Die Tragik der Gleichgültigkeit
Die Israelis lassen ihrem Spieltrieb freien Lauf und organisieren nach alter Tradition bei den Kindern ihrer Nachbarn den Dauerbrenner Reise nach Jerusalem in der unwesentlich abgeänderten Version Reise nach Beirut. Anderer Ort, anderer Name, aber dieselben Spielregeln.
Zur akustischen Untermalung durch Sprengkörper wird um die Stühle getanzt, und wenn die Musik stoppt, versucht jeder, einen Platz zu besetzen. Anschließend wird ein Stuhl weggezogen und der Tanz geht weiter. Die Zeremonie wird solange wiederholt, bis im Regelfall Israel als Gewinner auf dem letzten freien Platz sitzt. Ungeeignet für Spieler von 0-99 Jahren. Aber wen interessiert es?
Dass jede der sich gegenüber stehenden Fronten im Nahen Osten gleichermaßen berechtigte Interessen vertritt, mag durch unerschöpfliche Argumentationsketten zu belegen sein. Und es ist auch sachlich nachvollziehbar, dass die wechselseitige Eskalation von Gewalt eine Konsequenz aus der Hoffnungslosigkeit und Sturheit aller Beteiligten ist.
Aber die Berichte in den Medien über diese und jede andere Art von Konflikten interessieren den Konsumenten höchstens noch aus Gründen der intellektuellen Eitelkeit. Man könnte etwas verpassen und sich in unangenehmen Gesprächssituationen wiederfinden.
Warum hört man so oft den Satz: Ich kann es nicht mehr hören? Verspürt irgendwer aufrichtige Empathie mit menschlichen Tragödien in den Teilen der Welt, die sich nicht im unmittelbaren Gesichtsfeld befinden?
Die Medien versuchen, neben der Erfüllung ihres Informationsauftrags, emotionale Ebenen anzusprechen, um eine persönliche Nähe zum Thema zu suggerieren. Es soll eine Identifikation der Adressaten mit dem gezeigten Schrecken und damit eine engere Bindung ans Medium erreicht werden. Tatsächlich ist dieses Ansinnen nur punktuell erfolgreich, und auf Dauer wird eine Gleichgültigkeit erzeugt, die man mit zunehmendem Alter auch gerne als Gelassenheit bezeichnet.
Viel interessanter als die Beschreibung dieses bekannten Phänomens ist die Frage, ob man einen moralischen Vorwurf erheben kann, wenn bei dem enormen täglichen, stündlichen, minütlichen Informationsverschleiß im Sog der schlechten Nachrichten nicht nur das Mitgefühl, sondern irgendwann auch das Interesse auf der Strecke bleibt.
Es sollte gestattet sein, jedes fremde Leid der Welt aus sachlicher Distanz zu betrachten und im geistigen Zettelkasten abzulegen, oder auch zu ignorieren. Trauer und - im schlimmsten Fall - Schuldgefühle helfen nicht weiter. Geheucheltes Interesse auch nicht. Das mag bedauernswert sein, aber so verhält es sich.
Vielleicht sollte über diesem Text treffender der Titel stehen: Die Logik der Gleichgültigkeit.
Zur akustischen Untermalung durch Sprengkörper wird um die Stühle getanzt, und wenn die Musik stoppt, versucht jeder, einen Platz zu besetzen. Anschließend wird ein Stuhl weggezogen und der Tanz geht weiter. Die Zeremonie wird solange wiederholt, bis im Regelfall Israel als Gewinner auf dem letzten freien Platz sitzt. Ungeeignet für Spieler von 0-99 Jahren. Aber wen interessiert es?
Dass jede der sich gegenüber stehenden Fronten im Nahen Osten gleichermaßen berechtigte Interessen vertritt, mag durch unerschöpfliche Argumentationsketten zu belegen sein. Und es ist auch sachlich nachvollziehbar, dass die wechselseitige Eskalation von Gewalt eine Konsequenz aus der Hoffnungslosigkeit und Sturheit aller Beteiligten ist.
Aber die Berichte in den Medien über diese und jede andere Art von Konflikten interessieren den Konsumenten höchstens noch aus Gründen der intellektuellen Eitelkeit. Man könnte etwas verpassen und sich in unangenehmen Gesprächssituationen wiederfinden.
Warum hört man so oft den Satz: Ich kann es nicht mehr hören? Verspürt irgendwer aufrichtige Empathie mit menschlichen Tragödien in den Teilen der Welt, die sich nicht im unmittelbaren Gesichtsfeld befinden?
