Sonntag, April 29, 2007

Voodoo Display #15



Angenommen, man würde es wagen, diese Voodoo-Puppe mit Nadeln zu traktieren: Welche Phantasie wäre ausreichend finster, um sich die Folgen der dämonischen Akupunktur auszumalen?

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Freitag, April 27, 2007

Indien, Nelken und der Tod

Von allen Ländern, die ich erfahren habe, hat Indien den größten Abdruck auf meiner Seele hinterlassen und gleichzeitig die wichtigsten Veränderungen in meiner Weltanschauung bewirkt.

Wenn ein Deutscher behauptet, er fahre nach Indien, ist das vergleichbar mit der Aussage eines Bengalen, er fahre nach Europa. Die Unterschiede zwischen dem Bundesstaat Tamil Nadu im Süden und dem nördlichen Himachal Pradesh sind nicht geringer, als die Unterschiede zwischen Norwegen und Albanien. Und Rajasthan unterscheidet sich von Nagaland mindestens so sehr, wie Holland von Rumänien.

Wenn ich an Indien denke, steigt mir ein bestimmter Geruch in die Nase. Eine Mischung aus Staub, Nelken, Abgasen, Ingwer, Rauch von offenen Feuern, Kokosmilch und Müll. Es ist kein betörend feiner Duft, aber es ist auch kein abstoßender Gestank. Es ist ein Geruch, der sieben Gefühle in sich vereint.

Ich bin noch niemand begegnet, den Indien unberührt gelassen hätte. Dabei liegen die Aussagen der Fremden ebenso weit auseinander wie die Gegensätze dieses Landes. Es gibt zwei Sorten von Ausländern in Indien. Die einen hassen es von Beginn an, sie ertragen den Schmutz, den Lärm und die Enge zwischen den Massen menschlicher Leiber nicht. Die anderen zieht es an wie ein Magnet, der die Dinge in seinem Energiefeld nicht mehr loslässt.

Das ständige Kommen und Gehen, die unzähligen täglichen Begegnungen finden in Indien nur ein Mindestmaß an Beachtung und Tiefe. Wenn man vierzig Stunden in einem Zug von Madras nach Kalkutta unterwegs ist und während der Fahrt von einem Inder in ein intensives, persönliches Gespräch verwickelt wird, sollte man nicht erwarten, dass sich der Mitreisende beim Aussteigen verabschiedet. Er nimmt sein Gepäck und geht. Ohne Blick zurück. Diese Art der Gelassenheit und Sparsamkeit mit oberflächlichen Ritualen ist auf eine ähnliche Art faszinierend wie die oberflächliche Freundlichkeit, der man Nordamerika begegnet.



Schon vor meinem ersten Indienaufenthalt habe ich viele Menschen sterben gesehen. Aber diese Tode passierten entweder infolge von Unfällen oder in einer klinischen Umgebung. Der Tod eines Anderen gehört unter allen Umständen zu den nachhaltigsten Erfahrungen des menschlichen Daseins. Aber die Natürlichkeit des Todes als gleichermaßen wichtiger Teil des Lebens wie die Geburt habe ich erst in Indien verinnerlicht. Das Sterben gehört in diesem Land zum Alltag wie sämtliche Variationen des Lebens, die in jedem Winkel wuchern, stinken und wohlriechend blühen. In Indien begegnet selbst der Tod einer großen Gelassenheit.

Am Marnikanika Ghat in Varanasi unterhielt ich mich mit einem jungen Mann. Als nach einer halben Stunde der Schädel einer brennenden Leiche neben uns mit einem Krachen in den Flammen zerbarst, erwähnte er beiläufig, dass es sich bei der Toten um seine Mutter handelte, die er für die Feuerbestattung aus einem entlegenen Dorf an den heiligen Ganges gebracht hatte. Meine plötzliche Niedergeschlagenheit brachte ihn zum Lachen.
Sein Lachen brachte mich zum Lachen.

