Der Kornkäufer
Schon beim Betreten der Passage war mir der Bettler wegen seiner unterwürfigen Körperstellung aufgefallen. Er kniete nicht weit vom Eingang des Supermarktes und drückte seine Stirn gegen den Asphalt. Vor ihm lag ein Stück Pappkarton, auf dem mit ungeübter Schrift und kreativer Orthografie vermerkt war, dass er obdachlos sei und Hunger habe. Immer wieder dokumentieren solche Schilder den hohen Stellenwert der Lüge in unserer Gesellschaft, denn die Wahrheit wäre für die Bettelbranche geschäftsschädigend: Habe Durst.
An der Kasse stand ein unangenehmer Kerl vor mir. Auch er sah durstig aus. Außerdem hielt er sich für unwiderstehlich. Ihrem angewiderten Gesichtsausdruck zufolge war die Kassiererin anderer Auffassung. Sie ignorierte seine anzüglichen Bemerkungen und zog die vier Kornflaschen mit bemerkenswerter Teilnahmslosigkeit über den Scanner.
Beim Verlassen des Gebäudes beobachtete ich, wie der Kornkäufer eine Münze aus der Hosentasche kramte und mit einer verächtlichen Geste in Richtung des Bettlers warf. Als ich an dem Obdachlosen vorbeiging, sah ich, dass es sich um eine Eincentmünze handelte. Ein Cent. Gezielt an eine Stelle außerhalb der Reichweite des Bettlers geworfen. Begleitet von einem hämischen Lachen.
Mir entwischte eine vernehmbare Bemerkung über Erniedrigung und Mangel an Respekt. Obwohl ich die Äußerung nicht an seine Adresse gerichtet hatte, fühlte sich der Kornkäufer angesprochen und rief mir hinterher, ob ich Ärger suche. Ich ging weiter und überhörte einen Katalog von Drohungen. Der Kornkäufer folgte mir. Plötzlich vernahm ich das A-Wort. Eigentlich bin ich gegen Beleidigungen resistent, aber es war ein sehr heißer Tag. Auch reizte mich weniger die Beleidigung an sich, sondern vielmehr der Mangel an Originalität und vor allem der Umstand, dass man mich verfolgte. Ich drehte mich um, trat dem Kornkäufer entgegen und erkundigte mich, ob er mir nicht sofort "ein paar auf meine blöde Schnauze hauen" könne, weil wir es dann schnell hinter uns hätten. Um die Ernsthaftigkeit meines Angebots zu unterstreichen, stellte ich meine Sechzehnerpackung Klopapierrollen ab.
Lautstark verkündete der Kornkäufer, ich solle mich "bloß verpissen" und ihn in Ruhe lassen, weil sonst sei "echt was los", und überhaupt würde er gleich die Polizei rufen. Ich entschied mich für Deeskalation, nahm mein Klopapier und entfernte mich, während er mir noch nachrief, ich sei derjenige, dem es an Respekt mangele. Denn schließlich sei er "promoriert".
Zusammenfassend konnte man feststellen, dass wir uns beide - der Kornkäufer und ich - nicht ausgesprochen diplomatisch verhalten haben. Aber es war ein sehr heißer Tag.
Zwei Wochen später saß ich mit einem Mangoeis in der Hand am Brunnen vor dem Zoo, als der Kornkäufer in Begleitung einer wasserstoffperoxidierten Kolchoseschönheit und einer Bierflasche aufkreuzte. Obwohl der Platz nicht sehr bevölkert war, setzten sich die beiden keine zwei Meter von mir entfernt auf die Steinbank, die den Brunnen kreisförmig umgibt und nuckelten abwechselnd an der Bierflasche.
Die Kolchoseschönheit gehörte zu der Sorte, die jedes atmende Wesen innerhalb ihres akustischen Einzugsgebietes als Konversationsopfer betrachtet. Es dauerte keine halbe Mangoeiskugel, bis sie irgendeinen freundlichen Unsinn in meine Richtung faselte. Der Kornkäufer genierte sich nicht, sogleich dünnen Senf auf die Konversationswurst zu schmieren. Dabei grinste er mich an, als hätten wir uns Seite an Seite in der Fremdenlegion durch Westafrika gekämpft. In meiner Verwunderung bemühte ich mich um einen freundlichen Gesichtsausdruck und erhöhte das Tempo beim Auslöffeln der letzten Kugel Mangoeis. Menschen sind seltsame Tiere.
An der Kasse stand ein unangenehmer Kerl vor mir. Auch er sah durstig aus. Außerdem hielt er sich für unwiderstehlich. Ihrem angewiderten Gesichtsausdruck zufolge war die Kassiererin anderer Auffassung. Sie ignorierte seine anzüglichen Bemerkungen und zog die vier Kornflaschen mit bemerkenswerter Teilnahmslosigkeit über den Scanner.
