaubte er, in einem der Nachrichtenbeiträge sein eigenes Gesicht gesehen zu haben. Das konnte nicht sein, denn Escher war völlig unbekannt und für das Zeitgeschehen ebenso unbedeutend. Zu Beginn der Wettervorhersage hatte er das Bild von seinem Gesicht schon wieder vergessen.
Aber am Tag darauf wurde ein Beitrag gesendet, der keinen Zweifel offen ließ. Es war ein Beitrag über Escher in seinem Ohrensessel. Escher wußte nicht, wovon der Beitrag im Einzelnen handelte, denn er bekam nur die letzten Sekunden bewusst mit, da er zuvor in alter Gewohnheit geistesabwesend auf den Bildschirm gestarrt hatte. Er nahm sich vor, die Sendung am Abend des kommenden Tages mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen.
Tatsächlich kündigte der Nachrichtensprecher, der Escher nicht unähnlich sah, am folgenden Abend einen Bericht über Escher in seinem Ohrensessel an. Der Bericht zeigte Escher vor dem Fernseher und war mit einem Kommentar unterlegt, der Details aus Eschers abendlichen Routinen, wie das Portionieren der gesalzenen Erdnüsse, schilderte. Anschließend folgten zwei Berichte zum politischen und wirtschaftlichen Tagesgeschehen.
Erwartungsvoll schaltete Escher das Fernsehgerät am Freitagabend ein. Er wurde nicht enttäuscht. Nun waren es sogar zwei Beiträge, in denen über Escher berichtet wurde. Einer zeigte ihn wieder im Wohnzimmer, und im anderen war er während einer Tätigkeit in der Küche zu sehen, die er kurz zuvor ausgeführt hatte. Es waren sehr spannende Berichte. Nach der Wettervorhersage konnte Escher kaum die Nachrichten am nächsten Abend erwarten.
Die Nachrichten wurden von Tag zu Tag interessanter, da die Berichte über ihn, Escher, einen immer breiteren Raum in den Sendungen einnahmen. Auch die verschiedenen Sprecher schienen sich in ihrem Aussehen und ihren Stimmen zunehmend dem Aussehen und der Stimme Eschers anzunähern.
Die Abendnachrichten bestanden schon eine Weile ausschließlich aus Beiträgen über ihn, und die Sprecher sahen aus und redeten, wie er, als Escher zu einem unbestimmten Zeitpunkt begann, die Inhalte nicht mehr bewusst wahrzunehmen.
Die Beiträge schienen sich zu wiederholen, aber vielleicht würde er aus seiner Abwesenheit gerissen, sobald man in den Abendnachrichten wieder über Begebenheiten aus einer anderen Welt berichten würde.
Die Israelis lassen ihrem Spieltrieb freien Lauf und organisieren nach alter Tradition bei den Kindern ihrer Nachbarn den Dauerbrenner Reise nach Jerusalem in der unwesentlich abgeänderten Version Reise nach Beirut. Anderer Ort, anderer Name, aber dieselben Spielregeln.
Zur akustischen Untermalung durch Sprengkörper wird um die Stühle getanzt, und wenn die Musik stoppt, versucht jeder, einen Platz zu besetzen. Anschließend wird ein Stuhl weggezogen und der Tanz geht weiter. Die Zeremonie wird solange wiederholt, bis im Regelfall Israel als Gewinner auf dem letzten freien Platz sitzt. Ungeeignet für Spieler von 0-99 Jahren. Aber wen interessiert es?
Dass jede der sich gegenüber stehenden Fronten im Nahen Osten gleichermaßen berechtigte Interessen vertritt, mag durch unerschöpfliche Argumentationsketten zu belegen sein. Und es ist auch sachlich nachvollziehbar, dass die wechselseitige Eskalation von Gewalt eine Konsequenz aus der Hoffnungslosigkeit und Sturheit aller Beteiligten ist.
Aber die Berichte in den Medien über diese und jede andere Art von Konflikten interessieren den Konsumenten höchstens noch aus Gründen der intellektuellen Eitelkeit. Man könnte etwas verpassen und sich in unangenehmen Gesprächssituationen wiederfinden.
Warum hört man so oft den Satz: Ich kann es nicht mehr hören? Verspürt irgendwer aufrichtige Empathie mit menschlichen Tragödien in den Teilen der Welt, die sich nicht im unmittelbaren Gesichtsfeld befinden?
Die Medien versuchen, neben der Erfüllung ihres Informationsauftrags, emotionale Ebenen anzusprechen, um eine persönliche Nähe zum Thema zu suggerieren. Es soll eine Identifikation der Adressaten mit dem gezeigten Schrecken und damit eine engere Bindung ans Medium erreicht werden. Tatsächlich ist dieses Ansinnen nur punktuell erfolgreich, und auf Dauer wird eine Gleichgültigkeit erzeugt, die man mit zunehmendem Alter auch gerne als Gelassenheit bezeichnet.
Viel interessanter als die Beschreibung dieses bekannten Phänomens ist die Frage, ob man einen moralischen Vorwurf erheben kann, wenn bei dem enormen täglichen, stündlichen, minütlichen Informationsverschleiß im Sog der schlechten Nachrichten nicht nur das Mitgefühl, sondern irgendwann auch das Interesse auf der Strecke bleibt.
Es sollte gestattet sein, jedes fremde Leid der Welt aus sachlicher Distanz zu betrachten und im geistigen Zettelkasten abzulegen, oder auch zu ignorieren. Trauer und - im schlimmsten Fall - Schuldgefühle helfen nicht weiter. Geheucheltes Interesse auch nicht. Das mag bedauernswert sein, aber so verhält es sich.