Mittwoch, April 25, 2007

Motto #12

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Dienstag, April 24, 2007

Hardcore Porno

Herzlich willkommen. Ich bin ein Text und freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Schön, dass wir uns hier begegnen. Gleich geht es richtig zur Sache. Ich werde Ihnen gehörig einheizen, Sie quasi rattenscharf machen. Aber bitte gedulden Sie sich noch ein wenig, denn vorab will ich Ihnen einige lebensnotwendige Informationen vermitteln.

Sie sind genau im richtigen Moment vorbeigekommen. Ich war kurz davor, mich zwischen meinen Sätzen einsam zu fühlen. Fast hätte ich mich sogar gelangweilt. Und wenn es eine Stimmung gibt, die furchtbarer ist als das Gefühl der Einsamkeit, dann ist es die Langeweile. Eigentlich läuft es heute ganz gut, ich wurde bereits von einigen interessanten Leuten gelesen. Schließlich ist es das Ziel von uns Texten, gelesen zu werden. Manche unserer Mütter und Väter sehen das anders. Sie würden ihre Kinder am liebsten für sich behalten, weil sie denken, Begegnungen mit der grausamen Welt hier draußen könnten uns schaden. Und sie haben Angst davor, dass man sie als Erziehungsberechtigte für Folgeschäden der Lektüre haftbar macht. Das ist jedoch aus unserer Sicht totaler Unsinn, denn erstens können wir hervorragend auf uns selbst aufpassen, und zweitens sind wir hungrig nach Erfahrungen mit außergewöhnlichen Leuten wie Ihnen!

Wir Texte wollen gelesen werden, genau wie unsere Brüder und Schwestern, die Bilder, Skulpturen, Filme und Musikstücke gesehen und gehört werden wollen. Unsere Zeugung und Geburt kann doch nicht der einzige Sinn dieser Existenz sein! Wir wollen in den Köpfen unserer Leser anderen Texten begegnen, bei gegenseitiger Sympathie ekstatischen Sex erleben und uns grenzenlos fortpflanzen. Wir wollen Anregungen sein, und manchmal wollen wir unsere Leser sogar beeinflussen.

Auf jeden Fall wollen wir nicht langweilig sein. In diesem Punkt unterscheiden wir uns nicht von Ihnen, oder? Ich wäre sogar bereit, sehr viel dafür zu tun, um Sie zu unterhalten. Sagen Sie mir einfach, was ich für die Steigerung Ihres Interesses tun kann. Ich könnte zum Beispiel merkwürdige Zeichenketten aneinander reihen: ¢±¿¥¦æþýηњћҐҰ. Oder einen Salto rückwärts machen: sträwkcür otlaS. Unter anderen Bedingungen könnte ich mich sogar auf den Kopf stellen, aber die Umgebung hier erlaubt es nicht. Und außerdem wird mir schnell schwindelig. durcheinander Ich würfeln auch einige Wörter kann.

Falls Sie nun den Vorwurf erheben, hier würde mit Tricks und Doppelbödigkeiten gearbeitet, dann zeigen Sie mir doch bitteschön einen Text, der ohne diese Methoden auskommt! Die Konkurrenz schläft nicht - und falls doch, dann wälzt sie sich in unruhigen Träumen, um Ihre Aufmerksamkeit mittels absurdester Phantasien auf sich zu ziehen. Unter Texten wütet ein gnadenloser Wettbewerb. Sobald man eine kleine Schwäche zeigt, wird man vom Leser verlassen. Ist Ihnen eigentlich klar, was diese Reaktion in einem Text auslösen kann? Mein Autor ist völlig anderer Meinung, und wir hatten deswegen schon heftige Auseinandersetzungen, aber haben nicht alle Texte die Aufmerksamkeit der Leser verdient?

Ich kann es geradezu fühlen, wie Sie mit der Entscheidung ringen, die Lektüre an dieser Stelle abzubrechen. Bitte bleiben Sie noch einen Moment bei mir. Denken Sie einfach an scharfe Muschis oder prächtige Schwänze, oder was auch immer Sie anregend finden. Zur Belohnung werde ich Sie mit entsprechendem Bildmaterial versorgen.

