Im Magnetfeld der Mittelmäßigkeit
Als er von der Toilette zurückkam, lag sie in einer verkrümmten Haltung neben dem Ohrensessel. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie Escher an. Im Tod schien ihr Ausdruck zu einer Mischung aus Verachtung und Verwunderung erstarrt. Das Buch aus dem Antiquarium der vergessenen Außergewöhnlichkeiten war ihrem Griff entglitten. Zuerst erschrak er, dann ging er mit einer übertriebenen Langsamkeit zum Sessel. Er beugte sich über sie und drückte die erloschenen Augen sanft mit seinem Daumen und Zeigefinger zu. Dabei hielt er sich an der Lehne fest, um das Gleichgewicht zu wahren. Bei der Berührung spürte er, dass sie bereits kalt war. Escher lächelte.
Er setzte sich in den Ohrensessel und genoss die vorgewärmte Freundlichkeit, mit der ihn das Möbelstück empfing. Was sollte mit der Leiche geschehen? Ihn graute davor, sie noch einmal zu berühren, und es erschien ihm unmöglich, eine andere Person mit der Angelegenheit zu behelligen. Er hätte auch nicht gewusst, an welche Stelle man sich in solchen Fällen wenden konnte, und ob es entsprechende Formalitäten gab. Also würde er ihre leblose Hülle auf den Holzdielen ruhen lassen.
Vor vielen Jahren hatte er sie mit der Droge bekannt gemacht. Ihr Tod war die Konsequenz aus dieser ersten Begegnung. Die Neugierde, der Rausch, und die Spannung beim Betreten exotischer Territorien waren schnell dem Sog einer Abhängigkeit gewichen. Die Flucht aus der Gewohnheit wurde zur Sucht, aber früher oder später besteht der einzige Sinn einer Sucht wieder aus der Gewohnheit, womit der Abhängige die leeren Räume seines Alltags füllt.
Da seine Mittelmäßigkeit endlich an einer Überdosis des Außergewöhnlichen krepiert war, überlegte Escher, wie er ihre verblichenen Überreste bestatten sollte. Ein unauffälliges Begräbnis ohne Trauergäste hätte ihr gefallen.
Plötzlich öffnete die am Boden liegende Mittelmäßigkeit für einen kaum wahrnehmbaren Moment ein Auge und zwinkerte ihm zu. Als sich ihre Blicke berührten, spürte Escher, wie ihre Anziehungskraft wuchs. Es schien ihr zu gelingen, das Magnetfeld wieder zu aktivieren. Escher würde sich eine gründlichere Methode ausdenken müssen. Aber er ahnte bereits, dass auch sein nächster Mord nicht der letzte sein würde.
Er setzte sich in den Ohrensessel und genoss die vorgewärmte Freundlichkeit, mit der ihn das Möbelstück empfing. Was sollte mit der Leiche geschehen? Ihn graute davor, sie noch einmal zu berühren, und es erschien ihm unmöglich, eine andere Person mit der Angelegenheit zu behelligen. Er hätte auch nicht gewusst, an welche Stelle man sich in solchen Fällen wenden konnte, und ob es entsprechende Formalitäten gab. Also würde er ihre leblose Hülle auf den Holzdielen ruhen lassen.
Vor vielen Jahren hatte er sie mit der Droge bekannt gemacht. Ihr Tod war die Konsequenz aus dieser ersten Begegnung. Die Neugierde, der Rausch, und die Spannung beim Betreten exotischer Territorien waren schnell dem Sog einer Abhängigkeit gewichen. Die Flucht aus der Gewohnheit wurde zur Sucht, aber früher oder später besteht der einzige Sinn einer Sucht wieder aus der Gewohnheit, womit der Abhängige die leeren Räume seines Alltags füllt.
Da seine Mittelmäßigkeit endlich an einer Überdosis des Außergewöhnlichen krepiert war, überlegte Escher, wie er ihre verblichenen Überreste bestatten sollte. Ein unauffälliges Begräbnis ohne Trauergäste hätte ihr gefallen.