Vielleicht sollte über diesem Text treffender der Titel stehen: Die Logik der Gleichgültigkeit.
Eigentlich waren Zürich und Berlin die Hochburgen des Dadaismus, aber in Wien scheinen sich Auswirkungen der Bewegung bis in die zeitgenössische Straßenbenamung fortzusetzen.
Wer übrigens unter dada.org etwas anderes als die Detroit Auto Dealers Association erwartet, wandelt auf den Pfaden erfrischender Leichtgläubigkeit durchs Leben.
Er wollte eigentlich nur herausfinden, was passierte, wenn er die eigene Nummer wählte. Aber noch bevor Escher mit seinem Zeigefinger die Wählscheibe berühren konnte, klingelte das Telefon. Das versetzte ihm einen gewaltigen Schrecken, denn er wurde noch nie angerufen. Sein Name stand nicht im Telefonbuch, und er selbst war der einzige, der die Nummer kannte. Das Telefon wurde ausschließlich dazu genutzt, um sich im Amt krank zu melden. Seit er dort arbeitete, also in den vergangenen siebzehn Jahren, war das nur einmal vorgekommen. Damals litt er unter einer verschleppten Lungenentzündung.
Der Anruf konnte nicht vom Amt kommen. Es war Sonntag.
Escher stand ratlos in dem kleinen Flur neben der Gardeobe mit dem Popeline-Mantel, vor sich das hellgrüne Telefon. Er ließ den Apparat sieben Mal klingeln, bevor er den Hörer zaghaft von der Gabel nahm und langsam an sein Ohr führte. Mit einer Stimme, die ihm fremd vorkam, meldete er sich.
- Escher. Guten Tag. - Escher. Guten Tag. - Hier spricht Escher. Mit wem spreche ich? - Hier spricht auch Escher. Sie sprechen mit Escher. - Haben Sie sich verwählt? - Ich wählte die Nummer von Herrn Escher. - Woher haben Sie meine Nummer? - Ihre Nummer? Dies ist meine Nummer. - Welche Nummer haben Sie denn gewählt? Vielleicht handelt es sich um ein Versehen.
Der Mann nannte die Nummer und es war tatsächlich Eschers Nummer.
- Sind Sie sich sicher, dass Ihnen beim Wählen kein Fehler unterlaufen ist? - Vielleicht haben wir dieselbe Nummer? - Welchen Sinn sollte das ergeben? Jede Nummer wird nur einmal vergeben. - Wäre es nicht möglich, dass der Telefongesellschaft ein Fehler bei der Vergabe der Nummern unterlaufen ist? - Das wäre eine mögliche Erklärung. Aber warum haben Sie Ihre eigene Nummer gewählt? - Ich wollte eigentlich nur herausfinden, was passiert, wenn ich meine eigene Nummer wähle. - Seltsam. Ich war gerade im Begriff, dasselbe zu tun. - Ich schlage vor, wir legen jetzt beide den Hörer auf, und dann wählen Sie Ihre Nummer. - In Ordnung,
sagte Escher und legte auf. Er wartete einen Moment und wählte dann seine eigene Nummer. Nach sieben Freizeichen wurde am anderen Ende der Leitung abgenommen.
- Escher. Guten Tag. - Ich hatte mit Ihnen gerechnet. Danke für den Rückruf. - Spreche ich mit Escher? - Ja. - Welche Farbe hat Ihr Telefon? - Es ist hellgrün. - So ein Zufall! Genau wie meins. Wo arbeiten Sie? - Im Amt. - Dort arbeite ich auch. Merkwürdig, dass wir uns noch nie begegnet sind, wo wir doch den gleichen Namen tragen. - Es arbeiten viele Menschen dort. Wir könnten aber gleich morgen Ausschau nach einander halten. - Das ist eine ausgezeichnete Idee. Woran erkenne ich Sie? - Ich trage einen Popeline-Mantel. - Genau wie ich. Dann erkennen wir uns also gegenseitig an unseren Popeline-Mänteln. - Wunderbar. Wir müssen unsere nette Unterhaltung an dieser Stelle leider beenden, da ich noch etwas zu erledigen habe. - Das trifft sich gut. Ich habe auch noch etwas zu erledigen. Auf Wiederhören, Herr Escher. - Auf Wiederhören, Herr Escher.
Auch wenn es nur eine telefonische Begegnung war, es war eine interessante Begegnung. Escher beschloss, sich in Zukunft öfter zurückzurufen.
Später, während wir an der Prinsengracht entlang gingen, erzählte Ari beiläufig, dass sein Großvater während der Besatzungszeit von einem SS-Offizier ermordet wurde. Wir setzten uns auf eine Bank am Kanal und drehten Zigaretten aus schwarzem Tabak.
Auf einem flachen Aluminiumkahn näherten sich zwei junge Frauen mit wehenden Haaren, sie ließen den Außenbordmotor bei viel zu hoher Geschwindigkeit aufheulen. Die Bugwelle schwappte über die hölzerne Plattform eines Hausboots und durchnässte einen Mann, der dort unten ein Sonnenbad nahm. Erschrocken sprang er auf.
Ari verzog verächtlich die Mundwinkel und warf den beiden Schönheiten einen Kieselstein entgegen. Sie drosselten das Tempo und starrten uns entgeistert an. Die Hübsche am Außenbordmotor drehte sich im Vorbeifahren um und zeigte uns den Mittelfinger.
