PS-Philosophie
Mein erster Motorradunfall war die Folge juveniler Blödheit. Aus Gründen, die unter logischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar sind, testete ich während einer Party mit unangemessener Geschwindigkeit jene Schotterpiste, die am Zeltplatz vorbeiführte. Das lautstark bekundete Vergnügen der Zuschauer war Sand im Getriebe meiner Vernunft, und den hochsommerlichen Durstkobold hatte ich mit Büchsenbier besänftigt.
Nach dem Sturz verstummte der Applaus, denn ein wesentlicher Teil meiner Blödheit bestand darin, dass ich während der Vorführung nur mit einer Badehose bekleidet war. Wundersamer Weise hatte ich mich bis auf Schürfwunden nicht verletzt, aber die Testfahrt konnte wegen umfangreicher Schäden am Motorrad nicht fortgesetzt werden. Begleitet von respektvollen Kommentaren der Zaungäste wurden die Überreste des Krads begutachtet. Man reichte mir Erfrischungsgetränke, und noch bevor der abendliche Mofaweitwurfwettbewerb startete, hatte ich den Unfall überwunden. Das Glück ist auf der Seite der Besoffenen und der Blöden.
Mein zweiter Motorradunfall war die Folge der senilen Blödheit eines Autofahrers, der mir innerhalb einer Ortschaft die Vorfahrt nahm und mit seinem Opel Admiral das Heck des Zweirads rammte. Ich stürzte auf den Asphalt, bevor die Maschine noch einige Meter über die Straße schlitterte und anschließend gegen eine Mauer prallte. Diesmal trug ich Lederkleidung über der Badehose, hatte mich ans Tempolimit gehalten und war stocknüchtern.
Wieder blieb ich bis auf Prellungen unverletzt. Benommen stand ich auf, zählte meine Körperteile, schleuderte in jugendlichem Jähzorn den Helm gegen die Mauer und wollte mir den Fahrer des Opel Admiral vorknöpfen. Hinter dem Steuer saß ein kreidebleicher Mann von etwa achtzig Jahren, der sich ängstlich am Lenkrad festkrallte. Seine Hände steckten in weißen Lederhandschuhen.
Noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, stammelte er, ich möge von einer Anzeige absehen, er würde mir den entstandenen Schaden ersetzen. Autofahren sei sein letztes Vergnügen - wenn ich die Polizei riefe, nähme man ihm seinen Führerschein ab, und dann könne er nie wieder einen Wagen steuern. Er beteuere seine Schuld, aber er sei auf das Auto angewiesen. Obwohl ich mich fühlte wie von einem Würfelbecher ausgespuckt, tat mir der alte Mann leid. Ich notierte seine Adresse.
Einige Tage später suchte ich den Alten in seinem Dorf auf und hielt ihm die Rechnung unter die Nase. Sofort händigte er mir den Betrag für die Reparaturkosten aus und überreichte zusätzlich 500 D-Mark Schmerzensgeld, ohne dass ich danach gefragt hätte. Zu jener Zeit leistete ich Zivildienst beim Roten Kreuz, und 500 D-Mark erschienen mir als kleines Vermögen.
Etwa ein halbes Jahr später bekamen wir den Auftrag für den Transport eines Krebspatienten vom Kreiskrankenhaus meines Einsatzortes in die Abteilung Innere Medizin der Würzburger Universitätsklinik. Ein Routineeinsatz. Mein Kollege setzte sich ans Steuer des Krankenwagens, und ich betreute den Patienten im hinteren Teil des Fahrzeugs. Nachdem ich einige freundliche Worte mit dem alten Mann gewechselt hatte, meinte er mit zitteriger Stimme, ich käme ihm bekannt vor - ob ich nicht vor einigen Monaten in einen Unfall mit einem Opel Admiral verwickelt gewesen sei.
Bei dem Patienten handelte es sich um den Autofahrer mit den weißen Lederhandschuhen. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, die Krankheit hatte ihn sehr verändert. Sein eingefallenes Gesicht war mit einer gelblichen, fast durchsichtigen Haut bespannt, und sein Körper schien keine Masse mehr zu besitzen.
Als ich mich einige Tage später nach ihm erkundigte, hieß es, er sei verstorben.
P.S. Im Rückblick bin ich mir nicht sicher, ob ich damals richtig gehandelt habe, als ich auf eine Anzeige verzichtete und dem alten Mann den Entzug seines Führerscheins ersparte. Immerhin hatte er an einer übersichtlichen Kreuzung ein Stoppschild übersehen und stellte hinter dem Steuer seines Opel Admiral weiterhin eine Bedrohung dar. Träfe mich ein Teil der Schuld, wenn er nach unserem Zusammenstoß ein Kind überfahren hätte? Das Schicksal kümmert sich nicht um Alternativen aus einer unendlichen Anzahl von möglichen Variationen der Ereignisse, aber wo endet die Verantwortung?
