Die Blicke der Bilder
Hier hänge ich und sehe sie mir alle an. Keiner, der diesen Raum betritt, entgeht meinem Blick. Und sie sehen mich an. Neugierige Blicke. Wache Blicke. Gelehrte Blicke. Auch gelangweilte und schläfrige Blicke. Mein Blick ist immer derselbe, eine Mischung aus Güte und Verachtung. Schon immer verwechselten sie diesen Blick mit einem Lächeln.
Es erfordert höchste Konzentration, nicht aus dem Rahmen zu fallen und niemals zu blinzeln, solange sich Besucher im Raum befinden. Das gelingt mir nicht immer. Im Lauf der Jahrhunderte mussten einige Besucher an ihrem Verstand zweifeln. Inzwischen sind die Verstörungen seltener geworden, seit Beginn des technologischen Zeitalters erklären die Menschen ungewöhnliche Wahrnehmungen mit Übermittlungsfehlern ihrer Sinnesorgane. Ursachen des Außergewöhnlichen, die sie nicht sinnlich erfassen können, ziehen sie nicht in Betracht. Vor dem Hintergrund ihrer Bildung erscheint es ihnen unmöglich, dass sich Gestalten in einem Gemälde bewegen. Das gehört sich nicht, es ist physikalisch unmöglich.
Ich bin zwar im Bild gefangen, aber das bedeutet nicht, dass ich leblos bin. Und damit meine ich nicht die Lebendigkeit der Pinselstriche, die vor langer Zeit aufgetragen wurden, um die Leinwand in eine Abbildung künstlerischer Eindrücke zu verwandeln. Ich meine ein Leben außerhalb von Stoffwechselprozessen. Ein Leben, das allein innerhalb einer Idee existiert. Nicht allen Künstlern gelingt es, künstlichen Gegenständen eine Seele zu geben. Es gelingt nur denen, die bereit sind, sich für ihr Werk von einem Teil ihrer Seele zu trennen.
Oft erscheint es mir, als seien die Besucher des Museums starrer in den Bildern und Rahmen ihrer eigenen Persönlichkeit gefangen, als ich es bin. Ich kann es in ihren Blicken erkennen, denn sie begegnen mir mit einer absoluten Ehrlichkeit. Für viele ist der Museumsbesuch ein Teil ihres Alltags, eine Bildungsroutine.
Meistens halten wir uns an die gesellschaftlichen Konventionen. Aber ich weiß von anderen Bildbewohnern, dass sie der Versuchung in manchen Situationen nicht widerstehen können. Besonders, wenn Kinder uns ansehen, kann es passieren, dass wir Lebenszeichen von uns geben. Für uns besteht keine Gefahr, denn außergewöhnliche Berichte von Kindern werden schnell dem Reich der Phantasie zugeordnet.
Nachts, wenn uns die Überwachungskameras nicht mehr sehen, strecken und dehnen wir uns. In einer Frequenz jenseits der Messbarkeit flüstern wir miteinander und tauschen unsere Eindrücke von den Besuchern aus. Die meisten von uns kennen sich schon sehr lange und duzen sich.
- Hast du heute Vormittag den Kerl mit der Ohrenmütze und den rosa Socken gesehen?
- Meinst du den Alten, der nach Kamille roch und ununterbrochen mit sich selbst sprach?
- Ja. Er versuchte, mich anzuspucken. Sie mussten ihn zu dritt festhalten und aus dem Museum entfernen. Die Szene hatte einen enormen künstlerischen Wert.
- Ich gratuliere zur Entdeckung dieses Eindrucks. Wirst du ihn als Erinnerung in deine Sammlung aufnehmen? Oder hast du vor, ihn zu verkaufen?
- Mal sehen, wie sich der Markt entwickelt. Dieses Bild der Erinnerung könnte rasant an Wert gewinnen. Die Richtung der mutualen Installation ist momentan gefragt und wird sicher noch begehrter, wenn der Kerl mit der Ohrenmütze das Zeitliche segnet.
Einige Kunstwerke sind hervorragende Beobachter und verstehen es, ihre Eindrücke der Welt im Museum zu einem bedeutenden Werk zu formen. Andere sind große Sammler.
Es erfordert höchste Konzentration, nicht aus dem Rahmen zu fallen und niemals zu blinzeln, solange sich Besucher im Raum befinden. Das gelingt mir nicht immer. Im Lauf der Jahrhunderte mussten einige Besucher an ihrem Verstand zweifeln. Inzwischen sind die Verstörungen seltener geworden, seit Beginn des technologischen Zeitalters erklären die Menschen ungewöhnliche Wahrnehmungen mit Übermittlungsfehlern ihrer Sinnesorgane. Ursachen des Außergewöhnlichen, die sie nicht sinnlich erfassen können, ziehen sie nicht in Betracht. Vor dem Hintergrund ihrer Bildung erscheint es ihnen unmöglich, dass sich Gestalten in einem Gemälde bewegen. Das gehört sich nicht, es ist physikalisch unmöglich.
