Donnerstag, Dezember 31, 2009

Sehr geehrte Sylvesterkracher,

jedes Jahr wundere ich mich darüber, dass es kaum von Menschen bevölkerte Regionen auf diesem Planeten gibt, in denen es nicht dem Brauch entspricht, Ihresgleichen zur Jahreswende abzufackeln. Lange habe ich die Auseinandersetzung mit Ihnen gemieden und mich bemüht, in eine jener entlegenen Regionen zu verduften, wenn der Stichtag Ihrer Abfackelung nahte. Meine tiefgründige Abneigung wurde genährt von einem Ereignis, das sich in einer Sylvesternacht vor vielen Jahren zutrug. Damals hatte der offenkundig geistesgestörte R. einen Kanonenschlag in die Tasche meines Parkas geworfen. Ich muss Ihnen die Folgen nicht näher schildern, Sie kennen sich aus. Purer Zufall, dass die körperlichen Beschädigungen überschaubar blieben. Und erkundigen Sie sich gefälligst nicht nach dem Parka!

Inzwischen betrachte ich die Zeremonie entspannter. Ich behaupte sogar, dass dem Ritus eine Faszination von nahezu existenzieller Tiefe innewohnt. Sie werden allein zu dem Zweck erschaffen, Ihr Dasein in einem einzigen Knall oder als schillernde Stars mit improvisierten Kompositionen aus Leuchtspuren am Himmel zu beenden und kindliche Menschengemüter mit Ihrer Darbietung zu erfreuen. Das ist Rock 'n' Roll, irgendwie.

Und gibt es eine schönere Art, Geld zu verbrennen und diesen Akt der Verschwendung mit Entertainment zu verbinden? 2009 wurden Unmengen von Kohle auf weitaus weniger schillernde Weise verbrannt. (Allerdings mit einem vergleichbar intensiven Geräuschpegel. Ok. Entertainment war zuweilen auch im Spiel, zugegeben.)

Ich wünsche Ihnen zum Jahresabschluss einen fröhlichen Untergang. Bitte entflammen Sie keine Behausungen und zerfetzen Sie keine Sinnesorgane oder Gliedmaßen. Zusätzlich fände ich es begrüßenswert, wenn Sie geräuschlos explodieren könnten, damit die bedauernswerte Hausfauna nicht erschreckt. Aber das ist wohl zuviel verlangt.

Mit stillen Grüßen,
mq

Freitag, Dezember 25, 2009

Sehr geehrte Religionen,

keine von Ihnen erscheint mir ansatzweise glaubwürdig. Ich bin nicht in geringster Ausprägung religiös, beschäftige mich aber gelegentlich mit Ihren kleinen Knobeleien, um die Zeit zwischen wichtigen Themen zu überbrücken.

Neulich habe ich beim Zähneputzen das Problem der Theodizee gelöst. Dabei bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass man Ihrem jeweiligen Gott, den ich grundsätzlich für eine Ausflucht des schlechten Gewissens und der Ängste Ihrer Anhänger halte, keinen Vorwurf für seine schlampige Schöpfung machen muss.

Das Ganze könnte sich in etwa so zugetragen haben: Nachdem der von Ihnen als allwissend, allmächtig etc. bezeichnete Gott die Welt erschaffen hatte, überkam ihn ein ungeheurer Durst. Man kennt das, die Sonne brennt im Himmel, man hat überirdisch geackert, ist auch zu einer Art Zwischenergebnis gelangt, und plötzlich ist er da, dieser gewaltige Durst.

Also klappt man den Spaten zusammen und überlässt seine Kreaturen - Adam, Eva und den Rest - sich selbst. Ein paar hunderttausend Jahre werden die wohl allein zurechtkommen, denkt man sich vielleicht, während einem auf dem Weg zur nächsten Eckkneipe beim Gedanken an ein kühles Helles schon das Weihwasser im Mund zusammenläuft. Gott ist schließlich auch nur ein Mensch.

Als man dann am Tresen lehnt, bleibt es nicht bei einem Bier, und irgendwann sitzen auf den benachbarten Barhockern zwielichtige Diaboliker. Im Verbund mit dem verschwörerisch dreinblickenden Wirt sieht man sich plötzlich zum Würfelspiel überredet.

Der Abend hätte ohne größere Misere enden können, wären keine geistlichen Getränke aufgetischt worden. Aber auch Gott scheint nicht gegen jede Versuchung gewappnet. Und so nimmt die klassische Tragödie des Spielers ihren Lauf. Nach einer anfänglichen Glückssträhne verzockt der liebe Gott Haus, Hof und Galaxie um Galaxie, bis er am Ende nichts mehr besitzt. Nicht einmal ein öder Asteroid am äußersten Rand aller Sonnensysteme ist ihm geblieben. Da sich der liebe Gott für einen Ehrenmann hält, glaubt er an den Unfug, dass Spielschulden Ehrenschulden seien. Er torkelt durchs verspielte Universum nach Hause, wo er in die Heia fällt und für die nächsten Unendlichkeiten seinen Rausch kuriert.

