Bioidiotie
Früher war nicht alles besser. Es gab Norwegerpullis, Stehblues und den Kalten Krieg. Aber früher erschien manches einfacher, vor allem der Glaube an Gegensätze: entweder Osten oder Westen. (Heute ist Osten Westen.) Entweder fern oder nah. (Heute ist fern nah.) Entweder Punk oder Pop. (Heute ist Punk Pop.) Entweder Politik oder Feuilleton. (Heute ist Politik Feuilleton.) Entweder heute oder früher. (Heute ist heute früher.)Entweder böse oder gut. (Heute ist böse gut.)
Sogar der Lebensmittelerwerb war einfacher, als man das Gute noch vom Bösen unterscheiden konnte. Früher. Es gab Läden von der Größe einer Sammelumkleidekabine, deren Besitzer selten Tanten waren und gleichzeitig auf den Namen Emma hörten. Aber die untanten Nonemmas vermittelten ihrer Kundschaft glaubhaft, dass man sich bei ihnen ohne Gewissenskonflikte mit Lebensmitteln versorgen konnte. Ihre Argumente bestanden in runzeligem Obst und in Gemüse mit einem beträchtlichen Gewichtsanteil der Ackerschollen, denen man es abgerungen hatte. In ästhetischer Hinsicht handelte es sich um Second Mouth Produkte.
Auf der dunklen Seite der Lebensmittelmacht formierten sich Supermarktketten, deren Sortiment vornehmlich aus Blechbüchsen bestand. Konserven besitzen die Eigenschaften, beliebig lang haltbar und weitgehend geschmacksfrei zu sein. Zwecks Simulation von Lebensmitteln natürlicher Herkunft boten die Supermärkte auch uneingedostes Gemüse an. Jene Ware besaß dieselben Eigenschaften wie der konservierte Matsch, aber man benötigte keinen Dosenöffner zum Verzehr.
Vom Gemüse der untanten Nonemmas unterschied sich die Supermarktsimulation durch das Fehlen des Geschmacksverstärkers Ackerscholle. Ebenso wie das Gemüse wurde auch das Obst hochkomplexen Sterilisationsprozessen unterzogen, bevor studentische Aushilfskräfte es in symmetrischer Perfektion zum Verkauf anordneten.
Es gilt als ökonomisches Axiom, dass der Einkaufspreis einer Ware mit steigender Stückzahl sinkt. Von diesem Gesetz profitierten die Supermärkte, während ihm die untanten Nonemmas zum Opfer fielen. Erstens besaßen sie nicht die finanziellen Mittel zum tonnenweisen Erwerb von Kohlköpfen, zweitens fehlte in den Sammelumkleidekabinen der Platz zur symmetrischen Anordnung, und drittens hätte ein solches Einkaufsgebaren gegen das Untante-Nonemma-Prinzip verstoßen.
Aber nicht jeder Kunde ließ sich von der dunklen Seite der Lebensmittelmacht akquirieren, und so wurden die einzelhandelslandschaftlichen Gewissenslücken, die durch den Niedergang der untanten Nonemmas entstanden waren, vom Phänomen der Ökoläden geschlossen. Und weil früher manches einfacher erschien, war der Ökobegriff umgehend mit einem lmage von lila Wadenwärmern, unverdaulicher Rohkost und Norwegerpullis besetzt.
Um dieses grobgeschrotete Image zu korrigieren und Kundenzielgruppen mit einem regelmäßigen Einkommen zu erschließen, wurde das Ök durch ein Bi ersetzt, und man ersann komplizierte Vorschriften, unter welchen Voraussetzungen ein Produkt mit dem - durch den Buchstabenaustausch entstandenen - Prädikat Bio versehen werden durfte.
Wenn es darum ginge, welche Silben in den letzten Jahren den höchsten Wertverfall an der Wörterbörse erfuhren, würde Bio auf einem der vorderen Plätze rangieren. Die Vertrauenskreditwürdigkeit dieser Silbenhülse nähert sich dem Nullwert. Gibt es überhaupt noch irgendwelche Produkte in der Nahrungskette, die auf ihren verschlungenen, dunklen Wegen in die Lebensmittelregale nicht mit dem Biostempel abgefertigt werden? Neben Biogemüse kann man sich Biofleisch, Biofisch, Biobrot, Biokäse, Bioschokolade, und vermutlich auch Biozigaretten andrehen lassen.
Sobald sämtliche Schnellrestaurantketten ihre Abfallprodukte unter dem Biolabel verhökern, wird die schöne neue Biowelt endlich perfekt sein.
Sogar der Lebensmittelerwerb war einfacher, als man das Gute noch vom Bösen unterscheiden konnte. Früher. Es gab Läden von der Größe einer Sammelumkleidekabine, deren Besitzer selten Tanten waren und gleichzeitig auf den Namen Emma hörten. Aber die untanten Nonemmas vermittelten ihrer Kundschaft glaubhaft, dass man sich bei ihnen ohne Gewissenskonflikte mit Lebensmitteln versorgen konnte. Ihre Argumente bestanden in runzeligem Obst und in Gemüse mit einem beträchtlichen Gewichtsanteil der Ackerschollen, denen man es abgerungen hatte. In ästhetischer Hinsicht handelte es sich um Second Mouth Produkte.
