Dienstag, November 28, 2006

Alphabet der bizarren Gewaltverbrechen

A rsch zupiercen, Betonblock am Ring befestigen und im nördlichen Polarmeer versenken

B ernd nennen [Stard]

C hristliche Musik [Stard]

D eutschlehrer: In JEDEM Gespräch den/die Gesprächspartner/in bei JEDEM Grammatik-, Wortwahl- und Ausdrucksfehler unterbrechen und in einer kurzen Erläuterung die korrekte Sprachform unterbreiten. Anglizismen und Neudeutsch sind ein Fehler der Wortwahl [Mudshark]

E lefant aus dem dritten Stock auf Zielperson werfen. (Nachteil: elefantenunfreundlich und logistisch aufwendig.) [DieJulia]

F ussballblog mit einer Frau dahinter [Phil]

G eriatriepatienten mit weihnachtlicher Blockflötenmusik beschallen [Falcon]

H eiratsantrag via Blog [Phil]

I nternet abschalten [Andie Kanne]

J odeln [DieJulia]

K ekse füttern. // Abwarten. // Süssigkeiten verweigern. / Sex verweigern. / Getränke verweigern. // Und den schleichenden Tod abwarten..... // (der Entrinnerung ernommen....) [Frau H.]

L oblieder an Götter singen müssen bis man den texlichen Inhalt nach außen hin zu vertreten gewillt ist. [Eon] und Liebesentzug [Blinder Opa]

M eerschweinchen Silvesterrakete in den Hintern stecken und anzünden. Dem Tier dabei tief in die Augen schauen. [Nömix]

N achtshoppen (so tun als ob) in einer Musikabteilung dieses großen Elektronikdiscounters. Sich die neuesten Hits vorspielen lassen, nicken, mitgebrachten Kaffee trinken, dem Mitarbeiter keine Pause gönnen, "Nothing Really Ends" von dEUS als Wunschdauerbeschallung der Verkaufsräume ordern, kurz vor Tagesaufbruch auf die Stände mit den Maxi CDs urinieren, dem Verkäufer ein "Ne, du. Wirklich gute Musik kommt aus der Steckdose!" zuwerfen und in Richtung Notausgang entschwinden [Texttourist]

O nenightstand with Angie [Joppi]

P ippi machen von der Brücke auf die Oberleitung [Mudshark]

Q uittengeleeglas auf ex leerlöffeln, zu Molotov-Cocktail umfunktionieren und auf diese Website schmeißen

R ationale Argumente gegen surreales Zeitvertreiben anbringen [DanielSurreal]

S erver bei Google und Wiki sprengen. Zu hochkarätig fremdwortbestückten Schnell-Postings auffordern [Andie Kanne]

T otlachen über die Quittengeleeglas-Molle-Site. Als 1/3 Vegetarier nicht besonders lecker findend, als 3/3 Hundefreund schon gar nicht, aber als Dauer-in-die-Kacke-Treter irgendwie nachvollziehend. Was spricht eigentlich gegen einen angeleinten Sportsfreund innerhalb einer Stadt, der nicht zentral trottoirt notdurftet? [Andie Kanne]

U nter den Armen nicht deodorieren und einen Achselhaarzopf wachsen lassen [Mudshark]

V olles Rohr Mutantenstadl und das Napalm Duo hören [Mudshark]

W attebällchen auf Zielperson werfen, bis sie blutet. (Zeitaufwendig!) [DieJulia]

X ylophonschläger aus der Vorschulzeit herauskramen und auf Günther G`SS Kopf herumtrommeln bis ihm die letzten pikanten Erinnerungen wieder eingefallen sind [DanielSurreal]

Y PS-Hefte fotografieren. Bei Ebay einstellen. Text ungenau halten. Und eigentlich auf "Ein Herz für Tiere" steigern lassen [Frau H.]

