Sonntag, Juni 03, 2007

S-21

Die menschliche Kreativität kennt keine Grenzen, wenn es um das Ersinnen von Grausamkeiten geht. Beim Übergang vom Tier zur Lebensform Mensch gehörte der bewusste Einsatz von Qual und Folter vermutlich zu einer der ersten kulturellen Errungenschaften.



Wenn man Folter ausschließlich unter dem Aspekt eines Instruments zur Informationsgewinnung betrachtet, wird man dem Phänomen nur teilweise gerecht. Ähnlich wie die Katze mit ihrer Beute spielt, bevor sie den tödlichen Genickbiss ausführt, scheint auch der Mensch in der gezielten Anwendung von Grausamkeit einen Unterhaltungswert zu erkennen.





















Wenn vom dunklen Mittelalter die Rede ist, denkt man nicht nur an Kriege und Pestepidemien, sondern auch an Streckbänke, Daumenschrauben und Gefäße, in die man ausgehungerte Ratten setzte, um sie anschließend auf den Bauch eines Folteropfers zu binden.


Das dunkle Mittelalter liegt scheinbar in weiter Ferne, aber in der Welt ist es seither nicht überall heller geworden. Im Gegenteil, seit Entdeckung der Elektrizität verdunkelte sich das Grauen in den Folterkammern.

An manchen Orten hat sich die Grausamkeit in einem Maß verdichtet, das für Außenstehende auf keiner Ebene des Verstehens erfassbar ist. In Stutthof und Dachau stand ich nicht nur dem Stacheldraht und den Folterkammern hilflos gegenüber, sondern auch den Grenzen meines Verstandes und den Kammern meiner Gefühle.



In der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh suchte ich das Foltergefängnis S-21 (Tuol Sleng) auf, in dem unter Pol Pots Terrorherrschaft vor rund 30 Jahren mindestens 14.000 Insassen zu Tode gefoltert wurden. Von sämtlichen Häftlingen überlebten nur sieben ihre Gefangenschaft im S-21.



Folgende Regeln wurden den Gefangenen eingebläut:
1. Du musst meinen Fragen entsprechend antworten ohne auszuweichen.
2. Versuche nicht, durch irgendwelche Vorwände Tatsachen zu verschleiern. Es ist dir streng verboten, mir zu widersprechen.
3. Sei kein Narr, der es wagt, sich der Revolution in den Weg zu stellen.
4. Du musst auf meine Fragen sofort antworten, ohne Zeit mit Nachdenken zu verschwenden.
5. Erzähle mir nichts über deine Unsittlichkeit oder über das Wesen der Revolution.
6. Während du Peitschenhiebe oder Stromstöße bekommst, darfst du nicht schreien.
7. Tue nichts, sitze ruhig, und warte auf meine Anweisungen. Wenn ich dich auffordere, etwas zu tun, musst du es sofort und ohne Protest tun.
8. Erfinde keine Vorwände über Kampuchea Krom (Anm.: indigene Khmer Minderheit in Südvietnam), um dein Geheimnis oder Verräter zu schützen.
9. Wenn du sämtliche, oben genannten Regeln nicht befolgst, bekommst du viele, viele Stromschläge.
10. Wenn du eine der Vorschriften missachtest, bekommst du entweder zehn Peitschenhiebe oder fünf Stromschläge.

Der Text beruht auf einer schlechten Übersetzung aus dem Khmer ins Englische; falls ein Mitglied der geschätzten Leserschaft über Kenntnisse des Khmer verfügt, bitte ich um Verbesserungsvorschläge zur Übersetzung des >>Originaltexts.