- Sexy. Du suchst wohl ständig Streit. - Überhaupt nicht. Ich bin der friedlichste Einwohner Amsterdams. Ich kann es nur nicht leiden, wenn Leute ihren Spaß auf Kosten anderer haben. Und dann ist es mir egal, ob jemand aussieht wie Godzilla oder wie Miss World. - Bei Miss World würde ich im Fall einer harmlosen Bugwelle eine Ausnahme machen. Bei Godzilla vielleicht auch, aber aus anderen Gründen.
Ari lachte. Im nächsten Moment verdunkelte sich sein Gesicht und er begann, die Geschichte von seinem Großvater zu erzählen. Dabei nahm er tiefe Züge von seiner Selbstgedrehten. Er schien den Rauch nicht zu inhalieren, sondern zu schlucken, was man an den Bewegungen seines Kehlkopfes erkennen konnte.
Die Geschichte von Aris Großvater war eine der Geschichten, wie sie in Zeiten passieren, in denen alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens außer Kraft gesetzt sind. In diesen Zeiten sind solche Geschichten nicht außergewöhnlich, sondern nur kleine Teilchen im täglichen Mosaik der Gewalt. (Fortsetzung folgt)
Wir ritten seit Neumond durch Wüsten aus grauem Asphalt. Eine sture Sonne im schattenlosen Blau brachte die Welt zum Erweichen. Unsere Kriegsbemalung war von Schweiß und Staub verwischt und gab uns das Aussehen trauriger Clowns. Die Markierungen unserer Vorfahren wiesen den Weg, aber wie lange würden die Pferde noch durchhalten?
Seit 2004 feiert das WWW seinen zweiten Versionsgeburtstag als kommunikative Revolution. Web 2.0. Gähn.
Das Medium befindet sich in der aktuellen Version hinsichtlich theoretischer Möglichkeiten im digitalen Umfeld auf einer prähistorischen Entwicklungsstufe und wird den Menschen der nahen Zukunft dunkel an Zeiten erinnern, in denen die ersten schriftlichen Dokumente seiner Gattung mit Hilfe von Hammer, Meißel und Steinplatten entstanden sind.
Die mühsame Dokumentation, Strukturierung und Publikation von Gedankengängen einschließlich der Feedback-Prozesse via Tastatur bremst eine authentische Ad-hoc-Verbreitung geistiger Erzeugnisse. Aber vielleicht wird sich bereits die übernächste Stufe der Vernetzung, Web 4.0, dadurch auszeichnen, dass man seine Gedanken mittels mobiler Erfassung der elektrischen Impulse im Gehirn kabellos aufzeichnen und austauschen kann. Dies sollte in unterschiedlichen Modi möglich sein: als Text-, Bild-, Ton-, oder Filmdatei. Zusätzlich wird der gesamte Bereich der Telefonie in die Gehirnschnittstelle integriert. Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Vermarktung der Schnittstellengeräte wären Filter zur Trennung zwischen privaten Gedanken und den in das Netz einzuspeisenden Daten. Ab Web 5.0 gibt es dann vermutlich auch Möglichkeiten zur Erstellung von Geruchs-, und Geschmacksdateien. Web 6.0 könnte Gefühlsdateien generieren, die entsprechende Rezeptoren in der Haut stimulieren und direkte körperliche Berührungen mit beliebigen Gegenständen oder anderen Personen überflüssig machen. Durch Information Overload bedingte Todesfälle werden an der Tagesordnung sein und vermutlich entstehen neue Zivilisationskrankheiten, die - früheren Computerviren ähnlich - über die Netze und Gehirnschnittstellen körperlich übertragbar sind. In einer Hinsicht werden sich die kommenden Webgenerationen allerdings nicht von den früheren unterscheiden. Die Technologie der Suchmechanismen wird der steigenden Informationsmenge immer einen Schritt hinterher hinken und das Auffinden interessanter Knotenpunkte im Netz bleibt weiterhin zu einem großen Teil Faktoren wie Zufall und Intuition überlassen.
Escher ging barfuss über glitschige Wege durch das Gedächtnis einer Nacktschnecke und stolperte unverhofft über einen zufällig herumliegenden Gedanken.
Er schaltete seine Stirnlampe an, um sich den Gegenstand genauer anzusehen. Bei dem seltenen Fund handelte es sich um den Gedanken an ein geschlechtsloses Geschöpf, das sich über einen Kochtopf beugte, in dem das Gedärm von allerlei Krötengetier brodelte.
Das Geschöpf hielt seine lange Nase über den dampfenden Kessel, um sich am Geruch der Suppe zu erfreuen. Sein rechter Nasenflügel war gänzlich von einer Warze bedeckt, auf der ein saftig grüner Moosteppich mit gigantischen Ausmaßen wuchs. Über der Mooslandschaft waberte ein tropischer Nebel, der vom Dampf der Krötensuppe herrührte.
Das Moos auf der Warze fühlte sich weich unter seinen Sohlen an, als Escher die Füße aufsetzte und vorsichtig durch den Nebel schritt. Irgendwo schien ein bläuliches Licht zu glimmen und Escher bewegte sich darauf zu. Doch bevor er die Lichtquelle erreichen konnte, gab der Boden unter seinen Füßen nach und er versank im Moos. Escher sank durch viele Schichten aus abgestorbenen Pflanzenteilen, Lehm, Geröll und Granit. Eine ungeheure Gravitation zog ihn nach unten, und er hielt den Atem an.
