Samstag, Juli 15, 2006

Ein Porsche in Tarnfarben (XII)

Wir besetzten die beiden letzten freien Sitzplätze im hinteren Teil der Straßenbahn. Als an der nächsten Haltestelle ein alter Mann in einem abgenutzten Anzug einstieg und die Leute in der Nähe der Tür keine Anstalten machten, sich zu erheben, stand Ari auf und brachte den Alten zu seinem Sitzplatz. Der Mann hinkte, und er hielt sich auf dem Weg an Aris Arm fest.

















Aris harmlose Erscheinung machte seine offene Gewaltbereitschaft umso beängstigender, und wenn ich an die Szene im Last Waterhole dachte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Aber unter der Gnadenlosigkeit, die ich kurze Zeit zuvor erlebt hatte, verbarg sich eine unaufdringliche Art von Anstand. Ari stellte sich neben mich und zuckte mit den Schultern, als sei es ihm peinlich, dass er dem Alten seinen Sitzplatz angeboten hatte.


Der Alte stützte sich auf seinen Stock und brummte unverständliche Wortfetzen auf Niederländisch vor sich hin. Dazwischen rieb er seine zahnlosen Kiefer gegeneinander, ließ die Fingergelenke knacken und warf mit verächtlichen Blicken um sich. Einer der Blicke blieb plötzlich an mir hängen und seine Augen weiteten sich, während er zunächst auf meine Schuhe und mir dann geradewegs ins Gesicht starrte.

- Heil Hitler immer noch, junger Kamerad!

dröhnte er unvermittelt und imitierte dabei den schnarrenden Kasernenhofton eines Feldwebels. In diesem Moment drehten sämtliche Passagiere in Hörweite ihre Köpfe nach uns um.

- Junger Kamerad! Du bist doch ein junger deutscher Kamerad, oder?

Mir hatte es die Sprache verschlagen und ich hätte mich gerne in einen Geist verwandelt. Hilflos schaute ich zu Ari, der mir mit einem leichten Kopfschütteln bedeutete, den Mund zu halten.

- Ich kann es an deinen Armeestiefeln erkennen. Solide, sehr solide! Bundeswehr. So nennt ihr doch eure neue Reichswehr? Gute Ausrüstung hattet ihr schon immer. Nur in Russland ist es dann doch ein wenig zu lecker kalt geworden, nicht wahr, Jonge?

Der Alte kicherte und machte dabei überhaupt nicht den Eindruck, als sei er verrückt.

- Ihr Deutschen seid nicht so ordentlich, wie immer behauptet wurde. Die Aufgabe mit den Juden und dem anderen Gesindel hätte man gründlicher lösen können.

In diesem Moment hielt die Straßenbahn und Ari zog mich zur Tür. Der Alte streckte seinen Arm zum Hitlergruß nach oben und rief mir noch etwas hinterher. Ich blickte mich kurz nach ihm um, und da sah ich die tätowierten Ziffern auf seinem Unterarm.

- Was hat er gerufen?
wollte ich von Ari wissen.
- Rot op. Das ist die weniger freundliche Version von verpiss dich.
(Fortsetzung folgt)

4 Comments:

Anonymous Anonym said...

stark. und stark geschrieben. wirklich passiert?
als ich noch in der schwarz-braun angehauchten vorstadt bei meinen eltern lebte, stieg desöfteres ein verhutzeltes männlein zu, der grüßte auch immer mit "heil hitler!" oder wahlweise "sieg heil!" der war aber kein bisschen verkalkt und meinte das bluternst. wollte ihn schon fast mal meiner oma vorstellen. die wartet ja auch noch auf ihr drittes reich. ;)

15.7.06  
Blogger Der_grosse_Transzendentale_Steini said...

Oh fuck, das ist eins der Dinge, die mir echt in der Seele wehtun. Ich mag Holland und die Holländer wirklich gerne und ich habe meine halbe Kindheit dort verbracht. Aber du fühlst dich nie willkommen und bist es auch nicht. Es ist so scheiße, wenn du in einer Bar zu der freundlich lächelnden Kellerin gehst, einen Drink bestellt (schon wohlweißlich auf nederlands oder englisch) und ihr Gesicht verdunkelt sich augenblicklich. Das wird sich wahrscheinlich nie ändern und das macht mich echt fertig.

15.7.06  
Blogger mq said...

@c17h19n3: Diese Typen, die du beschreibst, und über die wir uns zu Recht aufregen, sind leider ziemlich am Aussterben. Eine regelmäßige Erinnerung an diese unmenschliche Zeit ist sehr nützlich, auch wenn es auf zuweilen skurile Weise geschieht.

Der Mann mit der tätowierten Nummer auf dem Unterarm hatte vermutlich eine andere Motivation.

... und merci für die Blumen. Revanche: Deine Geschichte Deux nuits hat mir auch sehr gut gefallen.

@Steini: Irgendwo knarzt es noch immer im Gebälk zwischen den beiden Nationen und das liegt wohl kaum ausschließlich an Frank Rijkaard oder ähnlichen Ausfällen. Oder an unserer nationasozialistischen Vergangenheit. Vielleich empfinden die Niederländer das aus ihrer Sicht große Land im Westen als bedrohlich. Dabei läuft es in den Niederlanden bei sinkenden Arbeitslosenquoten und Inflationsraten ökonomisch deutlich besser als in Deutschland.

Manchmal ertappe ich mich allerdings selbst, wenn ich mich über eine Kolonne holländischer Würstelbuden auf der Autobahn ärgere. Aber das wäre kein Grund, unfreundlich zu werden.

16.7.06  
Blogger Falcon said...

Offensichtlich empfinden nicht nur die Niederlande ein ein Land wie Deutschland neben sich als bedrohlich.
Ein, wenn auch lange nicht so drastisches Erlebnis hatte ich auch in Holland, als ich da mit zwei Freunden unterwegs war und wir von einer Gruppe holländischer (niederländischer?) Jugendlicher angesprochen wurden:"Entschuldigt, ihr habt da was verloren" Wir, dankbar:"Oh, danke, was denn?" - "Den zweiten Weltkrieg!"
Nichtsdestotrotz habe ich auch durchaus eine Menge positiver Erfahrungen mit Holländern gemacht, nicht nur mit denen, die mein Geld haben wollten.

17.7.06  

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