Donnerstag, Mai 31, 2007

Coq au mort

- Die Gentechnologie ist ein Segen für die Menschheit,
dachte Kirschke, als er die cholesterinfreie Geflügelpackung aus dem Kühlregal zog und in seinen Einkaufskorb legte. Das Fleisch glänzte wie poliert unter der durchsichtigen Plastikfolie.


Er würde sie verführen. Sein legendäres Hähnchen in Weinsoße hatte schon viele verschlossene Herzen geöffnet.

In den Entwicklungsabteilungen der Lebensmittelindustrie wurde unablässig daran gearbeitet, gesündere und geschmacklich verbesserte Produkte zu entwickeln. Kirschke konnte sich nicht erinnern, wann er die letzte Mahlzeit zu sich genommen hatte, die nicht genetisch optimiert war. Wenn er an naturbelassene Nahrungsmittel dachte, hatte er den Geschmack von weichem Fett oder fleckigem Obst im Mund. Es war nicht nur der fade Geschmack, sondern auch die vergängliche Optik der Natur, die Kirschke dazu veranlasste, Nahrungsmittel mit genetischem Design zu kaufen. Vor allem gab es jedes Produkt auch in einer Version ohne Kalorien. So konnte man sein Körpergewicht ohne Verzicht oder anstrengende Maßnahmen regulieren.

Er wusste, dass sie zwanzig Minuten zu spät kommen würde. Sie war nicht der akademische Viertelstundentyp, sondern der Zwanzigminutentyp.

Das Essen war genau in dem Moment fertig, als sie auf den Klingelknopf drückte. Ihr Klingeln war exakt, wie er es erwartet hatte. Einmal sehr lang, zweimal kurz. Es würde ein guter Abend werden, alles war berechenbar. Bei Kerzenlicht tönten die Supremes aus den obszön teuren Boxen seiner Stereoanlage.

Natürlich war sie begeistert von seinen Kochkünsten. Nach dem Essen setzte sich Kirschke auf den Sessel, so dass sie auf dem Sofa Platz nehmen musste. Auf diese Weise verhinderte er, dass sie sich auf den Sessel setzte, was körperliche Annäherungsversuche strategisch erschwert hätte. Im weiteren Verlauf der belanglosen Unterhaltung wartete Kirschke ungeduldig auf den letzten Song. Wie oft hatte er schon auf den letzten Song gewartet? Nach dem Wechseln der CD konnte er sich endlich neben sie auf das Sofa setzen. Barry White.

Es begann, während er den nächsten Programmpunkt einleitete, indem er sich tief in ihre Augen versenkte. In seinem Magen regte sich etwas. Plötzlich stieß sie einen spitzen Schrei aus und verkrallte ihre roten Fingernägel in das Ledersofa. In ihren überraschten Augen konnte Kirschke noch das Entsetzen erkennen, bevor sie sich beide wenige Sekunden später vor Bauchschmerzen auf dem Flokati wälzten. Bei ihr passierte es zuerst. Begleitet von einer Blutfontäne durchstieß der Schnabel die Bauchdecke und bahnte einem gefiederten Kopf den Weg an die Luft. Kalte Knopfaugen blickten in die Welt. Als die zweite Kreatur aus seinem Bauch geboren wurde, hatte Kirschke längst das Bewusstsein verloren.

- Die Gentechnologie ist ein Segen für die Natur,
dachten die beiden vogelartigen Wesen, als sie die Wohnung durch das offene Küchenfenster verließen. Sie machten sich auf die Suche nach einer Geflügelzucht. Dort würden sie ihre veredelten Gene weitergeben und die natürliche Selektion vorantreiben.

Dienstag, Mai 29, 2007

Voodoo Display #18

Axolotl sind bemerkenswerte Erscheinungen innerhalb der zoologischen Vielfalt. Sie beenden ihren Entwicklungsprozess im Larvenstadium. Nur durch Zugabe des Schilddrüsenhormons Thyroxin kann man sie dazu bewegen, die amphibische Metamorphose vollständig zu durchlaufen, an Land zu krabbeln und ihre Lungen zu benutzen.

Eine weitere Besonderheit dieser Tiere besteht darin, dass sie jeden beschädigten Körperteil - einschließlich des Gehirns - regenerieren können. (Beneidenswert.)



Dieses Exemplar eines Albino-Axolotl durfte ich im Ausstellungsraum des Vereins für Aquarien- und Terrarienkunde Iris fotografieren, der sich im Frankfurter Ostpark befindet. Die Vereinsmitglieder besitzen ein umfangreiches Fachwissen und begegnen Besuchern sehr freundlich und aufgeschlossen.
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Montag, Mai 28, 2007

Die Ernüchterung des Heiligen Geistes

Am Samstagabend feierte der Heilige Geist in seinen Geburtstag hinein. In Begleitung eines entfernten Verwandten, des profanen Weingeists, zog er durch zahlreiche Wirtshäuser. Gevatter Weingeist verschaffte dem heiligen Kollegen eine hochprozentige Stimmung, und gemeinsam lachten sie über Gott und die Welt.

Nicht minder hochprozentig war der Haarspitzenkatarrh, mit dem der Heilige Geist am späten Nachmittag des Pfingstsonntags erwachte. Angewidert betrachtete er das Erbrochene auf dem Gebetsteppich vor seinem Bett. Sein Schädel pochte, als wolle das Universum zerbersten. Der Gebetsteppich war ein Geschenk eines nahen Verwandten, er würde ihn in die spirituelle Reinigung geben müssen.