Plötzlich spürte er Wasser an den Füßen, er tauchte in ein salziges Meer ein. Es war wieder möglich, zu atmen. Escher musste nur das Salzwasser schlucken und sich dabei selbst vertrauen. Er tauchte zwischen bunten Schwärmen verschiedener Fischarten, die er nicht näher bestimmen konnte, und gelegentlich ließ sich ein Rochen blicken.
Nachdem er einige Jahre durch den Ozean getaucht war und sich dabei von Plankton ernährt hatte, beschloss Escher, sich zur Wasseroberfläche zu bewegen. Als er den Kopf aus dem Wasser streckte, sah er am Horizont einen Landstreifen.
Anfangs war er noch wackelig auf den Beinen, aber schon nach kurzer Zeit hatte er sich wieder an das ehemalige Leben auf dem Land gewöhnt. Ziellos durchstreifte er die Nadelwälder, die kurz hinter dem schwarzen Strand begannen.
Am Nachmittag begann es, zu regnen, und er wäre beinahe auf eine Nacktschnecke getreten, aber im letzten Moment zog er seinen Fuß zurück. Er setzte sich das Tier auf den Handrücken und schaute ihm unter dem Schein der Stirnlampe in die Stielaugen. Da erkannte er, Escher, sich selbst, wie er sich aus dem Auge der Nacktschnecke heraus, mit einer Stirnlampe auf dem Kopf, ansah. Seine Pupillen waren geweitet.
Erschrocken schüttelte er die Nacktschnecke von seiner Hand und trat einige Schritte zurück. Kaum hatte die Schnecke sich wieder auf die richtige Seite gedreht, flog eine Amsel herbei und spießte das Weichtier mit ihrem spitzen Schnabel auf.
Sie flog zu ihrem Nest, um mit der Beute ihren Nachwuchs zu füttern. Escher schaute dem Vogel hinterher, bis er aus seinen Gedanken verschwand.
Der Gedanke über den Sinn ist im Ablagesystem des menschlichen Gehirns mit der Inventarnummer 1 gekennzeichnet. Das ist erstaunlich, weil doch jeder weiß, dass der Sinn sich zwar einkreisen lässt, aber am Ende ebenso unauffindbar bleibt, wie die Nadel im Gedankenhaufen. Grundsätzlich. Das ist ein Naturgesetz. Die gesamte Geistesgeschichte ist ein Beleg für dieses Naturgesetz.
Infolge der Logik dürfte auch der Unsinn als das Gegenteil des Sinns nicht zu orten sein. Mit dem Unsinn verhält es sich jedoch anders. Noch erstaunlicher als das verzweifelte Ringen um den Sinn ist das Phänomen, dass der Unsinn sich überall offen zeigt und bei näherer Betrachtung jederzeit deutlich erkennbar ist.
Zur Illustration dieser Behauptung sei als Beispiel das Suchtverhalten genannt. Bis ich vor etwa zehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe, hatte ich große Vorbilder, was den exzessiven Konsum von Tabak betraf. Der kürzlich verstorbene Rudi Carell gehörte als legendärer Kettenraucher ebenso dazu, wie Robert Musil, der von sich behauptete: Ich lebe, um zu rauchen.
Zu Beginn einer Raucherkarriere mag die anregende Wirkung einer Zigarette die Illusion vom Sinn dieser Beschäftigung vermitteln. Den beflügelnden Effekt des Nikotins kann ein Kettenraucher jedoch nicht mehr erzielen, und so besteht der vermeintliche Sinn des Konsums irgendwann nur noch darin, nervöse Hände zu beschäftigen und den Lippen das Gefühl einer weichen, warmen Berührung zu vermitteln.
William S. Burroughs, der sich bis ins hohe Alter ausgesprochen aktiv mit dem Konsum von Heroin und anderen Suchtstoffen beschäftigt hat, vertrat zum Thema Sucht die Meinung, dass der Sinn des Konsums nicht im Rausch, sondern in der Sucht selbst besteht, die irgendwann mit allen ihren spezifischen Folgen zum Lebensinhalt wird.
Bis vor nicht allzu langer Zeit erfuhr die Nikotinsucht trotz ihrer negativen Begleiterscheinungen nicht nur große gesellschaftliche Verbreitung, sondern auch eine hohe Akzeptanz. Aus heutiger Sicht erscheint es befremdlich, wenn die Personen in älteren Romanen völlig unbedarft am Bett eines Patienten im Krankenhaus rauchten, wie z.B. in Les anneaux de Bicêtre (1962) von George Simenon.
Der Unsinn des Rauchens ist wie fast jeder andere Unsinn einem Trendverhalten unterworfen. Bald werden Raucher in Gaststätten ein exotischer, vielleicht sogar verbotener Anblick sein. Und irgendwann wird das Rauchen wieder ausreichend exotisch und verschmäht sein, um eine Renaissance zu erfahren. Einige Vorreiter werden den Trend einleiten und die Masse wird folgen. Unsinn kommt und geht. Und kommt wieder.
Addiert man die Teilmengen des täglichen Unsinns, erhält man in der Summe die Gesamtheit eines großen, alles umfassenden Unsinns. Darin wäre Logik erkennbar. Besteht der Sinn also im Unsinn?
Wir besetzten die beiden letzten freien Sitzplätze im hinteren Teil der Straßenbahn. Als an der nächsten Haltestelle ein alter Mann in einem abgenutzten Anzug einstieg und die Leute in der Nähe der Tür keine Anstalten machten, sich zu erheben, stand Ari auf und brachte den Alten zu seinem Sitzplatz. Der Mann hinkte, und er hielt sich auf dem Weg an Aris Arm fest.