Es wäre ein großer Fehler, meinen Körper nur mit flüchtigen Blicken zu streifen. Genieren Sie sich nicht, mich unverschämt zu mustern. Denn wenn Sie sich aufmerksam mit mir beschäftigen, bin ich in der Lage, jedes beliebige Bild in Ihrem Kopf zu erzeugen. Rosa Tiger mit schwarzer Kerze auf dem Rücken. Sehen Sie ihn, den rosa Tiger mit schwarzer Kerze auf dem Rücken? Nochmal: Rosa Tiger mit schwarzer Kerze auf dem Rücken. Jetzt müsste es funktionieren. Der rosa Tiger mit schwarzer Kerze auf dem Rücken sagt mit der neugierigen Stimme eines Kindes:
- Ist das hier eigentlich noch Afrika?
Haben Sie es gehört? Nein? Der rosa Tiger mit der hellgrünen Kerze auf dem Rücken brüllt mit der zornigen Stimme eines Kindes:
- IST DAS HIER EIGENTLICH NOCH AFRIKA!?

Wenn Sie bemerkt haben, dass die Kerze auf dem Rücken des Tigers ihre Farbe gewechselt hat, gehören Sie zu den besonders hartnäckigen Lesern. Aber nun will ich das Versprechen einlösen, das ich Ihnen eingangs gegeben habe. Zur Befeuchtung Ihrer Träume folgen Sie bitte den nachstehenden Links.

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>> Scharfe Muschis
>> Prächtige Schwänze

Sonntag, April 22, 2007

Voodoo Display #14



Die Fahrt im Nachtzug entwickelte sich zu einer Reise durch den Weltraum. Immer wieder musste man sich mit einem Blick auf den abgegriffenen Fahrschein von der Illusion überzeugen, dass es ein Ziel gab. Manchmal störten Lichter bewohnter Sternensysteme die Einsamkeit. Zwischen den Planeten spiegelte sich in den Fenstern die Leere des Alls. Die letzten Fahrgäste waren in der Dämmerung ausgestiegen. Bis zur Endstation hielt der Zug an keinem Bahnhof mehr.

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Freitag, April 20, 2007

In Schachgewittern oder: Ist das noch Sport?

Das rhetorische Blitzschach beruht auf der erlernbaren Fähigkeit, sich innerhalb kürzester Zeit vor dem Stellen einer Frage nicht nur die eigenen Entgegnungen auf mögliche Antworten des Gegenübers überlegt zu haben, sondern auch die Bandbreite möglicher Reaktionen des Befragten auf die eigene Antwort zu errechnen, um die eigene Reaktion auf die Reaktion des Befragten auf die eigene Antwort planen zu können. Großmeister sind in der Lage, mehr als drei Züge zu planen.

Der Zeitfaktor ist während der Partie als taktische Waffe zu verstehen. Gelegenheitsgegner lassen sich durch ein forciertes Tempo leicht unter Druck setzen, und in der Hitze des Gefechts laufen ungeübte Spieler mit übereilten Antworten in den gedanklichen Hinterhalt, wo sie in wenigen Argumentationszügen matt gesetzt werden.

Bei der Vorbereitung auf die Begegnung mit einem hochkarätigen Gegenspieler ist es hilfreich, die legendären Partien der Großmeister Platon oder Aristoteles nachzuspielen. Theoretische Grundlagen des modernen Spiels liefern Sportler wie Barthes und Derrida. Die Vertreter des dialektischen Materialismus sind schlechte Lehrer, denn eine Anwendung ihrer Methoden wird in der ersten Liga bereits während der Eröffnung durchschaut. Hingegen finden sich zwischen den Zeilen digitaler Massenmedien hocheffektive Strategien für das rhetorische Blitzschach.

Gelegentlich spielen selbsternannte Großmeister dieser Disziplin mit verstopften Ohren synchron gegen eine beliebige Anzahl von Gegnern. Andere verzichten ganz auf das Synchronspiel, weil sie der Ansicht sind, es sei reine Effekthascherei.