Der Heilige Geist wusste, dass es Ärger geben würde, wenn er sich nicht an die Arbeit machte und in die Leute fuhr - aber hatte nicht der Große Vorsitzende selbst den Sonntag zum Ruhetag erklärt? Das treffliche Argument erinnerte ihn daran, dass er am kommenden Dienstag wieder einen dieser verhassten Termine beim Psychiater in Sachen Persönlichkeitsspaltung haben würde.

Als er die erste Flasche Prosecco öffnete, nahm sich der Heilige Geist vor, gleich am Pfingstmontagmorgen ans Werk zu gehen und in die Leute hineinzufahren. Aufgeschoben war nicht aufgehoben. Er stellte drei Wecker.

Tatsächlich gelang es dem Heiligen Geist, durch den Dunst seines Deliriums das Weckerrasseln zu vernehmen und sich aus den Federn zu quälen. Die Menge des Restalkohols, der ihn umnebelte, war beträchtlich und hätte weniger hart gesottene Schnapsdrosseln umgehend ins Koma versetzt. Aufgrund seines Brummschädels verspürte der Heilige Geist nicht die geringste Lust, in die Menschen hineinzufahren. Aber was sein musste, musste sein.

Er nahm ein Taxi in die Stadt und übergab sich während der Fahrt zweimal auf den Rücksitz. Als er den Fahrer mit seinem Segen für die Sauerei entschädigen wollte und ihm anbot, in ihn hineinzufahren, zog dieser ein Tränengas aus der Westentasche und drohte mit der Polizei. Da suchte der Heilige Geist das Weite.

An einem Zebrastreifen traf er auf eine junge Frau.
- Entschuldigen Sie bitte, wertes Fräulein, dürfte ich wohl in Sie hineinfahren?
Die Antwort erfolgte in Form einer schallenden Backpfeife.

Der Heilige Geist hatte vier weitere, erfolglose Versuche des Hineinfahrens hinter sich, als ein Polizeiauto neben ihm hielt.

- Ihren Ausweis, bitte. Sie stehen unter dem Verdacht, mehrere Passanten unsittlich belästigt zu haben.

Noch nie musste sich der Heilige Geist ausweisen, er besaß überhaupt keine Ausweispapiere. Nachdem er den Polizisten seine hochrangige Position und seinen Auftrag erläutert hatte, forderten sie ihn auf, in ihr Auto einzusteigen.

- Sie werden uns aufs Revier begleiten, dort stellen wir Ihre Identität fest und unterhalten uns etwas eingehender über Ihren Auftrag.
- Man kann mich nicht einsperren, ich bin der Heilige Geist!
- Und ich bin der Sohn vom Papst,
sagte einer der beiden Polizisten.

Der Heilige Geist erwog, sich zu wehren und zu randalieren, aber aus Imagegründen verzichtete er auf den Widerstand gegen die Staatsgewalt und stieg brav in das Polizeiauto ein.
- Der Kerl stinkt wie eine ganze Fuselbrennerei,
meinte der Sohn vom Papst zu seinem Kollegen.
- Erstmal Ausnüchterungszelle.

So kam es, dass der Heilige Geist seinen Pfingstrausch in Polizeigewahrsam ausschlief, und die Menschen auch in diesem Jahr davon verschont blieben, dass er in sie hineinfuhr.

Samstag, Mai 26, 2007

Qýð

Die Mitglieder der ersten Forschungseinheit waren verändert an Bord der Colosseo zurückgekehrt. Sie hatten nützliche Daten gesammelt, aber sie waren nicht in der Lage, über die Ereignisse zu berichten, die zu den Veränderungen geführt hatten. Kein ungewöhnliches Phänomen, Begegnungen mit fremden Welten hatten häufig Blockaden zur Folge. In Situationen, die weit außerhalb der Vorstellungskraft lagen, konnte es passieren, dass die Psyche mit einem Schutzmechanismus reagierte, indem sie einen Riegel zwischen das Erlebte und die Sprache schob. In der Wissenschaft war dieser Effekt nach dem berühmten Raumfahrtpsychologen Lemkov benannt.

Qýð war bereits nach der Röntgenteleskopanalyse in Kategorie A\* eingeordnet worden, und musste demnach auf seine Bewohnbarkeit überprüft werden. Atmosphärische Werte und Oberflächenstrukturen von Qýð waren optimal. Die Psychen der ersten Forschungseinheit waren mit dem Lemkoveffekt verriegelt, aber Kommandant Devi wollte den Netzplan einhalten. Daher entschied er gegen die Vorschrift, dass er sich in Begleitung des zweiten Bordpsychologen auf eine Erkundungstour begeben würde.

Der Sauerstoff war sehr dünn, und auch an das blaue Licht und die subtropische Hitze würden sich die Siedler über Generationen hinweg gewöhnen müssen, dachte Devi, als er sich gemeinsam mit Cortez einen Weg durch die, in Regenbogenfarben schimmernde, Vegetation bahnte. Aber kein anderes Lebewesen besaß eine ähnliche Anpassungsfähigkeit. Im Lauf der Evolution hatten sie die Fähigkeit entwickelt, in den feindlichsten Winkeln des Weltalls zu überleben.

Die blaue Sonne war zweimal aufgegangen, als sie an das Ufer des stillen Meeres gelangten. Bei der chemischen Analyse stellten sie fest, dass die Flüssigkeit aus zwei Elementen bestand, die in keinem Periodensystem vorkamen. Die beiden Entdecker starrten in Richtung Horizont. Zu ihren Füßen kräuselte sich nicht die kleinste Welle, wie ein blutroter Spiegel lag das Meer vor ihnen.

