Gespensterfenster und angefressene Äpfel
Können Sie sich noch an die Zeiten der digitalen Hysterie erinnern? An die Bedrohungsszenarien mit Big Brother Bill im Visier nerdschen Hasses, weil man den blassen Siliziumschrat mit der Eiswürfelbrille im Verdacht hatte, dass er ein Betriebssystem als Gespenst der totalen Überwachung hinter bunten Fensterchen in Millionen Wohnzimmer schmuggeln wollte? Können Sie sich noch an die Prophezeiungen Pizza kauender Propheten erinnern, dass die Privatsphäre sämtlicher Bürger verglast wird? Und erinnern Sie sich an Ihre Flüche auf die Firma mit einem Fenster im Wappen, deren Massenware schon bei Verlassen der Produktionsstätte fehlerhaft und veraltet war?
Die Pizza kauenden Propheten sollten Recht behalten. Der elektronisierte Mensch ist in einem Netz aus gläsernen Maschen gefangen. Allerdings beschwert sich kaum noch einer über die Produkte des Mannes mit der Eiswürfelbrille. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens hat sich die Stabilität der Software aus den Giftküchen des Siliziumschrats seit den Zeiten der digitalen Hysterie deutlich verbessert, die Geduld der Anwender wird nicht mehr von pausenlosen Unpässlichkeiten und Abstürzen strapaziert. Und zweitens können inzwischen in jedem Kinderzimmer Angebote gebastelt werden, an die sich beliebige Tracking-, Data Mining-, oder sonstige Module zur Spurensicherung anflanschen lassen. Man kann sich kaum noch unbeobachtet in der digitalen Dimension bewegen. Aber offenbar hat man sich daran gewöhnt: Die Kontrolle steht doch im Dienst des Nutzers, der sich in seiner Einsamkeit regelmäßig darüber freut, dass er beim Betreten irgendwelcher Online-Baracken namentlich von einem Codefetzen begrüßt wird. Und warum sollte man sich überhaupt daran stören, dass ein Betriebssystem zwecks regelmäßiger Updates nach Hause telefoniert? Die Möglichkeit des Zugriffs auf private Dateien besteht noch immer - aber wer glaubt noch daran, dass der milliardenschwere Siliziumschrat ein Interesse an Urlaubsfotos oder mittelmäßigen Lebensläufen hat?
Keine Hölle ohne Himmel. Seit die unendlichen Verkettungen von Nullen und Einsen aus der digitalen Ursuppe plätschern, existiert in einem Paralleluniversum die weiße Welt des Guten. Und sie trägt in ihrem Wappen die angebissene Frucht der Versuchung. Im Zusammenhang mit diesem Wappen wurde nie von Überwachung oder bösen Absichten des diensthabenden Obergurus gesprochen. Die Schar seiner Jünger folgte ihm und seinen Produktreihen in tiefem Glauben an Qualität und beglückendes Design. Diese Welt wurde sogar von den Schurken der biologischen Kriegsführung respektiert und weitgehend verschont, es kursierten kaum bösartige Virenepidemien.
Genau zum richtigen Zeitpunkt, nämlich als die religiösen Geschäfte zunehmend schlechter liefen, hatten der Guru und seine Mitarbeiter eine Erleuchtung. Basierend auf einer verbreiteten Techologie konstruierten sie ein kleines Gerät, das ein Vielfaches kostete im Vergleich zu anderen Geräten, deren Anwendung auf derselben Technologie beruhte. Aber es sah eleganter aus und war angeblich auch einfacher zu bedienen. So gelang es dem Guru, seine Jünger von einem nagelneuen Gott zu überzeugen. Gleichzeitig erschuf er eine Wunderwelt, aus der man sich musikalische Inhalte beschaffen konnte, wenn man kleine Spenden in den Klingelbeutel warf. Dann konnte man die Inhalte nach Herzenslust mit Hilfe spezieller Software auf dem kleinen Gerät ablegen, ordnen und archivieren. Der Datenaustausch fand zwar in beide Richtungen statt, aber was sollte der Guru im Gegensatz zum Siliziumschrat schon bösartiges mit den Informationen über die Gläubigen anfangen? Es herrschte eine friedliche Atmosphäre der Nächstenliebe und des gegenseitigen Vertrauens.
Vor einigen Tagen präsentierte der Guru während eines Konzils ein neues Gerät zur Bereicherung des Devotionalienportfolios. Überraschend spät reichte er seiner Gemeinde diesen Kelch, um die Menschheit endlich auch im Bereich der mobilen Kommunikation auf die rechten Pfade der Erkenntnis zu führen. Er ließ eigens einen handlichen Fernsprecher entwickeln, der sich in den technischen Möglichkeiten unwesentlich von anderen zeitgenössischen Gadgets seiner Gattung unterscheidet. Aber seine Jünger müssen das Gerät anbetungswürdig finden, denn erstens sieht es knorke aus, zweitens trägt es das beliebte Adelswappen, und drittens kann man sich darauf verlassen, dass auch der Preis wieder ein exorbitantes Differenzierungsmerkmal darstellt. Außerdem wird das Produkt dank einer ebenso stabilen wie proprietären Software brav mit den anderen Produkten aus dem Hause der angefressenen Frucht korrespondieren. So funktioniert Kundenbindung bei der Festigung einer Weltreligion. Aber das größte Erfolgsgeheimnis besteht darin, dass die Gebetbücher und ihre Inhalte in derselben Kirche entworfen werden.
