Lebensabendbrot
Um mir selbst die krokodilstränenreiche Haushaltstätigkeit des Zwiebelschälens für den Belag des Lebensabendbrotes zu ersparen, will ich mit der Produktion von Biomüll frühzeitig beginnen:
Ich habe den Dienst an der Waffe verweigert.
So. Jetzt ist es öffentlich dokumentiert und weltweit verfügbar. Keiner wird mir in 40 Jahren vorwerfen können, ich hätte dieses Geständnis früher ablegen müssen.
Deswegen sollte man doch kein schlechtes Gewissen haben, könnte man dem überpünktlichen Geständigen jetzt mitleidig zuraunen, aber wer weiß, wie die Zeitgenossen in 40 Jahren darüber urteilen werden? Vielleicht wird dieses biografische Detail zu einer Ergänzung des Vorstrafenregisters, zu Freiheitsentzug, oder zur standrechtlichen Erschießung führen. Vielleicht wird sogar mit dem Entzug des Nobelpreises oder eines anderen Tombolagewinns gedroht, wenn sich herausstellt, dass man einst die Verteidigung des Vaterlandes unter Einsatz von Gewalt ablehnte.
Ich bin davon überzeugt, dass die vor 20 Jahren getroffene Entscheidung richtig war, aber meine Haltung gegenüber militärischen Einsätzen ist heute differenzierter als damals. Und die Haltung von Günter Grass gegenüber menschenverachtenden Diktaturen ist nicht erst seit gestern differenzierter als vor über 60 Jahren.
Seine literarische Größe kann keiner abstreiten, der etwas vom Metier versteht. Wer ihm einen Vorwurf aus der Mitgliedschaft in der Waffen-SS macht, sollte seine Zeit besser auf die Frage verwenden, wie man sich selbst in den Jahren zwischen 1918 und 1945 verhalten hätte. Die einzige richtige Antwort darauf ist, dass man es nicht mit letzter Gewissheit sagen kann, und worüber man sich im eigenen Fall nicht sicher ist, darüber sollte man bei anderen nicht urteilen.
Im Fall von Günter Grass bleibt nur eine Frage offen: Warum konnte er die biografische Lüge nicht vor oder während der Verleihung des Nobelpreises oder anderen Auszeichnungen korrigieren? Es wäre hinsichtlich seiner künstlerischen Karriere riskant gewesen, aber er hätte den Jury-Mitgliedern und dem Wert der Auszeichnungen zu wahrer Größe verhelfen können, wenn er die Möglichkeit der Entscheidung eingeräumt hätte, ihn trotz menschlicher Schwächen für seine Stärken zu ehren. Vor allem aber hätte er sich selbst zu menschlicher Größe verholfen.
Grass verstand es schon immer, sich medial in Szene zu setzen, und Eigenmarketing ist einem Künstler, der den Erfolg seiner Arbeit in der Öffentlichkeit sucht, nicht vorzuwerfen. Aber seine Natur der Selbstinszenierung ist vermutlich nicht der Grund des späten Publikationszeitpunktes. Im Interview mit Ulrich Wickert (s.a. Spiegel Nr. 34 vom 21.8.06) äußerste sich Grass über seine Zeit in der Waffen-SS glaubhaft: Das lag bei mir begraben.
Fast kann er einem leid tun bei dem Gedanken, dass er ein alter Mann ist, dem auf den letzten Gängen zum Beichtstuhl vielleicht nicht mehr viel Zeit bleibt. Es liegt viel in uns begraben, das eine wahre menschliche Größe verhindern kann. Traurig, wenn man erst im Alter die Angst vor der Bergung der eigenen Leiche aus dem Keller verliert. Aber besser als nie.
Ich habe den Dienst an der Waffe verweigert.
So. Jetzt ist es öffentlich dokumentiert und weltweit verfügbar. Keiner wird mir in 40 Jahren vorwerfen können, ich hätte dieses Geständnis früher ablegen müssen.
Deswegen sollte man doch kein schlechtes Gewissen haben, könnte man dem überpünktlichen Geständigen jetzt mitleidig zuraunen, aber wer weiß, wie die Zeitgenossen in 40 Jahren darüber urteilen werden? Vielleicht wird dieses biografische Detail zu einer Ergänzung des Vorstrafenregisters, zu Freiheitsentzug, oder zur standrechtlichen Erschießung führen. Vielleicht wird sogar mit dem Entzug des Nobelpreises oder eines anderen Tombolagewinns gedroht, wenn sich herausstellt, dass man einst die Verteidigung des Vaterlandes unter Einsatz von Gewalt ablehnte.