Plötzlich hob Cortez seinen Kopf und zeigte auf zwei Punkte, die sich vom Flimmern der Gase abhoben und langsam größer wurden. Die zwei Gestalten kamen direkt auf Devi und Cortez zu. Als man die Nahenden deutlich erkennen konnte, strichen sich die Wartenden am Ufer nachdenklich über die Barthaare. Es handelte sich offensichtlich um das banale Phänomen einer Doubleyou Halluzination. Nahezu jeder Weltraumfahrer hatte diese Art der Begegnung mit dem eigenen Ich während Reisen zu unbekannten Sternensystemen gemacht. Der Spuk beschränkte sich immer auf die optische Wahrnehmung und verschwand meist nach wenigen Minuten. Es war allerdings ungeklärt, warum das Phänomen zur gleichen Zeit bei verschiedenen Astronauten identisch wahrgenommen werden konnte.

Devi und Cortez setzten sich auf einen Felsbrocken am Ufer, der zur Hälfte im roten Schlamm versunken war, und warteten. Entgegen ihrer Erwartung blieben die Trugbilder vor ihnen stehen. Als Devis Dopplung zu sprechen begann, gefror der Ausdruck in den Gesichtern der Weltraumfahrer.

- Wir haben auf euch gewartet.
- Falls Sie das auch gehört haben, ignorieren Sie es einfach,
flüsterte Cortez in Richtung seines Kommandanten, ohne den Blick von den Dopplungen abzuwenden. Seine Barthaare zitterten. Aber Devi konnte der Gelegenheit, sich mit dem Ebenbild zu unterhalten, nicht widerstehen.
- Sieht es nicht eher danach aus, als hätten wir auf euch gewartet?
- Auch das stimmt.
- Ihr seid nur trügerische Erscheinungen, Spielfiguren unserer Wahrnehmung.
- Wie kommt es, dass ihr keinen Einfluss auf unsere Gegenwart habt?
- Dies ist nicht unsere erste Doubleyou Erfahrung. Ihr werdet von selbst verschwinden, eure Existenz ist nur eine temporäre Idee in unseren Köpfen.
- Könnte ich mit dir sprechen, wenn ich nur ein Doubleyou Phänomen wäre?

Für einen Moment hatte Devi den Eindruck, als ob er sich selbst aus der Perspektive seiner Dopplung auf dem Steinbrocken sitzen sähe. Cortez hatte die Augen geschlossen und schwieg.

- Wir können jetzt gehen,
sagte der stehende Devi zur Dopplung von Cortez. Mit einem Schmunzeln wendeten sich die beiden von den Sitzenden ab und entfernten sich über die gespannte Oberfläche des Meeres.

Als Cortez seine Augen öffnete, konnte er beobachten, wie sich seine Dopplung neben dem gehenden Devi in Nichts auflöste. Er wendete seinen Blick nach rechts und erschrak über die ausdruckslosen Augen des Kommandanten, der wenige Sekunden später verschwunden war.

Sie trafen sich wieder an Bord der Colosseo. Devi verhielt sich normal, aber Cortez hatte das Gefühl, als ob sich sein Kommandant verändert hätte. Sie gaben unterschiedliche Versionen ihrer Erlebnisse und der Trennung am Ufer zu Protokoll. Beide behaupteten, der andere habe sich entfernt.

Vor ihrer Landung auf Qýð bestand die gesamte Besatzung der Colosseo aus Projektionen, Klonen aus Licht, die vom entfernten Mutterplaneten als Vorhut gesendet worden waren. Ihre Heimat existierte längst nicht mehr, und wenn sie irgendwann, nach vielen Milliarden Lichtjahren, zurückkehren würden, fänden sie anstelle der Erde nur noch ein Bild aus Licht vor. Sie würden der Abbildung entgegen fliegen und für die Dauer der kürzesten Zeiteinheit mit ihr verschmelzen.

Aber das Wesen in Kommandant Devis Gestalt würde mit seinen Barthaaren das Steuerpult bedienen und die Colosseo weiterlenken durch die Tiefen des Weltalls. Und die Mitglieder der Besatzung würden die erforderlichen Tätigkeiten verrichten. Nur einer wäre nicht mehr an Bord.

Mittwoch, Mai 23, 2007

Voodoo Display #17





















Manchmal ist es ein Glückspiel, die richtigen Worte zu finden. Bestimmt waren Hurenkinder gemeint.

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>> Hurenkind

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Montag, Mai 21, 2007

Der untergehende Tod

Nachdem sich die ersten organischen Substanzen zu einer Lebensform zusammengeschlossen hatten, versalzte er die Ursuppe, und seither sorgte der Tod dafür, dass die Klinge seiner Sense scharf blieb. Trotz der anstrengenden Aufgabe, und obwohl er stets sein lachendes Gebiss zur Schau trug, empfand er nicht immer Vergnügen bei der Arbeit.

Der Tod verstand sich als Dienstleister. Für seinen professionellen Service erwartete er keine Gegenleistung. Dank erntete er selten, er war schon froh, wenn man ihm Einsicht entgegenbrachte. Die wenigsten hatten einen Sinn für den Nutzen seiner Arbeit. Auch wenn sie begriffen, dass es ihn geben musste, akzeptierten sie ihn nur als notwendiges Übel. Sie bekämpften ihn und versuchten bis zur letzten Sekunde, die Erfüllung seiner Pflicht zu behindern. Seine Überstunden blieben ungezählt.