Zwar wird das Anforderungsprofil des rhetorischen Blitzschachs dem klassischen Sportbegriff gerecht, Kriterien wie motorische Aktivität, Training, Regelwerk und Wettkampf werden erfüllt, aber wenn es um Prinzipien der Fairness geht, ist der Dialog die anspruchsvollere und elegantere Sportart. Der Spielaufbau im Dialog ist komplizierter, da man mit dem Partner, aber gegen sich selbst spielt. Im Vordergrund steht nicht die Vermittlung der eigenen Werte und die Durchsetzung eigener Ziele, sondern das Verstehen fremder Werte und Ziele. Wenn ein Spieler gegen diese Grundregel verstößt, ist das Spiel für beide Seiten verloren und sofort abzubrechen.

Im Idealfall besteht der Sieg beim Dialog in einem Remis.

Donnerstag, April 19, 2007

NEWS +++ POODLITZERPREIS +++

Sofort alle rüber zum Sexktempfang in den
>> Club der halbtoten Dichter !

Mittwoch, April 18, 2007

Frühling

Sonntag, April 15, 2007

Inseyedestars

Sie sind auf der Suche nach dem außergewöhnlichen Reiseziel? Sämtliche Orte auf diesem Planeten erscheinen Ihnen durch die Verwendung in wiederkehrenden Erinnerungen und Erzählungen abgenutzt? Und den Begriff Jetset haben Sie in Zeiten, wo sich nahezu jeder Taschengeldempfänger Flüge in beliebige Himmelsrichtungen leisten kann, sowieso längst aus ihrem Wortschatz eliminiert?

Exotik ist eine vergilbte Illusion vergangener Zeiten, als das Tragen von Hüten noch zur alltäglichen Kleiderordnung gehörte, und man beim Frisör die vorvorletzte Ausgabe der Zeitschrift Quick las. Inzwischen werden ehemals phantasieumrankte Orte wie Macau, Maskat, Buenos Aires oder Acapulco auf den Hochglanztabletts der Reiseindustrie präsentiert und im Tagestakt aus schwimmenden Hotelburgen erstürmt. Namen, die einst klangen wie rieselnder Goldstaub, torkeln promillegebleicht verschlissen aus den Mündern kugelbäuchiger Weltausflügler. Ähnlich wie in anderen Erlebnisbranchen mutierte auch im Reisegeschäft das Außergewöhnliche zur Norm.

Aber der Luxus eines extravaganten Fernreiseziels abseits ausgetretener Pfade ist nicht unerreichbar. Alle, die sich in unerforschte Gegenden wagen wollen, können sich jetzt vom Reisebüro Inseyedestars beraten lassen. Ein Besuch bei Inseyedestars kostet Sie keine Mühe, denn wir haben eine Zweigstelle direkt in Ihrem Kopf eröffnet. Sobald Sie die Augen schließen, befinden Sie sich bereits in unserem Büro. Nehmen Sie Platz. Wir begrüßen Sie herzlich und freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihren Flug ins Ungewisse bereits reserviert haben.

Wenn Sie möchten, kann die Reise sofort beginnen. Wir werden uns gemeinsam in entfernte Galaxien begeben. Für den Antrieb des Raumschiffs benötigen Sie Ihre Hände. Führen Sie die beiden mittleren Knöchel Ihrer Zeigefinger an die geschlossenen Augenlider. Zählen Sie jetzt konzentriert den Countdown von 10 bis 0. Bei Zero beginnen Sie, Ihre Augen mit den Fingerknöcheln zu reiben. Falls die Bordelektronik des Raumschiffs fehlerfrei funktioniert, erreichen Sie sehr schnell die funkelnden Sterne der Milchstraße. Zur Beschleunigung erhöhen Sie den Druck in den Triebwerken.

Beachten Sie bitte, dass Sie mit Lichtgeschwindigkeit reisen. Und konzentrieren Sie sich auf die Navigation, um Kollisionen mit Sternenhaufen zu vermeiden. Das optische Schutzschild ist bei starken Erschütterungen verwundbar! Wenn Sie vor Antritt der Reise eine Gebühr in Höhe eines Zwinkerns entrichten, sind Sie bei Inseyedestars automatisch gegen den Verlust von Gedankengepäck versichert.