Z elldezimierung (selektiv):
Z.B. an einem Arm sämtliches Gewebe bis auf die Nervenstränge entfernen. In der Folge dann, diese auf unterschiedliche Weise reizen. Mit Flüssignahrung, Bluttransfusionen, Riechsalz und gutem Zureden dafür sorgen, dass derjenige auch etwas davon hat. [Eon]

Montag, November 27, 2006

Kaiser Kong

Sein Schädel lag auf der Hebebühne, die Gliedmaßen des Riesen zuckten während der Bewusstseinsvermessung unkontrolliert. Eine Patrouille hatte das leblose Wesen in dem gestrandeten Raumschiff von unbekannter Bauart geortet. Das Schiff war schwer beschädigt, und der Riese musste mit einem Zeitschlepper in Zone -|- gezogen werden. Dort untersuchten Wissenschaftler in den Labors einer dreidimensionalen Umgebung den fremdartigen Organismus. In einer höheren Dimension hätte man ihn verloren, seine Körperlichkeit schien nicht dafür ausgelegt. Der Riese war das einzige Besatzungsmitglied, außer ihm befand sich nur archaische Technik an Bord.

Für die Außenstelle handelte es sich um eine Routineuntersuchung. Ständig brachten Streifeneinheiten fremdartige Lebewesen auf den kleinen Trabanten am Rand des entferntesten Sektors. Das Personal war auf jede Größe, Intelligenz und Form von Aggressivität der Fremden eingestellt.

Bei der Sezierung seiner Bewusstseinsreste fanden die Forscher Bilder von einem Planeten mit ungewöhnlicher Färbung. Der Raumfahrer schien zu den jungen Exemplaren seiner Art zu gehören und war, gemessen an den Fähigkeiten der anderen Bewohner seines Heimatplaneten, mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz ausgestattet. Das ließ sich ohne wissenschaftlichen Zweifel aus den Bewusstseinsbildern ableiten. Mit einfachsten technischen Mitteln hatte das Wesen ein Raumgefährt entwickelt, mit dem es bis an den Rand seines Universums vorgedrungen war.

Der Pfleger schaltete das EKG ab, auf dem eine horizontale Linie grün flimmerte. Beinahe musste er lächeln, als er an das Raumschiff aus Pappkarton dachte, mit dem der kleine Patient versucht hatte, vom Dach des Wohnblocks zu den Sternen zu fliegen. Mit Kinderschrift hatte er den Namen seines Raumschiffs an die Bordwand geschrieben: Kaiser Kong.

Nun würde der Körper, aus dem alles Leben zusammen mit dem Bewusstsein gewichen war, vollständig von den Mikroben in Besitz genommen und in die Ewigkeit höherer Dimensionen überführt werden. Über eine Außenstelle waren die Mikroben bereits auf ihm gelandet.

Samstag, November 25, 2006

Voodoo display #7


Unter dem Pflaster liegt nicht der Strand, sondern eine Änderungsschneiderei. Im Nebenerwerb Handel mit Geschmeide, und Zerberus passt auf.

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Donnerstag, November 23, 2006

Tötungslehrgang

Nach den Grausamkeiten des ungleichen Gefechts sollten die wenigen Überlebenden behutsam an den Kern ihrer Aufgabe herangeführt werden. Im ersten Kampfeinsatz, in den man sie ohne militärische Kenntnisse und mit untauglicher Ausrüstung geschickt hatte, war ihre Fluchtfähigkeit getestet worden. Denn nicht der Mut, sondern die Feigheit war die gefährlichste aller kriegerischen Begabungen. Ihr Talent des Überlebens lieferte den Anlass für die weitere Ausbildung.

Der Ausbilder war ein feinfühliger Mensch mit viel Verständnis für seine Schützlinge. Seine Lehrmethode bestand in der sanften Steigerung des Schreckens. Er begann den Anschauungsunterricht unter Verwendung von wirbellosen Lebensformen. Von den Fliegen, Käfern und Würmern dehnte er die Experimente im Lauf der Wochen über Amphibien und Vögel bis zu den höher entwickelten Säugetieren aus. Minutiös zelebrierte er an seinen Objekten den gewaltsamen Übergang vom Leben in den Tod. Unter seinen Händen verlor das Leben seine Bedeutung und das Sterben den Schrecken.