Plötzlich öffnete die am Boden liegende Mittelmäßigkeit für einen kaum wahrnehmbaren Moment ein Auge und zwinkerte ihm zu. Als sich ihre Blicke berührten, spürte Escher, wie ihre Anziehungskraft wuchs. Es schien ihr zu gelingen, das Magnetfeld wieder zu aktivieren. Escher würde sich eine gründlichere Methode ausdenken müssen. Aber er ahnte bereits, dass auch sein nächster Mord nicht der letzte sein würde.
Labels: Escher
18 Comments:
Eine hübsche Idee, dass man seiner eigenen Mittelmäßigkeit das Lebenslicht auspusten kann.
Ich fürchte nur, dass hinter der Ecke, um die man die Mittelmäßigkeit gerade gebracht hat, schon die nächste lauert, bereit, Teil des eigenen Lebens zu werden.
Zunächst hatte ich statt Antiquarium Aquarium gelesen und gestaunt. Gestaunt habe ich direkt danach nochmal. Über den psychologischen Feinsinn und die formulatorischen Großtaten. Aber, und das ist ja auch beinahe erstaunlich, das ist an dieser Stelle ja schon nichts Erstaunliches mehr. :)
Da der Mensch von Natur aus mittelmäßig ist und ihn genau das evolutionär gesehen bisher so erfolgreich machte, wird Eschers Kampf tatsächlich ewig dauern.
Interessanter Gedanke in gewohnt kunstvoller Wortverpackung!
Widme ihr bloß nicht so viel Aufmerksamkeit und Beachtung - so ein Text kann ja nur nach hinten los gehen -, irgendwann verschwindet sie ganz von allein. Ein Mord macht jede Mittelmäßigkeit glücklich, Nichtbeachtung hingegen lässt sie ganz von allein eingehen...
...nichtbeachtung halte ich persönlich für einen unglücklichen plan.
sie wird trotzdem bleiben, zieht sich lediglich in eine ruhige ecke zurück, lauernd, unauffällig, geduldig, lächelnd, wissend, dass ihr großer auftritt über kurz oder lang kommen wird.
wiegt man sich einigermaßen in sicherheit und denkt, man könne sich entspannt zurücklehnen,
springt sie überraschend und blitzschnell hervor aus ihrem versteck und rammt einem das messer bis zum heft in die eingeweide.
vielleicht kann man sich arrangieren mit ihr? hier und da ein fläschchen rotwein, ein stück schokolade, eine freundliche aufmerksamkeit, eine kleine konversation...bis sie glatt fehlen würde, wäre sie gegangen?
die mittelmäßigkeit ist nicht tot zu kriegen, weil ihre kollegin durchschnittlichkeit in besonders pikanten fällen für sie einspringt.
Wenn man seine Mittelmäßigkeit immer schön mitnimmt und ihr die ganzen Außergewöhnlichkeiten hier und dort auf der Welt (oder anderer Leute Blogs) zeigt, dann verschwindet sie irgendwann von ganz allein. Das hält die nämlich nicht aus. Meine sitzt übrigens wieder mal gerade neben mir und ängstigt sich vor deinem Text. Soll sie sich ruhig genau ansehen...
Bildungsbürgerspießig komm ich jetzt mit dem von mir so sehr geliebten Hans Castorp, der ja als Verkörperung der Mittelmäßigkeit auch die sieben fetten Jahre überlebte und so - gottseidank - all diese beZaubernden Erfahrungen machen konnte.
...andererseits kenne ich meine Mittelmäßigkeit natürlich auch in dieser scheußlichen Pose, wenn sie seit Tagen betrunken und ungeduscht auf der Couch hockt, meine Kreativität frißt und Verkaufsfernsehen schaut...
pfui!
Wie immer klasse. Der Herr Escher in seinem Krieg gegen sich selbst...
@mq
hab dich bei uns mal in die blogroll aufgenommen, ok?
