Radio Stellario 696,99
Mit seinem Gebiss war Escher zufrieden. Hätte er seinen Körperteilen ein Zeugnis ausstellen sollen, wäre das Gebiss im Gegensatz zu einigen anderen Regionen mit einer glatten Eins nach Hause gegangen, denn es erfüllte die ihm übertragenen Aufgaben unter größter Einsatzbereitschaft, auch bei einem sehr hohen Arbeitsaufkommen und über die üblichen Dienstzeiten hinaus, jederzeit zu seiner vollsten Zufriedenheit.
Obwohl er seit seiner Kindheit auf keinem Zahnarztstuhl mehr gesessen hatte, beklagte sich Escher nicht über den Zustand seiner Zähne. Damals hatte ihm der Dentist ohne Betäubung eine Backenzahnfüllung eingesetzt, und wenn er daran zurückdachte, durchdrang die schmerzvolle Erinnerung jede Zelle im Einzugsbereich seines Kiefers. Akustisch ausgedrückt, hätte jener Schmerz wie das Quietschen von Kreide auf einer Schultafel geklungen. Oder wie das fünfgestrichene H, das sich als gebundener Ganzton mit den Dezibelwerten eines Düsenjets über mindestens dreißig Takte erstreckte, geschrieen von einem Kastraten.
Aber es war keine lächerliche Angst vor den Schmerzen einer Behandlung, die Escher von einem Zahnarztbesuch abhielt. Es war auch nicht die Erinnerung an den unangenehmen Geruch oder den Anblick absonderlicher Gerätschaften. Es war die Befürchtung, dass er seinen Empfänger verlieren könnte.
Eschers einzige Zahnfüllung hatte nämlich eine mediale Nebenwirkung. Seit jener Backenzahnbehandlung hörte er an manchen Tagen einen Radiosender, der weit außerhalb der gängigen Frequenzen ausgestrahlt wurde, und den man mit keinem Transistorgerät empfangen konnte. Als er die fremden Stimmen aus der Backenzahnfüllung zum ersten Mal hörte, erschrak der junge Escher so sehr, dass er es nicht wagte, irgendeiner anderen Person davon zu erzählen. Die Stimmen sprachen in Lauten, die er anfangs nicht verstand. Oft konnte er nachts nicht schlafen, weil er den Sender empfing und es keine Möglichkeit gab, die Stimmen abzuschalten. Technisch konnte er sich das Phänomen nur mit einem falschen Mischungsverhältnis des Amalgams erklären.
Da er den Ausstrahlungen während der Sendezeiten nicht entkommen konnte, beschäftigte sich Escher intuitiv mit einer Analyse der fremden Sprache. Er benötigte mehrere Jahre, bis er die Laute entschlüsselt und verstanden hatte, dass es sich um eine Sprache handelte, die nirgends auf der Erde gesprochen wurde.
Der Name der außerirdischen Rundfunkstation war Radio Stellario 696,99. Auch wenn er die Sprache des Senders verstand, hätte er keinen der fremden Laute selbst erzeugen können. Die menschlichen Stimmbänder erreichten diesen Teil des Spektrums nicht, der nur in der Welt von Eschers akustischer Vorstellung existierte. Und obwohl sich Escher die Grammatik und einen umfassenden Wortschatz angeeignet hatte, konnte er die Inhalte nicht in seiner Muttersprache formulieren. Die Botschaften waren nicht übersetzbar, denn sie hatten keine Gemeinsamkeiten mit den Strukturen menschlichen Denkens. Es waren Mitteilungen aus einer geistigen Parallelwelt, die jenseits jeder Logik und unabhängig von herkömmlichen Gedanken oder bekannten Gefühlen existierte. Radio Stellario 696,99 berichtete weder von Ereignissen, noch über Zustände. Escher hätte die Inhalte auf keine Kategorie menschlicher Sinne oder Beurteilungen übertragen können. Sie waren weder gut noch schlecht, weder laut, noch leise, weder heiß, noch kalt, weder süß, noch bitter. Wenn Radio Stellario 696,99 sendete, waren die Stimmen einfach nur da, sie verlangten seine Aufmerksamkeit und schraubten sich in Eschers Bewusstsein.
