1987 (Teil 2/3)
Abseits der hübschen Häuser, in denen die Kibbuzniks wohnten, gab es mehrere schlichte Gebäude auf dem Kibbuzgelände, und in jedem waren sechs bis acht Volunteers in Zimmern mit jeweils zwei Betten untergebracht. Der heruntergekommene Zustand der Zimmer und der Matratzen störte uns nicht, wir hatten in den vergangenen Monaten jenes Sommers an weitaus schlimmeren Stellen geschlafen. Da waren die Straßengräben am Autoput im damaligen Jugoslawien, Abbruchhäuser am Rand von Thessaloniki, Strände mit verwilderten Hunden an der türkischen Schwarzmeerküste, oder die Hafenmauer im syrischen Lattakia.
Am besten gefiel uns die Internationalität der anderen Volunteers im Kibbuz. Mit einem Engländer namens Tony, der in Begleitung seiner Flamme Joan unterwegs war, verstand ich mich besonders gut. Ausgerechnet mit ihm hatte ich anfangs Schwierigkeiten, denn ich begriff erst nach einer Weile, dass es sich bei seinem provokativen Gehabe lediglich um die liebenswürdige Großmäuligkeit handelte, die man in Teilen der englischen Bevölkerung findet. Was ich zunächst als aggressive Herausforderung aufgefasst hatte, war eigentlich als Sympathiebekundung gemeint. Später hatten wir viel Spaß daran, uns während der Arbeit neue Schimpfwörter auszudenken und gegenseitig an den Kopf zu werfen.
Außer an Tony erinnere ich mich noch gut an Wim, der zusammen mit seiner Freundin Mareike in Maanit gelandet war und von Israel aus weiter nach Australien wollte. Wim verweigerte sich aus Überzeugung seinen staatsbürgerlichen Pflichten und wurde in den Niederlanden wegen Fahnenflucht polizeilich gesucht. Weil er die Zeit des Militärdienstes nicht im Gefängnis verbringen wollte, hatte er beschlossen, nie wieder in seine Heimat zurückzukehren.
Sarah, eine schweigsame Irin, trug immer ein Messer am Gürtel. Sie war ein düsterer Typ und sehr trinkfest. Eines Tages wurde sie aufgefordert, den Kibbuz sofort zu verlassen. Den Grund dafür wollte sie uns nicht nennen, und auch R. äußerte sich nicht zu dem Thema. Sarah ging ohne Abschied.
Die Arbeit im Kibbuz gefiel uns. A. und ich waren dazu eingeteilt, einem der Gärtner bei der Pflege der Grünflächen zwischen den Gebäuden zu helfen. Da man es während der Mittagshitze in der Sonne - auch ohne körperliche Betätigung - kaum aushielt, mussten wir sehr früh aufstehen. Dafür war der Arbeitstag am frühen Nachmittag beendet, und man konnte den Rest des Tages am Pool herumlungern oder sich mit anderen lasziven Tätigkeiten beschäftigen.
Gut gefielen uns auch die drei regelmäßigen Mahlzeiten täglich. Zusätzlich erhielt man ein kleines Taschengeld, das in eine Gemeinschaftskasse wanderte und anschließend in Wodka investiert wurde. Zur Organisation des Wodkas wurden wöchentlich kleine Komitees gebildet, die aus zwei Leuten bestanden und per Autostop ins nahe gelegene Hadera fuhren. Dort besorgte man den Fusel in einem Supermarkt und trampte anschließend, mit Flaschen bepackt, zurück nach Maanit. Eine höchst vertrauensvolle Aufgabe. Weil man das billige Zeug pur kaum durch den Hals bekam, wurde in einem kleinen Laden, der zum Kibbuz gehörte, eine Art Zitronenlimonade zum Verdünnen gekauft. Auf diese Weise war man, neben dem regelmäßigen Essen, auch mit einer regelmäßigen Getränkezufuhr versorgt.