Aris harmlose Erscheinung machte seine offene Gewaltbereitschaft umso beängstigender, und wenn ich an die Szene im Last Waterhole dachte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Aber unter der Gnadenlosigkeit, die ich kurze Zeit zuvor erlebt hatte, verbarg sich eine unaufdringliche Art von Anstand. Ari stellte sich neben mich und zuckte mit den Schultern, als sei es ihm peinlich, dass er dem Alten seinen Sitzplatz angeboten hatte.
Der Alte stützte sich auf seinen Stock und brummte unverständliche Wortfetzen auf Niederländisch vor sich hin. Dazwischen rieb er seine zahnlosen Kiefer gegeneinander, ließ die Fingergelenke knacken und warf mit verächtlichen Blicken um sich. Einer der Blicke blieb plötzlich an mir hängen und seine Augen weiteten sich, während er zunächst auf meine Schuhe und mir dann geradewegs ins Gesicht starrte.
- Heil Hitler immer noch, junger Kamerad!
dröhnte er unvermittelt und imitierte dabei den schnarrenden Kasernenhofton eines Feldwebels. In diesem Moment drehten sämtliche Passagiere in Hörweite ihre Köpfe nach uns um.
- Junger Kamerad! Du bist doch ein junger deutscher Kamerad, oder?
Mir hatte es die Sprache verschlagen und ich hätte mich gerne in einen Geist verwandelt. Hilflos schaute ich zu Ari, der mir mit einem leichten Kopfschütteln bedeutete, den Mund zu halten.
- Ich kann es an deinen Armeestiefeln erkennen. Solide, sehr solide! Bundeswehr. So nennt ihr doch eure neue Reichswehr? Gute Ausrüstung hattet ihr schon immer. Nur in Russland ist es dann doch ein wenig zu lecker kalt geworden, nicht wahr, Jonge?
Der Alte kicherte und machte dabei überhaupt nicht den Eindruck, als sei er verrückt.
- Ihr Deutschen seid nicht so ordentlich, wie immer behauptet wurde. Die Aufgabe mit den Juden und dem anderen Gesindel hätte man gründlicher lösen können.
In diesem Moment hielt die Straßenbahn und Ari zog mich zur Tür. Der Alte streckte seinen Arm zum Hitlergruß nach oben und rief mir noch etwas hinterher. Ich blickte mich kurz nach ihm um, und da sah ich die tätowierten Ziffern auf seinem Unterarm.
- Was hat er gerufen? wollte ich von Ari wissen. - Rot op. Das ist die weniger freundliche Version von verpiss dich. (Fortsetzung folgt)
Rechnerisch betrachtet könnte jeder Mensch jeden anderen Menschen über eine erstaunlich geringe Anzahl von Zwischenbekanntschaften kennen. Diese Theorie der Vernetzung wurde 1967 von dem Soziologen Stanley Milgram beschrieben und 2003 mittels einer Email-Kette belegt.
Wenn man davon ausginge, dass jeder Mensch nur 92 andere Menschen kennt und diese anderen wiederum 92 andere kennen etc., wäre man bereits nach fünf Bekanntschaftsknotenpunkten bei rund 6,6 Milliarden Menschen und hätte die gesamte Weltbevölkerung erfasst.
Einerseits besagt zwar das Transitivitätsprinzip, dass sich die Bekannten einer Person meistens auch untereinander kennen und damit die theoretische Kontaktquote deutlich reduziert wird, andererseits ist die Zahl 92 niedrig gewählt, denn vermutlich hatte sogar ein dreijähriges Kind bereits mehr Kontakte in seinem Leben.
Möglichst exakt zu definieren wäre, ab welcher Intensität ein Kontakt gewertet wird. Zählt die Frau an der Tankstelle irgendwo in Oregon, bei der man vor vier Jahren ein Sandwich gekauft hat, und die einem Bilder von ihren Kindern zeigte, dazu? Dann stiege die angenommene Kontaktzahl eines Mitteleuropäers ab einem Lebensalter von etwa 40 Jahren vermutlich in den fünfstelligen Bereich. Oder muss man mindestens den Namen der Person kennen, zu der man Kontakt hatte? Selbst in diesem Fall dürften die meisten Erwachsenen über eine Kontaktzahl verfügen, die 92 weit übertrifft.
Auch ohne an dieser Stelle einen stochastischen Beweis führen zu können, darf man vermuten, dass die rein mathematische Grundannahme des Kleine-Welt-Phänomens zusätzlich zur Einschränkung durch das Transitivitätsprinzip schnell an nationale und kulturelle Grenzen stößt. Es wäre interessant, zu wissen, ob man einen beliebigen Angehörigen eines Naturvolkes auf einer polynesischen Insel tatsächlich über fünf Ecken kennt. Oder ob man besser selbst dorthin reisen sollte, um ihn persönlich kennen zu lernen. -- >> Kleine-Welt-Phänomen
Zugegeben, es gibt mind. 100% größeren Quatsch, aber nachdem ich mit dem Hunde- kotbeutel- stationenquatsch angefangen habe, möchte ich diese jüngste lichtbildliche Errungenschaft (Standort Aerdenhout, Holland) dem hochverehrten Leserkreis nur ungern vorenthalten.
Zuerst las ich Opiumkakjes.