Beim Verlassen des Gebäudes beobachtete ich, wie der Kornkäufer eine Münze aus der Hosentasche kramte und mit einer verächtlichen Geste in Richtung des Bettlers warf. Als ich an dem Obdachlosen vorbeiging, sah ich, dass es sich um eine Eincentmünze handelte. Ein Cent. Gezielt an eine Stelle außerhalb der Reichweite des Bettlers geworfen. Begleitet von einem hämischen Lachen.
Mir entwischte eine vernehmbare Bemerkung über Erniedrigung und Mangel an Respekt. Obwohl ich die Äußerung nicht an seine Adresse gerichtet hatte, fühlte sich der Kornkäufer angesprochen und rief mir hinterher, ob ich Ärger suche. Ich ging weiter und überhörte einen Katalog von Drohungen. Der Kornkäufer folgte mir. Plötzlich vernahm ich das A-Wort. Eigentlich bin ich gegen Beleidigungen resistent, aber es war ein sehr heißer Tag. Auch reizte mich weniger die Beleidigung an sich, sondern vielmehr der Mangel an Originalität und vor allem der Umstand, dass man mich verfolgte. Ich drehte mich um, trat dem Kornkäufer entgegen und erkundigte mich, ob er mir nicht sofort "ein paar auf meine blöde Schnauze hauen" könne, weil wir es dann schnell hinter uns hätten. Um die Ernsthaftigkeit meines Angebots zu unterstreichen, stellte ich meine Sechzehnerpackung Klopapierrollen ab.
Lautstark verkündete der Kornkäufer, ich solle mich "bloß verpissen" und ihn in Ruhe lassen, weil sonst sei "echt was los", und überhaupt würde er gleich die Polizei rufen. Ich entschied mich für Deeskalation, nahm mein Klopapier und entfernte mich, während er mir noch nachrief, ich sei derjenige, dem es an Respekt mangele. Denn schließlich sei er "promoriert".
Zusammenfassend konnte man feststellen, dass wir uns beide - der Kornkäufer und ich - nicht ausgesprochen diplomatisch verhalten haben. Aber es war ein sehr heißer Tag.
Zwei Wochen später saß ich mit einem Mangoeis in der Hand am Brunnen vor dem Zoo, als der Kornkäufer in Begleitung einer wasserstoffperoxidierten Kolchoseschönheit und einer Bierflasche aufkreuzte. Obwohl der Platz nicht sehr bevölkert war, setzten sich die beiden keine zwei Meter von mir entfernt auf die Steinbank, die den Brunnen kreisförmig umgibt und nuckelten abwechselnd an der Bierflasche.
Die Kolchoseschönheit gehörte zu der Sorte, die jedes atmende Wesen innerhalb ihres akustischen Einzugsgebietes als Konversationsopfer betrachtet. Es dauerte keine halbe Mangoeiskugel, bis sie irgendeinen freundlichen Unsinn in meine Richtung faselte. Der Kornkäufer genierte sich nicht, sogleich dünnen Senf auf die Konversationswurst zu schmieren. Dabei grinste er mich an, als hätten wir uns Seite an Seite in der Fremdenlegion durch Westafrika gekämpft. In meiner Verwunderung bemühte ich mich um einen freundlichen Gesichtsausdruck und erhöhte das Tempo beim Auslöffeln der letzten Kugel Mangoeis. Menschen sind seltsame Tiere.
18 Comments:
Also den Vergleich von Menschen mit Tieren würde ich nicht unbedingt pauschalisieren. Es gibt Tiere, die halte ich durchaus für liebenswerter als vieles, was so als Mensch keucht und fleucht. Deine Reaktion ("ein paar auf meine blöde Schnauze hauen") war doch okay. Mit dieser plötzlichen, nicht in sein Muster passenden, Konfrontation hat er nicht gerechnet und seinen Drohungen hast du somit den Wind aus den Segeln genommen. Solche aggressiven Typen kann man ruhig auch auf diese Weise auflaufen lassen - außerdem hat man somit ein wenig selbst Luft abgelassen und das ist auch wichtig.
Was du über deinen Fremdenlegionärskumpel schreibst, das klingt aber in der Tat nach einem unangenehmen Kerl.
immerhin hat die welt dem respektlosen kornkippenden karussellenbremser eine großartige neue wortkreation zu verdanken. zukünftig kann man solche leute mit promoriertknapp und treffend beschreiben.
seit einiger zeit habe ich ja ein heimliches faible für kolchoseschönheiten. ich finde es unglaublich faszinierend, wie solche damen morgens schon tipptopp zurechtgemacht mit leicht verhuschtem blick durch tiefgetuschte wimpern beim bäcker anstehen, von charmantem akzent rede ich noch gar nicht...
Die seltsamsten, Herr Quint, die seltsamsten....
