Wolfspelz
Entgegen der landläufigen Moral formuliere ich Schwüre ausschließlich, um sie bei der ersten günstigen Gelegenheit zu brechen. Zuletzt habe ich den grimmigen Schwur gebrochen, nie wieder Geld in einen bestimmten Kaffeeautomaten zu werfen. Ich bin davon überzeugt, dass sich in seinen Schaltkreisen aufgrund eines Produktionsunfalls irgendeine Bewusstseinsform verselbständigt hat, und der Automat sich im Delirium oxidierter Intelligenz nun ständig neuen Terror einfallen lässt, um den Adrenalin speienden Drachen meiner Koffeinsucht zu reizen.
Dabei hatte ich mich weniger daran gestört, dass der gierige Einwurfschlitz meine Münzen ohne Gegenleistung verschlang, dass die Milch in der Rotzkiste regelmäßig sauer war, oder dass die aus den grollenden Tiefen der Maschine geförderte Menge Cappuccino zuweilen einem halben Zentiliter entsprach - was ich als deutlich schmerzhafteren Schlag ins Gesicht empfand, als null Zentiliter Cappuccino. Die Gemeinheiten des Automaten sind in der Summe ärgerlich, aber der eigentliche Anlass für meine, an das Tourette-Syndrom grenzenden Wutausbrüche war, dass mich jede einzelne Situation an die Fernsehserie Kottan ermittelt erinnert hat, und ich mir vorkam wie eine Persiflage auf eine Persiflage. Ich finde Persiflagen per se unerträglich, und eine Meta-Persiflage, in der man selbst die unfreiwillige Hauptrolle spielt, wäre in bestimmten Momenten ein hinlänglicher Grund, unter Verwendung nuklearer Waffen den Dritten Weltkrieg auszulösen. Von mir aus mit dem Ergebnis einer vollständigen Zerstörung der Erdoberfläche einschließlich sämtlicher Kaffeeautomaten. In solchen Augenblicken der Unzurechenbarkeit dürften sich die Joysticks des Pentagons oder des Kremls jedenfalls nicht in meiner Nähe befinden. Und alles aufgrund eines epigonalen Drehbuchs, das von einem bösartigen Kaffeeautomaten zusammengekritzelt wurde.
Sämtlichen Zeichen der Apokalypse zum Trotz zieht mich der vom Satan besessene Kaffeeautomat an wie ein Magnet der Hölle, und immer, wenn ich scheinbar zufällig in seiner Nähe bin, durchsuche ich meine Taschen mit zitternden Händen nach Kleingeld. Anschließend erneuere ich meinen Schwur bei allem, was mir unheilig ist, und formuliere ihn jedes Mal noch grimmiger.
Endlich besitzt mein einsamer Stammleser schwarz auf weiß, was bislang nur zu vermuten war: Der Betreiber des vorliegenden Weblog hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich muss es sogar betonen: Mir fallen regelmäßig die Tassen aus der Hand und zerbrechen beim Aufschlag auf dem zementierten Boden der Realität. Und damit meine ich nicht nur die Kaffeetassen. Zwar regt sich nach jeder Katastrophe für einen Moment der emotionalen Zurechenbarkeit das Gewissen, aber ich besitze kein Geschick im Sortieren und Kleben von zerbrochenem Porzellan. Das mag bedauerlich klingen, aber irgendwann lernt man, mit den unterschiedlichen Ausprägungen von Talentfreiheit zu leben. Erwerben kann ich jene Fähigkeit zur kunsthandwerklichen Restaurierung jedenfalls ebenso wenig, wie ich es jemals lernen werde, einen Koffer ordentlich zu packen.
