Die heile Welt des Horrors
Das Leben war ein Geleeglas, und sie kam sich vor wie ein zappelndes Insekt, das an der Oberfläche der klebrigen Masse gefangen war. Ihr Gelee stammte aus dem Delikatessenregal, und wenn die Müdigkeit sie überkam, musste sie sich nur auf ein weiches Bett aus Fruchtzucker fallen lassen. Aber alle feinen Speisen verlieren bei regelmäßigem Genuss ihren Geschmack und hinterlassen irgendwann nur noch ein farbloses Gefühl auf der Zunge. Oder eine Magenverstimmung. Und auch in den Nächten aus Seide liegt man nicht immer so weich, wie man sich bettet.
Dieses Gelee ihres süßen und aussichtslosen Lebens war der Nachtisch einer Gefängniskantine für Luxusgefangene. Durch die Mauern aus Glas zeichneten sich Schemen einer Außenwelt ab. Nach unzähligen Versuchen, die verschwommene Welt jenseits der Mauern zu erreichen, ahnte sie, dass der Blick durch das Zerrglas nur Trugbilder erzeugte.
Intelligenz und Attraktivität waren ihre Transportmittel auf einem kurvenreichen Karriereweg. Irgendwann hatte sie alles erreicht, was sie nie wollte. Die Erfahrungen waren abgenutzt, alle Wege ausgetreten. Das Dasein auf dem Gelee war ein kreisförmiger Parcours ohne Hindernisse und Herausforderungen.
Nachdem sie beschlossen hatte, dass sie der Leere kein freiwilliges Ende zugunsten einer neuen Leere setzen würde, fasste sie den Plan, sich bis zum Boden des Glases durchzufressen. Bis kein Gelee mehr übrig war, an dem sie festkleben konnte. Dann würde sie sich häuten und die Adern ihrer neuen Flügel, die aus dem Chitin der Inspiration geformt waren, mit reinen Gefühlen aufpumpen. Sie würde fliegen, bis das Geleeglas unter ihr nur noch als kaum erkennbarer Punkt auf dem Küchentisch einer anderen Welt flimmerte.
Aber der Sinn taucht immer dann auf, wenn man nicht mehr mit ihm rechnet. In ihrem Fall hatte er die Gestalt eines schönen Mannes angenommen, den sie in einer Tangoschule kennen lernte. Der Mann lud sie zum Abendessen in sein Haus ein. Er verstand sich in den Künsten des Kochens und der Konversation, und es mangelte auch nicht an Kerzenschein.
Nach dem Dessert rammte sie ihm blitzschnell, unter Aufwendung der ganzen Kraft ihres zierlichen Körpers, ihre Gabel ins Auge. Es geschah für beide überraschend, mitten in einem Gespräch über den Frühling auf einer Mittelmeerinsel. Ohne ihr Tun zu verstehen, nahm sie die Gabel von seinem Teller, und rammte sie in sein anderes Auge. Er bewegte sich kaum und gab auch keinen Laut von sich, als er vom Stuhl fiel. Bewusstlos lag er auf dem Rücken, und die Griffe der Gabeln zeigten, wie die Stielaugen einer Schnecke, in zwei verschiedene Richtungen. Bevor das Leben aus ihm wich, verstaute sie die spitzen Enden der übrigen Besteckteile in den weichen Stellen seines Körpers.
Sie fand Gefallen an ihrem neuen Lebensinhalt. Aber bevor sie die nächste Tangostunde besuchte, musste sie noch den Zeugen beseitigen.
Die einzige Lichtquelle in dem nächtlichen Schreibzimmer war eine Kerze. Während er die letzten Sätze der Kurzgeschichte schrieb, spürte er den Hauch ihres Atems an seinem Ohr. Neben sich sah er einen Gegenstand aus Metall im warmen Schein der Flamme. Plötzlich bereute er, dass er sie erfunden hatte.
Wenig später legte er den Bleistift, den er ihr durchs Auge ins Hirn gerammt hatte, neben die Ginflasche. Als er den Finger in das Blut auf dem Blatt Papier vor sich tauchte und an die Lippen führte, schmeckte er das Aroma der Macht. Es war ein Geschmack wie aus dem Delikatessenregal. Aber auch dieser Geschmack beruhte nur auf einer Einbildung.
Dieses Gelee ihres süßen und aussichtslosen Lebens war der Nachtisch einer Gefängniskantine für Luxusgefangene. Durch die Mauern aus Glas zeichneten sich Schemen einer Außenwelt ab. Nach unzähligen Versuchen, die verschwommene Welt jenseits der Mauern zu erreichen, ahnte sie, dass der Blick durch das Zerrglas nur Trugbilder erzeugte.