Während einer klirrenden Februarnacht mussten die Betreiber des Senders auf ihren terrestrischen Hörer aufmerksam geworden sein, denn sie sendeten eine Botschaft, die unmissverständlich an ihn gerichtet war. Auch wenn die Schmerzen in kürzeren Abständen auftraten, war der Backenzahnempfänger zu einem Teil von Escher geworden, auf den er nicht mehr verzichten wollte. Aber die von Radio Stellario 696,99 übermittelte Anordnung war in eindringlichster Deutlichkeit formuliert. Sie ließ keinen Widerspruch zu. Escher wusste, dass seine Welt sich ändern würde, als er die Anordnung befolgte und einen Termin beim Zahnarzt vereinbarte.
Obwohl er seit seiner Kindheit auf keinem Zahnarztstuhl mehr gesessen hatte, beklagte sich Escher nicht über den Zustand seiner Zähne. Damals hatte ihm der Dentist ohne Betäubung eine Backenzahnfüllung eingesetzt, und wenn er daran zurückdachte, durchdrang die schmerzvolle Erinnerung jede Zelle im Einzugsbereich seines Kiefers. Akustisch ausgedrückt, hätte jener Schmerz wie das Quietschen von Kreide auf einer Schultafel geklungen. Oder wie das fünfgestrichene H, das sich als gebundener Ganzton mit den Dezibelwerten eines Düsenjets über mindestens dreißig Takte erstreckte, geschrieen von einem Kastraten.
Aber es war keine lächerliche Angst vor den Schmerzen einer Behandlung, die Escher von einem Zahnarztbesuch abhielt. Es war auch nicht die Erinnerung an den unangenehmen Geruch oder den Anblick absonderlicher Gerätschaften. Es war die Befürchtung, dass er seinen Empfänger verlieren könnte.
Eschers einzige Zahnfüllung hatte nämlich eine mediale Nebenwirkung. Seit jener Backenzahnbehandlung hörte er an manchen Tagen einen Radiosender, der weit außerhalb der gängigen Frequenzen ausgestrahlt wurde, und den man mit keinem Transistorgerät empfangen konnte. Als er die fremden Stimmen aus der Backenzahnfüllung zum ersten Mal hörte, erschrak der junge Escher so sehr, dass er es nicht wagte, irgendeiner anderen Person davon zu erzählen. Die Stimmen sprachen in Lauten, die er anfangs nicht verstand. Oft konnte er nachts nicht schlafen, weil er den Sender empfing und es keine Möglichkeit gab, die Stimmen abzuschalten. Technisch konnte er sich das Phänomen nur mit einem falschen Mischungsverhältnis des Amalgams erklären.
Da er den Ausstrahlungen während der Sendezeiten nicht entkommen konnte, beschäftigte sich Escher intuitiv mit einer Analyse der fremden Sprache. Er benötigte mehrere Jahre, bis er die Laute entschlüsselt und verstanden hatte, dass es sich um eine Sprache handelte, die nirgends auf der Erde gesprochen wurde.
Der Name der außerirdischen Rundfunkstation war Radio Stellario 696,99. Auch wenn er die Sprache des Senders verstand, hätte er keinen der fremden Laute selbst erzeugen können. Die menschlichen Stimmbänder erreichten diesen Teil des Spektrums nicht, der nur in der Welt von Eschers akustischer Vorstellung existierte. Und obwohl sich Escher die Grammatik und einen umfassenden Wortschatz angeeignet hatte, konnte er die Inhalte nicht in seiner Muttersprache formulieren. Die Botschaften waren nicht übersetzbar, denn sie hatten keine Gemeinsamkeiten mit den Strukturen menschlichen Denkens. Es waren Mitteilungen aus einer geistigen Parallelwelt, die jenseits jeder Logik und unabhängig von herkömmlichen Gedanken oder bekannten Gefühlen existierte. Radio Stellario 696,99 berichtete weder von Ereignissen, noch über Zustände. Escher hätte die Inhalte auf keine Kategorie menschlicher Sinne oder Beurteilungen übertragen können. Sie waren weder gut noch schlecht, weder laut, noch leise, weder heiß, noch kalt, weder süß, noch bitter. Wenn Radio Stellario 696,99 sendete, waren die Stimmen einfach nur da, sie verlangten seine Aufmerksamkeit und schraubten sich in Eschers Bewusstsein.