Und wo mir gerade die Tassen aus dem Schrank fallen und zusammen mit vergilbten Schwüren zerbrechen, werfe ich gleich noch einen Schwur hinterher - damit es sich rentiert, den Müll rauszubringen. (Der Entsorgungspark www kennt zwar keine Kapazitätsgrenzen, aber der Weg in den Hinterhof ist manchmal beschwerlich.) Beim Aufstellen meiner Mülltonne hatte ich mir geschworen, mich niemals an den Überlegungen zum Sinn eines Weblog zu beteiligen. Heute gilt es, diesen Schwur möglichst ketzerisch seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen, und ihn in einen überzeugenden Meineid zu transformieren.
Schon bei der Begriffsdefinition stauche ich mir das Hirn an der ersten Hürde. Ein Weblog sei ein Onlinetagebuch (Duden). Ich habe den Sinn von Tagebüchern schon bei der Lektüre von Max Frisch nicht kapiert, der einen Teil seiner Tagebücher gezielt für das Publikum geschrieben hat. Noch weniger verstehe ich Publikationen jener Gattung, in denen penibel Einkaufszettel und ähnlicher Quatsch dokumentiert werden. Zum Beispiel Thomas Mann schubst mich mit Schilderungen seiner Alltäglichkeiten vom Pfad der Aufmerksamkeit. Historiker mögen dies gerne unter anderen Gesichtspunkten beurteilen, aber in meinen Augen kommt in solchen Texten entweder die Eitelkeit, oder die Einfallslosigkeit der Autoren zum Ausdruck. Ich habe noch nie ein Tagebuch geführt, denn die merk-würdigen Ereignisse meines Daseins merke ich mir. Dabei muss Merk-würdiges nicht bemerkenswert sein. Und was ich vergesse, hätte eine Niederschrift erst recht nicht verdient.
Manchmal klettere ich über die Zäune fremder Baustellen im Entsorgungspark www, um mir Rohstoffe zu besorgen, die von dortigen Architekten und Ingenieuren großzügig angeboten werden. Gedankliches Baumaterial besitzt wunderbare Eigenschaften, denn es gehört zu den Stoffen, die bei Weitergabe nicht den Besitzer wechseln, sondern sich verdoppeln. So ähnlich sah das jedenfalls Herr Brecht, der beim Verdopplungsprozess von Werkstoffen großzügige Unterstützung seitens des weiblichen Hilfspersonals gefunden haben soll.
Den größten Teil meines Rohmaterials besorge ich im Baustoffhandel Tagespresse, denn die Welt steht in den Zeitungen, wie man von Thomas Bernhard lernen kann. Aus den unterschiedlichen Rohstoffen entstehen durch die chemische Reaktion mit vorhandenen Erfahrungen jene Erzeugnisse, die ich teilweise hinter meinem Bauzaun ablade und zur Verfügung stelle. Vor allem aber stelle ich die Erzeugnisse zur Diskussion, und das ist mein zentraler Grund für den Betrieb von frischerfischvonvorgestern.de. Es geht mir um den Dialog, und allein auf diesem Punkt beruht der unvergleichbare Vorteil von Weblogs gegenüber anderen Medien. Auf keiner anderen Publikationsplattform ist ein ähnlich schneller Dialog - oder Multilog - zwischen Schreibern und Lesern möglich. Man wächst nicht nur am eigenen Geist, und über die Kommentare habe ich schon viele Hinweise und Einflüsse erhalten, die meine Texte prägen.
Ich bin kein Kuscheltier, sondern mit einem dicken Wolfspelz ausgestattet, der mich vor Bissen schützt. Raufereien habe ich immer gut ausgehalten, wobei es mir nie um das Ausfechten einer Rangordnung ging. Falls ich mich zuweilen in einem rauen Ton äußere, bitte ich zu berücksichtigen, dass in diesem Wolfspelz kein Lamm festgewachsen ist. Und da ich das Heulen mit den anderen Wölfen nie gelernt habe, verhalte ich mich nicht immer artgerecht. Manchmal will ich lieber die ganze Tierwelt gegen mich wissen, als in den Sog der Eitelkeit zu geraten und meine Haltung für irgendeinen einzelnen Wolf zu verbiegen.