Ich bin davon überzeugt, dass die vor 20 Jahren getroffene Entscheidung richtig war, aber meine Haltung gegenüber militärischen Einsätzen ist heute differenzierter als damals. Und die Haltung von Günter Grass gegenüber menschenverachtenden Diktaturen ist nicht erst seit gestern differenzierter als vor über 60 Jahren.
Seine literarische Größe kann keiner abstreiten, der etwas vom Metier versteht. Wer ihm einen Vorwurf aus der Mitgliedschaft in der Waffen-SS macht, sollte seine Zeit besser auf die Frage verwenden, wie man sich selbst in den Jahren zwischen 1918 und 1945 verhalten hätte. Die einzige richtige Antwort darauf ist, dass man es nicht mit letzter Gewissheit sagen kann, und worüber man sich im eigenen Fall nicht sicher ist, darüber sollte man bei anderen nicht urteilen.
Im Fall von Günter Grass bleibt nur eine Frage offen: Warum konnte er die biografische Lüge nicht vor oder während der Verleihung des Nobelpreises oder anderen Auszeichnungen korrigieren? Es wäre hinsichtlich seiner künstlerischen Karriere riskant gewesen, aber er hätte den Jury-Mitgliedern und dem Wert der Auszeichnungen zu wahrer Größe verhelfen können, wenn er die Möglichkeit der Entscheidung eingeräumt hätte, ihn trotz menschlicher Schwächen für seine Stärken zu ehren. Vor allem aber hätte er sich selbst zu menschlicher Größe verholfen.
Grass verstand es schon immer, sich medial in Szene zu setzen, und Eigenmarketing ist einem Künstler, der den Erfolg seiner Arbeit in der Öffentlichkeit sucht, nicht vorzuwerfen. Aber seine Natur der Selbstinszenierung ist vermutlich nicht der Grund des späten Publikationszeitpunktes. Im Interview mit Ulrich Wickert (s.a. Spiegel Nr. 34 vom 21.8.06) äußerste sich Grass über seine Zeit in der Waffen-SS glaubhaft: Das lag bei mir begraben.
Fast kann er einem leid tun bei dem Gedanken, dass er ein alter Mann ist, dem auf den letzten Gängen zum Beichtstuhl vielleicht nicht mehr viel Zeit bleibt. Es liegt viel in uns begraben, das eine wahre menschliche Größe verhindern kann. Traurig, wenn man erst im Alter die Angst vor der Bergung der eigenen Leiche aus dem Keller verliert. Aber besser als nie.
11 Comments:
Biomüll:
Ich war 12 Jahre freiwillig Soldat und finde meine damalige Entscheidung richtig.
3 Söhne meines Bruders haben es mir nachgetan, drei haben verweigert. Ich habe alle 6 in ihrer Entscheidung bestärkt.
Ich bin kein Grass-Fan, aber auch keiner von Thomas Mann zum Beispiel. Meine Männer sind Heinrich Mann und Benn neben vielen anderen.
Meine Meinung kennst du ja:
http://oici.de/fsb/?p=132
Kommentar Nr. 8
Sehe das recht trivial: Es wäre posthum sowieso rausgekommen, dann wäre der Ruhm unverteidigbar bekleckert. Daher schnell die Notbremse rein solange es noch geht. Der Rest ist Show.
Warum erst jetzt? Erinnert mich an die Ober-Moralisten Geschichten, bei denen dann die Blut-und Familie-Herren am Ende mit 'nem jungen Knaben erwischt werden.
/NB Hamburg: Gut, dass man in unseren Tagen seine Entscheidung frei wählen kann. Ich bin mir nicht sicher, wie frei die Entscheidung des Herrn Grass gewählt war. Sicher: Rebellion gegen das Bürgerliche, nachvollziehbar. Aber auch gesellschaftliche Prägung und Zwänge, vermutlich. Ich werde es jedenfalls nicht herausfinden, weil ich das Buch nicht lesen will.
Ja - Bild und Kommentare beim Eon hatten mich zu diesem Beitrag angeregt.
Von den Mannen ist mir der Klaus am liebsten und Benn ist sowieso ein großartiges Mysterium.
@Andie: Erstens glaube ich nicht, dass es posthum herausgekommen wäre - wer hätte in diese Richtung forschen sollen, da biografisch doch (eigentlich) alles lückenlos geklärt war. Zweitens wird man dem Herrn Grass damit nicht gerecht, ob man ihn mag oder nicht. Mein Fall war er nie (wie schon beim Eon kommentiert), aber ich finde seine Erklärung Das lag bei mir begraben sehr glaubhaft. So banal wie es klingt. Manchmal ist die Wahrheit wirklich banal. Und ich mache ihm die SS-Mitgliedschaft aus genannten Gründen nicht zum Vorwurf, bei deinem Päderasten-Beispiel verhielte sich das anders.