Die Diaboliker kümmern sich nicht um den Gewinn. Sie sind weiterhin damit beschäftigt, ihren unheiligen, ewigen Durst zu stillen.

Inzwischen haben sich Generationen von Theologen die grauen Zellen wundgegrübelt, warum ein gütiger Gott einen solchen Irrsinn wie diese Welt erschaffen haben könnte. Dabei ist das Fazit einfach: Ihr Gott ist ein dufte Typ, aber es mangelt ihm an Disziplin, Struktur und Konsequenz. Vielleicht wacht er irgendwann aus seinem teuflischen Rausch auf, erinnert sich an das Fiasko, haut den Diabolikern die Fräcke voll und macht sich an den zweiten Teil der Schöpfung.

Was meinen Sie dazu, geschätzte Religionen? Meine These überlasse ich Ihnen gerne. Macht damit, was ihr wollt.

Mit profanen Grüßen,
mq

Donnerstag, Dezember 24, 2009

Vixerunt*

Sie haben überlebensgroße Staffeleien in der Manege aufgestellt. Hinter dem Vorhang aus Blei scharren trojanische Zirkuspferde mit den Hufen. Das Dasein erscheint dir wie Malen nach Zahlen unter Verwendung einer Vorlage von Jackson Pollock. Während der gesamten Vorstellung hörst du Rufe aus der Menge, ohne Inhalte zu verstehen. Du hältst den Lärm für Applaus, bis man spitze Gegenstände und Beschimpfungen in deine Richtung wirft.

Als Konturen erkennbar werden und das Bild eine Interpretation zulässt, die deiner Vorstellung entspricht, gibt der Boden unter dir nach. Aber nicht nur, dass du im Moor der Manege versinkst: Deine Füße sind auch noch an Gewichte gekettet. Während die schwarze Masse deinen Hals umschließt, wird dir bewusst, dass jede Geburt gleichzeitig ein Todesurteil ist. Fühlt sich an wie Trost.


--
*Übers. (lat.): "Sie haben gelebt."

(Ciceros kürzeste Rede, gehalten anstelle einer Rechtfertigung vor dem römischen Volk nach Vollstreckung der Todesurteile gegen die Verbündeten des Catalina.)

Dienstag, Dezember 22, 2009

Motto #27

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Samstag, Dezember 12, 2009

Hirnverbrennung und Katharsis

Immer, wenn ich ein Theaterhaus besuche, will ich entweder pünktlich zu Beginn der Aufführung wegrennen oder schlafe blitzartig ein. Da kann der Regisseur von der ersten Sekunde an auf die Kacke hauen und mit Titten und Ärschen wedeln lassen, wie er will: Interessant finde ich das Schauspiel exakt bis zu dem Moment, in dem der Vorhang aufgezogen wird. Wenn dann die zumeist hirnverbrannte Inszenierung beginnt, verspüre ich den zwanghaften Wunsch, quer durch den Zuschauerraum und das Foyer, über den Theatervorplatz, durch die Innenstadt in den entferntesten Randbezirk zu rennen und erst wieder anzuhalten, wenn ich von einem finsteren Wald umgeben bin.

Aber bisher bin ich dann doch nie vom Schauspielhaus direkt in den finsteren Wald gerannt, weil ich immer befürchten musste, dass mich sofort nach dem Start diese theatertypische Schlaflähmung überfällt und ich schnarchend zwischen den Sitzreihen in einem fremden Schoß zum Erliegen kommen könnte. Bei manchen Schößen wäre das keine unangenehme Vorstellung, bei anderen der pure Horror. Wahrscheinlich werde ich nie aufstehen und losrennen, weil das Risiko, in den falschen Schoß zu kippen, einfach zu groß ist.

Einer der letzten Nervenkitzel unserer Zivilisation besteht darin, das Mobiltelefon im Theater nicht auszuschalten. Auf diese Weise kann man den Aufführungen einen - zwar künstlichen, aber wenigstens minimalen - Spannungspegel verleihen. Manchmal schaffe ich es sogar, mich durch den Gedanken, das Telefon könnte plötzlich klingeln, phasenweise wachzuhalten.

Einmal hat das Telefon tatsächlich geklingelt. Aber da wurde auf der Bühne ein derartiges Geschrei und Getöse veranstaltet, dass niemand das Geklingel mitbekam. Auch ich hätte es in meiner Theaterbetäubung beinahe überhört. Als ich den Anruf entgegen nahm, war die Person am anderen Ende der Leitung wegen dem Geschrei und Getöse nicht zu verstehen, so dass ich das Gespräch beenden musste und sofort in meinen Dämmerzustand zurückfiel.

