Ear-Esc
Der braune Blätterteppich unter seinen Stiefeln war aus morbiden Maschen geknüpft, aber inmitten der Verwesung gärte ein unsichtbarer Kampf um die abgestorbenen Zellen. In jedem Winkel der feindlichen Idylle lauerte Gewalt. Escher spürte die Anwesenheit von unzähligen Lebewesen auf engstem Raum. Alles zielte auf Wachstum und Ausdehnung, und jedes Dasein war von der Verdrängung des anderen Daseins bestimmt. Die einzigen Ziele bestanden darin, zu fressen und sich in der klebrigen Hitze fortzupflanzen. Tagsüber blieb das Lebendige hinter einem wachsamen Halbschlaf verborgen, aber sobald die Dämmerung über den Wald kroch, begann die Jagd. Dann spritzten aus Millionen Kehlen rote Schreie auf den Mantel der Nacht, dessen willkürliches Muster in den Schatten der Angst und des Todes pulsierte.
Seit Menschengedenken war die Begegnung mit der unberührten Natur ein romantischer Alptraum. Mit dem rostigen Buschmesser bahnte Escher seinen Weg in die Richtung, wo er den geografischen Mittelpunkt des Alptraums vermutete. Der Dschungel schloss die Schneise hinter ihm sofort, alles schien in einer fast sichtbaren Geschwindigkeit zu wachsen. Die Vegetation rächte sich für Verletzungen an ihren Organen, indem sie Pflanzenwände vor ihm auftürmte, die zunehmend dichter wucherten. Manchmal überkam ihn eine Ahnung, als ob er sich spiralförmig dem Zentrum des Urwaldes näherte.
Escher folgte einem Phantom. Seine Landkarte war aus verschwommenen Vermutungen gezeichnet, und Magnetfelder schienen den Kompass zu stören, denn die Nadel drehte sich unablässig im Kreis. Noch keiner Expedition war es gelungen, die Existenz des sagenhaften Falters zu beweisen. Es sollte sich um eine Art von unvergleichbaren Ausmaßen handeln. In Fachkreisen wurde berichtet, dass seine Flügel eine Spannweite von mehreren Metern aufwiesen und mit Mustern gezeichnet waren, die beim Betrachten Trugbilder und Rauschzustände hervorrufen konnten. Die Beschreibungen waren jedoch unscharf und widersprüchlich in den Details. Einige Sammler behaupteten, dass sie ein Exemplar gesehen hatten, aber keinem war es gelungen, das Tier in einem Netz zu fangen, um es anschließend zu präparieren. Angeblich konnte man den seltenen Falter nur entdecken, wenn man den Glauben an seine Existenz nicht verlor. Eschers Reisequalen mündeten in einem Dauerzustand maßloser Erschöpfung, aber es gelang ihm, sich einen glaubwürdigen Rest Hoffnung zu bewahren.
Die von Mückenstichen ausgebeulte Hülle seiner Haut schien mit Gelatine gefüllt, in den Poren entsprangen salzige Rinnsale. Eine ölige Schweißschicht bedeckte seinen Körper, die Innenflächen seiner Hände und die Fußsohlen waren aufgeweicht, wie nach einem stundenlangen Bad. Mit jedem Schritt erzeugte er schmatzende Geräusche in seinen Stiefeln. Die Luftfeuchtigkeit ließ den Atem in seinen Lungen brennen. Mehrere Hautstellen hatte er sich an der Kleidung wund gerieben. Im tropischen Klima begann die kleinste, scheinbar harmlose Verletzung bereits nach wenigen Stunden zu eitern. Nichts verheilte.
Resignation beschlich den Reisenden wie ein exotisches Fieber, das jede Wahrnehmung trübte und verfälschte. Nur die Befürchtung, dass es ihm nicht gelingen könnte, einen Ausweg zu finden, hinderte Escher daran, seine Expedition abzubrechen. In einem Moment der größten 0rientierungslosigkeit und Verzweiflung geschah das Unerwartete. Nach einem steilen Anstieg hatte sich der grüne Vorhang gelichtet, und anstelle von dichtem Unterholz wandelte er seit Sonnenaufgang in einem Nebelwald zwischen uralten Baumriesen.
Seine Nahrungsrationen waren im Verlauf der Reise auf ein symbolisches Maß geschrumpft, und er zerkaute die Hälfte einer Sojabohne, die er zuvor mit dem Taschenmesser in zwei Teile geschnitten hatte. Während der Mahlzeit saß Escher auf einer Luftwurzel und spürte kühles Moos durch den Stoff seiner Hose. Plötzlich vernahm er ein flatterndes Geräusch in den Baumkronen. Er legte den Kopf in den Nacken, und alles, was ihm jemals widerfahren war, verschwand in den dunkelsten Abgründen der Vergessenheit.
Escher besaß keine Erinnerung daran, wie er den Weg zurück in eine Welt gefunden hatte, die ihm vertraut erschien. Er wusste auch nicht, wie viel Zeit seit der Expedition vergangen war. Sein Bett war mit weißem Leintuch bezogen, an der Zimmerdecke drehte sich ein Ventilator in Zeitlupe. Auf einem Tisch neben dem Bett lag der einzelne Band einer Enzyklopädie. Ear-Esc.
