Die Verpflichtung
Im Moment eines Sekundenschlafes haben sie ihm heimlich das Abspielgerät entwendet. Seither beharrten sie auf ihrer Behauptung, er hätte nichts bei sich gehabt, als man ihn zu seinem Nachtdienst einlieferte.
Er war sich vollkommen sicher, dass er das Abspielgerät und einige andere Dinge unter dem Arm hatte, als er in den cremefarbenen Wagen stieg. Aber seine Patienten wollten ihm weismachen, dass er getobt und geschrieen habe, und dass er überhaupt nichts bei sich trug. Dass er auch keine Kleidung am Körper getragen habe. Dass alles verbrannt sei in einem Feuer. Dass angeblich er das Feuer gelegt haben soll.
Jetzt lag er auf dem Bett in seinem cremefarbenen Bereitschaftszimmer und starrte durch den Rauch seiner Zigarette die Bilder an den Wänden an, auf denen exotische Schmetterlinge flimmerten. Er trug die unvermeidbare weiße Dienstkleidung. Seine private Garderobe war schwarz und zum größten Teil aus Leder gefertigt.
Er konnte sich kaum noch wach halten. Aber falls er einschlief, würde er ihnen die Kontrolle überlassen. Er durfte sich keine Schwäche erlauben.
Schlimmer als die Müdigkeit war die Simulation des Schlafes. Wenn er die Augen schloss, um ihnen vorzutäuschen, dass er schlief, bestand die Gefahr, tatsächlich einzuschlafen. Aber die Simulation war von enormer Bedeutung, da er trotz seiner Resistenz nicht zusätzlich mit der Einnahme von Schlafmitteln konfrontiert werden wollte. Seine Patienten waren schlau. Sie wussten immer, wie lange er die Psychopharmaka in seinen Backen versteckte, und in welchem Moment er die Pillen schluckte. Es war unmöglich, sie in diesen Dingen zu täuschen, denn sie besaßen jahrelange Erfahrung.
Wenn er sich scheinbar ihrem Willen unterordnete, handelte es sich nur um Täuschungsmanöver. Er wog seine Patienten in Sicherheit, um sie besser beobachten zu können.
Die Kollegen waren zu sehr in Arbeitsroutinen verhaftet, als dass sie eine kreative Unterstützung gewesen wären. Kreativität war gefragt, mit konventionellen Therapiemethoden kam man nicht weiter. Musikalische Untermalung in den Fluren und Zimmern mit Hilfe seines Abspielgeräts hielt er für unerlässlich. Zur Unterbreitung dieses und anderer Innovationsvorschläge wollte er eine Personalversammlung einberufen. Das war ihm bisher nicht gelungen, da seine Kollegen sich ihrer Verantwortung durch fadenscheinige Vorwände und Beschäftigungen entzogen. Anstatt ihre Patienten an das Wesentliche heranzuführen, verschwendeten sie kostbare Zeit mit Töpfer- und Malkursen.
Seine eigenen Patienten versuchten unentwegt, ihm falsche Informationen über frühere Forschungsreihen zu vermitteln. Es waren wichtige mystizistische Experimente, die er zumeist an Tauben und kleinen Säugetieren vollzogen hatte. An kleine Menschen konnte er sich nicht erinnern. Nach allem, was er in seiner Kindheit erlebt hatte, war dieser Vorwurf ungeheuerlich. Wenn es darum ging, ihn in eine Ecke zu drängen, schreckten seine Patienten vor nichts zurück.
Letzten Endes war er ihr Therapeut und aufgrund seines hippokratischen Eides dazu verpflichtet, ihnen zu helfen. Aber er wusste nicht, wie er ihnen beibringen sollte, dass sie allesamt hoffnungslose Fälle waren, und dass es nicht die geringste Aussicht auf geistige Genesung für sie gab.
Er war sich vollkommen sicher, dass er das Abspielgerät und einige andere Dinge unter dem Arm hatte, als er in den cremefarbenen Wagen stieg. Aber seine Patienten wollten ihm weismachen, dass er getobt und geschrieen habe, und dass er überhaupt nichts bei sich trug. Dass er auch keine Kleidung am Körper getragen habe. Dass alles verbrannt sei in einem Feuer. Dass angeblich er das Feuer gelegt haben soll.
Jetzt lag er auf dem Bett in seinem cremefarbenen Bereitschaftszimmer und starrte durch den Rauch seiner Zigarette die Bilder an den Wänden an, auf denen exotische Schmetterlinge flimmerten. Er trug die unvermeidbare weiße Dienstkleidung. Seine private Garderobe war schwarz und zum größten Teil aus Leder gefertigt.
Er konnte sich kaum noch wach halten. Aber falls er einschlief, würde er ihnen die Kontrolle überlassen. Er durfte sich keine Schwäche erlauben.
Schlimmer als die Müdigkeit war die Simulation des Schlafes. Wenn er die Augen schloss, um ihnen vorzutäuschen, dass er schlief, bestand die Gefahr, tatsächlich einzuschlafen. Aber die Simulation war von enormer Bedeutung, da er trotz seiner Resistenz nicht zusätzlich mit der Einnahme von Schlafmitteln konfrontiert werden wollte. Seine Patienten waren schlau. Sie wussten immer, wie lange er die Psychopharmaka in seinen Backen versteckte, und in welchem Moment er die Pillen schluckte. Es war unmöglich, sie in diesen Dingen zu täuschen, denn sie besaßen jahrelange Erfahrung.