Hoffentlich entwickelt sich das mit den Hundekotbeutelstationen nicht zur Manie. Einmal mit diesem Unfug begonnen, entwickelt man nämlich eine gewisse selektive Wahrnehmung. Ich kannte mal einen, der hat Fotos von Gullideckeln aus unterschiedlichen Ländern gesammelt. Es war nicht einfach, sich mit ihm zu unterhalten, ohne dass er das Gespräch früher oder später auf Gullideckel lenkte. Übrigens können auf dem Kanal im Hintergrund zwei erwachsene Ruderknechte und ein fünfjähriger Schlauchbootpirat binnen einer Stunde lässig von Aerdenhout nach Haarlem paddeln - auch wenn die Luxusgummiyacht eigentlich für max. 2,5 Kinder, nicht älter als sieben Jahre, konzipiert wurde. Von Haarlem kann man dann weiter nach Amsterdam oder Amerika oder zum Kap der Guten Hoffnung paddeln und forschen, ob es dort auch schon Hundekotbeutelstationen gibt.
Beim Sitzen in Fahrtrichtung neigt der Passagier leicht dazu, einzuschlafen. Setzt man sich jedoch der Fahrtrichtung entgegen, fördert diese Haltung die Aufmerksamkeit.
Lugo Conzani mochte Züge. Mit dem Alpha Romeo hätte er die Strecke zwischen Florenz und Siena deutlich schneller zurücklegen können, aber es gefiel ihm, wenn ein Fahrgefühl seiner Stimmung entsprach. Der eintönige Rhythmus des rollenden Zuges und die Kunstledersitze in den heruntergekommenen Abteilen, wo sich der Geruch von vielen tausend Fahrgästen gesammelt hatte, passten zu der abgründigen Melancholie, die sich seit Tagen in ihm ausdehnte. Er saß allein im Abteil, und während er in die flirrende Landschaft der Toskana starrte, strömte ein heißer Wind durch das halb geöffnete Fenster in sein Gesicht und brannte in den Augen.
Im Walkman lief ein Mixtape, das sie ihm aufgenommen hatte, kurz bevor sie verschwand. Conzani hörte gerade The Passenger von Iggy Pop, als ein elegant gekleideter, aber unrasierter Mann mit müdem Blick die Tür des Abteils aufzog. Der Mann nickte Conzani zu, der die Begrüßung mit einem gemurmelten Bongiorno erwiderte. Nachdem er sich auf den Sessel schräg gegenüber Conzani fallen gelassen hatte, legte der Mann den Kopf zur Seite und schlief sofort ein. Nach wenigen Sekunden klappte sein Kinn nach unten und durch das Fahrgeräusch des Zuges vernahm Conzani das rasselnde Atmen des Schlafenden. Er runzelte die Stirn, als ihm der silberne Ring auffiel, der die Form eines Salamanders hatte und sich um den rechten Zeigefinger des Mannes wand. Während er den ungewöhnlichen Schmuck betrachtete, verschwamm sein Blickfeld wie unter Hypnose und auch er schlief ein.
Als er vom Bahnhofslärm in Siena geweckt wurde, war der Fremde aus dem Abteil verschwunden. Conzani nahm seinen kleinen Reisekoffer aus dem Gepäcknetz und ging zum Taxistand.
Er hatte die Angewohnheit, einen Koffer nie sofort nach der Heimkehr auszupacken, sondern einige Tage mit dem Erledigen dieser lästigen Aufgabe zu warten.
Als er den Koffer am folgenden Wochenende auspackte, fand er einen merkwürdigen Gegenstand zwischen seinen Kleidungsstücken. In einem kleinen, grünlich schimmernden Glasbehälter befand sich ein Finger, der in einer durchsichtigen Flüssigkeit schwamm. Es war ein Zeigefinger. Über dem mittleren Fingergelenk steckte ein Ring aus Silber. Conzani erkannte den Schmuck sofort. Es war derselbe Salamander, den er am Finger des Mannes im Zug gesehen hatte. Ohne die ehemals dazu gehörende Hand sah das menschliche Relikt in Kombination mit dem Ring angsteinflößend aus.
Noch angsteinflößender war der Umstand, dass es sich bei dem Glas um ein Produkt handelte, das er in derselben Art für die Konservierung seiner Präparate verwendete.
Conzani hatte ein ungewöhnliches Hobby. Er präparierte kleine Amphibien und Reptilien, die er auf Sammlerbörsen kaufte. In seinem Hobbykeller betäubte er die Tiere mit Chloroform und legte sie in bunte Glasgefäße ein, die er mit Formalin füllte und luftdicht versiegelte. Wie Flaschenschiffe reihten sich die Präparate auf Regalen aneinander.
Die Glasgefäße in unterschiedlichen Größen, Farben und Formen waren Einzelanfertigungen, die er von einem Glasbläser in Florenz herstellen ließ.
Am Montag nach dem Fund versuchte Conzani, bei dem Glasbläser anzurufen, aber die Leitung war tot. Er wählte die Nummer eines Ladenbesitzers in der Nachbarschaft des Glasbläsers und erfuhr, dass dieser vor wenigen Wochen seine Werkstatt aufgelöst hatte und umgezogen war. Die neue Adresse kannte der ehemalige Nachbar nicht.