Er wurde manchmal gefragt, wohin er sie bringen würde. Aber für den Transport war er nicht zuständig. Er verteilte nur unbeschriftete Fahrkarten. Das Reiseziel kannte auch er nicht, denn selbst hatte der Tod die einschneidende Begegnung mit der Sense nie gemacht. Diese Erfahrung würde ihm erst zuteil werden, wenn der letzte Organismus aus dieser Welt verschwand.

Einmal verspürte der Tod nach einem anstrengenden Erntetag das dringende Bedürfnis, zu pinkeln. Da er gerade an einem stillen Gewässer vorbeikam, machte er sich einen Spaß daraus, sich in den See zu erleichtern. Vergnügt ließ er das Wasser plätschern.

Aber plötzlich wurde dem Tod für einen Moment schwarz vor Augen, und er verlor das Gleichgewicht. Während er noch mit den Armen ruderte, fiel er schwankend ins Wasser. Im Fallen erinnerte sich der Tod mit Entsetzen, dass er nicht schwimmen konnte. Auch besaß er kein Fett an seinem klapprigen Körper, das ihm Auftrieb verliehen hätte. Langsam sank er zum lichtlosen Grund des Sees. Das erste Mal in seiner Existenz bekam er eine Vorstellung von seinem eigenen Wesen. Er hatte sich bereits mit seinem Ende abgefunden, als ihm bewusst wurde, dass er nicht sterben konnte. Denn er musste nicht atmen, weil er nicht lebte.

Lächelnd verharrte er noch einige Augenblicke aufrecht am schlammigen Seegrund, bevor er das Gewässer über ein sanft ansteigendes Ufer verließ. Er ging zurück an die Stelle, wo seine Sichel lag und machte sich wieder an die Arbeit. Es gab noch viel zu tun.

Der Tod ist tot. Es lebe der Tod.

Sonntag, Mai 20, 2007

Motto #14

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Freitag, Mai 18, 2007

Wie es geht

- Guten Tag.
- Ach! Guten Tag.
- Schön, Sie hier zu treffen. Lange nicht gesehen. Wie geht es Ihnen?
- Danke der Nachfrage. Abgesehen von einer hartnäckigen Fistel am Darmausgang, die mir beim morgendlichen Stuhlgang Beschwerden bereitet, will ich nicht klagen. Diese unangenehme Sache geht allerdings einher mit einem Ausschlag im Intimbereich. Sie verstehen, was ich meine. Der Facharzt für Geschlechtskrankheiten hat einen Abstrich gemacht. Er ist sich noch nicht sicher, was mich dort unten plagt, möglicherweise habe ich mir während meiner Großwildsafari in Kenia exotische Kleintiere bei diesem Massai-Gigolo eingefangen. Ich hatte gleich geahnt, dass da was im Busch war, haha. Aber ich war vollgepumpt mit Kokain, und da fällt es mir immer so schwer, mich auf Details zu konzentrieren. Schwer ist es auch, von dem Zeug loszukommen, meine Nasenschleimhäute sind inzwischen komplett hinüber. Aber wie gesagt, ich will nicht klagen, momentan leide ich zusätzlich nur unter einem vereiterten Backenzahn. Dadurch hat sich mein gesamter Mund- und Rachenbereich entzündet. Jeden Morgen platzt das geschwollene Zahnfleisch an derselben Stelle auf, und ich spucke dieses gelbe Zeug ins Waschbecken. Bei meiner Zahnarztphobie ist mir das immer noch lieber, als mir im Kiefer herumbohren zu lassen. Aber sonst geht es mir gut. Wenn man mir nicht den Job gekündigt hätte, würde es mir sogar noch besser gehen. Weil ich doch die Schulden bei der Bank habe. Wegen dem Keniaurlaub. Und dem Kokain. Meine Kinder nehmen lieber Crack. Wenn man jung ist, will man modern sein. Dafür hat man als Mutter Verständnis, man war doch selbst mal jung! Die Große geht am Bahnhof anschaffen. Naja, irgendwo muss das Geld schließlich herkommen. Ansonsten ist familiär soweit alles in Ordnung. Mein Mann hat sich vor zwei Wochen auf dem Dachboden die Pulsadern aufgeschnitten. Riesensauerei. Aber das war abzusehen, nach der langen psychischen Erkrankung. Eigentlich eine Erlösung. Ich wusste gar nicht, wieviel Blut in einem Menschen drin ist, bis ich sah, wie es von der Decke tropfte. Wenn ich an das ganze Elend in der Welt denke, geht es mir doch vergleichsweise gut. Ich will nicht klagen, es könnte schlimmer sein. Und selbst?
- Danke, gut.
- Das hört man gern. Also, bis bald.
- Ja. Auf Wiedersehen.
- Auf Wiedersehen.

Donnerstag, Mai 17, 2007

Voodoo Display #16



Wissen besitzt kein Gewicht, aber es kann seinen Träger in die Knie zwingen.

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Montag, Mai 14, 2007

G8 Gezeter

In der Presse ist seit einigen Wochen viel darüber zu lesen, dass gewaltbereite Gruppierungen angekündigt haben, mittels militanter Aktionen den G8-Gipfel zu stören, der vom 6. bis 8. Juni im Ostseebad Heiligendamm stattfindet. Überraschend sind die Terrordrohungen nicht. Man würde entsprechende Meldungen sogar vermissen, wenn es sich anders verhielte.

