Zahlen, bitte
Die Kristallgläser standen zur Hälfte geleert zwischen ihnen. Sie trugen graue Anzüge und Hemden mit Manschettenknöpfen. Seine obere Gesichtshälfte war hinter den Gläsern einer Sonnenbrille verborgen. Der Anblick seines Gegenübers wirkte bedrohlich. Erst auf den zweiten Blick erkannte man den Grund dafür. Ein wesentliches Merkmal fehlte. Die Person besaß keine Nase. Aber sie glich nicht den Bildern von verstümmelten Kriegsopfern, auf dem Gesicht dieser Frau waren keine Spuren von Gewalteinwirkung oder Narben zu sehen. Ihr Anblick war makellos, es musste andere Gründe für das Fehlen der Nase geben.
- Zahlen, bitte.
Der Kellner ließ sich im Vorbeigehen zu einem Nicken herab. Kurz darauf lag die Rechnung zwischen den Deckeln eines schwarzen Lederumschlags auf der Tischkante. Die Frau und ihr Begleiter griffen gleichzeitig danach.
- Ich übernehme das.
- Sie haben letztes Mal gezahlt.
- Aber das spielt doch keine Rolle, Sie sind mein Gast.
- Das kommt nicht in Frage, diesmal bezahle ich. Darauf bestehe ich.
Beide hielten den Umschlag fest. Im gedämpften Licht beobachtete ein Gast am Nachbartisch, wie sich die Haut unter ihren Daumennägeln durch den Druck dunkelrot färbte. Die Begleiterin jenes Gasts trug ein fleischfarbenes Kleid.
- Es tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen, beharrte die Frau. Das Fehlen der Nase verlieh ihrer Stimme einen tonlosen Klang. Atmete sie ausschließlich durch den Mund? Einige Gäste an weiter entfernten Tischen drehten sich um.
- Wie gesagt, die Rechnung geht auf mich, keine Widerrede.
- Auf keinen Fall werden Sie bezahlen. Nun lassen Sie endlich los!
- Sie haben mich nicht verstanden. Ich werde die Rechnung begleichen. So einfach ist das.
- So einfach wollen Sie es sich machen, aber so einfach mache ich es Ihnen nicht.
- Was wollen Sie damit sagen? Wer macht es sich hier einfach? Noch nie habe ich mir irgendetwas einfach gemacht. Schon gar nicht mit Ihnen! Sie machen immer alles nur komplizierter.
- Es liegt mir fern, Ihnen zu nahe zu treten, aber diese Diskussion um eine banale Rechnung drückt ihre Begriffsstutzigkeit aus, die unser Gespräch durch den gesamten Abend begleitet hat.
- Eine anspruchsvollere Form der Beleidigung war von Ihnen nicht zu erwarten.
Die Frau ohne Nase zog mit ihrer freien Hand eine Heckler & Koch hervor und richtete die Pistole auf die Brust des Mannes.
- Ich sage es ein letztes Mal. Lass die Rechnung los.
- Schieß doch.
Nachdem ein Knall den Raum vereist hatte, schaute der Mann die Frau ungläubig an. Dann fasste er sich in das Loch unter dem Herz. Beim Anblick der roten Flüssigkeit an seinen Fingern verdrehte er die Augen, ließ die Rechnung los und fiel in unendlicher Langsamkeit auf den Teppich. Durch den sanften Aufprall rutschte die Sonnenbrille von seiner Nase, und die Dame im fleischfarbenen Kleid stieß einen Schrei in die Stille. Der Tote hatte keine Augen. Die obere Hälfte seines Gesichts war vollständig von einer glatten Haut überzogen.
Die Nasenlose legte einige Scheine zwischen den ledernen Umschlag.
- Stimmt so, danke,
flüsterte sie heiser in Richtung des Kellners.
Sie verschwand ungehindert durch die Eingangstür ins Neonlicht der Straße.
Wenige Tage später saßen sie am selben Tisch im selben Restaurant. Sie tranken denselben Rotwein. Und sie wurden von einem stummen Kellner bedient.
- Zahlen, bitte.
Der Kellner ließ sich im Vorbeigehen zu einem Nicken herab. Kurz darauf lag die Rechnung zwischen den Deckeln eines schwarzen Lederumschlags auf der Tischkante. Die Frau und ihr Begleiter griffen gleichzeitig danach.
- Ich übernehme das.
- Sie haben letztes Mal gezahlt.
- Aber das spielt doch keine Rolle, Sie sind mein Gast.
- Das kommt nicht in Frage, diesmal bezahle ich. Darauf bestehe ich.
Beide hielten den Umschlag fest. Im gedämpften Licht beobachtete ein Gast am Nachbartisch, wie sich die Haut unter ihren Daumennägeln durch den Druck dunkelrot färbte. Die Begleiterin jenes Gasts trug ein fleischfarbenes Kleid.
- Es tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen, beharrte die Frau. Das Fehlen der Nase verlieh ihrer Stimme einen tonlosen Klang. Atmete sie ausschließlich durch den Mund? Einige Gäste an weiter entfernten Tischen drehten sich um.
- Wie gesagt, die Rechnung geht auf mich, keine Widerrede.
- Auf keinen Fall werden Sie bezahlen. Nun lassen Sie endlich los!