Als er das ledergebundene Buch an der entsprechenden Stelle aufschlug, erblickte Escher das Bild eines präparierten Körpers. Der männliche Leib war fachgerecht, mit weit abgespreizten Gliedmaßen auf eine Nadel gespießt und exakt auf dem Untergrund fixiert worden, indem man die Wirbelsäule durchbohrt hatte. Die Augen des Objekts traten ein wenig zu weit hervor, aber ansonsten handelte es sich um eine ausgezeichnete Arbeit.
Als er das ungewöhnliche Geräusch vernahm, starrte Escher wie hypnotisiert auf den schwebenden Umriss im Türrahmen. Vor dem Fenster flatterte ein riesiger Schatten vorbei. Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück.
Seit Menschengedenken war die Begegnung mit der unberührten Natur ein romantischer Alptraum. Mit dem rostigen Buschmesser bahnte Escher seinen Weg in die Richtung, wo er den geografischen Mittelpunkt des Alptraums vermutete. Der Dschungel schloss die Schneise hinter ihm sofort, alles schien in einer fast sichtbaren Geschwindigkeit zu wachsen. Die Vegetation rächte sich für Verletzungen an ihren Organen, indem sie Pflanzenwände vor ihm auftürmte, die zunehmend dichter wucherten. Manchmal überkam ihn eine Ahnung, als ob er sich spiralförmig dem Zentrum des Urwaldes näherte.
Escher folgte einem Phantom. Seine Landkarte war aus verschwommenen Vermutungen gezeichnet, und Magnetfelder schienen den Kompass zu stören, denn die Nadel drehte sich unablässig im Kreis. Noch keiner Expedition war es gelungen, die Existenz des sagenhaften Falters zu beweisen. Es sollte sich um eine Art von unvergleichbaren Ausmaßen handeln. In Fachkreisen wurde berichtet, dass seine Flügel eine Spannweite von mehreren Metern aufwiesen und mit Mustern gezeichnet waren, die beim Betrachten Trugbilder und Rauschzustände hervorrufen konnten. Die Beschreibungen waren jedoch unscharf und widersprüchlich in den Details. Einige Sammler behaupteten, dass sie ein Exemplar gesehen hatten, aber keinem war es gelungen, das Tier in einem Netz zu fangen, um es anschließend zu präparieren. Angeblich konnte man den seltenen Falter nur entdecken, wenn man den Glauben an seine Existenz nicht verlor. Eschers Reisequalen mündeten in einem Dauerzustand maßloser Erschöpfung, aber es gelang ihm, sich einen glaubwürdigen Rest Hoffnung zu bewahren.
Die von Mückenstichen ausgebeulte Hülle seiner Haut schien mit Gelatine gefüllt, in den Poren entsprangen salzige Rinnsale. Eine ölige Schweißschicht bedeckte seinen Körper, die Innenflächen seiner Hände und die Fußsohlen waren aufgeweicht, wie nach einem stundenlangen Bad. Mit jedem Schritt erzeugte er schmatzende Geräusche in seinen Stiefeln. Die Luftfeuchtigkeit ließ den Atem in seinen Lungen brennen. Mehrere Hautstellen hatte er sich an der Kleidung wund gerieben. Im tropischen Klima begann die kleinste, scheinbar harmlose Verletzung bereits nach wenigen Stunden zu eitern. Nichts verheilte.
Resignation beschlich den Reisenden wie ein exotisches Fieber, das jede Wahrnehmung trübte und verfälschte. Nur die Befürchtung, dass es ihm nicht gelingen könnte, einen Ausweg zu finden, hinderte Escher daran, seine Expedition abzubrechen. In einem Moment der größten 0rientierungslosigkeit und Verzweiflung geschah das Unerwartete. Nach einem steilen Anstieg hatte sich der grüne Vorhang gelichtet, und anstelle von dichtem Unterholz wandelte er seit Sonnenaufgang in einem Nebelwald zwischen uralten Baumriesen.
Seine Nahrungsrationen waren im Verlauf der Reise auf ein symbolisches Maß geschrumpft, und er zerkaute die Hälfte einer Sojabohne, die er zuvor mit dem Taschenmesser in zwei Teile geschnitten hatte. Während der Mahlzeit saß Escher auf einer Luftwurzel und spürte kühles Moos durch den Stoff seiner Hose. Plötzlich vernahm er ein flatterndes Geräusch in den Baumkronen. Er legte den Kopf in den Nacken, und alles, was ihm jemals widerfahren war, verschwand in den dunkelsten Abgründen der Vergessenheit.
Escher besaß keine Erinnerung daran, wie er den Weg zurück in eine Welt gefunden hatte, die ihm vertraut erschien. Er wusste auch nicht, wie viel Zeit seit der Expedition vergangen war. Sein Bett war mit weißem Leintuch bezogen, an der Zimmerdecke drehte sich ein Ventilator in Zeitlupe. Auf einem Tisch neben dem Bett lag der einzelne Band einer Enzyklopädie. Ear-Esc.