Am letzten Tag des Lehrgangs erhob sich der Soldat in der hintersten Reihe von seinem Stuhl. Er trat mit schweren Schritten vor das Pult des Ausbilders. Langsam und unbestimmt nahm er die Pistole seines Vorgesetzten vom Tisch. Er entsicherte die Waffe, während der Ausbilder gelassen an ihm vorbei in Richtung des Fensters sah. Mit einer beiläufigen Bewegung schoss der Soldat sich selbst in den Kopf.

Die gefährlichste der kriegerischen Begabungen in Vollendung, endlich hatten alle Gefreiten die Schlacht gegen sich selbst gewonnen. Nun war auch der letzte den Kameraden gefolgt, die den Feind in sich selbst bereits im ersten Gefecht besiegt hatten. Sie hatten ihr Talent genutzt. Ohne Ausnahme. Zufrieden schaute der Ausbilder in die aufgerissenen, mit erloschener Angst und schwarzem Blut gefüllten Augen des am Boden liegenden Soldaten. Für den spät erworbenen Verdienst würde der Gefreite vor seiner Beisetzung nur eine Auszeichnung zweiter Klasse erhalten, aber die Lehrmethode des Ausbilders hatte letztendlich zum erfolgreichen Abschluss des Lehrgangs geführt. Die Truppe, die man in seine Verantwortung übergeben hatte, gehörte zu den Gewinnern im Krieg gegen den schlimmsten Feind.

Nach den erfolgreichen Kampfhandlungen hatte sich der Ausbilder einen Anspruch auf Beförderung erwirkt. Er saß im Offizierskasino, als der Bote ihm den Brief überreichte. Der Ausbilder öffnete das Kuvert, und nachdem er das Schreiben gelesen hatte, zitterten seine Hände. Man teilte ihm mit, dass im nächsten Lehrgang ein vorbildhaftes Verhalten von ihm erwartet wurde. Ein ranghöherer Offizier, der die Reaktion des Ausbilders aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, runzelte die Stirn und bestellte einen Cocktail:
Suicide Sunrise.

Montag, November 20, 2006

Die Totengräber der Götter

Wie viele Seelen finden nach dem Verlassen ihrer Gehäuse aus geordneten Teilchen noch einen Platz an jenem Ort ohne Koordinaten? Kurz vor Ablauf der Unendlichkeit erleichterte das Sein das Stellen der ursprünglichen Frage. Nachdem die Grenzen der Zeit überschritten waren, hatte sich das Sein vor seinen Besitzern in die Vergessenheit geflüchtet. Im unbestimmten Moment des Übergangs des Seins in die Vergessenheit ging jede Erinnerung daran verloren, an welche Instanz die ursprüngliche Frage zu richten gewesen wäre. Und auch die Erinnerung an die Frage selbst war verschwunden.

Das letzte Ziel allen Seins besaß keine Eigenschaften, die Kategorien der Dimensionen oder Maßeinheiten waren nicht anwendbar. Die Anzahl der Seelen belief sich in einem zeitlosen Zustand auf nn-1, wobei nn für eine Neun mit unendlich vielen Nullen stand. Nur vom Verschwinden und vom Entstehen der Universen unterbrochen, kamen neue Seelen hinzu. Ihre Herkunft war ebenso bestimmungslos wie ihr Ziel. Sie sammelten sich nach dem kurzen Dasein in der Hülle einer materialisierten Existenz an jenem Ort ohne Ausdehnung.