/Falcon: Genau. Problem erkannt, Gefahr noch lange nicht gebannt ...
/Ole: Merci für die deutlich über Mittelmaß liegende Kritik :)
/Scheibster: Ich bin davon überzeugt, dass es nicht die Mittelmäßigkeit ist, die den Menschen im Verlauf der Evolution erfolgreich machte, sondern die außergewöhnlichen Ideen und Taten.
/Der Nachbar: Der Nachteil bei der Vogel-Strauß-Taktik besteht darin, dass das Hinterteil zu Tritten geradezu einlädt, während der Kopf im Sand steckt.
/Frech'n'Nett: Mir ist die Mittelmäßigkeit bislang eher als Giftmörderin begegnet, aber ansonsten stimme ich dem ersten Teil des Kommentars zu. Ein Arrangement der beschriebenen Art lehne ich jedoch vehement und kategorisch ab - wie jede Art der Korruption :)
/Wort-Wahl: Sind die beiden nicht Zwillinge?
/Eon: Meine bekommt in regelmäßigen Abständen einen Kopfhörer aufgesetzt, und dann wird die Freie Stimme Berlin bis zum Anschlag aufgedreht.
/Daniel: Auch wenn ich nicht zu den größten Bewunderern des Hrn. Mann (Sen.!) zähle, an der genannten Zauberei kommt man nicht vorbei. Und man darf sich fragen, warum die Lektüre dieses Autors immer wieder in Zusammenhang mit Bildungsbürgertum und Spießigkeit gebracht wird. (Zumal beide Begriffe in heutiger Zeit Worthülsen sind.) Deiner Mittelmäßigkeit bin ich übrigens noch nicht begegnet, du scheinst sie gut zu verstecken.
/Hinrichter: Als überzeugter Demokrat habe ich zunächst gestutzt, denn ich fand die Theorien der Herren Bakunin, Kropotkin, Landauer, Mühsam etc. nie vertretbar - das waren meine ersten Assoziationen. Das Konzept, innerhalb des Systems frei zu sein & frei zu leben erscheint mir hingegen plausibel!
Ich bewundere Eschers Unnachgiebigkeit.
Ich meinte eher sowas wie: der Gedanke ist der Vater aller Dinge, auch der Mittelmäßigkeit. Das hat nix mit Vogel-Strauss-Taktik zu tun; bei einer solchen hätte ich natürlich auch Sorge um mein Hinterteil.
ich weiß nicht (ein schöner Anfang für jeden Kommentar, plädiert er doch auf Unzurechnungsfähigkeit) also.. ich weiß nicht.. aber Escher ist mir in seiner abgespacten Mittelmäßigkeit verdammt sympatisch. Mir kommt es so vor als ob er genre graue Klamotten trägt und gelbe Zähne hat. Trotzdem oder gerade deshalb? ich weiß nciht...Ob er mal zum Tee kommen würde?
/Rabe: Ich auch.
/Der Nachbar: Ich weiß nicht, wie Escher damit umgehen würde, aber wenn z.B. ich versuche, einen Gedanken zu vermeiden, kann ich an nichts anderes mehr denken.
/Joppi: Die Klamotten wurden vermutlich im Verlauf unzähliger falscher Waschprogramme grau, und maßloser Teegenuss färbte die Zähne gelb.
Das Mittelmaß wirkt häßlich. Besonders wenn es lacht oder zwinkert.
Das Schlimme daran: Es ist die Freundlichkeit per se.
sauber,sauber, diese bloggeschichten
beginnen mir zu gefallen.ein dickes
dankeschön.
@mq
weil wir im system frei sein wollen heisst es ja auch NEO- Anarchie *g*
die traditionellen anarchisten sind leider schwer realitätsfern, da der mensch durchschnittlich einfach zu schlecht ist, um frei von regeln zu leben.
bis also eon evolutionssprung den menschen das ermöglicht, begnüge ich mich damit, innerhalb der gegebenen grenzen frei zu sein. und freiheit fängt immer im geist an...
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