Wenn er sich scheinbar ihrem Willen unterordnete, handelte es sich nur um Täuschungsmanöver. Er wog seine Patienten in Sicherheit, um sie besser beobachten zu können.
Die Kollegen waren zu sehr in Arbeitsroutinen verhaftet, als dass sie eine kreative Unterstützung gewesen wären. Kreativität war gefragt, mit konventionellen Therapiemethoden kam man nicht weiter. Musikalische Untermalung in den Fluren und Zimmern mit Hilfe seines Abspielgeräts hielt er für unerlässlich. Zur Unterbreitung dieses und anderer Innovationsvorschläge wollte er eine Personalversammlung einberufen. Das war ihm bisher nicht gelungen, da seine Kollegen sich ihrer Verantwortung durch fadenscheinige Vorwände und Beschäftigungen entzogen. Anstatt ihre Patienten an das Wesentliche heranzuführen, verschwendeten sie kostbare Zeit mit Töpfer- und Malkursen.
Seine eigenen Patienten versuchten unentwegt, ihm falsche Informationen über frühere Forschungsreihen zu vermitteln. Es waren wichtige mystizistische Experimente, die er zumeist an Tauben und kleinen Säugetieren vollzogen hatte. An kleine Menschen konnte er sich nicht erinnern. Nach allem, was er in seiner Kindheit erlebt hatte, war dieser Vorwurf ungeheuerlich. Wenn es darum ging, ihn in eine Ecke zu drängen, schreckten seine Patienten vor nichts zurück.
Letzten Endes war er ihr Therapeut und aufgrund seines hippokratischen Eides dazu verpflichtet, ihnen zu helfen. Aber er wusste nicht, wie er ihnen beibringen sollte, dass sie allesamt hoffnungslose Fälle waren, und dass es nicht die geringste Aussicht auf geistige Genesung für sie gab.
15 Comments:
Wow. Wenn da mal nicht ein Hauch von Dürrenmatts Geiste weht.
Sehr interessant. Ist er Patient oder tatsächlich Therapeut? Wohl eher Patient. Auch wenn er es selbst nicht so sieht.
Muss wohl noch mal lesen...
ganz ehrlich, sollten sie jemals auf die idee kommen ein buch zu veröffentlichen: ich würde es kaufen. und ich kaufe sonst nie bücher, ausser es steht o'reilley drauf ...
In seiner gehobenen Position konnte sich der Therapeut bestimmt auch einen Chauffeur für seine cremefarbene Karosse leisten, richtig? Schön, dass der Mensch es durch Verschiebung der Wahrnehmung immer wieder schafft, das Beste aus seiner Situation zu machen.
Sehr schön, Herr Q.
Sehr sehr gut. Ich bin begeistert. Eigentlich wie immer.
/Scheibster: Dürrenmatt ist mir in letzter Zeit vor lauter Serner und Glauser fast abhanden gekommen. Danke für den Merkzettel am Regal. (Verdacht mal wieder lesen.)
/Stard: Danke für das Vorschuss-Vertrauen. Man kann aber auch Bücher lesen, wenn z.B. O´Brian (Flann) drauf steht.
/DGT Steini: Ich vermute, der Chauffeur trug ebenfalls weiße Dienstkleidung. Und es war bestimmt eine Karosse mit sehr teurer Ausstattung, guter Hupe und auffälliger Außenbeleuchtung.
/Martha: Merci für die Blumen.
Es gibt sowieso keine Gesunden, sondern nur unzureichend Diagnostizierte.
So sagen sie.
in schwimmen-zwei-vögel klingt auf jeden fall mal spannend. auch wenn es bei amazon zusammen mit einem buch von harry rohwolt angepriesen wird ^^
Ein Ärztestreik würde den Doktor vielleicht retten...
Als Insasse der Blogos-Anstalt fühle ich mich in diesem Beitrag sehr zu Hause...;-)
Ein interessantes Kuckucksnest. Erinnert mich sehr an ein Drehbuch eines Freundes über den Erfinder des Schrebergartens.
Da O'Brien schon mal erwähnt wurde: ich musste auch gerade an den dritten Polizisten denken. Möglicherweise ist unser Therapeut ja auch tot und in der Hölle.
/Kein Einzelfall: Trauriger, medizinischer Alltag.
/Stard: Das liegt vermutlich daran, dass Herr Rowohlt total verknallt in Herrn O´Brian ist und die deutschen Übersetzungen größtenteils von ihm stammen.
/TTR: Wenn es schon an einer Personalversammlung scheitert ...
/Nomak: Das macht mir Angst.
/Dr. Flechsig: Liebe Gudrun, auf deine Dienste werde ich alter Endverbraucher vielleicht noch zurückkommen.
/Simplex: Oder er tauscht gerade Atome mit einem Fahrrad, und der Drahtesel wird zum Arzt.
Hier liegt eine Verwexelung vor. Ich heiße nicht Gudrun. Ich war sein Arzt. Aber das wissen Sie doch ganz genau. Mich können Sie nicht täuschen. ICH habe den Schlüssel.
hab ich gesehen. im schlucken-zwei-spechte - was ein schlechter wortwitz ^^
/Dr. Flechsig: Hier handelt es sich nicht mehr um einen geheimen Rath, hier wird mit Kanonen auf den Spatz geschossen. Aus diesem Bunker wäre ich mit Schwartzpulver nicht rausgekommen, da half wirklich nur ein Dieterich. Mein verbindlichster Dank für den Hinweis ist Ihnen gewiss.
/Stard: Vielleicht mal einen Blick in Pooh´s Corner werfen ... rentiert sich.
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