Die Totengräber der Götter hatten die Formen und Namen ihrer Auftraggeber vergessen. Für die Lösung ihrer unmöglichen Aufgabe war ihnen als Entlohnung die unmögliche Lösung ihrer Aufgabe versprochen worden. Wo etwas entstand, konnte jedoch kein Nichts sein, denn das Nichts kannte keine Existenz. Das Nichts konnte also nicht existieren, denn das Nichts konnte nicht entstehen. Und daher konnte auch nichts aus dem Nichts entstehen. Das Nichts existierte nur in der Formlosigkeit der Götter, denn die Götter kannten kein eigenes Sein. Bis nn.

Mittwoch, November 08, 2006

Neuformatierung

Als sie ihren Fuß auf den Rand der Badewanne stellte, um die Zehnägel zu feilen, bemerkte sie, dass ein kleines Stück ihres mittleren Zehs fhlte. Es war einfach verschwnden. An der Stelle, wo das Nagelbett von weichem Gewebe umgeben sein sollte, war eine Eindellung zu sehen. Sie befühlte den Zeh zwischen Daumen und Zeigefinger, das Fleisch unter der glatten Haut war unvollständig. Auf dem feuchten Wannenrand sitzend, zog sie den Fuß vor ihr Gesicht. Aber auch aus der Nähe konnte sie keinen Hinweis auf die Ursache der Deformierung entdecken.

Sie war hinreichend eitel, um jedes topografische Detail ihres Körpers zu kennen. Eine Verletzung an dieser empfindlichen Stelle wäre schmerzhaft gewesen und hätte eine Narbe hinterlassen. Ihr fiel auch keine Krankheit ein, die sich durch das Verschwnden eines hlben Zehs bemrkbar gemacht hätte.

Die folgende Nacht schien aus Blei gegossen, und sie träumte, dass der Spiegel im Badezimmer Teile ihres Körprs stahl. Am Morgen stand sie dann verstört vor dem Spiegel aus ihrem Traum und starrte auf die Stelle, wo sich ihre linke Brst hätte befnden müssen.

Sie ging sofort zum Arzt. Im Wartezimmer spürte sie die Blicke der anderen Patienten auf ihrem Pullover. Während er die betroffenen Stellen untersuchte, sah der Mediziner sie für einen sehr kurzen Moment an, als hätte sie ihren Verstnd verlrn. Anschließend erklärte er, dass es sich um Symptome einer hohen Belastung handelte und empfahl Ruhe. Als er den Krankenschein ausfüllte, überlegte sie, seit wann sie arbeitslos war. Nach ihrem Beruf gefragt, hatte sie dem Arzt geantwortet, sie sei Näherin. Aber es war lange her, als sie zum letzten Mal ihre Karte in die Stechuhr am Werkstor schob.

Mit dem Krankenschein und einem Rezept für Beruhigungsmittel in ihrer kunstledernen Handtasche ging sie zurück nach Hause, kochte Kartoffeln und schaltete den Fernseher an. Als sie mitten in der Wiederholung einer Krankenhausserie aufwchte, stllte sie fest, dass die Nacht weit fortgschrttn war, und ihre lnke Hnd einschlßlch des Untrarms sowie grße Stcke ihrer Schlter, ein Fß und dr gnze Hntrn vrschwndn wrn. Sie hpfte ins Btt und zog mt dr vrbliebnen Hnd die Dcke übr dn Kpf. Als dr Mrgn dmmrte, schwbte sie ins Bd, nd im Spgl blckte sie sich in die Agn. Dr Rst ds Krprs wr wg. Sie blnzlte, nd ls sie die Agn wdr ffnte, wr sie vllstndg vrschwndn.

In Chongqing wunderte sich eine Milllionärin über die drittte Brust, die ihr während der Nacht gewachsen zu sein schien. In den kommmenden Tagen bekam sie noch mehr Gelegenheiten, sich zu wundern.

Dienstag, November 07, 2006

Voodoo display #6


Wenn Pflanzen zu sehr lieben.