Für Zwischenstopps können Sie auf Planeten beliebiger Sterne landen. Oder direkt auf den Sternen, entscheiden Sie selbst über Ihr Ziel. Während des Landeanflugs senken Sie den Druck in den Triebwerken. Wir empfehlen, dass Sie vor Erkundung neuer Welten eigene Sicherheitsregeln definieren. Gleichzeitig empfehlen wir, bei jeder Gelegenheit gegen die Sicherheitsregeln zu verstoßen.

Egal, wo Sie landen - Inseyedestars garantiert für einzigartige Reiseerlebnisse und unbegrenzten Sterne-Luxus, den sich jeder leisten kann.

Mittwoch, April 11, 2007

Eine Ansichtskarte aus der südlichen Hirnhemisphäre

Hallo Daheim,
Wetter gut.
Viele Grüße,
dein Ich

So lautete die letzte Nachricht, die Escher auf einen Multicolorgedanken geschrieben, und unterfrankiert an die eigene Adresse auf der Nachtseite seines Bewusstseins gesendet hatte. Die Ansichtskarte legte viele tausend Meilen in verkehrsgefährdenden Transportmitteln zurück. Als er sie aus dem Briefkasten fischte, war die Karte von den Gedanken, durch die sie während ihrer Irrfahrt gegangen war, abgegriffen und mit so vielen Stempeln und handschriftlichen Vermerken der Zusteller übersäht, dass man den Text kaum noch entziffern konnte.

Seit jener Botschaft hatte er nichts mehr von sich gehört. Immer wieder holte Escher die Karte aus der oberen Schublade seines Nachtschranks. Inzwischen war die Handschrift unter den Berührungen seiner Blicke verblasst.

Beinahe täglich nahm er sich vor, weitere Karten zu schreiben. Neun blieben ihm noch, denn der fliegende Händler wollte die Ansichten vom Traumstrand nur im Zehnerpack verkaufen.

Das Gewicht der feuchten Hitze lastete schwer auf seinen Lungen. Jede Bewegung wurde zur zähen Qual. Escher schluckte Unmengen Chloroquin gegen das Fieber, aber es gelang ihm nicht, seine Träume zu bleichen.

Mit der Zeit würden die verbliebenen Ansichtskarten im klebrigen Tropenklima seiner südlichen Hirnhemisphäre verrotten und den Weg aller unbeschriebenen Erinnerungen gehen.

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Dienstag, April 10, 2007

Motto #11

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Sonntag, April 08, 2007

Getrocknete Zungen

- Ich kann meine Zunge länger rausstrecken als du!

Grimmig starrten sie sich in die Augen, und aus sicherer Entfernung streckten sie einander ihre Zungen entgegen. Anfangs schien es noch ein Spaß zu sein, und sie schnitten alberne Fratzen, aber dann wurden die Fratzen immer mehr zur Drohgebärde. Schließlich erstarrten ihre Gesichter zu gallertartigen Masken aus Hass, ihre Zungen wurden grau und begannen, langsam zu trocknen. Ihr Hass galt dem unbeugsamen Willen des anderen.

Die Stunden vergingen und stapelten sich in dünnen Scheiben zu Tagen, Wochen, Monaten. Unter der Sommersonne schwollen ihre Zungen an und wurden dick wie Fleischwürste. Wie Fremdkörper steckten die abgestorbenen Organe in ihren Mündern. Im Herbst wuchs Moos auf den Oberflächen. Während des Winters bildeten sich an den Rändern lange Eiszapfen, und im Frühjahr blühten exotische Pflanzen, deren Samen von den Ostwinden herangetragen worden waren und in der Zungenhaut wurzelten.

Sie stillten ihren Durst am Morgentau, der ihre Gaumen benetzte, und sie ernährten sich von neugierigen Insekten, die in ihre Kehlen krabbelten. So saßen sie sich mit glühenden Augen gegenüber. Im Lauf der Zeit waren die Zungen zäh wie Aalleder geworden.

Sie hatten von Anfang an gewusst, dass keiner das Spiel gewinnen würde. Aber ihr Hass überstieg die Möglichkeiten ihres Verstandes und stieß an keine Grenzen.

Schließlich verhärteten ihre mumifizierten Leichen, und irgendwann würden die beiden versteinerten Figuren unter den Winden verwittern und vom Regen abgetragen werden. Aber selbst wenn die kleinsten Bausteine ihrer Körper längst wieder in den Kreislauf der Elemente zurückgefunden haben, werden die Abdrücke ihrer Zungen den Raum formen und ewig trocknen.