Conzani ging mit dem Finger zur Polizei. Nach einer gerichtsmedizinischen Untersuchung stellte sich heraus, dass der Finger zum Körper einer Frau gehörte, die eine Woche zuvor in der Nähe von Florenz ermordet worden war. Da weitere Gliedmaßen des Leichnams fehlten, ordnete der Untersuchungsrichter eine Hausdurchsuchung in Conzanis Villa an. Dabei fanden die Beamten zwar nicht die fehlenden Körperteile der Frauenleiche aus Florenz, dafür aber vier in identischer Weise präparierte Zeigefinger von verschiedenen Frauen, die alle innerhalb des letzten Jahres an verschiedenen Orten in der Toskana ermordet worden waren. Die Finger befanden sich im Keller, eingelegt in bunte Glasbehälter, die zwischen präparierten Salamandern aufgestellt waren.
Am Körper der jungen Toten aus Florenz wurde ein Haar gefunden, das man nach einer genetischen Analyse eindeutig Conzani zuordnen konnte.
Die Geschichte von dem Fremden im Zug glaubte man Conzani vor Gericht nicht. Seinen Gang zur Polizei konnten sich die Richter zunächst nicht erklären, aber der Psychologe interpretierte dieses Verhalten nach mehreren Sitzungen mit Conzani als eine durch inneren Druck ausgelöste Selbstüberführung.
In einer anderen Stadt lächelte eine Frau, die in ihrer kleinen Küche am Frühstückstisch saß. Sie hatte eine Zeitung vor sich liegen und las die Meldung über die Verurteilung des Fingermörders in der Rubrik Aus aller Welt. Die Lautstärke der Stereoanlage im anderen Zimmer war so eingestellt, dass sie die alte, zerkratzte Platte Lust for Life von Iggy in der Küche gut hören konnte. Während sie die anderen Meldungen auf der Seite las, lief The passenger. Sie warf einen kurzen Blick in Richtung des Leguans, der sich auf der Fensterbank sonnte und sich genauso gut zu fühlen schien wie sie.
Bevor Lugo Conzani sich den aus Stofffetzen geknoteten Strick um den Hals legte und auf den Stuhl in seiner Zelle stieg, dachte er, es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn er sich damals im Zug der Fahrtrichtung entgegen gesetzt hätte. Das war Conzanis vorletzter Gedanke.
Zufällig im selben Moment, als zwei Wärter Conzani von seinem Strick abschnitten, griff die Frau in der anderen Stadt zum Telefon und wählte die Nummer eines ehemaligen Glasbläsers.
+++ warnschuesse nicht direkt in den kopf abgeben +++ die auffaelligste eigenschaft von macht ist ihre missbrauchbarkeit +++ der weg ist nicht das ziel, der weg ist nur der weg +++ jede entscheidung ist zwingend falsch +++
Eine lebendige Bibliothek wächst wie ein Organismus. Bei entsprechender Pflege gedeiht der Organismus unter dem bleichen Daumen des Gärtners zu einem wohlgeformten Wesen, in dem die offenen Kreisläufe des Wissens zirkulieren. Das Wesen geht eine Symbiose mit jedem ein, der es berührt, denn es lebt davon, gebraucht zu werden, und der Nutzer ernährt sich vom Gehalt seiner Blätter.
Manche Bibliotheken beginnen jedoch mit zunehmendem Alter, zu wuchern und Auswüchse zu bilden, die den Zugriff auf die wertvollen Kernbestände verstellen. Es ist die anspruchsvolle Aufgabe des Gärtners, krebsartige Wucherungen zu erkennen und abgestorbene Teile in regelmäßigen Abständen durch präzise Schnitte zu entfernen. Das geistige Skalpell sollte ohne Nachsicht, aber mit großer Sorgfalt geführt werden. Die abgetrennten Teile dürfen jedoch nicht kompostiert oder gar verbrannt werden, sondern sollten als Ableger an andere Gärtner weitergereicht werden, für deren Zuchtprojekte sie von Nutzen sein können.
Großes gärtnerisches Können erfordert das Anlegen einer Bonsai-Bibliothek. Hier wird der Organismus auf die überlebensnotwendigen Teile reduziert. Es darf nicht zuviel beschnitten werden, aber jeder überflüssige Zweig würde das filigrane Gesamtbild zerstören. Mehr als ein voluminöses Gewächs kann die Bonsai-Bibliothek den Gärtner erfreuen, und es liegt allein im Ermessen des Gärtners, wie er die Pflanze formt.
Nach siebenhundertzweiundzwanzig Tagen war ich der Erste, der an der Höhle des Sadhu vorbeikam. Ich fragte ich ihn am Feuer in der Nacht, ob er sich nicht zuweilen einsam fühlte. Er antwortete, ich solle das Alleinsein nicht mit der Einsamkeit verwechseln.
Als ich am nächsten Morgen mit traumschwerem Kopf erwachte, war der Sadhu verschwunden. Sein orangefarbenes Gewand lag sorgfältig zusammengefaltet auf meiner Reisetasche. Von der Feuerstelle stieg ein dünner Rauchfaden auf, und der Boden der Höhle war von weichem Staub bedeckt.
An jenem Nachmittag sollte ich bei der Überquerung des Chanderkhani-Passes dem Tod in der Gestalt eines Steins begegnen.
- Was du gerade in der Bar angerichtet hast ... DAS war Sport für Gestörte. War es denn unbedingt notwendig, die Typen gleich totzuschlagen? - Kennst du vielleicht jemand, der eine Verwendung für den Tresendildo hat?
Ari fuchtelte mit dem Baseballschläger nach Manier von Komparsen aus Hongkong Kung Fu Filmen vor meinem Gesicht herum. Dabei schnitt er Fratzen und schrie chinesisch klingende Laute. Vorbei eilende Passanten achteten auf einen angemessenen Sicherheitsabstand. Nach der angetäuschten Kampfeinlage warf er den Schläger auf die Rückbank eines Sportwagens im Halteverbot.
