München - Venedig (IV): Scheinbare Kleinigkeiten, unscheinbare Großartigkeiten
Im Morgengrauen nahm ich ein Bad in der Isar, das eisige Wasser riss die letzte Körperzelle aus der Trägheit des Erwachens. Weit entfernt waren Gebirgsausläufer des Voralpenlandes zu erkennen.
Meine Vorfreude auf die Berge wuchs, und einen Teil des Weges nach Bad Tölz legte ich in gemäßigtem Lauftempo zurück. Dabei kam mir die Spielfilmserie Soweit die Füße tragen aus dem Jahr 1959 in den Sinn, die zusammen mit der Verfilmung des Seewolfs (1971) zu den Höhepunkten meiner TV-Sozialisation gehört.
In Soweit die Füße tragen wird die Geschichte eines deutschen Soldaten erzählt, der aus einem sibirischen Kriegsgefangenenlager flieht und sich jahrelang, meist zu Fuß, zurück in die Heimat durchschlägt. Aber auch unter weniger gefahrvollen Umständen ist der menschliche Körper darauf eingerichtet, tägliche Strecken von 30-50 Kilometern zu Fuß zurückzulegen. An dieser Fähigkeit hat sich in den letzten hunderttausend Jahren nichts geändert, nur nutzen wir sie selten. Daher muss die Überwindung langer Distanzen nicht als besondere Leistung gelten, sondern stellt vielmehr eine Aktivierung natürlicher Veranlagungen dar. Bewegung erfordert Kraft zur Überwindung der Bequemlichkeit, aber wenn der erste Schritt als schwierigster aller Schritte getan wird, schafft die Anstrengung ein Fundament zum Aufbau neuer Energie.
Erreicht man einen gleichmäßigen, nahezu meditativen Rhythmus der Schritte, erscheint es zuweilen, als würde man sich nicht selbstständig durch die Landschaft bewegen, sondern auf der Stelle treten und die Landschaft wie eine Drehbühne vorbeigezogen werden. In diesem Zustand öffnet sich die Wahrnehmung für scheinbare Kleinigkeiten und unscheinbare Großartigkeiten.
Da ich in einer ländlichen Gegend aufwuchs, sollten Kühe keine außerordentlichen Eindrücke bei mir hinterlassen und - zusammen mit Sonnenuntergängen, Stränden und Wasservögeln - zur Kategorie der Motivmassenware einfallsloser Freizeitknipser gehören. Aber ich freue mich jedes Mal über Begegnungen mit Kühen unter freiem Himmel, zumal viele ihrer Artgenossen ein Dasein als Turbo-Milchmaschinen in High-Tech-Verschlägen verbringen.
Der Isarstausee bot Gelegenheit, die Füße zu kühlen und Wasservögel zu knipsen.
Beinahe wäre ich am Rand der sonnigen Idylle eingeschlafen. Aber mein Tagesziel war die Benediktenwand, also marschierte ich weiter in Richtung Ortsmitte Bad Tölz. Dort hielt ich es für standesgemäß, im Café Solo zu frühstücken. Anschließend setzte ich mein Solo fort und ging am Fluss entlang nach Arzbach, wo ich einen letzten Blick auf die Isar warf. Über Almen führte der Weg nun in die Berglandschaft. Ich kam dem Alpen-Panorama näher.
Sanfte Steigungen wandelten sich in steile Anstiege, und die Nachmittagssonne steigerte den Durst, der mit Quellwasser gestillt werden konnte. Von einem Bergsattel, der vor dem Abstieg zum Tagesziel bezwungen werden musste, konnte man weit in die bayrische Ebene blicken.
Am frühen Abend stand ich vor dem ersten gewaltigen Steinmassiv auf meiner Reise, der Benediktenwand.
(...)
Meine Vorfreude auf die Berge wuchs, und einen Teil des Weges nach Bad Tölz legte ich in gemäßigtem Lauftempo zurück. Dabei kam mir die Spielfilmserie Soweit die Füße tragen aus dem Jahr 1959 in den Sinn, die zusammen mit der Verfilmung des Seewolfs (1971) zu den Höhepunkten meiner TV-Sozialisation gehört.
In Soweit die Füße tragen wird die Geschichte eines deutschen Soldaten erzählt, der aus einem sibirischen Kriegsgefangenenlager flieht und sich jahrelang, meist zu Fuß, zurück in die Heimat durchschlägt. Aber auch unter weniger gefahrvollen Umständen ist der menschliche Körper darauf eingerichtet, tägliche Strecken von 30-50 Kilometern zu Fuß zurückzulegen. An dieser Fähigkeit hat sich in den letzten hunderttausend Jahren nichts geändert, nur nutzen wir sie selten. Daher muss die Überwindung langer Distanzen nicht als besondere Leistung gelten, sondern stellt vielmehr eine Aktivierung natürlicher Veranlagungen dar. Bewegung erfordert Kraft zur Überwindung der Bequemlichkeit, aber wenn der erste Schritt als schwierigster aller Schritte getan wird, schafft die Anstrengung ein Fundament zum Aufbau neuer Energie.
Erreicht man einen gleichmäßigen, nahezu meditativen Rhythmus der Schritte, erscheint es zuweilen, als würde man sich nicht selbstständig durch die Landschaft bewegen, sondern auf der Stelle treten und die Landschaft wie eine Drehbühne vorbeigezogen werden. In diesem Zustand öffnet sich die Wahrnehmung für scheinbare Kleinigkeiten und unscheinbare Großartigkeiten.