Vielleicht aufgrund medialer Abstumpfung oder Gewöhnungseffekte waren es nicht die Schilderungen der Haftumstände und Foltermethoden, die mich am stärksten lähmten, sondern zwei andere Fakten. Zum einen handelte es sich bei den Gebäuden des S-21 ursprünglich um eine Schule, also einen Ort, an dem Wissen und Bildung vermittelt wurden. Dieser Ort des Lernens wurde entfremdet und missbraucht als Ort, an dem Menschen jeden Alters mit Stromschlägen gequält, an ihren nach hinten gebundenen Armen aufgehängt und anschließend in Jauchefässer getunkt wurden.



Zum anderen lähmte mich die Schilderung, dass die Roten Khmer gezielt Kinder als Folterknechte einsetzten. Diese Kinder waren Berichten zufolge die grausamsten Wächter. Ihre Köpfe wurden wie Betriebssysteme mit bösartigen Inhalten infiziert, bis sie keine Tabus mehr kannten.

Die Hemmschwelle zur Folter liegt bei Menschen, die am eigenen Leib und an der eigenen Seele gequält wurden, niedriger als bei Menschen, die solche Erfahrungen nie machen mussten. Noch einfacher als ehemalige Opfer, deren Wertekatalog gelöscht wurde, lassen sich Kinder mit einem unbeschrieben Wertekatalog als Folterknechte missbrauchen.

Lernen und Bestätigung sind elementare Bedürfnisse von Kindern. Nicht nur in Kambodscha unter Pol Pot oder in afrikanischen Kriegsregionen wurden diese Bedürfnisse missbraucht. Und leider ist diese Art von Kindesmissbrauch keine Vergangenheit.
--
Bilder, von oben:
Gefangene im S-21
Folterzelle
In ehemalige Schulräume gemauerte Einzelzellen
Hinweis, auf dem Gelände nicht zu lachen
Hauptgebäude des S-21


>> S-21

31 Comments:

Anonymous Anonym said...

am obersalzberg zu stehen, über hitlerschen katakomben und dabei weit hinaus in das kitschig idyllische berchtesgadenerland zu blicken, war ein moment in dem mir vor betroffenheit die sprache fehlte. wo touristenbusse eifrig fotografierende ausladen, die hernach den souveniershop stürmen, während man selbst nicht fassen kann, wie ein so schöner ort derart übles gedankengut beherbergen konnte...

da haben sie mir eine tiefsinnigere nachdenkgrundlage geliefert, als das frühmorgenfernsehprogramm.

3.6.07  
Blogger mkh said...

Danke für diesen Weckruf der Wirklichkeit. Das Text- und Bildprojektil trifft.

Manchmal schreibt man oder liest man über Folter, Sklaverei und andere Quälereien, als wäre es ein selbstverständlicher Teil der Geschichte und der Gesellschaft. So wird es wohl auch sein. Ich hoffe nur, dass ich mich nicht zu sehr daran gewöhne. Verdrängen muss man ohnehin allzu vieles, um leben zu können.

Nicht weit vom Ort, wo ich schreibe, befindet sich die nächstgelegene KZ-Gedenkstätte. Hier wurden vor 60 Jahren Hunderte von Zwangsarbeitern nachts in einer Schule eingepfercht und mussten tags für eine unterirdische Motorenfabrik von DAIMLER-BENZ arbeiten. Seit 1947 wird das Gebäude wieder als Schule genutzt.

3.6.07  
Blogger nora said...

so oft, you leave me lost for words

3.6.07  
Blogger nora said...

..abgesehen diesmal vielleicht von einer blassen Erinnerung an einen Herbstmorgen in Buchenwald. Die SS-Kaserne, in der man heute in jugendherbergsartigen Verhältnissen unterkommen kann und das grosse Langneseschild neben dem Imbiss. Pommes für die Gaskammern.

3.6.07  
Blogger frech'n'nett said...

ich habe in stutthof in den "medizinsaal"gekotzt. und wenn ich wenigstens was gegessen hätte heute, dann könnte ich jetzt sofort kotzen.
(nein, mir ist gerade nicht vor hunger schlecht.)