Und Sie kaufen Klopapier in Zwanzigerpackungen? Wo gibts denn sowas ;)
wieder eine schöne geschichte, herr quint. doch muss es denn unbedingt
mangoeis sein? wenn's dann wenigstens mit einer mangaschrift wedeln würden.
Der Kiez ist natürlich ein Gebiet, in dem Typen wie der Legionär verstärkt auftreten. Ich übersehe sie konsequent, bisher ist mir das in den meisten Fällen gelungen.
Fast noch unangenehmer ist jedoch eine spezielle Dame, die einfach nicht glauben will, daß ich auf ihre erotische Dienstleistung keinen Wert lege. Wenn sie mit ihren geschätzten drei Zentnern Lebendgewicht die Eingangstür zum Nuttenturm blockiert, habe ich jedesmal ein Problem.
/der Nachbar: Mit den Viechern geht es mir genauso. Meine Reaktion finde ich im Nachhinein jedoch alles andere als ok - nämlich völlig unbeherrscht. Solange man nicht tätlich angegriffen wird, sollte man sich auf keine Provokation einer körperlichen Auseinandersetzung einlassen. Ich hatte mich auf mein Gespür verlassen, aber es hätte auch anders enden können ...
/MKH. Offen gestanden, kann ich sein Verhalten am Brunnen vor dem Zoo überhaupt nicht einordnen. Meine einzige Erklärung wäre, dass er die erste Begegnung promillebedingt vergessen hatte.
/Frech'n'Nett: Noch viel charmanter finde ich es, wenn jene Damen auf der anderen Seite des Bäckertresen stehen und mit sozialistischer Dienstleistungsgesinnung Brezelbestellungen aufnehmen, dass es einem eiskalt den Rücken runterläuft.
/FrauH.: Mit Ihrem Blick fürs Detail sind sie eine fabelhafte Lektorin. Ich habe nochmal nachgesehen, denn der Einfachkeit halber kaufe ich stets die gleiche Sorte Klopapier - und es sind tatsächlich 16 Rollen! Zugegeben, eine Anzahl von 17 Rollen pro Packung erschiene mir noch ungewöhnlicher ... Der Text wurde entsprechend korrigiert, vielen Dank für den Hinweis.
/the white lake knight: Zwar muss auch Toleranz Grenzen haben, aber ich bin sehr liberal. Bei mir darf sogar jeder eine eigene Lieblingseissorte haben. Und Lettering ist eine ausgesprochen anspruchsvolle Tätigkeit, mit der ich leider, leider 0,0 vertraut bin.
/Opa: Von Hrn. Bukowski gibt es eine Kurzgeschichte mit dem Titel Die Drei-Zentner-Hure. Taugt möglicherweise als Gebrauchsanleitung für derartige Situationen ... oder vielleicht auch lieber nicht. Jedenfalls wird sich dein Problem schon bald auch ohne Bukowski lösen.
Andere hätten ihre 16er packung durchgeladen und die Situation wäre eskaliert. Nur wenige wählen den schweren Weg Ghandis. Jedoch... die se geschichte zeigt: Am Ende winkt/droht ewige Freundschaft
Ich sehe die Schlagzeile vor dem geistigen Auge: Mann mit Klopapier erschlagen
Ach, der proletarische Kornkäufer wird sicher bald seine Leber in die ewsigen Jagdgründe schicken, wo sie dann Hirschen nachjagen kann und mit den Wölfen heulen darf. Kein Grund, eine wertvolle Packung edlen Holzes, das kunstvoll verarbeitet wurde, so einem unwürdigen in den Rachen zu stopfen.
Seine Leber wäre dort sicher besser aufgehoben, aber ob ihm das auch gefallen würde?
/mq
Kann man DICH vergessen?
Vielleicht hielt der Bub das Ganze auch für eine ziemlich coole Begegnung unter Männern. Und am Ende prahlt er schon längst in seiner Kneipe, dass er neulich diesen "gewalttätigen" Typen mit einem unfassbar riesigen Clopapiergewicht unter den Armen glattweg in die Flucht geschlagen habe...
Aber wahrscheinlich ist er einfach nur promoriert, und wir sollten gar nicht weiter von ihm schwätzen.
Inzwischen bin ich soweit versöhnt, dass ich ihm sogar eine Habierliteration von Herzen gönnen würde.
So geziemt es sich für jemanden, der sogar La Pensée SAUFage gelesen hat.
Und ich trage sogar Hosen des Namensvetters.
Kornblumen zieh ich ja jedem Korn und Käufer vor.
Gut reagiert. In beiden Fällen. Man hätte der Blonden höchstens noch das Eis anbieten können, um der Situation schneller zu entkommen.
/Kopffuessler: Derartigen Situationen würde ich sogar Brennesseln vorziehen.
/Scheibster: Ich bin fast davon überzeugt, sie hätte es genommen.
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