Das erklärte Ziel einer solchen Gruppierung besteht darin, die natodrahtbewehrte Absperrung des Veranstaltungsortes zu durchbrechen. Militärisch gesehen könnte man in dem Vorhaben vielleicht eine originelle Herausforderung erkennen, aber die zugrunde liegende, heroische Symbolik referenziert ausschließlich auf sich selbst und trägt nicht zu einer Verbesserung politischer oder wirtschaftlicher Dialoge bei. Warum wird dieses kreative Potenzial nicht in den Dienst konstruktiver Unternehmungen zur Verbesserung der Lebensumstände von Benachteiligten gestellt? Es liegt in der Natur der Gewalt, dass sie grundsätzlich nicht konstruktiv sein kann. Und wer das nicht verstehen will, muss zumindest akzeptieren, dass beim Einsatz von Gewalt immer beide Seiten verlieren. Selbst wenn es gelänge, die Absperrungen zu durchbrechen, hätte dies als einzigen Effekt zur Folge, dass die Zäune in Zukunft noch höher und kostenintensiver errichtet werden. Aber die Kernmotivation militanter Organisationen ist tatsächlich nur am Rande politisch, im Vordergrund steht der Zauber des kollektiven Krawallgefühls.

Warum sollte es nicht begrüßenswert sein, wenn Menschen mit großen Verantwortungen den Dialog suchen? Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass Staatschefs die Interessen ihrer Länder und Firmenchefs die Interessen ihrer Firmen vertreten - wie jeder Einzelne seine eigenen Interessen vertritt. Würde es in der Öffentlichkeit mehrheitlich auf Verständnis stoßen, wenn die derzeitige Chefin der Bundesrepublik verkünden würde, dass man an einer Senkung der deutschen Arbeitslosenzahlen nicht länger interessiert sei, weil man den politischen Fokus darauf lenken wolle, jeweils eine Million Arbeitsplätze in Afrika und in Lateinamerika zu schaffen?

Die zentralen Vorwürfe gegen den G8-Gipfel bestehen darin, dass die armen Länder vom Treffen der Vertreter führender Industrienationen ausgeschlossen sind. Aber erstens ist der Gedanke naiv, dass in Heiligendamm Strategien entwickelt werden, wie man die weltweite Armut weiter vergrößern, und die armen Länder am besten in die Pfanne hauen könnte. Zweitens existiert mit der UNO eine weltweite Plattform zur Interessensvertretung der Mitgliedsstaaten. Und drittens sind für die Armut in vielen Ländern nicht selten einheimische Despoten verantwortlich, deren Dialogbereitschaft und politischen Ziele untrennbar an die persönliche Bereicherung gekoppelt sind.

Die aussichtsreichste Möglichkeit, Steuergelder verschlingende Kapazitäten der Exekutive und Judikative in Deutschland abzubauen, besteht darin, zur Senkung der Kriminalitätsstatistiken beizutragen. Es ist bedauerlich, dass große Polizeieinheiten benötigt werden, um Gewalt einzudämmen, die von kleinen Gruppierungen ausgeht. Und dabei ist es egal, ob es sich um organisierten Drogen- und Menschenhandel, oder um rechts- und linksextreme Narren handelt.

Meinungen lassen sich in einer Demokratie gewaltfrei äußern. Und durchsetzen. Vorausgesetzt, sie überzeugen.

Samstag, Mai 12, 2007

Der Kornkäufer

Schon beim Betreten der Passage war mir der Bettler wegen seiner unterwürfigen Körperstellung aufgefallen. Er kniete nicht weit vom Eingang des Supermarktes und drückte seine Stirn gegen den Asphalt. Vor ihm lag ein Stück Pappkarton, auf dem mit ungeübter Schrift und kreativer Orthografie vermerkt war, dass er obdachlos sei und Hunger habe. Immer wieder dokumentieren solche Schilder den hohen Stellenwert der Lüge in unserer Gesellschaft, denn die Wahrheit wäre für die Bettelbranche geschäftsschädigend: Habe Durst.

An der Kasse stand ein unangenehmer Kerl vor mir. Auch er sah durstig aus. Außerdem hielt er sich für unwiderstehlich. Ihrem angewiderten Gesichtsausdruck zufolge war die Kassiererin anderer Auffassung. Sie ignorierte seine anzüglichen Bemerkungen und zog die vier Kornflaschen mit bemerkenswerter Teilnahmslosigkeit über den Scanner.

Beim Verlassen des Gebäudes beobachtete ich, wie der Kornkäufer eine Münze aus der Hosentasche kramte und mit einer verächtlichen Geste in Richtung des Bettlers warf. Als ich an dem Obdachlosen vorbeiging, sah ich, dass es sich um eine Eincentmünze handelte. Ein Cent. Gezielt an eine Stelle außerhalb der Reichweite des Bettlers geworfen. Begleitet von einem hämischen Lachen.

Mir entwischte eine vernehmbare Bemerkung über Erniedrigung und Mangel an Respekt. Obwohl ich die Äußerung nicht an seine Adresse gerichtet hatte, fühlte sich der Kornkäufer angesprochen und rief mir hinterher, ob ich Ärger suche. Ich ging weiter und überhörte einen Katalog von Drohungen. Der Kornkäufer folgte mir. Plötzlich vernahm ich das A-Wort. Eigentlich bin ich gegen Beleidigungen resistent, aber es war ein sehr heißer Tag. Auch reizte mich weniger die Beleidigung an sich, sondern vielmehr der Mangel an Originalität und vor allem der Umstand, dass man mich verfolgte. Ich drehte mich um, trat dem Kornkäufer entgegen und erkundigte mich, ob er mir nicht sofort "ein paar auf meine blöde Schnauze hauen" könne, weil wir es dann schnell hinter uns hätten. Um die Ernsthaftigkeit meines Angebots zu unterstreichen, stellte ich meine Sechzehnerpackung Klopapierrollen ab.