Intelligenz und Attraktivität waren ihre Transportmittel auf einem kurvenreichen Karriereweg. Irgendwann hatte sie alles erreicht, was sie nie wollte. Die Erfahrungen waren abgenutzt, alle Wege ausgetreten. Das Dasein auf dem Gelee war ein kreisförmiger Parcours ohne Hindernisse und Herausforderungen.
Nachdem sie beschlossen hatte, dass sie der Leere kein freiwilliges Ende zugunsten einer neuen Leere setzen würde, fasste sie den Plan, sich bis zum Boden des Glases durchzufressen. Bis kein Gelee mehr übrig war, an dem sie festkleben konnte. Dann würde sie sich häuten und die Adern ihrer neuen Flügel, die aus dem Chitin der Inspiration geformt waren, mit reinen Gefühlen aufpumpen. Sie würde fliegen, bis das Geleeglas unter ihr nur noch als kaum erkennbarer Punkt auf dem Küchentisch einer anderen Welt flimmerte.
Aber der Sinn taucht immer dann auf, wenn man nicht mehr mit ihm rechnet. In ihrem Fall hatte er die Gestalt eines schönen Mannes angenommen, den sie in einer Tangoschule kennen lernte. Der Mann lud sie zum Abendessen in sein Haus ein. Er verstand sich in den Künsten des Kochens und der Konversation, und es mangelte auch nicht an Kerzenschein.
Nach dem Dessert rammte sie ihm blitzschnell, unter Aufwendung der ganzen Kraft ihres zierlichen Körpers, ihre Gabel ins Auge. Es geschah für beide überraschend, mitten in einem Gespräch über den Frühling auf einer Mittelmeerinsel. Ohne ihr Tun zu verstehen, nahm sie die Gabel von seinem Teller, und rammte sie in sein anderes Auge. Er bewegte sich kaum und gab auch keinen Laut von sich, als er vom Stuhl fiel. Bewusstlos lag er auf dem Rücken, und die Griffe der Gabeln zeigten, wie die Stielaugen einer Schnecke, in zwei verschiedene Richtungen. Bevor das Leben aus ihm wich, verstaute sie die spitzen Enden der übrigen Besteckteile in den weichen Stellen seines Körpers.
Sie fand Gefallen an ihrem neuen Lebensinhalt. Aber bevor sie die nächste Tangostunde besuchte, musste sie noch den Zeugen beseitigen.
Die einzige Lichtquelle in dem nächtlichen Schreibzimmer war eine Kerze. Während er die letzten Sätze der Kurzgeschichte schrieb, spürte er den Hauch ihres Atems an seinem Ohr. Neben sich sah er einen Gegenstand aus Metall im warmen Schein der Flamme. Plötzlich bereute er, dass er sie erfunden hatte.
Wenig später legte er den Bleistift, den er ihr durchs Auge ins Hirn gerammt hatte, neben die Ginflasche. Als er den Finger in das Blut auf dem Blatt Papier vor sich tauchte und an die Lippen führte, schmeckte er das Aroma der Macht. Es war ein Geschmack wie aus dem Delikatessenregal. Aber auch dieser Geschmack beruhte nur auf einer Einbildung.
19 Comments:
"Selbstreferenzialität" rocks shit! :)
Hatte die Tage auch eine ähnliche Idee. Bislang existiert die Kurzgeschichte - zugegeben weniger skeptakulär und interessant als deine - nur in meinem Kopf. Titel und der erste Satz haben es jedoch bereits in mein WikidPad geschafft.
Ich denke ich werde sie veröffentlichen wenn es an der Zeit ist mit dem Bloggen aufzuhören.
Bis dahin ganz exclusiv der erste Satz:
Wahrscheinlich war der Schriftsteller ein grausamer Mensch, denn im finalen Teil seiner Kurzgeschichte ließ er ausgerechnet den Haupthelden den Tod auf die schrecklichste Art erleiden.
Ich ahne, dass Sie es mit der Religion nicht so ernst nehmen, doch ich denke manchmal, es könne als Annmaßung gewertet werden von übergeordneter Stelle, es ihm gleich tun zu wollen. Ein bisschen mehr Demut bitte! Andererseits ist er ja gerade dabei, Massnahmen einzuleiten, damit hinterher niemand sagen kann, er hätte von nichts gewusst...;-)
Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Atem nehmen: so will es meine Zukunft.
Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen: und solchen Rat rät er seinen Feinden und allem, was spuckt und speit: hütet euch, gegen den den Wind zu speien! ..."
Warten Sie darauf, dass Ihnen so etwas passiert, Herr Quint? :-)
Der Tod kann so erotisch sein. Hauptsache er küsst die anderen mit seiner Zuckerschnute...
und auf jedem Fall bei Kerzenschein!
hey marc. ich schätze du hast die die scorpions 'blackout' angehört und dir das bild vom ollen helnwein in die hirnwindungen brennen lassen. nachdem der bembel leer war ist dir diese geschichte eingefallen ... geil, einfach klasse!