Sollten Sie sich gelegentlich auf der Müllkippe hinter dem Bauzaun meines Reviers herumtreiben, setzen Sie eine entsprechende Duftmarke, falls die zur Verfügung gestellte Beute meiner Gedankenjagd nicht schmackhaft ist! Testen Sie meine Nehmerqualitäten! Und das ist keine Drohung.
Dabei hatte ich mich weniger daran gestört, dass der gierige Einwurfschlitz meine Münzen ohne Gegenleistung verschlang, dass die Milch in der Rotzkiste regelmäßig sauer war, oder dass die aus den grollenden Tiefen der Maschine geförderte Menge Cappuccino zuweilen einem halben Zentiliter entsprach - was ich als deutlich schmerzhafteren Schlag ins Gesicht empfand, als null Zentiliter Cappuccino. Die Gemeinheiten des Automaten sind in der Summe ärgerlich, aber der eigentliche Anlass für meine, an das Tourette-Syndrom grenzenden Wutausbrüche war, dass mich jede einzelne Situation an die Fernsehserie Kottan ermittelt erinnert hat, und ich mir vorkam wie eine Persiflage auf eine Persiflage. Ich finde Persiflagen per se unerträglich, und eine Meta-Persiflage, in der man selbst die unfreiwillige Hauptrolle spielt, wäre in bestimmten Momenten ein hinlänglicher Grund, unter Verwendung nuklearer Waffen den Dritten Weltkrieg auszulösen. Von mir aus mit dem Ergebnis einer vollständigen Zerstörung der Erdoberfläche einschließlich sämtlicher Kaffeeautomaten. In solchen Augenblicken der Unzurechenbarkeit dürften sich die Joysticks des Pentagons oder des Kremls jedenfalls nicht in meiner Nähe befinden. Und alles aufgrund eines epigonalen Drehbuchs, das von einem bösartigen Kaffeeautomaten zusammengekritzelt wurde.
Sämtlichen Zeichen der Apokalypse zum Trotz zieht mich der vom Satan besessene Kaffeeautomat an wie ein Magnet der Hölle, und immer, wenn ich scheinbar zufällig in seiner Nähe bin, durchsuche ich meine Taschen mit zitternden Händen nach Kleingeld. Anschließend erneuere ich meinen Schwur bei allem, was mir unheilig ist, und formuliere ihn jedes Mal noch grimmiger.
Endlich besitzt mein einsamer Stammleser schwarz auf weiß, was bislang nur zu vermuten war: Der Betreiber des vorliegenden Weblog hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich muss es sogar betonen: Mir fallen regelmäßig die Tassen aus der Hand und zerbrechen beim Aufschlag auf dem zementierten Boden der Realität. Und damit meine ich nicht nur die Kaffeetassen. Zwar regt sich nach jeder Katastrophe für einen Moment der emotionalen Zurechenbarkeit das Gewissen, aber ich besitze kein Geschick im Sortieren und Kleben von zerbrochenem Porzellan. Das mag bedauerlich klingen, aber irgendwann lernt man, mit den unterschiedlichen Ausprägungen von Talentfreiheit zu leben. Erwerben kann ich jene Fähigkeit zur kunsthandwerklichen Restaurierung jedenfalls ebenso wenig, wie ich es jemals lernen werde, einen Koffer ordentlich zu packen.
Und wo mir gerade die Tassen aus dem Schrank fallen und zusammen mit vergilbten Schwüren zerbrechen, werfe ich gleich noch einen Schwur hinterher - damit es sich rentiert, den Müll rauszubringen. (Der Entsorgungspark www kennt zwar keine Kapazitätsgrenzen, aber der Weg in den Hinterhof ist manchmal beschwerlich.) Beim Aufstellen meiner Mülltonne hatte ich mir geschworen, mich niemals an den Überlegungen zum Sinn eines Weblog zu beteiligen. Heute gilt es, diesen Schwur möglichst ketzerisch seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen, und ihn in einen überzeugenden Meineid zu transformieren.