3.6.07  
Blogger Frau H. said...

Ich verdaue jetzt auch schon den ganzen Tag Ihren Beitrag, Herr Quint, trotzdem bin ich sehr froh, dass Sie ihn geschrieben haben!

Und auch auf die Gefahr hin, Eulen nach Athen zu tragen, so ging mir, neben vielen anderen Gedanken dazu, das Milgram Experiment immer wieder durch den Kopf, das ich schon immer sehr erschreckend fand.
Trotzdem denke ich, dass wir eben jene Momente des Erschreckens und Erkennens brauchen, jene Orte der Erinnerung, des Mahnens, die uns jenes Potential an Grausamkeit bewußt vor Augen rufen, das letzten Endes in einem jeden von uns latent steckt und die es uns vielleicht eines Tages ermöglichen, davon abzulassen.

Danke für ein weiteres Stück "Erkennen"!

3.6.07  
Anonymous Anonym said...

Es gibt wirklich nichts, das mir soviel Angst macht, wie die Grausamkeit der Menschen untereinander!

4.6.07  
Anonymous Anonym said...

Hier wird etwas sehr wichtiges von Ihnen angesprochen, herr quint. Die bildung und die vermittlung von werten für unsere kinder. In den ersten lebens- und schuljahren werden die anker gesetzt in den köpfen der kinder. Keine bildung und anleitung/führung(vor allem vorbild!!!), entzug von liebe und zuwendung, mangelnde akzeptanz bei möglichen fehlern unserer kinder (fehler sind notwendig für den lernprozess!),fehlende akzeptanz über eingeschlagene wege unserer kinder, all das ist später kaum zu korrigieren und führt unter ungünstigen umständen bereits im kindesaltern zu einem verhalten wie beschrieben. Und mir stinkt es gerade in diesem reichen land, wie hier damit umgegangen wird. Und als vater zweier töchter, die sich in der ausbildung befinden, kann ich nur sagen, verantwortung fängt zuerst bei uns eltern an und dieses dauernde gejaule über den staat und gesellschaft ist so nutzvoll wie die wertediskussion durch die CSU.
und der besuch dieser stätten des terrors und die diskussion darüber
ist auch eine form der bildung.
danke für diesen beitrag, herr quint.

4.6.07  
Anonymous Anonym said...

Hier etwas mit tragischer Aktualität:

http://de.wikipedia.org/wiki/Nordkorea#Menschenrechte

4.6.07  
Anonymous Anonym said...

Mir geht es wie Frau H - ich denke, hier spricht etwas für sich selbst.

5.6.07  
Blogger mq said...

/MoniqueChantalHuber: Ich war noch nie am Obersalzberg. Es würde mich interessieren, was es im Souveniershop neben Hitlers Keimzelle des Wahnsinns zu kaufen gibt. Schneekugeln? Leporellos?

/Mkh: Aber woran liegt es, dass die Thematik weitgehend als "selbstverständlicher Teil der Geschichte und der Gesellschaft" akzeptiert wird? Mangel an positiven Utopien?
(Merci für den Hinweis auf die Gedenkstätte nahe Obrigheim.)

/Turnschuhmädel: a) Das erging mir mit Ihrem aktuellen Beitrag ähnlich.
b) Weimars Schattenseite rot-weiß. Frittierte Klassik.

/F'n'N: Ich war an einem wunderschönen Frühlingstag in Stutthof. Übergeben musste ich mich nicht, aber der Kontrast zwischen dem erblühenden Leben ringsum und dem Geruch des Todes, der an den Baracken klebt, war niederschmetternd.

/FrauH.: Ich habe zu danken! Ihr Kommentar ist eine sehr hilfreiche Ergänzung hinsichtlich der Ursachenforschung.

/Eon: Es gibt nichts, das mir soviel Angst macht, wie die Angst vor der Grausamkeit zu verlieren.

