München - Venedig (XI): Gottes Götter?
Vor rund 17 Jahren hatte der Saxophonist und Komponist Wolfgang Puschnig auf dem Jazzfestival in Moers die Amstettner Musikanten dabei, eine krachlederne Bierzeltkapelle. Puschnig sagte damals sinngemäß, wenn schon alle ständig auf der Suche nach irgendwelchen Roots seien, dann wäre es an der Zeit, sich mit den eigenen Roots zu beschäftigen. Der Ankündigung folgte eine astreine Fusion zwischen alpenländischer Tradition und zeitgenössischem Jazz mit freien Enflüssen. Jenes Konzert eröffnete mir eine Welt, die vor der Haustür lag.
Leider wird überlieferte Volksmusik häufig mit volkstümlicher Berieselung verwechselt, was in erster Linie entsprechenden Fernsehformaten zu verdanken ist. Dem nach Originalität strebenden Künstler ist es hingegen erlaubt, die Früchte für sein Kompottpourri in jedem Klanggarten zu pflücken. In einer Zeit, in der alles mit allem fusioniert werden darf, wird es aufgrund der globalisierten Verschmelzung der Welten und trotz einhergehender medialer Vielfalt schwieriger, Wurzeln auszugraben. Zudem sind Reinformen nicht populär, weil inhaltlich unverzerrt und nicht dem Zeitgeist angepasst. Ethno gilt als schick, solange die Klänge in gegenwärtige Strömungen fließen und in modernen Verpackungen stecken.
Wie ein überlieferter Ländler oder eine lupenreine Polka rocken, erfährt man abends auf der Kreuzwiesenhütte, wenn einer der beiden Söhne des Hauses in die Akkordeonknöpfe greift. Ich erlebte einen begabten jungen Musiker, der traditionelle Arrangements mit Perfektion und Lässigkeit vortrug.
Am nächsten Morgen brach ich auf, als sich die Sonne noch hinter den Bergen verbarg. Auf der Landschaft lag Nebel wie grauer Brei. Zu welchem Zweck der Bagger rund 2100 Meter über dem Meeresspiegel auf jener Wiese stand und wie er dorthin kam, blieb ebenso undurchsichtig wie der Nebel. Spuren, sollte es jemals welche gegeben haben, waren verwischt.
Auf Höhe des Baggers trottete mir eine Kuh entgegen. Sie zeigte enormes Interesse an meiner Regenjacke und versuchte, das Kleidungsstück zu fressen. Dieses Verhalten war unerhört, zumal meine Jacke weder die Farbe noch den Geschmack einer artgerechten Milchkuhmahlzeit besaß. Ich drückte das Rindvieh zur Seite und bog zum Jakobsstöckl ab.
Im Nebel erscheint manches klarer, auch die Bedeutung einer Hypothese, die der Mensch auf den Namen Gott getauft hat. Jener Herr Gott glaubt womöglich im Traum nicht daran, dass es Menschen gibt, und wir kennen Gründe, gleichermaßen an seiner Existenz zu zweifeln. Sollte es einen Weltenschöpfer geben, könnte er nach durchzechter achter Nacht verkatert in einem hinteren Winkel seines Ateliers sitzen und sich den Rauschebart raufen, nachdem ihm klar geworden war, was er im Rausch angerichtet hatte.
Aber vielleicht ist der Mensch sogar der Gott Gottes, und Gott verehrt die Menschen als seine Götter? Auch darüber lassen sich keine Informationen finden - nur erfinden, denn selbst die vom Menschen geschaffenen Götter hüllen sich in Schweigen, was ihre innersten Überzeugungen angeht.
Ebenso viele Argumente wie für den Zweifel gibt es für den Glauben an Gott. Die nicht nachweisbare Instanz erleichtert das irdische Elend und bringt Licht in die Tiefen menschlicher Abgründe. Religionen liefern Erklärungen für Unerklärbares, dienen als Projektionsfläche für menschliche Verantwortung, bieten Trost in scheinbaren Ausweglosigkeiten oder Einsamkeiten und sind Adressaten für das menschliche Bedürfnis, sich zu bedanken. Einer der wichtigsten Aspekte göttlicher Macht besteht darin, dass sie nicht nachweisbar bleiben muss und sich dennoch im Handeln des überzeugten Gläubigen äußert. Ein Gottesbeweis würde den Tod Gottes bedeuten.
Während ich über Gott und die Welt sinnierte, kam mir eine Kuh entgegen. Sie wich nicht aus, sondern steuerte direkt auf mich zu und biss in meine Jacke. Wenige Meter entfernt stand der Nebelbagger. Ich war im Kreis gelaufen.
Mein Kompass wies mir den Weg in Richtung Süden. Ich ignorierte jede Markierung und jedes Schild, stur orientierte ich mich an der Nadel, die sich am irdischen Magnetismus ausrichtete. Diese Entscheidung führte mich wenige Stunden später zum Peitlerkofel.