Die Medien versuchen, neben der Erfüllung ihres Informationsauftrags, emotionale Ebenen anzusprechen, um eine persönliche Nähe zum Thema zu suggerieren. Es soll eine Identifikation der Adressaten mit dem gezeigten Schrecken und damit eine engere Bindung ans Medium erreicht werden. Tatsächlich ist dieses Ansinnen nur punktuell erfolgreich, und auf Dauer wird eine Gleichgültigkeit erzeugt, die man mit zunehmendem Alter auch gerne als Gelassenheit bezeichnet.
Viel interessanter als die Beschreibung dieses bekannten Phänomens ist die Frage, ob man einen moralischen Vorwurf erheben kann, wenn bei dem enormen täglichen, stündlichen, minütlichen Informationsverschleiß im Sog der schlechten Nachrichten nicht nur das Mitgefühl, sondern irgendwann auch das Interesse auf der Strecke bleibt.
Es sollte gestattet sein, jedes fremde Leid der Welt aus sachlicher Distanz zu betrachten und im geistigen Zettelkasten abzulegen, oder auch zu ignorieren. Trauer und - im schlimmsten Fall - Schuldgefühle helfen nicht weiter. Geheucheltes Interesse auch nicht. Das mag bedauernswert sein, aber so verhält es sich.
Vielleicht sollte über diesem Text treffender der Titel stehen: Die Logik der Gleichgültigkeit.
18 Comments:
Ob es unter Logik fällt, wenn man sich selbst dabei erwischt, beinah feuchte Augen zu kriegen, wenn irgendwo ein gestrandeter Wal mit dem Tod ringt, man gleichzeitig die tägliche Dosis weggesprengter Iraqis achselzuckend ignoriert?
Mir fällt es auch äußerst schwer, bei dieser Lindenstraße der Gewalt Partei zu ergreifen oder um die Opfer zu weinen. Jedes einzelne menschliche Schicksal regt mich, aber ich beobachte diese erneuten Kriegshandlungen wie eine blutige Schlägerei zwischen zwei besoffenen Skinheads. Ich hätte kein Bedürfnis zu schlichten, sondern würde nur hoffen, dass es denen irgendwann derart schwer verletzen, dass sie von alleine aufhören. Die einen jagen Katjuscha-Raketen rüber, die anderen antworten mit Bombardements. Und vice versa. Da capo al fine?
Es ist eher ein Armutszeugnis für unsere ach so zivilisierte Welt. Aber angesichts der lahrelangen grausamen Kriege in Ruanda beispielsweise nichts außergewöhnliches. Nur dass die Afrikaner ja so unbedeutend, das Land so arm an Bodenschätzen und die Bewohner noch nicht mal so halbweiss wie die Araber sind und das alles ja noch viel weiter weg ist. Da braucht man ja noch nicht mal in der Tagesschau drüber berichten...
Logik ist Glaubenssache
(Ernst Wilhelm Eschmann)
@Kein Einzelfall: Das geistesgestörte Gemetzel im Irak und anderswo entzieht sich jeder Begrifflichkeit und Begreifbarkeit. So gesehen entbehren die Tränen beim Anblick eines gestrandeten Wals nicht unbedingt einer emotionalen Logik.
@Steini: Die selektive Berichterstattung über die globalen Orte der Gewalt ist ein weiteres interessantes Phänomen. Afrika besitzt zwar Bodenschätze (s. Kongo), scheint aber für Europäer ein von außerirdischen Wesen besiedelter, unverständlicher und unberechenbarer Planet zu sein.
@Opa: Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, war Eschmann Atheist. Es war also vermutlich nicht religiös gemeint. Oder doch?
Ich staune, daß du den überhaupt in Erinnerung hast.
Atheismus ist eine Frage der Definition. Ich staune immer wieder, wie wenig dogmatischen Atheisten gerade unter den Naturwissenschaftlern anzutreffen sind. Mit zunehmendem Alter oder Erkenntnisstand nimmt die Zahl der wirklich überzeugten meistens ab. Lichtenberg bringt es auf den Punkt:
"Ich danke dem lieben Gott tausendmal, daß er mich zum Atheisten hat werden lassen."
Eschmann war Soziologe, da wäre die Wahrscheinlichkeit schon höher ;-)
Aber wer schaut schon in die Menschen hinein ...
der schritt vom atheisten zum agnostiker ist ein durchaus nachvollziehbarer, gerade mit zunehmendem alter. es gibt einfach wichtigere dinge auf ~gottes schöner erde~ als glaubensfragen. wie zum beispiel nahostkonflikte. den moralischen vorwurf des desinteresses sehe ich auch als kaum haltbar an. umso erfreulicher finde ich es allerdings von menschen zu lesen die sich trotzdem näher mit der problematik auseinandersetzen.