/The white lake knight: Meine Bewunderung gilt allen, denen es gelingt, ihren Kindern die Orientierung an Werten wie Verantwortung im Sinne des kategorischen Imperativs zu vermitteln.

/HinRichter: Nordkorea ist ein pechschwarzer Alptraum. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich die Verhältnisse, ähnlich wie in Kambodscha oder Vietnam, aufhellen werden.

/Neo-Bazi: Wir müssen uns - wenigstens - mit Worten gegen das Unbegreifbare wehren, denn es versucht, uns mit seiner Wortlosigkeit zu erschlagen.

5.6.07  
Blogger Frau H. said...

Nun, demnach kannten Sie es nicht? Um ehrlich zu sein, waren es genau die Ursachen eines solch grausamen Handelns bzw. die Fragen danach, die mich den ganzen Sonntag über immer wieder beschäftitigt haben. Ich glaube, der Schlüssel liegt in dem, was wir "Macht" nennen und irgendwann, in einer musigen Minute, werde ich die gesammelten Gedanken hierzu sicherlich einmal ausformulieren...auch wenn das schon viele vor mir besser getan haben werden ;)...denn so grausam ich die Menschen und ihr Verhalten von Zeit zu Zeit finde, so interessieren sie und ihr Verhalten mich doch auch sehr. Ursachenforschung ist ein spannendes Feld.

5.6.07  
Anonymous Anonym said...

der obersalzberg beherbergt ein sehr interessantes dokumentationszentrum, durch alte bunker zu wandern war eine gruslige erfahrung.

über all der bergidylle und waldesruh thront das letzte original erhaltene gebäude, gleich einem einäugigen zyklopen. ein überdimensionales graues puppenhaus mit einem einzigen riesigen fenster, darin eine fresshalle. ein abgewirtschaftetes lokal mit ausgetretenen bodendielen, an der decke girlanden in blau-weißer nationalfärbung.

im souveniershop nebenan gibt es postkarten und bildbände vom nahegelegenen adlerhorst zu erstehen, vermutlich auch teddybären und t-shirts und wanderabzeichen und schnapsgläser und jausenbretter, aber weder souvenierladen noch restaurant konnte/wollte ich vor betretenheit betreten.

6.6.07  
Anonymous Anonym said...

zuviel der bewunderung, herr quint. die verantwortung bezog sich nur auf mich. inwieweit es mir gelungen ist(das hört sich irgendwie furchtbar an, wie die beurteilung von laborresultaten)- meinen kindern werte zu vermitteln, die ihnen in ihrem leben helfen, wird sich zeigen. und die ansprüche des kategorischen imperativs des herrn kant sind ein sehr hoch gehängter brotkorb.

6.6.07  
Blogger mkh said...

/mq
Woran es liegt? Vielleicht daran, dass viele Menschen bei so viel Grausamkeit die Angst vor der Grausamkeit bereits verloren haben? Sie gehört dazu. Befürchte ich. - Und "positive Utopien" entwickeln und an sie glauben, das iat auch eine Kunst, für die nicht jeder begabt ist; dafür mag es mehr Menschen geben, deren Alltagsleben besser funktioniert, wenn sich Opfer und Sündenböcke finden lassen. Ich verstehe es nicht, aber es scheint leider so. - Vielleicht weiß REICHs "Rede an den kleinen Mann" noch eine gute Antwort auf die Ursachenfrage?

6.6.07  
Blogger Scheibster said...

Ja, die Krone der Schöpfung wird noch eine Weile brauchen, ihren Mangel an Instinkten durch Intelligenz zu ersetzen.

Ich hoffe nur, wir schaffen das, bevor es zu spät ist.

6.6.07  
Blogger mq said...

/Frau H.: Die verschiedenen Phänome im Spannungsfeld zwischen Macht und Freiheit zählen zu den interessantesten Themen. Allein die begriffliche Definition ist ein weites Feld. Es könnte also eine sehr lange musige Minute werden. Aber die Zeit wird nicht verschwendet sein - und machen Sie sich keine Sorgen über die Qualität Ihrer Formulierungen.

