Dienstag, September 05, 2006

Nullsummenspiel

"If you like to gamble,
I tell you I'm your man.
You win some you loose some,
It's all the same to me."
Motörhead (Ace of spades)

Poker mit Gefühlen war ein Spiel, an dessen Regeln er sich nicht halten konnte. Hätte man ihn aber ertappt und die gezinkten Karten, die er routiniert aus dem Ärmel mogelte, offen auf den Tisch geworfen, wären dort keine Asse verstreut gewesen.

Obwohl um hohe Einsätze gespielt wurde, drang selten die natürliche Angst des Spielers durch seine
rissige Haut. Anstatt den Kopf vor den Begabungen der menschlichen Seele ehrfürchtig zu neigen, starrte er in künstliche Sonnen, bis sein Profil mit der Pokermaske verschmolz. Er wurde mit den Jahren zunehmend ungehobelter, und Konturen verloren sich in genormten Mustern. Nach den Turnieren zog er miserable Zwischenbilanzen. Beim Mischen der Karten waren die Vorraussetzungen für alle gleich, aber wo blieb die Kombination für ein Full House oder den Royal Flush? Sein Blatt eignete sich nur zum bluffen, und am Ende verlor er jedes Spiel.

Vielleicht lag der Reiz des Spiels im gekonnten Verlieren. (Dann hätte er Spannung beim spielen verspürt oder zumindest eine Erwartungshaltung besessen.) Vielleicht gab es keine Gewinner und Verlierer. (Dann wäre es kein Spiel gewesen.) Vielleicht gab es keine Mitspieler, und er spielte immer nur gegen sich selbst. (Dann wäre das Verlieren nur noch eine Frage des Blickwinkels gewesen, und er hätte zu jedem Verlust einen Gewinn in gleicher Höhe verbuchen können.)

Epochale Strategien in seinem Umfeld verfolgte er mit verstecktem Interesse. Andere spielten ihre Karten taktisch klug, zu idealen Zeitpunkten. Manchmal vergoldeten sie sogar ihre Nieten, und die Gewinne investierten sie in Rohstoffe. Neue Gefühle, die sie mit handwerklichem Geschick bearbeiteten, bis scheinlebendige Skulpturen entstanden.

In seinem Fall verhielt es sich umgekehrt. Nach Verlassen des exotischen Kontinents seiner Kindheit stand eine Skulptur im unbewohnten Raum, an der sich weiche Konturen abzeichneten. Kein Meisterwerk, aber es hatte ein inneres Gesicht, auf dem sich Gefühle spiegelten. Er bewarf die Skulptur mit nassem Lehm, der in der Hitze der künstlichen Sonnen schnell trocknete und eine rissige Haut bildete. Immer neue Schichten ließen die Haut dicker und undurchlässiger werden.


Irgendwann nahm er eine schwere Stange aus Eisen und schlug auf die Skulptur ein. Die Stange zerbrach.

16 Comments:

Anonymous Anonym said...

in jedem von uns ist irgendwo ein kleinerer oder größerer brösel bluffendes kleines steintier. ;)

6.9.06  
Anonymous Anonym said...

ich möchte fast behaupten das dies die beste versinnbildlichung des lebens eines neurotikers ist die sie bisher verfasst haben. aber damit würde ich wohl den escher episoden nicht gerecht, deshalb spare ich mir das ;)

6.9.06  
Blogger Falcon said...

Eine deprimierende Bestandsaufnahme eines durchschnittlichen menschlichen Lebens. Ich möchte mal behaupten, dass die diejenigen, deren Glück und Geschick im Spiel hier gepriesen wird, letzten Endes aber ähnlich empfinden wie der Spieler.
Jetzt wünsche ich mir ein bisschen Sonnenschein, aber leider ist es zur Zeit recht trüb vor dem Fenster.

6.9.06  
Anonymous Anonym said...

Alle mogeln sich irgendwie mit gezinkten Karten durchs Leben. Hier schein übrigens die Sonne. Juhuuuu!

6.9.06  
Anonymous Anonym said...

Ich passe selten. Ich möchte wenigstens sehen.

6.9.06  
Blogger mq said...

/C17h19No3: Manche Ammoniten atmen sogar noch.

/Stard: Ich finde den Text nach heutiger Lektüre eher ein wenig verspannt, was immerhin bedeuten kann, dass Hopfenblütensud nicht zwingend zur Lockerung der Sinne beiträgt. Vielleicht sollte ich anstatt dessen Tango tanzen.

/Falcon: Der Abstand zwischen Glück und Pech wird vielleicht manchmal zu hoch eingeschätzt ... aber was viel wichtiger ist - ich hoffe, die Sonne ist heute auch noch in Berlin aufgegangen und hat ein paar Strahlen warmes Licht durch dein Fenster geschickt. In Frankfurt ist Sommer.

/Martha: Dort also auch. Bravo, Wetter. Weitermachen!

/Scarface: Ich passe auch selten. Ich schieß die Tore lieber selbst.

6.9.06  
Anonymous Anonym said...

Das Schöne ist, dass Lemmy in angemessener Lautstärke sowohl zerbrochene Stangen als auch Skulpturen kitten kann. Wenigstens vorübergehend.

6.9.06  
Anonymous Anonym said...

Und jetzt? Fängt jetzt das Leben an? Pokern ist nichts für wirkliche Gewinner, nur für Menschen, die immer wieder ihr wirkliches Gesicht verlieren. Da ist es schon besser Hopfentee zu trinken.

6.9.06  
Blogger mq said...

/Andie: Vielleicht kann der Typ sogar mit seinen Blicken schweißen.

/Chris: Hopfenblütentee ist das verkehrte Langzeitbalsam, nicht nur für die Leber, und kann unter Umständen erheblich zum Gesichtsverlust beitragen. Aber was deine Ansicht zum Spielen betrifft, gebe ich dir recht.

6.9.06  
Anonymous Anonym said...

Apropos, die alten Scheiben der SCHWEISSER könnten notfalls auch gegen vieles helfen, falls Lemmy-the-melter nicht zur Hand sein sollte.

6.9.06  
Blogger mq said...

Und in der allergrößten Not könnte ich auch selbst schweissen, sogar mit den Achselhöhlen.

7.9.06  
Anonymous Anonym said...

Hm, lecker Axel Frischmilch!

7.9.06  
Blogger mq said...

... von Lemmy-the-melker.

7.9.06  
Anonymous Anonym said...

ich hätte vermutet das das was sie ~verspannung nennen~ zur geschichte gehört - es passt auf jeden fall mehr als gut hinein finde ich ;)

7.9.06  
Blogger mq said...

Gut. Man muss auch nicht jede Verspannung durch eine Überarbeitung wegmassieren.

7.9.06  
Blogger schafswelt said...

Spontan stellt sich mir die Frage, ob sich das Spiel seit der Zweckentfremdung von Botox verändert hat.

Mir gefällt der Text.

8.9.06  

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