Herrje! MQ, Sie lesen wohl zuviel bei Joppi mit ... ;-)
@Phil: Wie meinste denn dette? Meinen Tötungsphantasien habe ich doch bisher noch nie Ausdruck verliehen. Ich muß doch sehr bitten, Phil, lassen Sie die Hände von allem, was Ihrer Wahrnehmung noch mehr zusetzen könnte :-)
/TTR: Schon Flann O´Brian hat auf humorvolle Weise beschrieben, dass man nicht immer Herr über seine Figuren ist.
/Chris: Ich nehme Religion sehr ernst, auch wenn - oder vielleicht gerade weil - ich selbst keine besitze. Vielleicht sollte er die Management-Beratungsfirma wechseln.
/Ecce homo: Diesen Irrtum wollte ich schon lange aufklären - hier handelt es sich um einen Fehler in der Übertragung aus Fritzchens winziger Handschrift, richtig muss es lauten:
Wahrlich, einen starken Wind lässt Zarathustra in allen Niederungen fahren(...)
Das erklärt auch, warum es einem den Atem verschlägt.
/Scheibster: Die Kunst des Wartens beherrsche ich nicht. Ich bin ein miserabler Wartender. Wenn mir so etwas passieren würde, hätte ich vermutlich den Rest meines Verstandes verloren. Und darauf warten höchstens andere.
/Joppi: Meine Begegnungen mit dem Tod waren bisher weder erotisch noch süß.
/MudShark: Die Runzelrocker aus Hannover würde ich nichtmal mit dem Arsch anhören. Besagtes Bild vom ollen Helnwein besitze ich sogar als signierte Orginal-Lithografie. Jetzt muss er nur noch die Gabel abgeben, damit der Wisch was wert wird.
/Phil: Ich werde nun sicher öfter bei Herrn Joppi mitlesen, um hinter seine Ansichten zum Thema Tod und Erotik zu kommen.
Schöne innere Geschichte. Also innen aus der dunklen Welt. Sowas muss auch mal raus von Zeit zu Zeit. Und nicht mal einen Bruchteil so brutal wie die Wirklichkeit.
@ttr. In den besten Geschichten sterben die Helden. Es gibt viele Stimmen die behaupten sogar, eine Geschichte ohne den Tod der Hauptfigur ist vor´n Arsch. Alles andere ist nur Hollywood!
@mark: jo weiss ich doch. hab schliesslich mal das ding für dich aus'm lehrerzimmer abgeholt ;-)
naja. nicht alle kunstwerke werden automatisch wertvoll nur weil der künstler den löffel reicht (in diesem fall vielleicht sogar die gabel).
aus gegebenem anlass habe ich heute mal auf der helnwein site gestöbert. sehr interessant.
Wird wohl wieder meine Schwester gewesen sein, die blöde Kuh. :-)
man missversteht mich... Hier in dieser Geschichte kommt der Tod mit heissem Atem und Kerzenschein, für mich erotisch. Ansonsten mag ich ihn nicht so.
/Eon: Und nicht mal einen Bruchteil so brutal wie die Wirklichkeit.
Du willst mich wohl provozieren? :)
/Mudshark: Wie konnte ich es vergessen! Man muss nicht nur abkratzen, sondern vorher auch noch bitterarm gewesen sein, damit künstlerische Erzeugnisse im Wert steigen. Meine letzte Hoffnung schmilzt dahin, dass mir diese Litho ein monströses Wohnmobil mit Motorradrampe nach meinem Rückzug aus der Erwerbstätigkeit sichert.
/Ecce Edi: Von wegen Peitsche, der Typ war ein Weichei.
/Joppi: Für mich ist es immer wieder spannend, zu erfahren, welche Assoziationen die eigenen Texte hervorrufen - oft erfahre ich von Überlegungen, die ich selbst nicht angestellt hätte.
Natürlich, da erzählst du mir nix Neues.
Aber: (da ist es wieder)
Ist es ein Zufall, daß die Vertreter der wildesten Gewaltlehren, Nietzsche, Barrès, Sorel, keine zwanzig Kniebeugen machen konnten? Es dürfte kein Zufall sein.
(Kurt schon wieder)
Fantasmagorisch. Und spontan bekomme ich Hunger auf Eis am Stielauge. :)
/Leiser Zweifler: Und der allerwüsteste Gewalt-Hausierer - gleichzeitig der mieseste Feigling - seiner Zeit, der auch den Kurt das Leben kosten sollte, steht noch nichtmal auf seiner Liste von 1931.
/Ole: Stell dir vor, du isst ein Eis und beförderst mit deiner Zunge tatsächlich ein Auge zutage ...
Der Warmduscher war noch dazu Nichtraucher!
Gib es ruhig zu, es lag dir auf der Zunge: und Vegetarier.
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