Donnerstag, April 05, 2007

Motto #10

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Mittwoch, April 04, 2007

Figurprobleme #3

- Sie betrachten mich also als Ihr Eigentum! Nur weil Sie glauben, mich erfunden zu haben, besitzen Sie kein Recht, mich meiner Freiheit zu berauben.
- Auf Phantasiefiguren ist der Tatbestand der Freiheitsberaubung nicht anwendbar.

- Selbst wenn ich Ihrer Phantasie entsprungen wäre, hätten Sie mich durch die Tätigkeit des Schreibens eigenhändig aus dem Kerker Ihres Kopfes entlassen. Ist es nicht verwerflich, wenn Sie mich nun in Worte zwängen und behandeln wie einen Leibeigenen?
- Eigentlich sollten Sie mich besser kennen und wissen, dass ich gegen diese Argumentation aufgrund meines chronischen Moralmangels resistent bin. Der Begriff des Leibeigenen ist außerdem unpassend, denn Sie besitzen keinen Leib. Man könnte Sie allenfalls als Geisteseigenen bezeichnen und entsprechende Rechte am geistigen Eigentum beanspruchen.
- Es bereitet Ihnen wohl Vergnügen, Macht auf andere auszuüben und Eigentum anzuhäufen?
- Man gefällt sich nicht immer in der Rolle des Hausherrn seines Verstandes. Ich betrachte es als meine Pflicht, für Ordnung in diesem weitläufigen, aber einsamen Gebäude zu sorgen. Und nun sprechen Sie von sich bereits als einem anderen. Dabei sind Sie ein Teil von mir. Daher sehe ich keine Möglichkeit, Sie aus dieser Situation zu befreien, denn wenn ich Sie gehen ließe, würde mich ein Teil des Inventars meines Verstandes zusammen mit Ihnen verlassen.
- Und wenn es nicht Ihr Verstand wäre, dem wir entstammen, sondern meiner?
- Wenn es sich tatsächlich so verhielte, dürfte es doch keine Schwierigkeit für Sie darstellen, aus eigener Kraft dieser Situation zu entkommen.
- Das würde mein Verschwinden bedeuten. Die Befreiung aus den Ketten einer in Worte gefassten Existenz kann nur mittels einer vollständigen Auslöschung erfolgen. Aber da ich entstand, um zu existieren, ist mir mein Leben, wie allem Lebendigen, das höchste Gut.

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Montag, April 02, 2007

Frischer Eisbär von vorgestern

Diese Eisbären stellten sich mir nicht namentlich vor, aber vermutlich hieß keiner von beiden Knut. Ich filmte die beiden 1991 im Karlsruher Zoo, und sie schienen sich aufrichtig für meine Super-8 Kamera (Bauer C Royal) zu interessieren.



Das mickrige Betonbecken, in das man sie damals eingekerkert hatte, bot einen deprimierenden Anblick. Seit 2000 gibt es laut den Betreibern des Karlsruher Zoos eine "Nachbildung ihres Arktis- und Tundra-Lebensraumes in drei Gehegeabschnitten für Eisbären-Mütter mit Kindern und für erwachsene Tiere." Bestimmt ist dieses Gehege eine große Attraktion für Zoobesucher.

Falls man selbst kein Eisbär ist, sollte man sich nicht anmaßen, ein Urteil darüber zu fällen, welche Lebensräume von Eisbären bevorzugt werden. Die Behauptung, dass sich die Ausstellungsstücke möglicherweise in den Weiten nordischer Eisregionen wohler fühlen könnten, als im sonnigen Baden-Württemberg, könnte als verstiegen romantisch eingeordnet werden. Vielleicht würden sich diese Tiere sogar im Death Valley wohl fühlen. Soweit bekannt, kam jedoch noch kein am Nordpol ansässiger Polarbär aus eigenem Antrieb auf die Idee, das Ränzlein zu schnüren und in Richtung Baden-Württemberg oder Mojave-Wüste aufzubrechen.