Auf der dunklen Seite der Lebensmittelmacht formierten sich Supermarktketten, deren Sortiment vornehmlich aus Blechbüchsen bestand. Konserven besitzen die Eigenschaften, beliebig lang haltbar und weitgehend geschmacksfrei zu sein. Zwecks Simulation von Lebensmitteln natürlicher Herkunft boten die Supermärkte auch uneingedostes Gemüse an. Jene Ware besaß dieselben Eigenschaften wie der konservierte Matsch, aber man benötigte keinen Dosenöffner zum Verzehr.
Vom Gemüse der untanten Nonemmas unterschied sich die Supermarktsimulation durch das Fehlen des Geschmacksverstärkers Ackerscholle. Ebenso wie das Gemüse wurde auch das Obst hochkomplexen Sterilisationsprozessen unterzogen, bevor studentische Aushilfskräfte es in symmetrischer Perfektion zum Verkauf anordneten.
Es gilt als ökonomisches Axiom, dass der Einkaufspreis einer Ware mit steigender Stückzahl sinkt. Von diesem Gesetz profitierten die Supermärkte, während ihm die untanten Nonemmas zum Opfer fielen. Erstens besaßen sie nicht die finanziellen Mittel zum tonnenweisen Erwerb von Kohlköpfen, zweitens fehlte in den Sammelumkleidekabinen der Platz zur symmetrischen Anordnung, und drittens hätte ein solches Einkaufsgebaren gegen das Untante-Nonemma-Prinzip verstoßen.
Aber nicht jeder Kunde ließ sich von der dunklen Seite der Lebensmittelmacht akquirieren, und so wurden die einzelhandelslandschaftlichen Gewissenslücken, die durch den Niedergang der untanten Nonemmas entstanden waren, vom Phänomen der Ökoläden geschlossen. Und weil früher manches einfacher erschien, war der Ökobegriff umgehend mit einem lmage von lila Wadenwärmern, unverdaulicher Rohkost und Norwegerpullis besetzt.
Um dieses grobgeschrotete Image zu korrigieren und Kundenzielgruppen mit einem regelmäßigen Einkommen zu erschließen, wurde das Ök durch ein Bi ersetzt, und man ersann komplizierte Vorschriften, unter welchen Voraussetzungen ein Produkt mit dem - durch den Buchstabenaustausch entstandenen - Prädikat Bio versehen werden durfte.
Wenn es darum ginge, welche Silben in den letzten Jahren den höchsten Wertverfall an der Wörterbörse erfuhren, würde Bio auf einem der vorderen Plätze rangieren. Die Vertrauenskreditwürdigkeit dieser Silbenhülse nähert sich dem Nullwert. Gibt es überhaupt noch irgendwelche Produkte in der Nahrungskette, die auf ihren verschlungenen, dunklen Wegen in die Lebensmittelregale nicht mit dem Biostempel abgefertigt werden? Neben Biogemüse kann man sich Biofleisch, Biofisch, Biobrot, Biokäse, Bioschokolade, und vermutlich auch Biozigaretten andrehen lassen.
Sobald sämtliche Schnellrestaurantketten ihre Abfallprodukte unter dem Biolabel verhökern, wird die schöne neue Biowelt endlich perfekt sein.
13 Comments:
Nur eine Anmerkung: es gibt tatsächlich Biozigaretten, sie heißen 'American Spirit' (ohne jetzt Schleichwerbung machen zu wollen)...
Herr Quint, Sie sind zurück! Wie erfreulich!
Und was Bio angeht: Mit der Massenvermarktung verliert es in der Tat seine ursprüngliche Bedeutung. Der "neue" neue Trend sind die Erzeugerhöfe - Lebensmittel kaufen direkt vom Bauern. Auf dem flachen Land geht das glücklicherweise.
Ich entsage schon seit langem bio, logisch: ich will mir doch keine Vitaminvergiftung zuziehen.
klasse! bei mir um die ecke haben zwei bio-supermärkte ihre türen geöffnet. es erscheint mir allerdings widersinnig bioäpfel aus neuseeland oder bioknobi aus china (!) zu kaufen, deshalb habe ich diese lokalitäten noch nie betreten.
ein glück, dass ich in bayern UND auf dem flachen land wohne. es gibt sie hier noch, die guten discounter. ausserdem kommt alle 14 tage ein untanter nonemma mit seiner fahrenden sammelumkleide angebimmelt um die produkte seines hofes direkt bei uns vor der haustür feil zu bieten. bratwurst, leberwurst, eier .... eierlikör!
alles voll bio, ach was, öko, ey!
ich werd gleich mal "city - am fenster" einlegen und den ollen wollpulli rauskramen. WAA -nie! aufkleber liegen bestimmt auch noch irgenwo 'rum.
bio aus china, wo gleich nebenan die misgebildeten für kurze zeit zur welt kommen. tolle sache. vielleicht auch demnächst bio-chlorreiniger oder bio-kunstfaserkleidung...
Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang auch an die Folkrocker von Biohazard. Disorder war ein lecker fieses Klanggut dieser Kapelle. So richtig zum Rastalocken bangen. Falls man sich welche leisten konnte, wegen der Lehre bei der Sparkasse. Ihr wisst schon.
aber andi, alter schulfreund, du meinst wohl eher punishment oder urban discipline von der biogefahr. disorder ist doch von slayer. gern genommen natürlich auch bomber. das war noch echter biorock auf whiskybasis, mit ackerkrume in den röhren.
Ich schätze, dieser Post wird wohl nicht biologisch abbaubar sein...ein Denkmal sozusagen...oder ein Strahlencontainer... aber wo wir schon bei der Wirtschaft sind:
"In the long run, we`re all dead" J.M. Keynes
Und denn ganzen Biomüll packen wir dann in antibakterielle Müllbeutel, garantiert biologisch abbaubar, und tragen ihn (je nach persönlichem Biorhytmus) morgens oder abends in die Biotonne vor dem Biohaus....und einmal in der Woche kommt der Dipl. Biologe mit dem mit Biodiesel betriebenen Biomüllfahrzeug und entsorgt das ganze in einer Biomüllverbrennungsanlage, die dabei Biogas erzeugt...
Von Trends und Marketingtricks haben sich echte Emmas erfreulicherweise nie beeindrucken oder einschüchtern lassen.
Seit Jahrzehnten bewährte Konzepte bedürfen keiner hippen Anpassung der Angebotspalette. Warum auch?
Für jede Zielgruppe wird bestens gesorgt, für die großen und die kleinen Kunden wird ein ausgesuchtes Sortiment lebenswichtiger Waren bereit gehalten.
Nur manchmal werden bestimmte Artikel im Wandel der Zeit besonders beworben:
mit dem wechselnden Schnäppchen der Woche lockt man auch Sparfüchse in den Laden.
Neumodischen Schnickschnack sucht man hier übrigens vergebens: kein einziges Produkt trägt das verklärende BIO-Siegel.
Von morgens bis abends
wirst du beschissen,
die Nerven werden mittig zerissen,
so bleibt das Bio biologisch
und unser Denken politisch korrekt.
Guten Appetit!
/Sprachspielerin: Die Zielgruppe der gesund rauchenden Einfaltspinsel ist hoffentlich kleiner, als ich annehme.
/Scheibster: Erzeugerhöfe? Sie meinen, es gibt Orte, wo man Lebensmittel erwerben kann, die keinem Labor entstammen? Das ist doch Utopie, Herr Scheibster!
/Opa: Außerdem lauern noch andere Gefahren, wie die Steigerung des Wohlbefindens. Bäh!
/Mudshark: Gegen chinesische Bio-Knoblauchimporte ist nichts einzuwenden, solange die Anbaugebiete im Grundwasserbereich karmsinroter Industrieabwässer liegen.
Bayern war für die unfreistaatlichen Bundesländer in seiner Rückständigkeit schon immer zukunftsweisend.
/Eon: Auch Bio-Glykol für Winzer und Bio-Formaldehyd für Schreiner könnten neue Umweltperspektiven schaffen.
/Andie: Zum Glück wissen wir heute, dass es Naturrastalocken nie gab, sondern die Banklehrlinge am Wochenende schon immer Polymerperücken trugen.
/DanielSubreal: Jeder Text ist unter der Hirnrinde kompostierbar und dient als Düngemittel für neues Unkraut.
/Frau H.: Das wäre eine Möglichkeit. Um den Prozess zu verkürzen, kann man aber auch körpereigenes Biogas selbst produzieren, nach dem Erzeugerhof-Modell.
/Frech'n'Nett: Hervorragende Kurz-Reportage! Herzlichen Dank für diesen aufschlussreichen Einblick in das deutsche Landleben!
/derNachbar:
Du musst daran glauben
Dieses Siegel lügt nie
Will Zweifel dir rauben
an der Bioidiotie
Alle Kreter lügen, sagte der Kreter. Oder so. Die Korruptionsversuche des Bioattributs sollten doch wache Geister wie uns nicht darüber hinweg täuschen, dass es solche und solche Zertifikate gibt. Informationsgesellschaft! Verarschen lassen muss man sich ja nicht, wenn man nicht will, und demeter ist nicht Aldi, wobei Aldi bei der letzten öffentlich zugänglichen Greenpeace-Studie noch relativ gut abgeschnitten hat in punkto Schadstoffbelastung bei Lebensmitteln. Aber dass es bei Bioland und Co. um mehr geht als um ungespritzte Äpfel, das dürfte doch klar sein, spätestens wenn man wieder mal den Schaum im Bachwasser unterhalb eines konventionell betriebenen und düngerübersättigten Ackers erntdeckt. Aber selbst konvenionell und koventionell ist nicht immer das Gleiche. Der Teufel liegt doch im Detail! Pardon, aber die Welt ist in der Tat nicht mehr so einfach. Immerhin: Mit der Komplziertheit ist auch die Informationsmglichkeit drastisch angestiegen. Also, auch wenns manchmal knifflig ist, aber niemand muss heute Bioidiot sein.
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