/MoniqueChantalHuber: Ihre eindrucksvolle Beschreibung lässt mir keine andere Wahl, als den Obersalzberg auf die Liste der notwendigen Sehenswürdigkeiten zu setzen. Und ich werde sowohl Souvenirladen als auch Restaurant inspizieren, das ist gewiss.

/The white lake knight: Hoch hängende Brotkörbe erhalten den notwendigen Hunger.

/Mkh: Vielleicht klingt es zu optimistisch, aber ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch in der Lage wäre, eine positive Utopie zu entwickeln - zumindest für sein eigenes Dasein.

/Scheibster: Instinkt - Intelligenz. Eine interessante Gegenüberstellung. (Leidet der Mensch tatsächlich unter einem Mangel an Instinkten?)

7.6.07  
Blogger Oles wirre Welt said...

Ich kann hier Nora nur nach dem Mund reden. Tief beeindruckend in jeder Hinsicht. Am vergangenen Wochenende habe ich eine andere Form von Folter erlebt, die diesem gegenüber aber nahezu lächerlich erscheint und mich fast geneigt macht, die Geschichte auszusparen für die weiteren Reiseberichts-Episoden. Mal schauen. Jedenfalls mein dickstes Kompliment hierfür, Q.!

7.6.07  
Blogger mq said...

Merci, Ole. Ich bin gespannt auf die weiteren Episoden der Schneckenumkurvungstour!

8.6.07  
Blogger Jan Spengler said...

Gestern habe ich zufällig etwas zu diesem Thema gelesen, was mich sehr nachdenklich stimmte.
Der Vollständigkeit halber gebe ich den ganzen Textblock an:

"Fürbitten
Lasst uns beten zu Jesus Christus, dem Richter über Lebende und Tote:
Herr, erbarme dich.

- Für alle, die ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder Religion willen verfolgt werden.

- Für alle, die andere Menschen foltern oder unterdrücken.

- Für alle, die im Namen der Religion Morde und andere Verbrechen begehen.

- Für alle Verstorbenen, deren Glaube oder guten Willen du alleine kennst."

Magnificat Juni 2007, Verlag Butzon&Bercker

Dieser Blickwinkel ist eigentlich Grundlage der Menschlichkeit und fester Bestandteil der Religion, obwohl auch diese oft herhalten musste/muss als Auslöser für Unterdrückung und Tod. Trotzdem überrumpelte mich die ungewohnte Offenheit. Für den Inquestor, für den Folterer, für Hitler oder Stalin beten?

Verzeihen ist wohl das einzig probate Mittel, die mentale Gesundheit zu erhalten.

10.6.07  
Blogger mq said...

Wenn das Beten dem Betenden hilft, kann dadurch mehr erreicht werden, als durch manche andere Handlungen.
Verzeihen ist eine rückwärtsgerichtete Handlung, die eine Unabänderlichkeit historischer Ereignisse voraussetzt. Was Folter und Unterdrückung betrifft, sollte es mehr präventive Entschlossenheit geben. Irgendwann sollte es der Menschheit gelingen, Grausamkeit nicht nur zu bedauern, sondern zu verhindern. Daran glaube ich.

10.6.07  
Blogger Jan Spengler said...

Das wäre schön. Zu schön um wahr zu sein? Die nötige präventative Entschlossenheit sehe ich aktuell leider nicht gegeben, im Gegenteil.

Wenn Schurkenstaaten wie die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich oder auch indirekt eine Bundesrepublik Deutschland als Helfershelfer die Folter global hoffähig machen als politisches Mittel, wie sollte man sie Ländern wie Nordkorea oder Sierra Leone verbieten wollen?