Lautstark verkündete der Kornkäufer, ich solle mich "bloß verpissen" und ihn in Ruhe lassen, weil sonst sei "echt was los", und überhaupt würde er gleich die Polizei rufen. Ich entschied mich für Deeskalation, nahm mein Klopapier und entfernte mich, während er mir noch nachrief, ich sei derjenige, dem es an Respekt mangele. Denn schließlich sei er "promoriert".

Zusammenfassend konnte man feststellen, dass wir uns beide - der Kornkäufer und ich - nicht ausgesprochen diplomatisch verhalten haben. Aber es war ein sehr heißer Tag.

Zwei Wochen später saß ich mit einem Mangoeis in der Hand am Brunnen vor dem Zoo, als der Kornkäufer in Begleitung einer wasserstoffperoxidierten Kolchoseschönheit und einer Bierflasche aufkreuzte. Obwohl der Platz nicht sehr bevölkert war, setzten sich die beiden keine zwei Meter von mir entfernt auf die Steinbank, die den Brunnen kreisförmig umgibt und nuckelten abwechselnd an der Bierflasche.

Die Kolchoseschönheit gehörte zu der Sorte, die jedes atmende Wesen innerhalb ihres akustischen Einzugsgebietes als Konversationsopfer betrachtet. Es dauerte keine halbe Mangoeiskugel, bis sie irgendeinen freundlichen Unsinn in meine Richtung faselte. Der Kornkäufer genierte sich nicht, sogleich dünnen Senf auf die Konversationswurst zu schmieren. Dabei grinste er mich an, als hätten wir uns Seite an Seite in der Fremdenlegion durch Westafrika gekämpft. In meiner Verwunderung bemühte ich mich um einen freundlichen Gesichtsausdruck und erhöhte das Tempo beim Auslöffeln der letzten Kugel Mangoeis. Menschen sind seltsame Tiere.

Donnerstag, Mai 10, 2007

Angriff der Sekretärinnenzunge

In seinem Kopf herrschte ein Gedankenvakuum, ein Zustand der vollkommenen Leere. Die Generatoren seiner Wahrnehmung standen still, sämtliche elektrischen Ströme in den Leitungen zwischen den Nervenmasten schienen unterbrochen. Plötzlich brachte ein Kurzschluss das Vakuum zum Kollabieren. Es war die Frage nach der Ursache des Vakuums, die sich knisternd in Eschers Gehirn ausbreitete und sein Bewusstsein in künstliches Licht tauchte.

Zunächst machte er die Ohrensesselsituation für das Phänomen seines temporären Gedankenvakuums verantwortlich. In Eschers Ohrensessel waren schon die unmöglichsten Dinge passiert. Sobald er sich auf dem schwarzen Samt niederließ, veränderte sich sein Blick auf die Welt. Seit Jahren hatte er den Ohrensessel im Verdacht, über hypnotische Fähigkeiten zu verfügen.

Aber als Escher die Augen öffnete, fiel sein Blick auf die Pflanze. Es war absurd. Er hatte ein Gefühl, als ob die botanische Lebensform auf der Fensterbank ihn anlächelte. Seine gesamte Aufmerksamkeit und die dahinter liegenden Gedanken wurden vom Lächeln der Pflanze förmlich absorbiert.

Bei der Zimmerpflanze handelte es sich um Bogenhanf, im Volksmund auch Sekretärinnenzunge genannt. In der Zeitung hatte Escher gelesen, dass die NASA Sekretärinnenzungen einsetzte, um Spaceshuttles von der Weltallstrahlung zu entseuchen. Vielleicht taugten diese Pflanzen nicht nur zur Entseuchung von Weltraumgefährt, sondern auch zur Gedankenabsorbierung. Nicht umsonst fand die Sekretärinnenzunge als Büropflanze weite Verbreitung.

Die Situation schien seiner Kontrolle zu entgleiten, als Escher die sonore Stimme der Sekretärinnenzunge in seinem Kopf vernahm. Sie redete beruhigend auf ihn ein, er müsse sich keine Gedanken machen, da er sowieso nur in ihrer Phantasie existiere. Geistesgegenwärtig kombinierte Escher, dass es sich um einen besonders raffinierten Versuch der Gedankenentwendung handelte. Indem die Pflanze versuchte, ihm einzureden, er sei nur ein Produkt ihrer Phantasie, wollte sie sämtliche Räume für Spekulationen öffnen und ihn in die Abgründe existenzieller Zweifel locken. Wenn er die Türen öffnete, wäre Escher dem geistigen Beutezug der Sekretärinnenzunge rückhaltlos ausgeliefert! Um die drohende Gefahr des Wahnsinns zu minimieren, beschloss er, sich auf keinen inneren Dialog mit der Pflanze einzulassen.

Escher erhob sich aus dem Ohrensessel und schlich lautlos in Richtung des Fensterbretts. Er plante einen Überraschungsangriff auf die Verursacherin seines Gedankenvakuums, um der diabolischen Botanik den Garaus zu machen. Da hörte er ein Knurren hinter sich. Der Ohrensessel? Langsam drehte Escher sich um. Alles unverändert. Der schwarze Samt glänzte ihm unschuldig entgegen.