Als er das ledergebundene Buch an der entsprechenden Stelle aufschlug, erblickte Escher das Bild eines präparierten Körpers. Der männliche Leib war fachgerecht, mit weit abgespreizten Gliedmaßen auf eine Nadel gespießt und exakt auf dem Untergrund fixiert worden, indem man die Wirbelsäule durchbohrt hatte. Die Augen des Objekts traten ein wenig zu weit hervor, aber ansonsten handelte es sich um eine ausgezeichnete Arbeit.
Als er das ungewöhnliche Geräusch vernahm, starrte Escher wie hypnotisiert auf den schwebenden Umriss im Türrahmen. Vor dem Fenster flatterte ein riesiger Schatten vorbei. Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück.
Labels: Escher
18 Comments:
welcome back marq.
wie ich lese war es sehr eindrucksvoll in den urwäldern ostasiens. ein fiebriger, fantastischer und doch realer traum vielleicht?
Klingt mir eher nach Südamerika.
Es könnte aber auch West- oder Zentralafrika gewesen sein.
Hauptsache, wieder zurück.
Oh je. Ich hoffe, Sie haben das reichlich mit Phantasie garniert und nicht so erleben müssen! Vor allem das mit der Sojabohne klingt furchtbar! Und: Fieberwahn?
Ich bin froh, dass Sie lebend zurück sind!
Von wo auch immer.
Solche Begegnungen sind doch halb so wild.
Willkommen zurück!Ich abonniere hiermit deine Quintessenzen zum täglichen Hirnmasseaufbau in mein E-Mail-Fach bitte. Geht das?!?
He is back... ich bin trotzdem traurig. Schick mir mal den Falter vorbei oder den Präperator!
Herzlich willkommen zurück im Reich der 220V-Anschlüsse, MQ ;-)
Ich nehme mal an, ob Ihres schönen Beitrags, dass die Reiseleitung Sie kräftig zusammengefaltet hat?
Der arme Escher - immer noch verstrickt in surrealen Welten.
Aber willkommen zurück in der wunderbaren Welt der Elektrifizierung, Herr Quint.
mariposa/es
farfalla/it
papillon/fr
butterfly/e
vlinder/nl
ein so filigranes geschöpf...und im deutschen machen wir daraus einen plumpen
schmetterling?
(will mir die ganze zeit nicht mehr aus dem kopf)
schön, sie wieder lesen zu können, herr quint. in gewohnt stabiler qualität, wie ich sehe.
Ja, den Fieberwahn der Malaria tropica gibt es auch da.
Da waren Sie also... Hatte schon vergeblich versucht GlGl-earth zu bemühen.
...ah! Das Semster beginnt mit einer Vorlesung in Alt-Waldristik! Ich werde noch heute die versuchen mir einen Band der Enzyklopädie aus dem Vulkansee zu fischen... ...und dem Schmetterling mehr unkonzentrierte Beachtung schenken...
/Mudshark, Opa, Escher: Das müsst ihr unter euch ausmachen. Ich bin nur ein ahnungsloser Chronist. (Aber von der Tropica bin ich bisher immerhin verschont geblieben.)
/Frollein Müller-EL.: Hauptsache, es schmeckt.
/FrauH.: Ich habe weder jemals irgendwas erlebt, noch besitze ich die geringste Garnitur Phantasie. Aber wenn es Sie froh macht, dann bin ich solidarisch auch froh.
/Mkh: Um mich anschließend wegen Spamversand anzuzeigen?! Das könnte dir so passen.
/Joppi: Man kann nur hoffen, dass die sich inzwischen gegenseitig präpariert haben.
/Phil: Über Outsourcing kann man sich streiten, aber sowas wichtiges wie die Reiseleitung würde ich nie aus den Händen geben!
/Falcon: Hoch lebe die elektrische Elektronifizierung.
/Frech'n'nett: Ethymologisch gesehen mag die Bezeichnung für diese Tierordnung noch halbwegs interessant sein, aber ansonsten gebe ich dir vollkommen recht. (Die Spanier gewinnen das Rennen knapp vor den Franzosen, mein Favorit ist Mariposa.)
/Wort-Wahl: Die Qualitätssicherungsprozesse laufen zwar völlig aus dem Ruder, aber danke für die Blumen.
/Eon: Dabei habe ich ständig in die Satellitenkamera gewunken.
/DanielSurreal: Unkonzentrierte Aufmerksamkeit ist der entscheidende Zustand auf dem Weg zur Erleuchtung.
Mensch, wie hab ich diese kleinen dunklen Alpträume-to-go vermisst. Schön, dass du wieder da bist. Escher scheints ja leider mal wieder übel angetroffen zu haben.
/DGT Steini: Nightmare to go. Klasse, das merk ich mir!
danke schön für die umfangreiche weiterbildung.
la mariposa...
wundervoll.
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