Mittwoch, November 14, 2007

Incontentinenz im Sanitärbereich

"Ich bin ein Assi mit Niveau, ich lese Lyrik auf dem Klo", bekannte Jürgen Zeltinger einst euphorisch. Es fiel damals nicht leicht, sich den wohlgenährten Barden vorzustellen, wie er - in ein Gedicht von Hilde Domin vertieft - auf der Schüssel thront und kontemplative Geräusche produziert.

Thematisierte Zeltinger in seinem Liedtext einen kurzfristigen Trend der damaligen Sponti-Szene, oder handelt es sich beim Konsum von Toilettenlektüre um ein anhaltendes, gesellschaftliches Phänomen? Neben der Zusammenstellung des Gewürzsortiments in der Küche dienen im Wesentlichen zwei Kriterien der kulturellen Klassifizierung eines Haushalts: Umfang und Inhalt der Bücherregale in den Wohnräumen sowie Auswahl des Leseangebots im Sanitärbereich.

In primitiven Badezimmern lassen sich keinerlei Schriftstücke zur informativ angereicherten Gestaltung der Verweildauer finden. Gerät der Gast in einen solchen Haus- und Hinterhalt, ist er auf die rückseitigen Beschriftungen von Shampooflaschen oder Deorollern angewiesen. Da es sich hierbei um vorsätzlich sinnfreie Gebrauchstexte handelt, erschöpft sich das Interesse rasch in chemischen Bezeichnungen der Inhaltstoffe, schwer entzifferbaren Haltbarkeitsdaten und verdauungshemmender Werbesülze.

Der aufmerksame Gastgeber sorgt für ein kurzweiliges Leseangebot am stillen Örtchen. Übertriebener Eifer ist jedoch nicht zielführend: die Werkausgabe von Karl May oder ein Stapel veralteter Tageszeitungen schaffen in der intimen und häufig räumlich beengten, auf jeden Fall aber zeitlich limitierten Situation keine idealen Voraussetzungen für eine kontrollierbare literarische Beschäftigung. Vielmehr erscheinen übersichtliche Texte mit Unterhaltungswert angemessen. Comics eignen sich hervorragend zur Bestückung der klorikalen Bibliothek, und selbst eine Zeitschrift älteren Datums kann die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln. Niemand würde eine Pardon-Ausgabe von 1967 oder eine Bäckerblume desselben Jahrgangs verschmähen.

Gerne darf man auch diesen Text auf einem Streifen Toilettenpapier ausdrucken und für unterschiedliche Verwendungszwecke im Sanitärbereich bereitstellen. Angabe zum Copyright bitte nicht vergessen.

16 Comments:

Blogger mkh said...

Bitte eine Rolle handsignierten Incontentinenztext fürs Badezimmer liefern!

Schwer geeignet übrigens immer auch: das neue Zweitausendeinsmerkheft!

14.11.07  
Blogger MudShark said...

auch von mir ein hinweis: ich offeriere lediglich zwei schriftstücke neben dem lokus:
ziegelstein 1: comicstrips 1-1000 von ©Tom
ziegelstein 2: comicstrips 1001-2000 vom selben, bisweilen genialen zeichner.

sehr handliche, und praktisch zu stapelnde sache das.

14.11.07  
Blogger Tillmister said...

Membran mit Docht im Tubenhut durchstoßen.

14.11.07  
Blogger Der_grosse_Transzendentale_Steini said...

Ich war mir beim Lesen nicht ganz sicher, ob das ein befürwortender oder ablehenender Post ist. Ich persönlich bin der Meinung, dass es wenige Orte oder Situationen gibt, an denen Informationen derart konzentriert, begierig und störungsfrei aufgenommen werden, wie ebenda. In diese Liga gehören nur Musikhören auf nächtlichen Autobahnfahrten und die Nahrungsaufnahme auf Langstreckenflügen.

Mein Vorschlag zur Beendigungs des Pisa-Debakels: Steckt alle Schulkinder zum Lernen auf ein verschlossenes WC und lasst sie zum Ausgleich ihre Notdurft im Klassenzimmer verrichten. Wird zumindest bei den Jungs den Notendurchschnitt extrem verbessern. MIt den Mädels bin ich nicht ganz sicher, ich vermuten, Frauen lesen nicht auf dem Klo.

14.11.07  
Anonymous Anonym said...

groove
intro
unclesallys
030
mindestens

14.11.07  
Blogger frech'n'nett said...

Die zwischen den Zeilen unversteckte und kokette Bemerkung, man könne sich mit diesem Beitrag auch getrost den Hintern wischen, will ich nun mal großzügig überlesen haben.
Hm, obwohl....

Tja, war ein schlechter Tipp, jetzt ist wohl leider der Drucker im Arsch.

14.11.07  
Blogger frech'n'nett said...

Ich gebe dem großen Steini Recht:
auf der Keramik lesen, scheint ein Männerding zu sein.
(Ich habe heute mal eine repräsentative Umfrage gemacht: 14 von 15 befragten Damen gaben an, nicht auf dem Klo zu lesen.)