@Markus
Der Text hat es in sich - prägnante Analyse!
Ja, und - leider wissen wir oft gar nicht mehr, wo wir eigentlich (noch) mit-leiden sollen... Die Welt ist voll von Tragik, und die Medienwelt inszeniert den Informationsfluss. Manche Weltereignisse sind wiederkehrende Lieblingsthemen, andere werden traditionell ausgeblendet.
Das "Ausblenden" aber ist nicht nur eine Medienmethode, sondern auch wir selbst blenden aus: Die Logik des Verdrängens. Mal mehr, mal weniger; das eine mehr, das andere weniger.
Könnten wir ohne Verdrängen leben?
stard hat gesagt…
...es gibt einfach wichtigere dinge auf ~gottes schöner erde~ als glaubensfragen. wie zum beispiel nahostkonflikte...
***
@stard
Ist mir zu wertend! Glaubensfragen und Politik schließen sich nicht aus. Im Gegeneil: Man kann durch eine - nennen wir´s abgedroschen: "sprirituelle Verbundenheit" forcierten Anteil am Weltgeschehen nehmen.
Ach, aber da ließe sich stundenlang drüber schreiben...
Ohne das Phänomen der Verdrängung würde jeder Schwimmer untergehen.
das behauptet ja auch niemand. aber die abkehr vom dogmatischen atheismus (oder auch vom dogmatischem theismus) schafft spielraum sich mit anderen dingen zu beschäftigen. wichtigere dinge war wohl der falsche begriff, erfassbarere dinge wäre wohl der passendere. entscheidendere dinge direkt auf das hier und jetzt bezogen ...
und ohne verdrängung säßen wir alle in der klapsmühle, das hat herr quint schon gut erkannt ;)
Peace in the Middle-East!
Scharfe Zunge! Bei allem ein klein wenig bitter im Nachgeschmack. :)
@Tillmister: Der Spruch passt perfekt zum Bild.
@Oles wirre Welt: Ich bin eigentlich kein Freund zynischer Betrachtungsweisen, aber ich kann das alles leider nicht mehr anders als mit Verbitterung wahrnehmen.
Ich schließe mich Tillmister an.
-Ende-
@mq, schliesse mich der meinung an, dass man sich zur eigenen gesunderhaltung fremdes leid nur selektiv nahekommen lassen kann und es eine freiheit zum ignorieren geben muss.
weltenretter gibt es nicht, ebesowenig ist längerfristig weltentrauer möglich.
wenn trauer die vorstufe zu hilfe ist, in welcher form auch immer, ist das prima.
wenn trauer/schuldgefühle/verbitterung nur ein stupides mitfühlen oder dauernder depressiver zustand werden -ohne dass irgendeine form von hilfe initiiert wird-, ist weder opfern, noch tätern, noch einem selbst geholfen.
abgesehen von dem leid, das aus persönlichen netzwerken bekannt ist, weiss man nur von dem leid, das andere vermitteln. dieses leid ist immer nur ein teil des globalen leids. man kann sich daher wohl auch besser auf "mundgerechte happen" konzentrieren, und die trauer konkret verarbeiten.
gute vorbilder sind für mich beispielsweise ein schindler, eine mutter theresa oder andere alte/neue helden, die sich einem leid stellen, und dieses angehen.
weltschmerz alleine ist sinnlos. er führt nur zu gleichgültigkeit.
PS. religionen bieten mit der möglichkeit, für anliegen und menschen zu beten, ein hervorragendes ventil zur leid- und trauerverarbeitung. gebete geben den betern das gefühl zu helfen. der etwas konkretere auftrag der religionen lautet dann: helft einander, liebt einander, verzeiht einander.
Vor den genannten Vorbildern ziehe ich alle Hüte. Und immer noch einen mehr für jeden Unbekannten, der Informationen über ein nahes oder fernes Elend in Tätigkeiten umzusetzen vermag, die dem Elend entgegen wirken. Damit ist im besten Fall nicht nur anderen, sondern auch sich selbst geholfen.
In der beschriebenen Ausübung können Religionen eine Stütze bieten - sofern der Ausübende über die Begabung des überzeugten Glaubens verfügt.
Ich unterschreibe insbesondere die letzten beiden Beträge!
Nur eins: Ich sprach nicht von "Religionen", nur von "Glauben"; das eine ist tendenziell ideologisch, und man kann´s fressen und wiederkäuen, das andere ist individuell, und man kann´s empfinden - und umsetzen.
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