Nun könnte der falsche Eindruck entstehen, ich sei ein Theaterfeind. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn mich jener Traumzustand beim Besuch von Schauspielhäusern überkommt, stürze ich im freien Fall durch verborgene Innenwelten und erfahre Katharsis im tiefsten Sinn der griechischen Tragödie. Ich möchte auf meinen Theaterschlaf nicht verzichten und bedanke mich hiermit bei den Verantwortlichen, vor allem für die hirnverbranntesten Inszenierungen.

Sonntag, Dezember 06, 2009

Zahlen, bitte

Die Kristallgläser standen zur Hälfte geleert zwischen ihnen. Sie trugen graue Anzüge und Hemden mit Manschettenknöpfen. Seine obere Gesichtshälfte war hinter den Gläsern einer Sonnenbrille verborgen. Der Anblick seines Gegenübers wirkte bedrohlich. Erst auf den zweiten Blick erkannte man den Grund dafür. Ein wesentliches Merkmal fehlte. Die Person besaß keine Nase. Aber sie glich nicht den Bildern von verstümmelten Kriegsopfern, auf dem Gesicht dieser Frau waren keine Spuren von Gewalteinwirkung oder Narben zu sehen. Ihr Anblick war makellos, es musste andere Gründe für das Fehlen der Nase geben.

- Zahlen, bitte.

Der Kellner ließ sich im Vorbeigehen zu einem Nicken herab. Kurz darauf lag die Rechnung zwischen den Deckeln eines schwarzen Lederumschlags auf der Tischkante. Die Frau und ihr Begleiter griffen gleichzeitig danach.


- Ich übernehme das.

- Sie haben letztes Mal gezahlt.

- Aber das spielt doch keine Rolle, Sie sind mein Gast.

- Das kommt nicht in Frage, diesmal bezahle ich. Darauf bestehe ich.


Beide hielten den Umschlag fest. Im gedämpften Licht beobachtete ein Gast am Nachbartisch, wie sich die Haut unter ihren Daumennägeln durch den Druck dunkelrot färbte. Die Begleiterin jenes Gasts trug ein fleischfarbenes Kleid.


- Es tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen, beharrte die Frau. Das Fehlen der Nase verlieh ihrer Stimme einen tonlosen Klang. Atmete sie ausschließlich durch den Mund? Einige Gäste an weiter entfernten Tischen drehten sich um.


- Wie gesagt, die Rechnung geht auf mich, keine Widerrede.

- Auf keinen Fall werden Sie bezahlen. Nun lassen Sie endlich los!

- Sie haben mich nicht verstanden. Ich werde die Rechnung begleichen. So einfach ist das.

- So einfach wollen Sie es sich machen, aber so einfach mache ich es Ihnen nicht.

- Was wollen Sie damit sagen? Wer macht es sich hier einfach? Noch nie habe ich mir irgendetwas einfach gemacht. Schon gar nicht mit Ihnen! Sie machen immer alles nur komplizierter.

- Es liegt mir fern, Ihnen zu nahe zu treten, aber diese Diskussion um eine banale Rechnung drückt ihre Begriffsstutzigkeit aus, die unser Gespräch durch den gesamten Abend begleitet hat.

- Eine anspruchsvollere Form der Beleidigung war von Ihnen nicht zu erwarten.


Die Frau ohne Nase zog mit ihrer freien Hand eine Heckler & Koch hervor und richtete die Pistole auf die Brust des Mannes.


- Ich sage es ein letztes Mal. Lass die Rechnung los.

- Schieß doch.


Nachdem ein Knall den Raum vereist hatte, schaute der Mann die Frau ungläubig an. Dann fasste er sich in das Loch unter dem Herz. Beim Anblick der roten Flüssigkeit an seinen Fingern verdrehte er die Augen, ließ die Rechnung los und fiel in unendlicher Langsamkeit auf den Teppich. Durch den sanften Aufprall rutschte die Sonnenbrille von seiner Nase, und die Dame im fleischfarbenen Kleid stieß einen Schrei in die Stille. Der Tote hatte keine Augen. Die obere Hälfte seines Gesichts war vollständig von einer glatten Haut überzogen.


Die Nasenlose legte einige Scheine zwischen den ledernen Umschlag.


- Stimmt so, danke,

flüsterte sie heiser in Richtung des Kellners.

Sie verschwand ungehindert durch die Eingangstür ins Neonlicht der Straße.


Wenige Tage später saßen sie am selben Tisch im selben Restaurant. Sie tranken denselben Rotwein.
Und sie wurden von einem stummen Kellner bedient.