Da ich in einer ländlichen Gegend aufwuchs, sollten Kühe keine außerordentlichen Eindrücke bei mir hinterlassen und - zusammen mit Sonnenuntergängen, Stränden und Wasservögeln - zur Kategorie der Motivmassenware einfallsloser Freizeitknipser gehören. Aber ich freue mich jedes Mal über Begegnungen mit Kühen unter freiem Himmel, zumal viele ihrer Artgenossen ein Dasein als Turbo-Milchmaschinen in High-Tech-Verschlägen verbringen.
Der Isarstausee bot Gelegenheit, die Füße zu kühlen und Wasservögel zu knipsen.
Beinahe wäre ich am Rand der sonnigen Idylle eingeschlafen. Aber mein Tagesziel war die Benediktenwand, also marschierte ich weiter in Richtung Ortsmitte Bad Tölz. Dort hielt ich es für standesgemäß, im Café Solo zu frühstücken. Anschließend setzte ich mein Solo fort und ging am Fluss entlang nach Arzbach, wo ich einen letzten Blick auf die Isar warf. Über Almen führte der Weg nun in die Berglandschaft. Ich kam dem Alpen-Panorama näher.
Sanfte Steigungen wandelten sich in steile Anstiege, und die Nachmittagssonne steigerte den Durst, der mit Quellwasser gestillt werden konnte. Von einem Bergsattel, der vor dem Abstieg zum Tagesziel bezwungen werden musste, konnte man weit in die bayrische Ebene blicken.
Am frühen Abend stand ich vor dem ersten gewaltigen Steinmassiv auf meiner Reise, der Benediktenwand.
(...)
10 Comments:
Große Klasse, wie du uns mitnimmst. Ich bin dabei - Schritt für Schritt.
das war ein ordentlicher marsch heute!
[...]In diesem Zustand öffnet sich die Wahrnehmung für scheinbare Kleinigkeiten und unscheinbare Großartigkeiten [...]
klasse ist auch der moment, an dem die dauerberieselung des alltags abgeplätschert ist und der kopf mit einem mal frei wird für eigene kreativität und die intensive wahrnehmung der umwelt. manchmal fühlt sich das an wie ein rausch. die körperliche belastung tritt dann völlig in den hintergrund und die fortbewegung durch eigene muskelkraft erzeugt ein wohliges glücksgefühl.
Neben der Be-Wegung durch das Laufen sind die Naturerfahrung und die Stille sehr intensive und nachhaltig erfrischende Erlebnisse. Möglicherweise auch eine Art persönlicher Wiederentdeckung der menschlichen Herkunft als Jäger und Sammler. Die Gene, Instinkte und Reflexe sind ja noch vielfältig darauf abgestimmt.
Ich bin gespannt auf die nun anstehenden Erlebnisse in den Bergen. Der August war regenerisch und kühl, Du wirst wohl einige Härte-Etappen durchlebt haben.
Ich schätze drei Dinge:
- dass du dir die Zeit genommen hast, loszugehen,
- dass du losgegangen bist,
- und dass du darüber schreibst!
Sehr schön, wie du über das Gehen reflektierst.
Ich bin dabei und gespannt, wie´s weiter geht!
Wenn ich mir vorstelle, dass Sie im nexten Beitrag wahrscheinlich jene naturgewaltige Wand, die Sie uns auf dem letzten Foto präsentieren, überwinden müssen und werden, dann erschaudere ich schon jetzt vor Respekt und die Spannung darauf ist groß...
Auf auf Wandersmann!
"Groß" im Sinne von "großartig", Sacklzementbimbamnuamol! (Mitgehen mit den doppelt besockten Füßen in eine Decke gewickelt. Danke.)
Keine Enttäuschung, weit und breit. Aber Spannung. Und Vorfreude.
Teil drei und vier gerade in einem Atemzug gelesen...
Wann kommt die Wandbezwingung? :)
Schweiß, wunde Füsse, schrundige Schultern, laufen, sich klein in der Weite fühlen... tut man sich doch gerne an
Fußkranker Bazifist: Und ich schwimme im Meer deiner Texte, Zug um Zug. (Abrissbirnen zu Wortscharen!)
/MudShark: Körperliche Belastung ist einer der Wege zu geistiger Freiheit, und ich wundere mich über Menschen, die diesen Weg meiden.
/Andie Kanne: Kommt diese Ahnung der Ursprünge nicht in jeder Wildnis, häufig auch außerhalb eines natürlichen Umfelds, zutage?
/mhk: Und ich weiß zu schätzen, dass du dir die Zeit für Ausflüge hierher nimmst.
/Frau H.: Es sollten noch Berge bezwungen werden, aber jene Wand stand diesmal nicht im Weg.
/stilhäschen: Merci vielmals. (Für Nicht-Franken: Ein Sacklzementbimbamnuamol ist eines der großartigsten fränkischen Komplimente.)
/ttr: Ich habe mit Nr. V extra auf dich gewartet - damit du keine drei Teile hintereinander lesen musst ;)
/Joppi: Und dann auch noch die entsetzlich frische Luft!
Hut ab, MQ! Diese ursprünglichste und ruhigste, den Sinnen und Augenblicken zuträglichste Weise der Fortbewegung ist wundervoll.
Wünsche gutes Gelingen.
Vor der Benediktenwand hätte mein rastloses Kletterherz sicher dergestalt geschlagen, dass der Rest der Reisegesellschaft ein Echo von der Wand zurük geworfen bekommen hätte.
Kommentar veröffentlichen
<< Home