Ich bin zwar im Bild gefangen, aber das bedeutet nicht, dass ich leblos bin. Und damit meine ich nicht die Lebendigkeit der Pinselstriche, die vor langer Zeit aufgetragen wurden, um die Leinwand in eine Abbildung künstlerischer Eindrücke zu verwandeln. Ich meine ein Leben außerhalb von Stoffwechselprozessen. Ein Leben, das allein innerhalb einer Idee existiert. Nicht allen Künstlern gelingt es, künstlichen Gegenständen eine Seele zu geben. Es gelingt nur denen, die bereit sind, sich für ihr Werk von einem Teil ihrer Seele zu trennen.
Oft erscheint es mir, als seien die Besucher des Museums starrer in den Bildern und Rahmen ihrer eigenen Persönlichkeit gefangen, als ich es bin. Ich kann es in ihren Blicken erkennen, denn sie begegnen mir mit einer absoluten Ehrlichkeit. Für viele ist der Museumsbesuch ein Teil ihres Alltags, eine Bildungsroutine.
Meistens halten wir uns an die gesellschaftlichen Konventionen. Aber ich weiß von anderen Bildbewohnern, dass sie der Versuchung in manchen Situationen nicht widerstehen können. Besonders, wenn Kinder uns ansehen, kann es passieren, dass wir Lebenszeichen von uns geben. Für uns besteht keine Gefahr, denn außergewöhnliche Berichte von Kindern werden schnell dem Reich der Phantasie zugeordnet.
Nachts, wenn uns die Überwachungskameras nicht mehr sehen, strecken und dehnen wir uns. In einer Frequenz jenseits der Messbarkeit flüstern wir miteinander und tauschen unsere Eindrücke von den Besuchern aus. Die meisten von uns kennen sich schon sehr lange und duzen sich.
- Hast du heute Vormittag den Kerl mit der Ohrenmütze und den rosa Socken gesehen?
- Meinst du den Alten, der nach Kamille roch und ununterbrochen mit sich selbst sprach?
- Ja. Er versuchte, mich anzuspucken. Sie mussten ihn zu dritt festhalten und aus dem Museum entfernen. Die Szene hatte einen enormen künstlerischen Wert.
- Ich gratuliere zur Entdeckung dieses Eindrucks. Wirst du ihn als Erinnerung in deine Sammlung aufnehmen? Oder hast du vor, ihn zu verkaufen?
- Mal sehen, wie sich der Markt entwickelt. Dieses Bild der Erinnerung könnte rasant an Wert gewinnen. Die Richtung der mutualen Installation ist momentan gefragt und wird sicher noch begehrter, wenn der Kerl mit der Ohrenmütze das Zeitliche segnet.
Einige Kunstwerke sind hervorragende Beobachter und verstehen es, ihre Eindrücke der Welt im Museum zu einem bedeutenden Werk zu formen. Andere sind große Sammler.
8 Comments:
[...] Nicht allen Künstlern gelingt es, künstlichen Gegenständen eine Seele zu geben. Es gelingt nur denen, die bereit sind, sich für ihr Werk von einem Teil ihrer Seele zu trennen
[...]
das würde ich als definition von wahrer kunst bezeichnen.
Seelenverwandtschaft. Endlich begreife ich meine Vorliebe für Feininger und Klee.
Ein Blick in die Tiefe und auf die andere Seite. Grenzüberschreitend wie stets, Monsieur Quint.
Klingt übrigens fast, als würde La Gioconda selbst erzählen. Müsste eigentlich auf Italienisch sein, aber hey, sie hatte in all den Jahren nun wirklich genug Zeit, um Deutsch zu lernen. Zudem war ihr Erschaffer ein Genie, und wenn der ein Stück Seele mitgegeben hat... :-)
/MudShark: Ich auch. Alles andere ist Ware Kunst.
/Neo-Bazi: Dann sind wir über die Familien Feininger und Klee irgendwie verschwägert.
/Scheibster: Bei den vielen Sprachen, mit denen sie sich anquatschen lassen musste, ist die jung gebliebene Dame inzwischen sicher multilingual.
Danke Quint, jetzt habe ich endlich eine Erklärung für meine Paranoia! Seit ich sie zur Wand gedreht habe, fühle ich mich schon wesentlich besser.....
Und klicken Sie den Rollstuhl 'mal an...zwei 'mal....er wird Ihnen wahre Geheimnise verraten!
Vermutlich befindet sich die neue Plattform inklusive aller barrierefreien Errungenschaften in den Händen von Mossad oder CIA, und bei den akustischen Wortbestätigungen handelt es sich um die Verschlüsselung antiterroristischer Angriffspläne.
kausalzurechnung auf den künstler sind doch in der tat recht einseitig beobachtet...wer hier wie wann entsteht kann man doch nicht 100prozentig sagen, schließlich wird der künstler erst durch sein kunstwerk zum künstler und ich erst durch diese obszönen Gemälde und Skulpturen verführt zu... oh!oh!ich muss los, sonst zerreißt mir "der Schrei" wieder das Trommelfell wenn ich zuviel plauder...
Edvard Munch ist ein Schwippschwager. Das wissen wir doch schon seit Golgotha.
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