Da es ansonsten wenig Ablenkung gab, musste jeden Tag ein Anlass für eine Party gefunden werden. Dieses Problem war leicht zu lösen, dauernd gab es Willkommens-, Abschieds-, Geburtstags-, Vollmond-, und sonstige Parties. Dabei blieben die Volunteers unter sich. Überhaut lernte man, über die nötigen Kontakte während der Arbeit hinaus, kaum einen Kibbuznik kennen. Die Erkärung dafür war einfach. Es trafen ständig Leute aus aller Welt ein, um für einige Wochen oder wenige Monate im Kibbuz zu leben. Die Israelis wussten, dass engere Bindungen aufgrund der befristeten Aufenthalte keinen Sinn machten, und investierten daher kaum Zeit in Bekanntschaften mit den Fremden.
Dann erfuhren wir, dass sich eine Bewohnerin des Kibbuz mit uns treffen wollte. Es handelte sich um eine alte Frau, die der Vernichtung in Deutschland entkommen war. Seither hatte sie ihre Muttersprache Deutsch nicht mehr gesprochen. Sie lud uns in ihr Haus ein, wir tranken gemeinsam Tee und unterhielten uns über unverfängliche Dinge. Sie sprach vollkommen akzentfrei deutsch. Obwohl die alte Frau sehr freundlich war, und sich aufrichtig über unseren Besuch zu freuen schien, empfanden wir die Atmosphäre als beklemmend, da man uns während der Schulzeit erfolgreich das zwischen den Zeilen des Lehrplans vorgeschriebene Maß an Schuldbewusstsein eingetrichtert hatte. Über diesen Besuch haben A. und ich später nie wieder geredet.
Wenige Tage nach Sarahs Entlassung wurde der Russe Karim gefeuert. Karim war erst wenige Monate zuvor aus Russland über die finnische Grenze geflüchtet und hatte sich anschließend durch Mittel- und Südeuropa bis nach Israel durchgeschlagen. Auch in seinem Fall erfuhren wir den Grund für die Entlassung nicht. Aber man hatte das Gefühl, dass R. mehr über ihre Volunteers wusste, als manchen recht war.
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Fortsetzung morgen
Am besten gefiel uns die Internationalität der anderen Volunteers im Kibbuz. Mit einem Engländer namens Tony, der in Begleitung seiner Flamme Joan unterwegs war, verstand ich mich besonders gut. Ausgerechnet mit ihm hatte ich anfangs Schwierigkeiten, denn ich begriff erst nach einer Weile, dass es sich bei seinem provokativen Gehabe lediglich um die liebenswürdige Großmäuligkeit handelte, die man in Teilen der englischen Bevölkerung findet. Was ich zunächst als aggressive Herausforderung aufgefasst hatte, war eigentlich als Sympathiebekundung gemeint. Später hatten wir viel Spaß daran, uns während der Arbeit neue Schimpfwörter auszudenken und gegenseitig an den Kopf zu werfen.
Außer an Tony erinnere ich mich noch gut an Wim, der zusammen mit seiner Freundin Mareike in Maanit gelandet war und von Israel aus weiter nach Australien wollte. Wim verweigerte sich aus Überzeugung seinen staatsbürgerlichen Pflichten und wurde in den Niederlanden wegen Fahnenflucht polizeilich gesucht. Weil er die Zeit des Militärdienstes nicht im Gefängnis verbringen wollte, hatte er beschlossen, nie wieder in seine Heimat zurückzukehren.
Sarah, eine schweigsame Irin, trug immer ein Messer am Gürtel. Sie war ein düsterer Typ und sehr trinkfest. Eines Tages wurde sie aufgefordert, den Kibbuz sofort zu verlassen. Den Grund dafür wollte sie uns nicht nennen, und auch R. äußerte sich nicht zu dem Thema. Sarah ging ohne Abschied.
Die Arbeit im Kibbuz gefiel uns. A. und ich waren dazu eingeteilt, einem der Gärtner bei der Pflege der Grünflächen zwischen den Gebäuden zu helfen. Da man es während der Mittagshitze in der Sonne - auch ohne körperliche Betätigung - kaum aushielt, mussten wir sehr früh aufstehen. Dafür war der Arbeitstag am frühen Nachmittag beendet, und man konnte den Rest des Tages am Pool herumlungern oder sich mit anderen lasziven Tätigkeiten beschäftigen.
