Geschluckter Staub
Die letzten fünfzig Kilometer zur Grenze fuhr kein Bus. Der Kerl auf dem Beifahrersitz des Taxis hatte sich die Backen mit Opium vollgestopft und bog sein vernarbtes Gesicht vor den rechten Außenspiegel. Dabei fasste er sich mit seinen Fingern in die offenen Augen, schnitt Grimassen und lachte hysterisch. Unter seinen Fingernägeln waren tiefschwarze Dreckränder. Ich hatte ein Gefühl, als ob mir der heiße Wind die Haut aus dem Gesicht schnitt. Zum schwitzen war es zu heiß, die Luft war eine Wolke aus unsichtbarem Staub. Irgendwann brüllte ich, ohne meine eigene Stimme zu erkennen. Ich weiß nicht mehr, womit ich den Beifahrer in meinem Zorn beschimpfte, aber er kurbelte das Fenster hoch und schwieg endlich. Der Fahrer unternahm keine weiteren Versuche, den vereinbarten Preis nachzuverhandeln.
An die Grenzmauer hatte jemand mit blutroter Farbe in meterhohen Lettern ein Stammesgesetz gepinselt. WE DONT LIKE THE LEADERS IN TEHRAN RAFSANJANI AND CHAMENEI. Nicht auf der pakistanischen, sondern auf der iranischen Seite. An wen war die englische Botschaft gerichtet, direkt neben dem unvollendeten Rohbau aus bröckelndem Beton, in dem die Grenzer ihre ausdruckslosen Gesichter zur Schau stellten? An vereinzelte Reisende aus unerreichbaren Welten im Westen, die sich an diesen unwirklichen Ort verirrten?
Die Grenzer steckten in ausgewaschenen Uniformen. Als Entschädigung für die Langeweile hatte man eine kleine Portion Macht in ihre schmutzigen Hände übertragen, und im Bewusstsein dieser Macht genossen sie ihre armselige Aufgabe. Grenzer und Schulbusfahrer rund um den Globus weisen ein gemeinsames Merkmal auf: Sie lieben das kleine Revier ihrer Macht und herrschen auf niederste Weise.
Gegen vier Uhr morgens hielt der Bus auf einem großen Platz, mitten in Quetta. Der Motor verstummte, und es war totenstill. Einige Mitreisende waren durch die plötzliche Stille aufgewacht, warfen einen übermüdeten Blick aus dem Fenster, und suchten sich dann wieder eine erträgliche Stellung in den unbequemen, stinkenden Sitzen, um weiter zu schlafen. Ich wollte aussteigen, um zu einer Toilette zu gehen, aber die Tür blieb verschlossen. Der Busfahrer hielt sich an die nächtliche Ausgangssperre, die über Quetta verhängt war. Aus Richtung der Berge an der Grenze zu Afghanistan hörte man bis zum Morgengrauen Schüsse.
Das Hotelzimmer war dunkel und staubig wie die Männer in der Lobby. In ihren schwarzen Augen spiegelte sich ein Fernseher, in dem MTV lief und Madonna unverhüllte Körperteile zeigte. Auf den Straßen keine Frauen, nur gesichtslose Gespenster in schwarzen Hüllen, die an Mauern entlang eilten.
Zwei Tage wegen des Eisenbahnerstreiks festgesessen. Fast von Jugendlichen, die über Dächer rannten, gesteinigt worden. Jeder Mann trug eine Schusswaffe, und die Jungen werden dort schnell zu Männern.
Es gibt Gegenden auf diesem Planeten, in denen man fremd bleiben will. Belutschistan gehört dazu.
13 Comments:
es gibt wohl viele gebiete auf dieser erde, in denen man fremd bleiben will.
interessanterweise hängt das weniger mit landschaften oder äusseren umständen zusammen, so widrig die oft sein mögen, sondern mit den menschen und deren kultur.
und d'accord, das ziel ist das ziel.
Ich erinnere mich an eine Reise in Ladakh und an die indischen Soldaten, die mit dem öffentlichen Nahverkehr zu ihren Stellungen im Kriegsgebiet zwischen Indien und Pakistan fuhren... Seltsam, wenn sich Touristen und Kriegführende im Bus begegnen! Die einen spielen Abenteuer und Fernreiseerlebnis, die anderen wissen nicht, ob sie auch das nächste kleine Gefecht wieder überleben werden.
Für die meisten -stane dieser Welt würde ich die Schlussaussage unterschreiben.