Nachdem ich die harmlose Peitlerscharte bezwungen und eine Rast an der Schlüterhütte eingelegt hatte, machte ich mich auf den Weg zur Roascharte. Aus der Ferne schien der Bergkamm unbezwingbar. Aber viele Probleme verlieren ihre abschreckende Wirkung, wenn man sich ihnen nähert, manche Lösungen ergeben sich im Tun.
Weil sich der Himmel zuzog und schmutzige Wolkenfetzen vom Wind über die Gipfel getrieben wurden, entschied ich mich, nicht über die Forcella Nivea zu gehen, sondern auf unter 2500 Meter abzusteigen und unterhalb der Forcella Forces de Sielles zur Puez Alpe zu klettern.
Blick aus südlicher Richtung auf die Roascharte
Der Weg in die Abenddämmerung führte an Bildern vorbei, die sich der schriftlichen Beschreibung entziehen. In seltenen Momenten beherrscht eine Fotografie die Sprache besser als das Wort.
--
>> Alpine Aspects
>> Akkordeonisten, Kreuzwiesenhütte
Leider wird überlieferte Volksmusik häufig mit volkstümlicher Berieselung verwechselt, was in erster Linie entsprechenden Fernsehformaten zu verdanken ist. Dem nach Originalität strebenden Künstler ist es hingegen erlaubt, die Früchte für sein Kompottpourri in jedem Klanggarten zu pflücken. In einer Zeit, in der alles mit allem fusioniert werden darf, wird es aufgrund der globalisierten Verschmelzung der Welten und trotz einhergehender medialer Vielfalt schwieriger, Wurzeln auszugraben. Zudem sind Reinformen nicht populär, weil inhaltlich unverzerrt und nicht dem Zeitgeist angepasst. Ethno gilt als schick, solange die Klänge in gegenwärtige Strömungen fließen und in modernen Verpackungen stecken.
Wie ein überlieferter Ländler oder eine lupenreine Polka rocken, erfährt man abends auf der Kreuzwiesenhütte, wenn einer der beiden Söhne des Hauses in die Akkordeonknöpfe greift. Ich erlebte einen begabten jungen Musiker, der traditionelle Arrangements mit Perfektion und Lässigkeit vortrug.
Am nächsten Morgen brach ich auf, als sich die Sonne noch hinter den Bergen verbarg. Auf der Landschaft lag Nebel wie grauer Brei. Zu welchem Zweck der Bagger rund 2100 Meter über dem Meeresspiegel auf jener Wiese stand und wie er dorthin kam, blieb ebenso undurchsichtig wie der Nebel. Spuren, sollte es jemals welche gegeben haben, waren verwischt.
Auf Höhe des Baggers trottete mir eine Kuh entgegen. Sie zeigte enormes Interesse an meiner Regenjacke und versuchte, das Kleidungsstück zu fressen. Dieses Verhalten war unerhört, zumal meine Jacke weder die Farbe noch den Geschmack einer artgerechten Milchkuhmahlzeit besaß. Ich drückte das Rindvieh zur Seite und bog zum Jakobsstöckl ab.
Im Nebel erscheint manches klarer, auch die Bedeutung einer Hypothese, die der Mensch auf den Namen Gott getauft hat. Jener Herr Gott glaubt womöglich im Traum nicht daran, dass es Menschen gibt, und wir kennen Gründe, gleichermaßen an seiner Existenz zu zweifeln. Sollte es einen Weltenschöpfer geben, könnte er nach durchzechter achter Nacht verkatert in einem hinteren Winkel seines Ateliers sitzen und sich den Rauschebart raufen, nachdem ihm klar geworden war, was er im Rausch angerichtet hatte.
Aber vielleicht ist der Mensch sogar der Gott Gottes, und Gott verehrt die Menschen als seine Götter? Auch darüber lassen sich keine Informationen finden - nur erfinden, denn selbst die vom Menschen geschaffenen Götter hüllen sich in Schweigen, was ihre innersten Überzeugungen angeht.
Ebenso viele Argumente wie für den Zweifel gibt es für den Glauben an Gott. Die nicht nachweisbare Instanz erleichtert das irdische Elend und bringt Licht in die Tiefen menschlicher Abgründe. Religionen liefern Erklärungen für Unerklärbares, dienen als Projektionsfläche für menschliche Verantwortung, bieten Trost in scheinbaren Ausweglosigkeiten oder Einsamkeiten und sind Adressaten für das menschliche Bedürfnis, sich zu bedanken. Einer der wichtigsten Aspekte göttlicher Macht besteht darin, dass sie nicht nachweisbar bleiben muss und sich dennoch im Handeln des überzeugten Gläubigen äußert. Ein Gottesbeweis würde den Tod Gottes bedeuten.
Während ich über Gott und die Welt sinnierte, kam mir eine Kuh entgegen. Sie wich nicht aus, sondern steuerte direkt auf mich zu und biss in meine Jacke. Wenige Meter entfernt stand der Nebelbagger. Ich war im Kreis gelaufen.