Gut gefielen uns auch die drei regelmäßigen Mahlzeiten täglich. Zusätzlich erhielt man ein kleines Taschengeld, das in eine Gemeinschaftskasse wanderte und anschließend in Wodka investiert wurde. Zur Organisation des Wodkas wurden wöchentlich kleine Komitees gebildet, die aus zwei Leuten bestanden und per Autostop ins nahe gelegene Hadera fuhren. Dort besorgte man den Fusel in einem Supermarkt und trampte anschließend, mit Flaschen bepackt, zurück nach Maanit. Eine höchst vertrauensvolle Aufgabe. Weil man das billige Zeug pur kaum durch den Hals bekam, wurde in einem kleinen Laden, der zum Kibbuz gehörte, eine Art Zitronenlimonade zum Verdünnen gekauft. Auf diese Weise war man, neben dem regelmäßigen Essen, auch mit einer regelmäßigen Getränkezufuhr versorgt.
Da es ansonsten wenig Ablenkung gab, musste jeden Tag ein Anlass für eine Party gefunden werden. Dieses Problem war leicht zu lösen, dauernd gab es Willkommens-, Abschieds-, Geburtstags-, Vollmond-, und sonstige Parties. Dabei blieben die Volunteers unter sich. Überhaut lernte man, über die nötigen Kontakte während der Arbeit hinaus, kaum einen Kibbuznik kennen. Die Erkärung dafür war einfach. Es trafen ständig Leute aus aller Welt ein, um für einige Wochen oder wenige Monate im Kibbuz zu leben. Die Israelis wussten, dass engere Bindungen aufgrund der befristeten Aufenthalte keinen Sinn machten, und investierten daher kaum Zeit in Bekanntschaften mit den Fremden.
Dann erfuhren wir, dass sich eine Bewohnerin des Kibbuz mit uns treffen wollte. Es handelte sich um eine alte Frau, die der Vernichtung in Deutschland entkommen war. Seither hatte sie ihre Muttersprache Deutsch nicht mehr gesprochen. Sie lud uns in ihr Haus ein, wir tranken gemeinsam Tee und unterhielten uns über unverfängliche Dinge. Sie sprach vollkommen akzentfrei deutsch. Obwohl die alte Frau sehr freundlich war, und sich aufrichtig über unseren Besuch zu freuen schien, empfanden wir die Atmosphäre als beklemmend, da man uns während der Schulzeit erfolgreich das zwischen den Zeilen des Lehrplans vorgeschriebene Maß an Schuldbewusstsein eingetrichtert hatte. Über diesen Besuch haben A. und ich später nie wieder geredet.
Wenige Tage nach Sarahs Entlassung wurde der Russe Karim gefeuert. Karim war erst wenige Monate zuvor aus Russland über die finnische Grenze geflüchtet und hatte sich anschließend durch Mittel- und Südeuropa bis nach Israel durchgeschlagen. Auch in seinem Fall erfuhren wir den Grund für die Entlassung nicht. Aber man hatte das Gefühl, dass R. mehr über ihre Volunteers wusste, als manchen recht war.
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Fortsetzung morgen
5 Comments:
Wie war denn die Frau der Vernichtung entkommen? Habt ihr euch mit ihr darüber unterhalten können?
Sie hatte Deutschland vor 1938 verlassen und war über eine Zwischenstation (ich glaube, es war England) nach Israel gekommen.
Jetzt hätte ich gerne Einbick in R.`s Akten, um mehr über die Hintergründe der Entlassungen zu erfahren... Haben die Kibbuzniks einen guten Draht zum israelischen Geheimdienst?
Absolut fantastische Texte, Herr Quint. Alle beide. Den ersten wollte ich schon gestern begeistert bejubeln, ehe mein Rechner abschmierte... :)
/MKH: Die ursprüngliche Idee der Kibbuzim war zionistisch geprägt, Kibbuzniks standen oft an vorderster Front, wenn es um die Verteidigung ihres Landes ging. Eine schillernde militärische Persönlichkeit war z.B. der ehemalige Kibbuzbewohner Meir Amit, der auch einige Jahre Chef des Mossad war. Wie eng die Verbindungen der einzelnen Kibbuzim zum Mossad sind, vermag ich nicht zu sagen, aber Israel ist ein Dorf ...
/Ole: Der endlose Privatkrieg des vernetzten Menschen gegen die Technik ist ein verzichtbares Statussymbol. Aber es freut mich sehr, dass du dir die Meinung deines Rechners nicht aufdrängen lässt, dem meine Texte offenbar nicht gefallen ... :)
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