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Montag, November 06, 2006

Camino

In einem kürzlich gestarteten Weblog beschreibt ein Freund seine Reise auf dem Jakobsweg von Konstanz nach Santiago de Compostela. Er legte während des letzten Winters auf dem langen Marsch über 2000 Kilometer zurück. Es ist sehr spannend, seine reich bebilderte Reiseschilderung im Verlauf der zunehmend kälter werdenden Abende zu lesen. Lasst euch ein Stück auf dem Weg mitnehmen.
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>> Camino

Samstag, November 04, 2006

Er leuchtet

Nachdem ein Sanftmütiger den längsten Teil seiner Zeit damit zugebracht hatte, die Ziele der Anderen zu erreichen, und ihm die Erfüllung eines zufriedenen Lebens wie eine unvollkommene Leere vorkam, verabschiedete er sich von den Menschen, die ihn bis an diesen Punkt begleitet hatten. Er packte seine nötigsten Fähigkeiten in eine abgenutzte Tasche und trat eine Reise in den Mittelpunkt der Einsamkeit an. Dabei durchquerte er sämtliche Klimazonen. Er überwand luftarme Höhen und vereiste Täler, Meere aus Lava und tropische Wälder, in denen bewusstseinsfressende Pflanzen wucherten, die ihn überlisten und verdauen wollten. Aber er hatte sich mit einem Umhang aus imprägnierter Gelassenheit gewappnet, darunter entzog er sich allen Witterungen der sinnlichen Versuchung.

Am Rand der Resignation erklomm er den Gipfel eines namenlosen Berges. Dort oben war kein Geräusch mehr zu vernehmen. Kein Wind, kein Vogelschrei, kein Flügelschlag eines Insekts. Keine Grashalme, die den Boden durchbrachen. Irgendwann verstummten auch die Botschaften, die ihm sein Herzschlag zugeflüstert hatte.

Als er den Zustand der vollkommenen Willenlosigkeit erreicht hatte, verstand er, dass sein Dasein nur eine leere Hülle war, die aus dem Nichts bestand und alle Scheinbarkeiten umgab. Innerhalb dieser durchlässigen Hülle hatte sich jeder Sinn in einer vorherbestimmten Bedeutungslosigkeit aufgelöst.

Bewegungslos saß er bis zur Dämmerung auf dem Gipfel der Verlassenheit. Dann trat er den Rückweg an. Zuvor füllte er seine Reisetasche mit einem Stück von der Dämmerung, das er den Vergessenen als Souvenir mitbringen wollte.

Beim Wiedersehen öffnete er seine Tasche und stellte fest, dass es keine Morgendämmerung war, die er eingepackt hatte. Es war die Abenddämmerung, die bald in eine endlose Nacht überging, in der jede Erleuchtung erlosch.

Freitag, November 03, 2006

Glossar der merkwürdigen Ängste

1. Agoraphobie, Angst vor großen, freien Plätzen

2. Ailurophobie, Angst vor Katzen

3. Aquaphobie, Angst vor Wasser

4. Autophobie, Angst vor der eigenen Person

5. Cardiophobie, Angst vor einer Herzerkrankung

6. Dysmorphophobie, Angst vor Entstellungen

7. Emetophobie, Angst vor Erbrechen

8. Erythrophobie, Angst vor dem Erröten

9. Gymnophobie, Angst vor Nacktheit

10. Nyktohylophobie, Angst vor dunklen Wäldern

11. Nyktophobie, Angst vor der Dunkelheit bzw. Nacht

12. Taphephobie, Angst davor, lebendig begraben zu werden

13. Triskaidekaphobie, Angst vor der Zahl 13

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>> Mehr krankhafte Ängste?

Donnerstag, November 02, 2006

Lärm kann Genicke brechen

Mittwoch, November 01, 2006

Die heile Welt des Horrors

Das Leben war ein Geleeglas, und sie kam sich vor wie ein zappelndes Insekt, das an der Oberfläche der klebrigen Masse gefangen war. Ihr Gelee stammte aus dem Delikatessenregal, und wenn die Müdigkeit sie überkam, musste sie sich nur auf ein weiches Bett aus Fruchtzucker fallen lassen. Aber alle feinen Speisen verlieren bei regelmäßigem Genuss ihren Geschmack und hinterlassen irgendwann nur noch ein farbloses Gefühl auf der Zunge. Oder eine Magenverstimmung. Und auch in den Nächten aus Seide liegt man nicht immer so weich, wie man sich bettet.