Also mal in der Rückschau betrachtet denke ich, dass Grass mit etwas zeitlichem Abstand zum Krieg die Tatsache gehasst hat, dass er diesem Verein angehörte. Anfangs hat er nichts gesagt, weil das sicher lebensgefährlich war. Später dann, als er verstand, schämte er sich dafür und hat´s dann halt vergraben. Durchaus nachvollziehbar.
Also mal ganz ehrlich. Wenn mir zu der Zeit damals jemand eine schicke Fahne in die Hand gedrückt hätte und ich mich als Teil einer so derart großen Gemeinschaft gesehn hätte, wäre ich sicher auch mit von der Partie gewesen. Heute lässt sich da schnell drüber herziehen.
Das Bild soll übrigens keine Anklage sein. Ich hoffe, das ist auch so verstanden worden. :)
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Ganz ehrlich: Jeder, der nach sagenwirmal 1940 geboren ist und unter die berühmt-berüchtigte Gnade der späten Geburt fällt, sollte sich bei bei dem Thema - vorsichtig formuliert - sehr zurückhalten.
(Nicht persönlich gemeint, sondern hier einfach mal generell als Aufhänger genutzt).
Bin sogar noch später geboren, aber es geht ja nicht darum ob er dabei war und ob man selbst dabei gewesen wäre, sondern warum er solange und heftig auf andere reingehauen hat -mit seinem Dreck am Stecken- um nun mit der Story (halbwegs!) rauszukommen.
Er hätte ja, um im Ton GG zu bleiben, das Maul halten können.
Und hier kommt dann meine These: Posthum wäre es bekannt geworden, da dann voller Zugriff auf alle Archive ohne GG Genehmigung möglich gewesen wäre. Und dann wäre der gute Ruf posthum futsch und der grosse ewigwährende Ruhm ebenso.
@mq, das Päderasten-Beispiel bezieht sich nicht auf den Päderasten Tatbestand, sondern die Verlogen-/Verklemmtheit der Hauptdarsteller in solchen Geschichten.
Bin sogar noch später geboren, aber es geht ja nicht darum ob er dabei war und ob man selbst dabei gewesen wäre, sondern warum er solange und heftig auf andere reingehauen hat -mit seinem Dreck am Stecken- um nun mit der Story (halbwegs!) rauszukommen.
Er hätte ja, um im Ton GG zu bleiben, das Maul halten können.
Und hier kommt dann meine These: Posthum wäre es bekannt geworden, da dann voller Zugriff auf alle Archive ohne GG Genehmigung möglich gewesen wäre. Und dann wäre der gute Ruf posthum futsch und der grosse ewigwährende Ruhm ebenso.
@mq, das Päderasten-Beispiel bezieht sich nicht auf den Päderasten Tatbestand, sondern die Verlogen-/Verklemmtheit der Hauptdarsteller in solchen Geschichten.
/Eon: Ich habe dein Bild als sehr anschauliche, zeichnerische Umsetzung der Metapher verstanden.
/Kein Einzelfall: Durch die Publikation und seine Medienauftritte fordert Grass die Auseinandersetzung. Schreiben ist auch ein Lern- und Läuterungsprozess, und sich der Kritik zu stellen, kann diesen Prozess schmerzhaft und hilfreich ergänzen. Ich will bei dieser Gelegenheit den Mut, sich mit einer absehbar empörten Öffentlichkeit zu konfrontieren, hervorheben.
/Andie: Das ist ein für mich neuer Aspekt. Hat Grass tatsächlich den Zugriff auf Archive zum Schutz seiner Person verhindert?
Ich sage nicht, dass GG den Zugriff unterbunden hätte.
Man kann jedoch nicht ohne weiteres Archive zu lebenden Personen durchforsten. Nach Ableben wäre das Leben natürlich genauestens historisch aufgearbeitet worden - dazu war die letzten Jahrzehnte jedoch kein Anlass.
Wie sich jetzt im Spiegel zeigt, stimmen sie Archivdetails nicht vollständig mit GG's neuen Angaben überein.
(Kein Wunder, ist ja auch 60 Jahre her)
Was hätte dagegen gesprochen, es auf die Möglichkeit einer Durchforstung der Archive ankommen zu lassen? Wer kann schon sagen, wieviele Jungs namens Günt(h)er Grass in jener Zeit im Dreck verreckt sind? Außerdem irritiert mich, dass sein Vorname in dem vom Spiegel veröffentlichten Dokument (Bild 2 von 3) mit h geschrieben wurde. Hat er selbst das h irgendwann aus dem Vornamen entfernt?
(Die unscharfe Erinnerung hinsichtlich terminlicher Details aus dem Jahr 1945 kann man einem fast Achzigjährigen nicht vorwerfen.)
Kommentar veröffentlichen
<< Home