Mein Kompass wies mir den Weg in Richtung Süden. Ich ignorierte jede Markierung und jedes Schild, stur orientierte ich mich an der Nadel, die sich am irdischen Magnetismus ausrichtete. Diese Entscheidung führte mich wenige Stunden später zum Peitlerkofel.
Nachdem ich die harmlose Peitlerscharte bezwungen und eine Rast an der Schlüterhütte eingelegt hatte, machte ich mich auf den Weg zur Roascharte. Aus der Ferne schien der Bergkamm unbezwingbar. Aber viele Probleme verlieren ihre abschreckende Wirkung, wenn man sich ihnen nähert, manche Lösungen ergeben sich im Tun.
Weil sich der Himmel zuzog und schmutzige Wolkenfetzen vom Wind über die Gipfel getrieben wurden, entschied ich mich, nicht über die Forcella Nivea zu gehen, sondern auf unter 2500 Meter abzusteigen und unterhalb der Forcella Forces de Sielles zur Puez Alpe zu klettern.
Blick aus südlicher Richtung auf die Roascharte
Der Weg in die Abenddämmerung führte an Bildern vorbei, die sich der schriftlichen Beschreibung entziehen. In seltenen Momenten beherrscht eine Fotografie die Sprache besser als das Wort.
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>> Alpine Aspects
>> Akkordeonisten, Kreuzwiesenhütte
8 Comments:
ich kann mich gut entsinnen, das wir gemeinsam ein konzert von FSK im club w71 in weikersheim besuchten. ich fand's klasse. es kam mir schon damals so vor, als müsste man mehr aus seinen eigentlichen musikalischen wurzeln machen. mir hat an der schiessbude allerdings immer der zugang dazu gefehlt. zu fad dieser 3/4 takt. der herr von goisern ist heutzutage dick im geschäft mit solch anam zeig.
baggernde kühe im hochgebirge sind mir nicht fremd. bei einer mtb tour hat mich mal eine kuh von oben bis unten abgeschleckt, also so richtig obszön!. sie fand wohl meinen salzigen schweiß so geil.
nuja, immer gut für überraschungen die berch!
Nicht zu vergessen, dass Ablasssystem (wirklich drei s???) der Kirche....nie war sündigen so einfach wie damit!
Trotzdem ist es irgendwie besser zu glauben, ohne gläubig zu sein. Finde ich.
Das besagte Jazzfestival in unserer Grafschaft habe ich ja stets gemieden, aber vielleicht gehe ich im nächsten Sommer hin und finde meine Erleuchtung...
Wieder 1A Bericht mit Sternchen, Herr Q.
"Im Nebel erscheint manches klarer..."
Erhellend, mitzulesen, wie du mit den Synapsen wanderst!
Um Gottes Willen... die Kuh war schon immer die physisch manifestierte Gestalt des göttlichen Willens, heiliger Geist, heilges Blechle und heilige Schokolade. Kann es Zufall sein, dass im Rahmen (<-- Achtung Kalauer) ketzerischer gedanken zweimal dieses archaische wilde Tier auf Sie einstürzt? was muß noch alles passieren -oh HErr- welche Zeichen mußt Du noch wirken bis den Menschen Deine Gegenwart offenbar wird?!!
Treiben Sie es nicht zu weit, Herr Q - Gott neigt zu in seinen Strafexpidetionen zu Übertreibungen.
Ein wohlmeinender Freund..
Zur These, dass Reinformen zwangsläufig immer unpopulär sein müssten, bin ich anderer Meinung - hab jetzt aber nicht so richtig Zeit für eine der bekannt abstrusen Beweisführungen (deshalb lese ich ja gerade in diesem Moment Blog...).
Vielleicht wenigstens eine Illustration, dass es auch bei Volksmusik so richtig abgehen kann: Hier.
du siehst mich beeindruckt, fernbeweht und mit zappeligen zehen. danke!
/MudShark: Leider bin ich auf jener allzu bequemen Couch eingeschlafen und versäumte einen Großteil des Konzerts, was jedoch nicht gegen die Musik, sondern vielmehr für die Couch sprach. Die literarischen Erzeugnisse von Thomas Meinecke sind nicht im 3/4 Takt verfasst und als Couchlektüre empfehlenswert.
/Frau H.: Und weil Sie sündigen mit Ablasssyssstem knorke finden, haben Sie direkt Ihr Weblog abgelasssen, oder wie?
/ttr: In Moers war ich nur einmal, aber damals hatte neben Wolfgang Puschnig auch >Kevin Eubanks einen beeindruckenden Auftritt.
/mkh: Wenn man die richtigen Synapsen gegeneinander schlägt, fliegen Funken.
/joppi: Jetzt und in Ewigkeit. Rahmen.
/100 Goldfischli: Das zünftige Bild wurde sogar schonmal >> freitagsbetextet.
/kopffüßelnde: Lass den Zehen freien Lauf!
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