Dieses Gelee ihres süßen und aussichtslosen Lebens war der Nachtisch einer Gefängniskantine für Luxusgefangene. Durch die Mauern aus Glas zeichneten sich Schemen einer Außenwelt ab. Nach unzähligen Versuchen, die verschwommene Welt jenseits der Mauern zu erreichen, ahnte sie, dass der Blick durch das Zerrglas nur Trugbilder erzeugte.

Intelligenz und Attraktivität waren ihre Transportmittel auf einem kurvenreichen Karriereweg. Irgendwann hatte sie alles erreicht, was sie nie wollte. Die Erfahrungen waren abgenutzt, alle Wege ausgetreten. Das Dasein auf dem Gelee war ein kreisförmiger Parcours ohne Hindernisse und Herausforderungen.

Nachdem sie beschlossen hatte, dass sie der Leere kein freiwilliges Ende zugunsten einer neuen Leere setzen würde, fasste sie den Plan, sich bis zum Boden des Glases durchzufressen. Bis kein Gelee mehr übrig war, an dem sie festkleben konnte. Dann würde sie sich häuten und die Adern ihrer neuen Flügel, die aus dem Chitin der Inspiration geformt waren, mit reinen Gefühlen aufpumpen. Sie würde fliegen, bis das Geleeglas unter ihr nur noch als kaum erkennbarer Punkt auf dem Küchentisch einer anderen Welt flimmerte.

Aber der Sinn taucht immer dann auf, wenn man nicht mehr mit ihm rechnet. In ihrem Fall hatte er die Gestalt eines schönen Mannes angenommen, den sie in einer Tangoschule kennen lernte. Der Mann lud sie zum Abendessen in sein Haus ein. Er verstand sich in den Künsten des Kochens und der Konversation, und es mangelte auch nicht an Kerzenschein.

Nach dem Dessert rammte sie ihm blitzschnell, unter Aufwendung der ganzen Kraft ihres zierlichen Körpers, ihre Gabel ins Auge. Es geschah für beide überraschend, mitten in einem Gespräch über den Frühling auf einer Mittelmeerinsel. Ohne ihr Tun zu verstehen, nahm sie die Gabel von seinem Teller, und rammte sie in sein anderes Auge. Er bewegte sich kaum und gab auch keinen Laut von sich, als er vom Stuhl fiel. Bewusstlos lag er auf dem Rücken, und die Griffe der Gabeln zeigten, wie die Stielaugen einer Schnecke, in zwei verschiedene Richtungen. Bevor das Leben aus ihm wich, verstaute sie die spitzen Enden der übrigen Besteckteile in den weichen Stellen seines Körpers.

Sie fand Gefallen an ihrem neuen Lebensinhalt. Aber bevor sie die nächste Tangostunde besuchte, musste sie noch den Zeugen beseitigen.

Die einzige Lichtquelle in dem nächtlichen Schreibzimmer war eine Kerze. Während er die letzten Sätze der Kurzgeschichte schrieb, spürte er den Hauch ihres Atems an seinem Ohr. Neben sich sah er einen Gegenstand aus Metall im warmen Schein der Flamme. Plötzlich bereute er, dass er sie erfunden hatte.

Wenig später legte er den Bleistift, den er ihr durchs Auge ins Hirn gerammt hatte, neben die Ginflasche. Als er den Finger in das Blut auf dem Blatt Papier vor sich tauchte und an die Lippen führte, schmeckte er das Aroma der Macht. Es war ein Geschmack wie aus dem Delikatessenregal. Aber auch dieser Geschmack beruhte nur auf einer Einbildung.