Schon bei der Begriffsdefinition stauche ich mir das Hirn an der ersten Hürde. Ein Weblog sei ein Onlinetagebuch (Duden). Ich habe den Sinn von Tagebüchern schon bei der Lektüre von Max Frisch nicht kapiert, der einen Teil seiner Tagebücher gezielt für das Publikum geschrieben hat. Noch weniger verstehe ich Publikationen jener Gattung, in denen penibel Einkaufszettel und ähnlicher Quatsch dokumentiert werden. Zum Beispiel Thomas Mann schubst mich mit Schilderungen seiner Alltäglichkeiten vom Pfad der Aufmerksamkeit. Historiker mögen dies gerne unter anderen Gesichtspunkten beurteilen, aber in meinen Augen kommt in solchen Texten entweder die Eitelkeit, oder die Einfallslosigkeit der Autoren zum Ausdruck. Ich habe noch nie ein Tagebuch geführt, denn die merk-würdigen Ereignisse meines Daseins merke ich mir. Dabei muss Merk-würdiges nicht bemerkenswert sein. Und was ich vergesse, hätte eine Niederschrift erst recht nicht verdient.
Manchmal klettere ich über die Zäune fremder Baustellen im Entsorgungspark www, um mir Rohstoffe zu besorgen, die von dortigen Architekten und Ingenieuren großzügig angeboten werden. Gedankliches Baumaterial besitzt wunderbare Eigenschaften, denn es gehört zu den Stoffen, die bei Weitergabe nicht den Besitzer wechseln, sondern sich verdoppeln. So ähnlich sah das jedenfalls Herr Brecht, der beim Verdopplungsprozess von Werkstoffen großzügige Unterstützung seitens des weiblichen Hilfspersonals gefunden haben soll.
Den größten Teil meines Rohmaterials besorge ich im Baustoffhandel Tagespresse, denn die Welt steht in den Zeitungen, wie man von Thomas Bernhard lernen kann. Aus den unterschiedlichen Rohstoffen entstehen durch die chemische Reaktion mit vorhandenen Erfahrungen jene Erzeugnisse, die ich teilweise hinter meinem Bauzaun ablade und zur Verfügung stelle. Vor allem aber stelle ich die Erzeugnisse zur Diskussion, und das ist mein zentraler Grund für den Betrieb von frischerfischvonvorgestern.de. Es geht mir um den Dialog, und allein auf diesem Punkt beruht der unvergleichbare Vorteil von Weblogs gegenüber anderen Medien. Auf keiner anderen Publikationsplattform ist ein ähnlich schneller Dialog - oder Multilog - zwischen Schreibern und Lesern möglich. Man wächst nicht nur am eigenen Geist, und über die Kommentare habe ich schon viele Hinweise und Einflüsse erhalten, die meine Texte prägen.
Ich bin kein Kuscheltier, sondern mit einem dicken Wolfspelz ausgestattet, der mich vor Bissen schützt. Raufereien habe ich immer gut ausgehalten, wobei es mir nie um das Ausfechten einer Rangordnung ging. Falls ich mich zuweilen in einem rauen Ton äußere, bitte ich zu berücksichtigen, dass in diesem Wolfspelz kein Lamm festgewachsen ist. Und da ich das Heulen mit den anderen Wölfen nie gelernt habe, verhalte ich mich nicht immer artgerecht. Manchmal will ich lieber die ganze Tierwelt gegen mich wissen, als in den Sog der Eitelkeit zu geraten und meine Haltung für irgendeinen einzelnen Wolf zu verbiegen.
Sollten Sie sich gelegentlich auf der Müllkippe hinter dem Bauzaun meines Reviers herumtreiben, setzen Sie eine entsprechende Duftmarke, falls die zur Verfügung gestellte Beute meiner Gedankenjagd nicht schmackhaft ist! Testen Sie meine Nehmerqualitäten! Und das ist keine Drohung.