Grausamkeit entsteht wohl aus unendlichem Hass und der Unfähigkeit, mit anderen Mitteln zu überzeugen. Wie kann sich eine Zivilisation wie die USA offiziell(!) herunterlassen auf ein Niveau des späten europäischen Mittelalters? Das sie inoffiziell schon immer auf diesem Niveau unterwegs ist, ist ein alter Hut. Siehe Süd- und Mittelamerika in den 1960-90'ern.

Demokratie, Bildung und Wohlstand alleine sind wohl keine Garanten für echte Zivilisation. Daher fürchte ich, dass rüchwärtsgerichtete Handlungen vorerst an der Tagesordnung bleiben werden müssen. Wie schon in den letzten Millionen Jahren.

Der christliche Gebetansatz bietet für Gläubige immerhin die Möglichkeit, indirekt tätig zu werden (die christlichen Konfessionen wenden sich im Gebet direkt an Gott und gehen davon aus, dass Gott Gebete hört). Der zweite Ansatz ist aktive Arbeit bei Initiativen wie AI.

10.6.07  
Blogger mq said...

Demokratie, Bildung und Wohlstand sind die einzigen Garanten für funktionierende Zivilisationen. Das Problem besteht allein im weltweiten Mangel dieser Komponenten bzw. in der ungleichen Verteilung.

12.6.07  
Blogger Jan Spengler said...

Aber warum funktionieren diese Garanten nicht in allen Ländern, die sich meist selbst als überaus zivilisiert betrachten.
Als Beispiel die USA. (Stichwörter Guantanamo-Bay, Todesstrafe, [Weisse]Folter als legale Verhörmethode)

Liegt es vielleicht an der Dekadenz, der maßlosen Überheblichkeit?

Um nochmals die altehrwürdige Moralkiste zu öffnen, die Tugenden der Seligpreisungen sind unter anderem Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Sanftheit, Reinheit des Herzens und Friedfertigkeit. Dies kann auch für einen Staat gelten.

12.6.07  
Blogger mq said...

Es liegt tatsächlich an Dekadenz, Überheblichkeit und zentristischen Weltbildern. Nicht jeder, der sich selbst als zivilisiert bezeichnet, ist es auch. Zum Beispiel ein Land, in dem Schusswaffen ohne Umgehung von Gesetzen problemlos erworben werden können, ist nicht zivilisiert. Denn in einer funktionierenden Zivilisation dürfte niemals das Faustrecht gelten.

Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln die Gespräche zwischen Mitreisenden verfolgt, stellt man schnell fest, dass Bildung auch hierzulande nicht die wichtigste Rolle spielt. Alternativ dazu kann man einen x-beliebigen TV-Sender anschalten.

Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Sanftheit und Friedfertigkeit sind die Voraussetzungen für ein Weltbild, das auf Bildung, Offenheit, Lehre, Forschung und Aufklärung beruht. Zur Reinheit des Herzens kann ich nichts sagen, da ich nicht weiß, was das sein soll.

12.6.07  
Blogger Jan Spengler said...

Wir kommen der Sache wohl näher.
Wohlstand ist m.E. nicht ausschlaggebend für Humanität und Pflege der Tugenden. Möglicherweise ist Wohlstand sogar hinderlich, da er Dekadenz und ein egozentrisches Weltbild fördert.

Demokratie ist nicht ebenfalls zwingend notwendig für eine funktionierende Zivilisation. Sie schützt jedoch noch am ehesten vor machthungrigen, menschenverachtenden Despoten und ist daher ein Erfolgsmodell.

Was mir an rappenden Zeitgenossen mit martialischem Äußerem gut gefällt ist die Wiedereinführung des Wortes Respekt.

Respekt vor anderen, vor Meinungen, Kulturen. Auch vor sich selbst. Die gegenwärtige Friedfertigkeit der BRD beruht nicht auf Wohlstand oder irgendeiner Vormachtsstellung, sondern auf Respekt vor der Geschichte und dem Wissen (durch Bildung!) um die eigene latente Boshaftigkeit, Brutalität und Schlechtigkeit.