- Sie haben mich nicht verstanden. Ich werde die Rechnung begleichen. So einfach ist das.
- So einfach wollen Sie es sich machen, aber so einfach mache ich es Ihnen nicht.
- Was wollen Sie damit sagen? Wer macht es sich hier einfach? Noch nie habe ich mir irgendetwas einfach gemacht. Schon gar nicht mit Ihnen! Sie machen immer alles nur komplizierter.
- Es liegt mir fern, Ihnen zu nahe zu treten, aber diese Diskussion um eine banale Rechnung drückt ihre Begriffsstutzigkeit aus, die unser Gespräch durch den gesamten Abend begleitet hat.
- Eine anspruchsvollere Form der Beleidigung war von Ihnen nicht zu erwarten.
Die Frau ohne Nase zog mit ihrer freien Hand eine Heckler & Koch hervor und richtete die Pistole auf die Brust des Mannes.
- Ich sage es ein letztes Mal. Lass die Rechnung los.
- Schieß doch.
Nachdem ein Knall den Raum vereist hatte, schaute der Mann die Frau ungläubig an. Dann fasste er sich in das Loch unter dem Herz. Beim Anblick der roten Flüssigkeit an seinen Fingern verdrehte er die Augen, ließ die Rechnung los und fiel in unendlicher Langsamkeit auf den Teppich. Durch den sanften Aufprall rutschte die Sonnenbrille von seiner Nase, und die Dame im fleischfarbenen Kleid stieß einen Schrei in die Stille. Der Tote hatte keine Augen. Die obere Hälfte seines Gesichts war vollständig von einer glatten Haut überzogen.
Die Nasenlose legte einige Scheine zwischen den ledernen Umschlag.
- Stimmt so, danke,
flüsterte sie heiser in Richtung des Kellners.
Sie verschwand ungehindert durch die Eingangstür ins Neonlicht der Straße.
Wenige Tage später saßen sie am selben Tisch im selben Restaurant. Sie tranken denselben Rotwein. Und sie wurden von einem stummen Kellner bedient.
10 Comments:
geil, das ist édika in textform.
yarglahaaaaaa!
herr ober, ich hätte gern ein.
wortbestätigung: pendact
da stimmt doch was nicht.
Eiskalte Dramaturgie!
Der Bann wird gebrochen sein, wenn ihre Speisen aufgrund irgendeines Jubiläums erstmals auf Kosten des Hauses gehen werden. Nur - was wird der Ober ohne Mund dazu sagen?
Wortbestätigung:
*banness* [oh?!!]
Ich bin verwirrt.
Ich glaube das ist gut.
Das ist Erkenntnistheorie pur! Wenn man sich so umsieht, fehlt jedem irgendwas und es klappt trotzdem - mir zum Beispiel der Verstand mit dem ich das verstanden habe... und Sie?! Welches Nichts ist Ihr Geheimnis?
Der BEOBACHTER, ein allgegenwärtiges Bewusstsein, das zwar vielleicht Augen und Ohren und ein Hirn hat, aber irgendwie körperlos sein muss (eben weil es allgegenwärtig ist), ist zwar auf den ersten Blick besser dran als die Dame ohne Nase und der Herr ohne Augen oder der Kellner ohne Mund, aber er ist trotzdem ein Gefangener, weil er nicht weggehen kann. Das endlos sich wiederholende Karussell der immer gleichen Geschichten beobachten zu müssen, ohne die Möglichkeit zu haben, dem allen entkommen zu können, muss mit der Zeit furchtbar ermüdend sein, so dass man Gott, sollte es ihn denn geben, wohl nur bedauern könnte.
Jason Dark schreibt "Szenen einer Ehe" Teil 278? (obwohl kann ja nicht sein, der grüne Glibber fehlt)
Interessante Geschlechter- und Gesellschaftsparabel.
Wenn auch irgendwie deprimierend.
Ort der Handlung: Escher's Diner ?
nestypo
/MudShark: Grrblllllrghyaaahhh! Édika, Gotlib. Wären mir solche Bezüge früher aufgefallen, hätte der Leser mit deutlich mehr Perversionen rechnen müssblblblblgrrIiiiiiiiiieedürfen.
/mkh: Würde man es an seiner Stelle wagen, die Botschaft zu vermitteln? Oder würde man fristlos kündigen? Egal - Champagner für alle!
/Amitiel: Das hängt vom Grad Ihrer Verwirrung ab.
/DanielSubreal: Nach manchen Nächten fehlt mir die Erinnerung. Aber das ist kein Fehler und hat auch weniger mit Erkenntnistheorie zu tun, sondern vielmehr mit einer pragmatischen Erkenntnisumgehung.
/Christian 55: Allwissenheit wäre als gruseligste Form der Langeweile eine Tragödie, aber ein allmächtiges Bewusstsein sollte in der Lage sein, sich dieser Eigenschaft beliebig zu berauben.
/c.s.: Man sollte Édika ermuntern, sich mit Mr. Sinclair zu befassen, da gäbe es bestimmt auch Chancen für grünen Glibber.
/Frau H.: Hinreichend deprimierend wird es erst, wenn plötzlich jeder Gast eine Lokalrunde ausgeben will.
/100 Goldfischli: Zumindest saß er (beinahe) unerkannt im Séparée.
/mq:
Es tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen!!
Kommentar veröffentlichen
<< Home