Als er seinen Blick wieder in Richtung des Fensterbretts wendete, war die Sekretärinnenzunge verschwunden. Das beruhigte ihn, denn er hatte noch nie eine Zimmerpflanze besessen.

Im weiteren Verlauf des Abends blieb der Ohrensessel stumm. Die Sekretärinnenzunge kam nicht zurück.

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Dienstag, Mai 08, 2007

Kopfüber im Gedächtnismorast

Kürzlich begab ich mich auf die Suche nach einem Text. Ich war mir sicher, dass ich ihn vor einiger Zeit irgendwo abgelegt hatte, nur beging ich damals den Fehler, den Text nicht schriftlich festzuhalten und ihn sofort nach seinem Auftauchen in einen maßgefertigten Wortkäfig zu verfrachten. Auch besaß ich keine stichwortartigen Aufzeichnungen zum Inhalt des gesuchten Textes. Aber ich erinnerte mich lebhaft daran, wie sehr ich davon überzeugt gewesen war, mir keine schriftlichen Notizen machen zu müssen, da der Text in meinem Kopf bereits präzise ausformuliert vorlag. Nun schien dieser - aus meiner damaligen Sicht - geniale Text mitsamt der zugrunde liegenden Idee unauffindbar.

Es hätte keinen Sinn gemacht, Ideengebäude zu durchsuchen und die Stuben meiner kasernierten Gedanken wie ein Feldwebel zu inspizieren, der sich mürrisch auf die Suche nach einem fahnenflüchtigen Gefreiten begibt. Ich ahnte, dass man die bebauten Randbezirke verlassen, und sich in die unkultivierte, geistige Wildnis im Zentrum des Gehirns begeben musste.

Mit einem Seufzen schloss ich die Augen, zog die Gedankenwanderstiefel mit dem tiefen Profil an und begab mich auf einen Spaziergang durch meine inneren Gehirnwindungen. Dort ist es sehr glitschig, und wegen der am Rande ausgeschilderten Rutschgefahr war ich froh, dass ich über Schuhwerk mit einem tiefen Profil verfügte. Anfangs hielt sich die Wildnis in ihren natürlichen Grenzen, aber je tiefer ich in den Gedächtnisdschungel eindrang, desto dichter wurde das Unterholz.

Während ich mit einer stumpfen Klinge aus gehärteter Konzentration meinen Weg durch das Gestrüpp wuchernder Einfälle bahnte, wurde die innere Oberfläche der Gehirnwindungen zunehmend glatter. Und dann passierte es. An einer unübersichtlichen Stelle verlor ich den Halt und stürzte kopfüber in den Gedächtnismorast. Ich konnte mich im Fallen an keinem Ideenzweig festhalten und versank mit der rasanten Geschwindigkeit eines Geistesblitzes im fauligen Moder. Im Sinken tauchte der gesuchte Text plötzlich in meinem Blickfeld auf und zog an mir vorbei. Der Fund enttäuschte mich, aber diesmal versäumte ich nicht, mir Notizen zu machen: Kürzlich begab ich mich auf die Suche nach einem Text. Ich war mir sicher ...

Samstag, Mai 05, 2007

Wotans Herrchen

Wir begegneten uns meistens abends, wenn er mit seinem Hund an der Leine die Blockrunde drehte. Wotan hieß der freundliche Riesenschnauzer, dem er angeblich beim exklusivsten Vierbeinerfigaro der Stadt zweimal im Jahr das Fell stutzen ließ. Zumindest behauptete er das. Dabei kniff er die Augen zusammen und versengte sich die vergilbten Finger, um keinen Krümel Tabak aus der Selbstgedrehten zu vergeuden. In seiner Plastiktüte klirrte Korn gegen Bier. Den Treibstoff kaufte er jeden Abend während Wotans Blockrunde an der Tankstelle. Das Fell war übrigens miserabel geschnitten, und wenn die Geschichte stimmte, dann war Wotans Figaro dem Alkohol ebenso wenig abgeneigt, wie sein Herrchen.

Wotan war etwa zehn Jahre alt und hatte eine graue Schnauze. Das Alter von Wotans Herrchen war schwerer zu schätzen, weil das raue Klima von Alkohol und Nikotin deutliche Erosionen in seiner Gesichtslandschaft hinterlassen hatte. Vermutlich war er zwischen Ende Zwanzig und Mitte Vierzig. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ich mit dieser Schätzung völlig daneben liege.

Wotan wohnte zusammen mit seinem Herrchen bei den Eltern von Wotans Herrchen. Die Eltern von Wotans Herrchen waren mindestens hundert Jahre alt und hatten ihre Begabung für Alkoholmissbrauch an den Sohn vererbt. Ich bin ihnen nur einmal begegnet. Beinahe hätte ich es an jenem Abend mit der Angst zu tun bekommen, als mir die beiden Gespenster in der Dämmerung begegneten. Doch dann erkannte ich Wotan und beruhigte mich, da es sich bei den beiden Gespenstern am anderen Ende der Leine offenbar um die Eltern von Wotans Herrchen handeln musste.

