Sonntag, Juni 01, 2008

Vom Nutzen der Unzufriedenheit

Sind Sie mit Ihrer Unzufriedenheit zufrieden? Nein? Dann sollten Sie diesen Zustand ändern. Denn die Zufriedenheit ist ein Beutetier der Bequemlichkeit, ihr bevorzugtes Möbelstück ist der Stillstand.

Hingegen die Unzufriedenheit ist eine Triebfeder der Weltgeschichte. Jede Entwicklung entsteht aus Unzufriedenheit. Sie besitzt die Macht, alles zu verändern. Ohne seine Unzufriedenheit hätte der Mensch vor Urzeiten nicht das Feuer kultiviert, und das Wasser würde heute nicht aus einer Leitung fließen, auch nicht aus einem Brunnen geschöpft werden. Wenn Lindbergh mit den Fortbewegungsmitteln seiner Zeit zufrieden gewesen wäre, könnte man Amerika ausschließlich mit dem Schiff erreichen - es sei denn, Kolumbus wäre mit dem Landweg nach Indien nicht unzufrieden gewesen.


Die Unzufriedenheit ist eine Schwester des Traums. Aus Unzufriedenheit und Traum entwickeln wir Vorstellungen, wie man das Leben verbessern kann. Nicht immer führt die Unzufriedenheit zu einer Verbesserung. Sie kann auch zerstörend wirken, vor allem nach einer Paarung mit der Wut. Und nicht jede Zerstörung hat eine Verbesserung zur Folge. Aber in Verbindung mit der Gelassenheit strebt die Unzufriedenheit nach dem höheren Nutzen.


Dabei scheint es der Natur wichtig zu sein, dass die Perfektion unerreichbar bleibt und nach Abschluss jeder Tätigkeit der Eindruck entsteht, man hätte es besser machen können. (Diesen Eindruck werde ich am Ende des vorliegenden Textes wieder haben, aber ohne meine Unzufriedenheit gäbe es diesen Text überhaupt nicht.) Man kann es beim nächsten Mal besser machen, also resultieren auch Teile unseres Lernverhaltens aus der Unzufriedenheit.


Man sollte seine Unzufriedenheit nicht auf Zeitgenossen übertragen. Jeder ist für die eigene Unzufriedenheit verantwortlich, und eine gesunde Unzufriedenheit bedarf tiefer Überzeugung. Man sollte sich auch nicht von der Unzufriedenheit anderer anstecken lassen, sondern selbständige Ideen entwickeln, womit man unzufrieden sein könnte.


Wer mit seiner Unzufriedenheit zufrieden ist, muss mit seiner Zufriedenheit nicht unzufrieden sein.

13 Comments:

Blogger c.s. said...

das bestätigt meinen verdacht, dass der moment meiner vollständigen zufriedenheit, der sein wird, in dem ich sterbe, da mir nichts bleibt, was ich dann noch tun könnte.

1.6.08  
Anonymous Anonym said...

Weiterer Verwandter der Unzufriedenheit: konstruktive Faulheit.

1.6.08  
Anonymous Anonym said...

Lähmung durch Ideenoverkill geht auch immer...geppart mit Tätigkeitsegoismus (alles alleine machen wollen)

2.6.08  
Blogger MudShark said...

ei kärle nochemohl,
isch bin net z'fridde,
wärklisch net!

austrinke werd'mer no derffe
... un tschüss!

3.6.08  
Anonymous Anonym said...

Da steckt wohl auch ein wenig das kantianische Prinzip drin: Jede Antwort wirft neue Fragen auf.
Und auf jede Frage gibt es eine Antwort. Vielleicht auch nur eine vorläufige. Jedes zu seiner Zeit.
Das ist wohl auch eine Art von Leben. Hunger. Fragen. Lösungen.
Ein ständiges Vorwärts, wohin auch immer. Ab da wäre Ethik, Moral und Philosophie gefragt, in meinen Augen sogar unentbehrlich.

3.6.08  
Anonymous Anonym said...

I Can’t Get No Satisfaction.

Warum nur?

4.6.08  
Anonymous Anonym said...

Ruhe in Zufrieden. Amen.