Die wenigen Ausnahmen dienen nur zur Bestätigung der Regel.
so gesehen ist das leben womöglich der einzige weg den man als ziel bezeichnen kann.
das leben als langen, ruhigen fluss verpuffen zu lassen mag etwas dürftig sein, oder verschwendung. auch hier ist das ziel das ziel, das kann natürlich auch im plural sein.
Wege sind wichtig, Ziele auch. Das Entscheidende ist aber eine Frage, die Frage nach dem Sinn.
Um dem Leben einen Sinn zu geben, benötigt man Ziele und Wege. Hat man nach langem oder kurzem, geraden oder krummem und manchmal beschwerlichem Weg ein Ziel erreicht, ist man zufrieden und stellt sich ein neues.
Und die Frage nach dem Sinn, die stellt man dann nicht mehr. Pragmatischer Opaismus.
Die Überschrift könnte auch lauten: Das/der Wüstenpuff von Bandar Abbas.
Die Fremde kann so aufregend sein. Und spannend, wenn man davon erzählt bekommt. Mein Komplimentdaumen bleibt steil aufwärts gerichtet. :)
Wo wir grad in den Taoismus abrutschen: Ob der Weg (auch) das Ziel sein kann, hängt schlicht vom Blickwinkel ab. Zum Beispiel beim Radsport ist der Weg das Ziel (außer im Leistungssport natürlich). Und bei manchen Wegen im Leben ist es ebenso.
Den Opaismus finde ich gut! Ziele abstecken, darauf hinarbeiten, das schafft Lebenssinn, stimme zu.
Manchmal ist es aber auch ziemlich sinnhaft, mitten auf dem Weg zu sehen, dass das Ziel gar nicht erreicht werden muss, sondern dass der Weg genügt hat, und dass das Ziel jetzt geändert werden kann, weil man zum Beispiel genug gelernt hat oder weil das einstige Ziel heute keine Bedeutung mehr hat. Dann ist der Weg, der zu einem Ziel hinführte, selbst zum Ziel geworden... Frage des Blickwinkels also. Okay, okay, ich hör jetzt auf.
Xenophobie beginnt für mich ja schon außerhalb der Berliner Stadtgrenze. Mit zunehmender Divergenz des kulturellen Hintergrundes zur eigenen Weltanschauung / Lebensweise verstärkt sich auch das beklemmende Gefühl des Kontrollverlustes. Man spürt mancherorts regelrecht das Schwinden des Wertes eines Menschenlebens mir jedem zurückgelegten Kilometer. Was würde ich geben für eine unbesorgte Welt.
Übrigens: Das Ziel ist immer das Ziel. Der Weg ist immer der Weg.
/Andie: Die widrigen Menschen in den fremd gebliebenen Gegenden würden behaupten, es läge an dir.
/MKH: Ein Teil meiner Seele liegt irgendwo dort oben begraben.
Und - den Richtungswechsel beim Erreichen von Zielen halte ich für eine Schwäche. Allerdings werde ich drei Antworten weiter unten genau das Gegenteil behaupten.
/Falcon: Mit Ausnahme -Stan & Olli :)
/Mudshark: Ich sehe das ähnlich wie Andie, wobei mir der Begriff der Verschwendung fragwürdig vorkommt.
/Tour Opa: Die höchste Vollendung der Kunst besteht allerdings darin, nach langem oder kurzem, geraden oder krummem und manchmal beschwerlichem Weg Lichtjahre am Ziel vorbeizudonnern. Trotzdem schließe ich mich deiner Meinung im Wesentlichen an, denn ich bin bekennender Opaist.
Was den Vorschlag zur Überschrift betrifft - die Geschichte zur Nummer mit den zwei österreichischen Nutten würde mich fei scho interessieren.
/Ole: Merci. Außer dass der erigierte Daumen meiner rechten Hand Richtung Münster zeigt, bleibt nicht viel zu sagen.
/Eon: Sind die Zustände in Potsdam inzwischen tatsächlich so schlimm? Zählt ein Menschenleben in Sanssouci denn jetzt überhaupt nichts mehr?
> Begriff der Verschwendung fragwürdig vorkommt
Rein qualitativ gemeint: Man sollte mehr aus sich machen als einen sich treiben lassenden Menschen. Wer keine eigenen Ziel definieren kann/möchte, kann sich immer noch in den Dienst an der Menschheit stellen und somit sein Leben veredeln.
Quantitativ kommt's auf Einen (oder 80 Mio) mehr oder weniger nicht an bei verfügbaren 6 Mrd.
@Markus
An Zielsetzungen festhalten, wenn sich Zielvorstellungen ändern, zielt auf Prinzipienreiterei. Allerdings werde ich das Gegenteil behaupten, wenn mir das jemand anderes sagt als ich.
...keinen Schilling mehr!
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