- Welcher Idiot parkt ein Kabrio mit offenem Verdeck mitten in Amsterdam? Der hier dürfte jedenfalls der erste sein, der für seinen Leichtsinn mit einem fast ungebrauchten Sexspielzeug belohnt wird. Die beiden Spaßvögel im Last Waterhole haben sich doch nur scheintot gestellt. Vermutlich, weil sie Angst davor bekommen hatten, dass ich richtig loslege. - Scheintot? Für mich sah das deutlich anders aus. - Wenn du körperlich unterlegen bist und eigentlich keine Chance hast, musst du improvisieren, Überraschungseffekte einsetzen und mit absoluter Gewalt die empfindlichsten Stellen des Gegners treffen. Sieht nicht schön aus, ist aber wirksam. Schienbein, Knie, Niere, Leber, Hals, Augen. - Klingt wie aus einem Sachbuch für Selbstverteidigung. Du hast die Tritte zwischen die Beine vergessen. - In dem Viertel, wo ich aufgewachsen bin, De Baarsjes, kannte jeder dieses Sachbuch auswendig. Wollten wir nicht deinen Seesack in meiner Bude abstellen? Ich bin gespannt, was unterwegs noch alles passiert. - Mein Tagesbedarf an Adrenalin ist für heute gedeckt. - Komm, wir nehmen die Straßenbahn.
Mein Schienbein schmerzte vom Zusammenstoß mit dem Einkaufswagen und ich humpelte hinter Ari zur Haltestelle. Kurz bevor wir dort ankamen, holte uns ein athletischer Rastafari ein, der nicht sehr entspannt wirkte. Es war der Besitzer des Sportwagens.
- Du hast deinen Baseballschläger vergessen, mein Freund. Und außerdem hast du ein verfluchtes Glück, dass mein Wagen keinen Kratzer abbekommen hat.
Ari rollte mit den Augen und nahm den Baseballschläger, der ihm entgegen gehalten wurde. Während wir in die Straßenbahn stiegen, war ich mir nicht sicher, wer von den beiden Glück gehabt hatte. (Fortsetzung folgt)
Fox, Uncle, Charlie, King. Schnee von gestern. Hier das neue Buchstabieralphabet, erdacht nach einer Inspiration durch Franz Mon während einer Lesung anlässlich des siebenundsiebzigsten Geburtstages von Adam Seide († 29. April 2004), ZKM Karlsruhe, 2. Juli 2006. Akkumulierungsparalyse Bulemiemessias Chavinismusabsorber Dekonstruktionstempomat Emotionsinkasso Feudalprolet Gravitationshysterie Hedonismuspräparat Interimsoptimist Justizialkontaminierung Konnotationsjongleur Liberalisierungsdefensive Masturbationspazifismus Nationalclaqeur Ortografiekonglomerat Plausibilitätsmetabolie Quartalvegetarier Rekonvaleszenzaggressor Sukkulenzdistribution Turbonihilismus Urinalanimosität Veritabilitätsreflexion Wasabidiät Xenoprototyp Yetimodulation Zerebralperforierung
So sehen Hundekotbeutelstationen wenige Wochen nach ihrer Errichtung aus. Wer ein anderes Ergebnis erwartet hat, sollte endlich mit der Umsetzung wirksamer Konzepte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit beginnen. Oder sofort seiner politischen Verantwortung enthoben werden.
Aber vielleicht waren nicht nur die Plastikbeutel als Einwegprodukte konzipiert worden, sondern auch die Metallbehälter.
Sie näherten sich dem Café im Tiefflug. Eine hochglanzpolierte Marketing-Kampfjetpilotin vom Typ Doppelstudium Psychologie/BWL, Staffel 3. Semester, löste sich aus der Formation und steuerte auf den Raucher am Nachbartisch zu.
- Möchten Sie vielleicht einmal eine Zigarette der Marke Napalm Death* testen? - Freilich. Wenn es nichts kostet. - Welche Geschmacksrichtung bevorzugen Sie? Mild, mittel oder kräftig?
Das Werbeopfer sah aus, wie man sich als Kind einen mittelalterlichen Henkersknecht vorgestellt hat und bevorzugte erwartungsgemäß die kräftige Sorte.
- Gib mir halt mal eine Packung. - Wir dürfen leider keine ganzen Packungen verschenken, sondern nur einzelne Zigaretten. - Na, gut. Dann gib mir halt mal fünfzehn einzelne. - Das geht leider auch nicht, ich darf Ihnen nur eine geben. - Ach. Nur eine. Soll ich mir etwa das Rauchen abgewöhnen? - Nein, einfach mal was Neues ausprobieren. - Und dann soll man sein Urteil dazu abgeben, oder was? - Nein, einfach nur genießen. - Aha. Jetzt soll man den blöden Mist nicht nur rauchen, sondern auch noch genießen!
Verunsichert drehte sich die Kampfjetpilotin in meine Richtung.
- Rauchen Sie?
Ich starrte sie nur debil an und ließ mir einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel rinnen.
Durch das unkonventionelle Stellungsgefecht schwer angeschlagen, stammelte die Angreiferin noch einen Werbekampfslogan und drehte ab.
Der Henkersknecht und ich tauschten einen kameradschaftlichen Blick durch die Fliegermasken und zeigten uns gegenseitig die zum Himmel gerichteten Daumen.