Nach dem Sturz verstummte der Applaus, denn ein wesentlicher Teil meiner Blödheit bestand darin, dass ich während der Vorführung nur mit einer Badehose bekleidet war. Wundersamer Weise hatte ich mich bis auf Schürfwunden nicht verletzt, aber die Testfahrt konnte wegen umfangreicher Schäden am Motorrad nicht fortgesetzt werden. Begleitet von respektvollen Kommentaren der Zaungäste wurden die Überreste des Krads begutachtet. Man reichte mir Erfrischungsgetränke, und noch bevor der abendliche Mofaweitwurfwettbewerb startete, hatte ich den Unfall überwunden. Das Glück ist auf der Seite der Besoffenen und der Blöden.
Mein zweiter Motorradunfall war die Folge der senilen Blödheit eines Autofahrers, der mir innerhalb einer Ortschaft die Vorfahrt nahm und mit seinem Opel Admiral das Heck des Zweirads rammte. Ich stürzte auf den Asphalt, bevor die Maschine noch einige Meter über die Straße schlitterte und anschließend gegen eine Mauer prallte. Diesmal trug ich Lederkleidung über der Badehose, hatte mich ans Tempolimit gehalten und war stocknüchtern.
Wieder blieb ich bis auf Prellungen unverletzt. Benommen stand ich auf, zählte meine Körperteile, schleuderte in jugendlichem Jähzorn den Helm gegen die Mauer und wollte mir den Fahrer des Opel Admiral vorknöpfen. Hinter dem Steuer saß ein kreidebleicher Mann von etwa achtzig Jahren, der sich ängstlich am Lenkrad festkrallte. Seine Hände steckten in weißen Lederhandschuhen.
Noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, stammelte er, ich möge von einer Anzeige absehen, er würde mir den entstandenen Schaden ersetzen. Autofahren sei sein letztes Vergnügen - wenn ich die Polizei riefe, nähme man ihm seinen Führerschein ab, und dann könne er nie wieder einen Wagen steuern. Er beteuere seine Schuld, aber er sei auf das Auto angewiesen. Obwohl ich mich fühlte wie von einem Würfelbecher ausgespuckt, tat mir der alte Mann leid. Ich notierte seine Adresse.
Einige Tage später suchte ich den Alten in seinem Dorf auf und hielt ihm die Rechnung unter die Nase. Sofort händigte er mir den Betrag für die Reparaturkosten aus und überreichte zusätzlich 500 D-Mark Schmerzensgeld, ohne dass ich danach gefragt hätte. Zu jener Zeit leistete ich Zivildienst beim Roten Kreuz, und 500 D-Mark erschienen mir als kleines Vermögen.
Etwa ein halbes Jahr später bekamen wir den Auftrag für den Transport eines Krebspatienten vom Kreiskrankenhaus meines Einsatzortes in die Abteilung Innere Medizin der Würzburger Universitätsklinik. Ein Routineeinsatz. Mein Kollege setzte sich ans Steuer des Krankenwagens, und ich betreute den Patienten im hinteren Teil des Fahrzeugs. Nachdem ich einige freundliche Worte mit dem alten Mann gewechselt hatte, meinte er mit zitteriger Stimme, ich käme ihm bekannt vor - ob ich nicht vor einigen Monaten in einen Unfall mit einem Opel Admiral verwickelt gewesen sei.
Bei dem Patienten handelte es sich um den Autofahrer mit den weißen Lederhandschuhen. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, die Krankheit hatte ihn sehr verändert. Sein eingefallenes Gesicht war mit einer gelblichen, fast durchsichtigen Haut bespannt, und sein Körper schien keine Masse mehr zu besitzen.
Als ich mich einige Tage später nach ihm erkundigte, hieß es, er sei verstorben.
P.S. Im Rückblick bin ich mir nicht sicher, ob ich damals richtig gehandelt habe, als ich auf eine Anzeige verzichtete und dem alten Mann den Entzug seines Führerscheins ersparte. Immerhin hatte er an einer übersichtlichen Kreuzung ein Stoppschild übersehen und stellte hinter dem Steuer seines Opel Admiral weiterhin eine Bedrohung dar. Träfe mich ein Teil der Schuld, wenn er nach unserem Zusammenstoß ein Kind überfahren hätte? Das Schicksal kümmert sich nicht um Alternativen aus einer unendlichen Anzahl von möglichen Variationen der Ereignisse, aber wo endet die Verantwortung?