14.11.07  
Anonymous Anonym said...

Shampooflaschen auf dem Pott?

14.11.07  
Blogger mq said...

/MKH: Hierbei handelt es sich um einen Klassiker der Toilettenlektüre. Ich habe den Verdacht, der Verlag hat das Format genau vor diesem Hintergrund entwickelt.

/MudShark: Hervorragende Wahl! Für den 2001sten Toilettengang bitte o.g. Schriftstück besorgen.

/Tillmister: Durch den Genuss von Kaffee, Nikotin, Tee und anderen Nahrungsmitteln können auf den Zahnoberflächen hässliche Verfärbungen und Ablagerungen entstehen.

/DGT Steini: Merci - nach deinem Kommentar bin ich mir ganz sicher, dass es nicht peinlich ist, diesen Ort der Stille und Konzentration gleichzeitig als Ort der Bildung und Kultur wahrzunehmen. Auch die vergleichenden Beispiele der Autobahnfahrten und Langstreckenflüge sind treffsicher gewählt und vermitteln die Tragweite der Thematik.

/Eon: Aufschlussreich wäre gewisss auch eine empirische Studie über die Verbreitung kostenloser Musik- und Stadtmagazine in den Toiletten deutscher Privathaushalte.

/F'n'N: Hier geht es um Synergien! (Eitelkeiten wären bei diesem ernsten Thema fehl am Platz.)
Danke für die marktforschende Tätigkeit zur Untermauerung von Steinis These.

/Andie: Tütensuppen würden mich skeptischer stimmen.

15.11.07  
Anonymous Anonym said...

...also ich hab' das ja noch nie verstanden, warum Leute auf dem loo lesen...ich finde, die dort getätigten Verrichtungen sollte man voll und ganz genießen...absolut! Uneingeschränkt! (Abgesehen davon gehöre ich zur Kategorie der Schnellpinkler und - genußvollen allerdings - Effizienzschei...er - da bliebe gar keine Zeit um Wörter in mein Hirn zu prügeln...) Bei mir wären darum die Anhänger der Klolektüre auch total verloren, nicht mal Deoroller gäbe es...einzig "ob" "ob" "ob" hätte ich im Angebot, und seit Neustem den netten Liebesbrief des Tischlers....

15.11.07  
Anonymous Anonym said...

Mein Generalverdacht: Lesen ist einfacher als Denken. Das sage ich jedenfalls immer wieder meinem Sohn, in dessen Kellertoilette sich Der Spiegel stapelt. Entsprechend lange dauern dort auch die einschlägigen Sitzungen.

Im Sitzungssaal des Terrassencafés Salmonella (übrigens keineswegs ein Stilles Örtchen sondern stereotypisch beschallt) sind wir da schon viel weiter: Wir bieten aus rationellen Gründen einen 24stündigen room service, der von den Besuchern gerne angenommen wird. Auch die Aschenbecher werden regelmäßig geleert.

15.11.07  
Blogger mq said...

/FrauH.: Auch Ihnen herzlichen Dank für den Beitrag zur Geschlechterstatistik! "Ob" als Zweibuchstabenkombination ist bestenfalls eine Lektüre für ABC-Schützen, Ihre Anspielung auf einen "Liebesbrief des Tischlers" hingegen klingt fast so spannend wie eine "Morddrohung des Klempners" oder ein "Bekenntnis des Dachdeckers".

/Opa: Es will mir nicht gelingen, beim Lesen das Denken abzuschalten. Daran, dass der Gast im Terrassencafé Salmonella eine exklusive Behandlung bis ins Detail genießt, würde ich nie zweifeln.

15.11.07  
Anonymous Anonym said...

Gerade beim lättern in einer Fachzeitschrift Sudokutoilettenpapier entdeckt...

Ich weiss jetzt aber nicht ob Literatur und Logikspiele auf dem stillen Örtchen gut für die Gesundheit sind. Ich erinnere mich vor etwa zwei Jahren einen Artikel (nicht in einer Fachzeitschrift) bezüglich der langen Verweildauer auf der Toilette und der dadurch begünstigsten Entwicklung der Hämorrhoiden gelesen zu haben.

Jedoch wie gesagt - keine Fachzeitschrift und wenn es eine wäre muss man auch da aufpassen - die Presse scheint Gefallen daran zu finden dem Leser seine Gewohnheiten madig zu machen.

17.11.07  
Blogger mq said...

/Texttourist: Ich meine, mich dunkel zu erinnern ... aber seit wann gehören die St. Pauli Nachrichten nicht mehr zur Kategorie der Fachzeitschriften?

18.11.07  
Anonymous Anonym said...

Zeltinger. Minipli. Kugelrunder Po. Wölfchen.

20.11.07  
Blogger Christian 55 said...

Ich kann die theorie aus der praxis bestätigen, dass lange sitzungen mit exzessiver Lektüre auf dem klo die bildung von hämorrhoiden befördern (hämorr... nur schon das wort ist grässlich!). so hat alles seinen preis. ich breue aber trotzdem nichts!

21.11.07  

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