Folter ist hierzulande daher kein Thema (mehr). Es könnte ja der Anfang sein zu einem neuen Trauma.

Für mich ist lebendiger Geschichtsbezug und Wissen um die eigenen Wurzeln lebenswichtig und nötig, um im komplexen Alltag auf dem Boden zu bleiben. Diese Bodenhaftung ist vielen Menschen und leider auch ganzen Nationen abhanden gekommen.

Die naturgemäß eintretende Landung kann ihnen leicht das Genick brechen.

12.6.07  
Blogger mq said...

Wir sind uns einig bis auf zwei Punkte: 1. So kann nur jemand über Wohlstand reden, der ihn selbst genießt. Sicher bedarf der Begriff einer näheren Definition, aber wenn es ums nackte Überleben geht, zählt Humanität nicht zu den naturgegebenen Instinkten. Hierbei sind Menschen wie Janusz Korczak - eines meiner wenigen Vorbilder - die große Ausnahme.
2. Man nenne mir ein funktionierendes politisches Konstrukt außerhalb der Demokratie, mittels dessen sich eine Massenzivilisation auf humane Weise steuern lässt (oder ließ).

13.6.07  
Blogger Jan Spengler said...

Warum sollte einer, dem es um das nackte Überleben geht (also wohl min. 50% der Weltbevölkerung) andere foltern oder unmenschliche Gewalt anwenden? Jeden Tag sterben sicher sehr viele Menschen an Armut, ohne jemals einem anderen Menschen ein Leid zugefügt zu haben.

Zu 2), eine Monarchie oder selbst eine Diktatur ermöglicht dies. Eine Diktatur ist ja nicht per Definition schlecht, sie verleitet jedoch die Machthabenenden zu Machtmissbrauch um jeden Preis.

14.6.07  
Blogger mq said...

zu 1.) Möglicherweise waren wir vom ursprünglichen Thema abgeschweift, denn zuletzt war im Zusammenhang mit dem Wohlstandsbegriff von Humanität, Pflege der Tugenden und Dekandenz die Rede.
zu 2.) Das mag in der politischen Theorie zutreffen, aber nenne mir ein Beispiel für eine Diktatur, die im Sinne der Humanität funktioniert(e).

14.6.07  
Blogger Jan Spengler said...

Ich möchte Diktaturen nicht schönreden, da es zu viele Negativbeispiel gibt. Als Übergangsregierungen gab es jedoch einige (sehr wenige) Diktaturen, die halfen, aus noch grösserem Schlamassel rauszukommen. Beispiel Südkorea. Nach dem Koreakrieg ermöglichte eine Militärdiktatur wirtschaftliche Wiederbelebung und breite Bildung des ganzen Volkes - allerdings auf Kosten der Pressefreiheit.

Demokratien sind auf jeden Fall vorzuziehen und sie sind auch das Erfolgsmodell, wie oben geschrieben. Aber sie sind leider kein Garant für Humanität.

Und es auch nicht so, dass jedes Volk die Regierung hat, die es verdient. Es wird manchmal viel Schmuh getrieben. Beispiel? Stimmcomputerwahlen in Florida, die veranstaltet werden vom Bruder eines despotenähnlichen Präsidenten, und diesem helfen, um Haarsbreite im Amt bestätigt zu werden.

14.6.07  
Blogger mq said...

Wenn die Presse als vierte Macht im Staat ihrer Freiheit - und damit ihrer Funktion - beraubt wird, kann von einem humanen politischen System keine Rede sein. Denn das wichtigste Instrument zur Aufdeckung von Verstößen gegen die Humanität konnte in Südkorea bis zu den demokratischen Reformen in den 1980er Jahren nicht funktionieren.

16.6.07  

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