Während einer klirrenden Februarnacht mussten die Betreiber des Senders auf ihren terrestrischen Hörer aufmerksam geworden sein, denn sie sendeten eine Botschaft, die unmissverständlich an ihn gerichtet war. Auch wenn die Schmerzen in kürzeren Abständen auftraten, war der Backenzahnempfänger zu einem Teil von Escher geworden, auf den er nicht mehr verzichten wollte. Aber die von Radio Stellario 696,99 übermittelte Anordnung war in eindringlichster Deutlichkeit formuliert. Sie ließ keinen Widerspruch zu. Escher wusste, dass seine Welt sich ändern würde, als er die Anordnung befolgte und einen Termin beim Zahnarzt vereinbarte.
14 Comments:
und ich hielt die geräusche bisher für einen schnöden tinnitus :/
Dieser Text steht in meiner Gunst mindestens eine Duodezime höher als das fünfgestrichene H. Ganz groß!
Sind sie schon einmal in den Genuss des zitierten Hs, vorgetragen durch einen Kastraten, gekommen? Hätten Sie , verzeihen Sie diesen Ausdruck nun, einen Mitschnitt?
Aber ich verliere mich in Nebensächlichkeiten.
Was wird Escher nun tun? Wird er der Verlockung widerstehen können seine gesamte Kauleiste mit Amalgan austräufeln zu lassen um damit evtl. einen exterristischen Flatscreen zu schaffen, auf der sich das TV-Programm von dort draussen visualisiert?
Das würde mir ja auf die Eier gehen, jede volle Stunde interstellare Verkehrsnachrichten hören zu müssen...
Da kann Echer noch froh sein, dass die drüben offensichtlich keine interplanetare Zentrale für Gebühreneinzug installiert haben.
/Stard: Dann wird es Zeit, sich ein paar Gedanken über die Grammatik zu machen, die dem Tinnitus zugrunde liegt.
/Joppi: In den virtuellen Genuss bin ich bereits gekommen, der Mitschnitt ist per Gedankenübertragung unterwegs. Ich weiß nicht, was Escher nun vorhat, aber ich wäre an seiner Stelle schon früher zum Zahnklempner gegangen. Ein großer Teil der terrestrischen Botschaften ist schon ausreichend schwer zu verstehen.
/DGTSteini: Und das soll ich dir nach deiner letzten Offenbarung glauben?
/Texttourist: Wenn die so rigoros sind wie die Beutelschneider auf einem uns bekannten Planeten, könnte das bei entsprechenden Nachverrechnungen einige Lichtjahre Knast für Escher bedeuten.
Puh, nur gut dass ich damals meinem Zahnarzt bei seinem Versuch, mir eine Zahnfüllung zu verpassen, heftig auf den Finger gebissen habe.
Nicht auszudenken, welche obskuren Programme ich sonst heute empfangen müsste.
ouuuuaaaaah, ohgottohgottohgott, ich bin Dentalphobikerin. Sägt mir einen Finger ab, bohrt mir ein Loch ins Knie, aber die Zähne, die Zähne... GottGottGott.
Angst und Schrecken hier gerade. Und beim Gedanken daran, daß ich auch wieder einmal einen sog. "Kontrolltermin" vereinbaren sollte, ätzt sich feinster Angstschweiß durch Millionen von Hautporen. Mir ist jetzt schlecht.
autsch. ich finde bereits das dreigestrichene c mancher opernsängerinnen zum fürchten. da will ich an das h''''' gar nicht denken.
Besser kann man einen Zahnarztbesuch wohl kaum beschreiben. Wobei mir einfällt: Ich muss auch mal wieder zur Inspektion.
Grumpf.
P.S.: WB-Wort mal wieder passend: "aoouh" :-))
/Falcon: Vorbildlich. Außerirdische bekämpfen!
/dieJulia: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. (Ingeborg Bachmann) Dachte ich bisher auch. Aber dass es dir schlecht wird, war nicht beabsichtigt. Sorry.
/Wort-Wahl: Es gibt Sängerinnen (und Sänger), bei denen finde ich jeden Ton zum fürchten. Unabhängig vom Umfang der Strichliste.
/Scheibster: Auch die Worbestätigungen werden vermutlich von Extraterrestriern vorsortiert.
Mein Lieblingston ist das Hohe Fis, das gebe ich manchmal beim Frisör zum Besten, wenn er mir in den Ohren rumfummelt.
Mir geht nichts über nen f-moll-Nonakkord. :)
/Opa: Hat der einen Ableger in HH?
/Ole: Dein Musikgeschmack hat mich bisher nie enttäuscht!
Kommentar veröffentlichen
<< Home