Gestatten Sie noch eine letzte Frage am Tellerrand: Warum verkörperte der eine Multimilliardär traditionell die Macht des Bösen, während die Produkte des anderen Multimilliardärs stets vergöttert wurden?
Über den Tellerrand hinaus ragt die Anmerkung, dass es zu jeder Zeit hervorragende Alternativen zu den herrschenden Weltreligionen der elektronischen Datenverarbeitung gab. Aber jene Glaubensgemeinschaften konnten aufgrund ihrer zweifelhaften Konzepte keine nennenswerte Verbreitung finden, denn umsonst ist den Konsumenten zu billig.
Die Pizza kauenden Propheten sollten Recht behalten. Der elektronisierte Mensch ist in einem Netz aus gläsernen Maschen gefangen. Allerdings beschwert sich kaum noch einer über die Produkte des Mannes mit der Eiswürfelbrille. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens hat sich die Stabilität der Software aus den Giftküchen des Siliziumschrats seit den Zeiten der digitalen Hysterie deutlich verbessert, die Geduld der Anwender wird nicht mehr von pausenlosen Unpässlichkeiten und Abstürzen strapaziert. Und zweitens können inzwischen in jedem Kinderzimmer Angebote gebastelt werden, an die sich beliebige Tracking-, Data Mining-, oder sonstige Module zur Spurensicherung anflanschen lassen. Man kann sich kaum noch unbeobachtet in der digitalen Dimension bewegen. Aber offenbar hat man sich daran gewöhnt: Die Kontrolle steht doch im Dienst des Nutzers, der sich in seiner Einsamkeit regelmäßig darüber freut, dass er beim Betreten irgendwelcher Online-Baracken namentlich von einem Codefetzen begrüßt wird. Und warum sollte man sich überhaupt daran stören, dass ein Betriebssystem zwecks regelmäßiger Updates nach Hause telefoniert? Die Möglichkeit des Zugriffs auf private Dateien besteht noch immer - aber wer glaubt noch daran, dass der milliardenschwere Siliziumschrat ein Interesse an Urlaubsfotos oder mittelmäßigen Lebensläufen hat?
Keine Hölle ohne Himmel. Seit die unendlichen Verkettungen von Nullen und Einsen aus der digitalen Ursuppe plätschern, existiert in einem Paralleluniversum die weiße Welt des Guten. Und sie trägt in ihrem Wappen die angebissene Frucht der Versuchung. Im Zusammenhang mit diesem Wappen wurde nie von Überwachung oder bösen Absichten des diensthabenden Obergurus gesprochen. Die Schar seiner Jünger folgte ihm und seinen Produktreihen in tiefem Glauben an Qualität und beglückendes Design. Diese Welt wurde sogar von den Schurken der biologischen Kriegsführung respektiert und weitgehend verschont, es kursierten kaum bösartige Virenepidemien.
Genau zum richtigen Zeitpunkt, nämlich als die religiösen Geschäfte zunehmend schlechter liefen, hatten der Guru und seine Mitarbeiter eine Erleuchtung. Basierend auf einer verbreiteten Techologie konstruierten sie ein kleines Gerät, das ein Vielfaches kostete im Vergleich zu anderen Geräten, deren Anwendung auf derselben Technologie beruhte. Aber es sah eleganter aus und war angeblich auch einfacher zu bedienen. So gelang es dem Guru, seine Jünger von einem nagelneuen Gott zu überzeugen. Gleichzeitig erschuf er eine Wunderwelt, aus der man sich musikalische Inhalte beschaffen konnte, wenn man kleine Spenden in den Klingelbeutel warf. Dann konnte man die Inhalte nach Herzenslust mit Hilfe spezieller Software auf dem kleinen Gerät ablegen, ordnen und archivieren. Der Datenaustausch fand zwar in beide Richtungen statt, aber was sollte der Guru im Gegensatz zum Siliziumschrat schon bösartiges mit den Informationen über die Gläubigen anfangen? Es herrschte eine friedliche Atmosphäre der Nächstenliebe und des gegenseitigen Vertrauens.
