Donnerstag, Januar 23, 2014

Im Netz der grimmigen Dinge

Die anonyme E-Mail war über den WLAN-Drucker auf meinen Tablet-PC gesendet worden und stammte von der elektrischen Zahnbürste. Zunächst dachte ich, es handelt sich um einen nigerianischen Virus. Jedoch versetzte ein automatisches Update des Zahnbürstenbetriebssystems dieses Ding offenbar in die Lage, Botschaften zu versenden, die über sachliche Inhalte bei der Bestellung von Zahnpasta oder neuer Bürstenaufsätze weit hinausgingen.

Der Inhalt der E-Mail denunzierte den Rasierapparat, der angeblich "auf den Föhn scharf" sei und aus Eifersucht einen Scherenkopfanschlag auf meine Gesichtshaut plane. Selbstverständlich hielt ich die Zahnbürste für verrückt, zog jedoch gleichzeitig in Betracht, dass sie auf den Rasierer eifersüchtig sein könnte und ihre Platine sich aufgrund einer möglichen Fehlprogrammierung selbst zum Föhn hingezogen fühlt.

Obwohl meine Haare trocken waren, stellte ich den Föhn auf die höchste Stufe ein und ließ mir ausgiebig heiße Luft um den Kopf wirbeln. Tatsächlich fing die Akkuanzeige des Rasierapparats sofort an, zornesrot zu blinken, obwohl das Gerät seit zwei Tagen am Stromnetz hing und vollständig geladen war. Es roch ein wenig nach verbrannten Haaren.

Ich nahm die Zahnbürste zur Hand, stellte mich direkt vor den Rasierer und putzte mir mit Hingabe die Zähne. Bis mir das Ding einen Stromschlag versetzte, der meinen Schädel vibrieren ließ. Es roch ein wenig stärker nach verbrannten Haaren. Über den Weg der stillen elektronischen Post ließ mich die Zahnbürste wissen, dass unser bisheriges Vertrauensverhältnis aufgrund meines "niederträchtigen Verhaltens fundamental erschüttert" sei. Eine ähnliche E-Mail erhielt ich vom Rasierer, das Schreiben beinhaltete schlimmste Beschimpfungen. Falls Föhne ein männliches Geschlecht besitzen, sind Zahnbürsten weiblich und Rasierer homosexuell?

Mit der Vorstellung eines Rauschebarts, vergilbter Zähne und verletzter Gerätegefühle hätte ich leben können, aber offenbar besaß die Zahnbürste ein besonderes Charisma im Netz der Dinge und brachte die anderen elektrischen Gegenstände gegen mich auf. Plötzlich schlossen sich ohne Aufforderung die Rollläden und ließen sich nicht mehr öffnen. Gespenstisch flackerte das Licht, bevor es erlosch. Zum Glück kannte ich mich in meiner Wohnung aus und fand mich in der Dunkelheit zurecht. Zweimal stolperte ich über den Staubsauger, der mir immer wieder bösartig vor die Füße rollte.

Als ich mich auf dem Weg zum Kühlschrank am Herd abstützen wollte, verbrannte ich mir die Hand. Der Kühlschrank blieb stockdunkel und schickte mir eine Wolke eisiger Luft entgegen. Ich wagte nicht, hineinzufassen. Aus der Backröhre vernahm ich ein bedrohliches Raunen.

Vorgestern habe ich die Wohnung verlassen, nachdem es mir gelungen war, die Türsperre mit einer improvisierten Evilware zu überlisten. Ich weiß nicht, ob ich dorthin zurückkehre.

Sonntag, Januar 19, 2014

Sehr geehrte Südosteuropäer,

ich entschuldige mich auf diesem Weg für das fremdschamverursachende Verhalten von einigen meiner Landsleute. Es ist erschütternd, welche haarsträubenden Dummheiten über die sogenannte "Armutsmigration" in jüngster Zeit verbreitet wurden. Nach schlimmster xenophobischer Manier werden ganze Nationen als Bedrohung dargestellt. Es sind immer die Anderen, die Fremden, die unseren Wohlstand bedrohen, indem sie angeblich deutsche Arbeitsplätze oder Sozialaufwendungen erschleichen.

Bitte nehmen Sie den Deutschen diese Diskussion nicht allzu übel. Die German Angst ist ein international bestauntes Phänomen. Besonders verbreitet scheint die Angst im wohlhabenden Südostdeutschland zu sein, vermutlich weil sich diese Region selbst gerne an den politischen Rand Europas bugsiert.

Von "Sozialtourismus" war die Rede, eine Sprachverhunzung, die zurecht zum Unwort des Jahres 2013 gewählt wurde. Manchem, der keinen Hunger kennt und keine Angst haben muss, im Winter am Frost zu krepieren, weil zu wenig Heizmittel verfügbar sind, mag das Verständnis für Menschen fehlen, die ihre Heimat verlassen, ohne die fremde Sprache, das fremde System und fremde Erwartungshaltungen zu kennen. Und auch für Menschen mit einer qualifizierten Berufsausbildung, die von ihrem Gehalt nicht würdevoll leben können und daher migrieren, mangelt es an Empathie. Wie in jeder anderen Kultur gilt auch das Mitgefühl der Deutschen in erster Linie ihnen selbst.

Die Angst vor Zuwanderung und Veränderung ist ebenso tief verankert wie schädlich. Davon abgesehen, dass man in deutschen Innenstädten häufiger von Punks mit Hochschulreife als von südosteuropäischen Bevölkerungsgruppen angebettelt wird, ist die Mehrheit der Migranten auf der Suche nach Arbeit. Das ist ihr gutes - europäisches - Recht. Und wir sollten froh sein, dass dieses Recht beansprucht wird.

Ebenso wie die Demografiediskussion um das angebliche Aussterben der Deutschen als empirischer Sondermüll entsorgt werden kann, gehören Agitationen wie "Wer betrügt, der fliegt" (CSU) in den Kehrichteimer der Geschichte. Nicht nur, weil es sich um einen außerordentlich miesen Reim handelt, der im Deutschunterricht einer Förderschule für Lernbehinderte bestenfalls eine Vierminus verdient hätte.

Ich heiße Menschen aus Südosteuropa sowie anderen Himmelsrichtungen ausdrücklich willkommen und ziehe den Hut vor allen, die das Vertraute verlassen und neue Möglichkeiten suchen.

Mit xenophilen Grüßen,
mq

Montag, Januar 13, 2014

Flamingo

Im Zoo von San Diego habe ich einen halben Vormittag damit verbracht, das zweite Bein an jenem Flamingo zu suchen, der regungslos in den Teichrand gespießt war. Ich verspürte eine dunkle Neigung, gegen das dürre Standbein der Kreatur zu treten. Dann überwältigte mich das schlechte Gewissen. Denn wie würde man sich fühlen, wenn der Flamingo aus einem tragischen Grund tatsächlich nur ein Bein besessen hätte und umgekippt wäre? Plötzlich hob der Vogel ab und winkte mir mit seinem zweiten Bein, das er beim Start aus dem Gefieder geklappt hatte, verächtlich zu.