4.6.08  
Blogger Christian 55 said...

Da kommt mir doch glatt wieder einmal das Gedicht von Robert Gernhardt in den Sinn (heut war so ein Tag):
"Ein Uhr und noch nichts geschafft
Zwei Uhr und noch nichts gerafft
Drei Uhr und noch nichts gemacht
Vier Uhr und noch nichts gedacht
Fünf Uhr und noch nichts getan -
Und um sechs fängt doch schon das Trinken an!"
Na dann - Prost!

6.6.08  
Blogger mq said...

/c.s.: Dieser Zustand wird - der Logik folgend - erst nach erwähntem Vorgang eintreten.

/ttr: Mit dem Ergebnis fauler Konstruktionen?

/Eon: Lähmung durch Unterforderung ist auch eine enge Sackgasse.

/MudShark: Ruh jetzt! So kann isch ned abbeide!

/olaf: Frage zwei Leute, und du bekommst mindestens drei Antworten. Oder gar keine. Und dann drehe dich einmal im Kreis und stelle dieselbe Frage noch mal.

/Opa: Start me up! (Time is on my side.)

/FrauunzufriedengelangweiltaberdafürbezahltH.: Unzufrieden sei mit dir.

/Christian 55: Herr Doktor, ich habe da in meiner rechten Hirnhälfte so einen Schaffensdruck.

7.6.08  
Blogger 100 Goldfischli said...

Beuteltier - ich hab da oben zuerst BeuteLtier gelesen:

"Zufriedenheit ist ein Beuteltier der Bequemlichkeit..." Danach konnte ich mich auf den Rest leider nicht richtig konzentrieren.

#

#

... so. inzwischen gehts wieder, und ich beschließe: Diesen Text werde ich mir über den Schreibtisch nageln.

Und sobald die Verhandlungen mit dem Hausbesitzer abgeschlossen sind, werde ich ihn angemessen vergrößern und auf die vierstöckige Brandwand gegenüber tapezieren lassen. Den Text, nicht den Hausbesitzer.

Inhaltlich eine Anmerkung zu den Verwandtschaftsverhältnissen, Unzufriedenheit hat nämlich nicht nur eine Schwester: Sie ist auch die Tochter der Sehnsucht.

An der Unzufriedenheit und am Zufriedensein stört mich am meisten, dass in beiden der Begriff Frieden enthalten ist, also das Gegenteil von Krieg. Weil, mit Krieg hat das vordergründig gar nichts zu tun, und auch nicht hintergründig, wenn ich so drüber nachdenke. Unzufriedenheit könnte sonst ja etwa das innere Bekriegtsein sein, und Zufriedenheit das Unbekriegtsein. Keine Waffen, keine Schüsse, kein Gemetzel da drin, nein.

Äh, ja.

Nur zum Verständnis und zum Abschluss eine Frage: Womit war denn der Autor unzufrieden, als er diesen Text verfasste...?

10.6.08  
Blogger DanielSubreal said...

Sehr gut*stop* Selten was besseres gelesen*stop*könnte aber besser sein*stop*verlassen mich darauf: the schoh mast go on*stop

10.6.08  
Blogger Der_grosse_Transzendentale_Steini said...

"When too perfect, lieber Gott böse." (Nam June Paik)

12.6.08  
Blogger mq said...

/<°((( ~~<: Und ich kann mich nach der Lektüre des Kommentars nicht mehr auf meine Antwort konzentrieren. (Beuteltier der Bequemlichkeit.) Jedenfalls bin ich erleichtert, dass wenigstens der Hausbesitzer weitgehend verschont bleibt. (Beuteltier der Bequemlichkeit.)

Womit ich unzufrieden war, als ich den Text verfasste? Ich erinnere mich nicht exakt - vermute aber, mit einer vorübergehenden Zufriedenheit. Die Erinnerung ist ein Beuteltier der Vergesslichkeit.

/DanielSubreal: So leicht kommt ihr mir nicht davon, ich werde weiterhin für eure Unzufriedenheit sorgen!

/DGT Steini: When too böse, perfect Gott lieb.

13.6.08  

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