Vor einigen Tagen präsentierte der Guru während eines Konzils ein neues Gerät zur Bereicherung des Devotionalienportfolios. Überraschend spät reichte er seiner Gemeinde diesen Kelch, um die Menschheit endlich auch im Bereich der mobilen Kommunikation auf die rechten Pfade der Erkenntnis zu führen. Er ließ eigens einen handlichen Fernsprecher entwickeln, der sich in den technischen Möglichkeiten unwesentlich von anderen zeitgenössischen Gadgets seiner Gattung unterscheidet. Aber seine Jünger müssen das Gerät anbetungswürdig finden, denn erstens sieht es knorke aus, zweitens trägt es das beliebte Adelswappen, und drittens kann man sich darauf verlassen, dass auch der Preis wieder ein exorbitantes Differenzierungsmerkmal darstellt. Außerdem wird das Produkt dank einer ebenso stabilen wie proprietären Software brav mit den anderen Produkten aus dem Hause der angefressenen Frucht korrespondieren. So funktioniert Kundenbindung bei der Festigung einer Weltreligion. Aber das größte Erfolgsgeheimnis besteht darin, dass die Gebetbücher und ihre Inhalte in derselben Kirche entworfen werden.
Gestatten Sie noch eine letzte Frage am Tellerrand: Warum verkörperte der eine Multimilliardär traditionell die Macht des Bösen, während die Produkte des anderen Multimilliardärs stets vergöttert wurden?
Über den Tellerrand hinaus ragt die Anmerkung, dass es zu jeder Zeit hervorragende Alternativen zu den herrschenden Weltreligionen der elektronischen Datenverarbeitung gab. Aber jene Glaubensgemeinschaften konnten aufgrund ihrer zweifelhaften Konzepte keine nennenswerte Verbreitung finden, denn umsonst ist den Konsumenten zu billig.
13 Comments:
imac, ipod, iphone, idiot...
hindukühe halt.
linux, knoppix, opensources...die einladung, selber mitzudenken, macht usern angst...
wahrscheinlich schon im kindergarten an schablonenarbeit gewöhnt worden.
(ist natürlich nur meine persönliche vermutung)
Glückwunsch. Du hast das Wesen aller großen Religionen durschaut.
Da muss halt immer einer der Teufel sein. Auch wenn er genau das Gleiche macht wie der andere, der dafür als Gott verehrt wird.
der konsument verbindet wohl traditionsgemäß den einen gott mit abstürzen aber moderaten preisen, den anderen (du sollst keine anderen götter haben) verbindet er mit exklusivität in preis, design und leistung. der dritte ist der freak-gott. nur für solche gut und für alle anderen pfui. kost nix ist logischerweise verdächtig, viel verdächtiger als nach hause telefonieren. ausserdem hat der dritte gott im unbestechlichen konsumentengedächtnis noch immer ein dickes logo druff: nur für bastler.
als agnostiker habe ich von allem ein wenig zuhause rumliegen ...
Und ich als ungläubige Nullgurke von nix.
Hmmmm
Mad Quint?
PS Linux ist nicht kostenlos, weil Zeit = Geld ist.
Also ich mag meinen Apfel, auch wenn ihn schon wer angebissen hat. Frau kann schließlich nicht alles haben ;) Und wenn ich schon unter Beobachtung sterbe, dann doch bitte unter einer schönen und unkomplizierten...
Und das mit den Kirchen, das mit den Kirchen habe ich spätestens seit Herrn Oles falschen Versprechungen aufgegeben.
Und telefonieren mag ich eh nicht so....
"blasser Siliziumschrat" - allein das schon. Jetzt haben Sie mit diesem Eintrag über Äpfel und Birnen, äh, Fenster nämlich gerade meinen Tag gerettet, Herr Quint, und das muß man schon hervorstreichen, weil ich persönlich das heute nichts und niemandem zugetraut hätte, so dramatisch schlecht war meine Laune noch bis vor kurzem.
Dankeschön!
Irgendwie sit überall der Wurm drinn
ein schönes bild wäre auch ein pinguin der seinen arsch aus dem fenster hängt und einen apfel auskackt. keine ahnung was das bedeuten soll aber es wäre ein schönes bild :D
Win3.1 ist tot.
/Frech'n'Nett: Auch mit Hilfe von Schablonen kann man eigene Gedanken entwickeln, das hängt von der Benutzung ab. Kultmarken gleichen tatsächlich heiligen Kühen. Für mich sind die ganzen elektronischen Krücken nur Mittel zum Zweck.
/Falcon: Alles Satanisten.
/Anonymous: Zum Glück ist wenigstens das Konsumentengedächtnis unbestechlich ...
/Phil: Wenn es der Erkenntnis dient ...
/Opa: Nullgurkistiker, Opaisten und Stromgitarrenspieler - vereinigt euch!
/Texttourist: Gilt das auch für die Freizeit?
Der Film ist 1A. ("I´m so glad I didn´t kill myself yesterday!" Köstlich.) Und jetzt Werbung.
/Frau AHa: Außerdem ist nicht bewiesen, dass Gegenstände keine Seele besitzen.
/dieJulia: Ich habe zu danken, denn mit der Rettung eines Tages habe ich deutlich mehr erreicht, als erwartet.
Joppi: Genau das macht es mir madig.
/Stard: Nachdem Herr Immendorf kürzlich den Schröder glänzend vollendet hat, wäre dein Motiv eine angemessene, neue Herausforderung.
/Andie: Und die anderen Götzen werden folgen.
für die freizeit gilt eine etwas andere regel.
freizeit = unendliche geldmenge.
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