Auf meine Frage nach dem Verbleib von Wotans Herrchen knurrte eine der beiden Erscheinungen irgendwas von Operation und Bauchspeicheldrüse. Man konnte unmöglich feststellen, ob es sich beim Verursacher des Knurrens um die Mutter oder den Vater von Wotans Herrchen handelte. Vielleicht hatte sogar Wotan selbst geantwortet und die Eltern seines Herrchens nur als eine Art Bauchrednerpuppen für Riesenschnauzer benutzt.

Einige Wochen später kam mir Wotan wieder in Begleitung seines Herrchens und der klirrenden Plastiktüte entgegen. Auf meine Frage, ob er sich von seinem Krankenhausaufenthalt erholt habe, glotzte mich Wotans Herrchen genauso blöd an wie sein Hund.

Danach begegnete ich Wotans Herrchen und seinem Hund nie wieder. Es gab unterschiedliche Versionen von seinem Tod, aber in jeder Geschichte spielte der Balkon eine wichtige Rolle. Die einen erzählten, es handelte sich um Selbstmord, die anderen wussten zu berichten, dass ihn seine Mutter im Rausch auf den Balkon gesperrt habe und er beim Versuch, an der Regenrinne nach zu unten klettern, abgestürzt sei.

Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, dass ich im Vorbeigehen mit hastigen Blicken nach einer Färbung des Pflasters unter dem Balkon gesucht habe. Aber Wotans Herrchen hat keine Spuren hinterlassen.

Donnerstag, Mai 03, 2007

Motto #13

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Mittwoch, Mai 02, 2007

Gezeichnet

Das Servicelächeln der Bedienung versickerte unter ihren schwarzen Lippen, als er sie fragte, welche Rumsorte der Barkeeper zum Mixen des Mojito verwendet. Die Art, wie sie sich über den Tresen beugte, brachte den Zeichner auf den Gedanken, dass man zwischen der Tiefe eines Dekolletés und der Höhe der Intelligenz ebenso wenige Zusammenhänge herstellen konnte, wie zwischen der Breite eines Kreuzes und der Weite der Seele. Er bestellte ein Bier.

Warum hatte er ihr Kommen nicht bemerkt? Die Frau mit dem grauen Hut musste schon eine Weile neben ihm gesessen haben, ihr Gin Tonic war halbleer. Das brachte ihn für einen Moment aus der Fassung. Als er die Bar in der Straße des 29. Februar betreten hatte, war er der einzige Gast. Die schwarzen Lippen standen in einer Aura geübter Langeweile hinter dem Tresen und rauchten.

Alle anderen Plätze waren frei, aber sie hatte sich ausgerechnet neben ihn gesetzt. Der ungewöhnliche Duft ihres Parfums erinnerte ihn an den Geschmack des eigenen Blutes beim Lecken einer Wunde.

- Bin ich eigentlich oft hier?

Der Zeichner wunderte sich darüber, wie der missglückte Scherz einen Weg durch seine zusammengepressten Zähne finden konnte. Sie schaute ihn ohne die geringste Regung an. Der Blick aus den Tiefen ihrer Smaragdaugen funkelte unter dem Schatten der Hutkrempe und berührte ihn wie ein kalter Windhauch. Sein Gesicht stand in frostigen Flammen. Der Zeichner war kurz davor, in den Abgrund ihres Schweigens zu fallen, als sie zu sprechen begann. Es war wie in einem schlecht synchronisierten Film. Die Bewegungen ihrer Lippen passten nicht zu den Wörtern, die durch die zerkratzte Barmusik zu ihm drangen.

- Manchmal erscheint das Leben wie gezeichnet. Als ob die Szenen, durch die man sich bewegt, aus einem fremden Kopf von fremder Hand auf das Szenario einer zweidimensionalen Welt übertragen werden. Weil wir unsere Wirklichkeit nicht selbst erschaffen können, besuchen wir unwirkliche Orte wie diese Bar und erschaffen Illusionen von Melancholie oder Zuversicht.
- Alles besteht aus Bildern. Welche Rolle sollte es spielen, ob es dabei einen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Illusion gibt?

Während sie gemeinsam zu seiner Wohnung gingen, ließ er seine Faust über den rauen Verputz der Häuser gleiten. Er spürte nicht, wie die Haut über den Knöcheln abschürfte.

Der Zeichner erwachte in einem Nebel unscharfer Erinnerungen und wunderte sich, warum ein grauer Hut auf dem Nachttisch lag. Er nahm die Beretta aus der Schublade, die Waffe roch nach warmem Metall. Am Zeichentisch schaute er sich sein Werk der vergangenen Nacht an. Perfekt. Besonders gut war ihm die düstere Atmosphäre in der Bar gelungen. Beim Betrachten der folgenden Bilder weiteten sich seine Augen.

- Polizei. Öffnen Sie die Tür!

Als sie an seiner Wohnungstür klopften, wusste er, wie die letzten Bilder der Geschichte aussehen mussten. Aber er würde nicht mehr dazu kommen, den Schluss zu zeichnen. Mit gesenktem Kopf ging der Zeichner zum Nachttisch. Dabei vermied er es, in die Blutlache zu treten.

Dienstag, Mai 01, 2007

Voodoo Display #15a



ALARM. Jetzt sind sie schon zu zweit. Ist das Ende bereits so nah? Liebe Menschheit, sollte es tatsächlich zur Katastrophe kommen - heul hinterher bloß nicht wieder rum, es hätte dich keiner gewarnt. Mehr kann ich im Moment nicht für dich tun. Ich bin beschäftigt, muss mein Vermächtnis formulieren. Vielleicht rette ich dich ein anderes Mal. Aber heute nicht. Sieh selbst zu, wie du klarkommst.