Mittwoch, September 22, 2010

Ob es Menschen gab

Als er an seiner Abstellkammer vorüberging, kam es ihm vor, als hörte er ein Flüstern hinter der Tür. Risse zogen sich wie Spinnweben durch den schmutzgrauen Lack. Er hielt den Atem an und legte sein Ohr an das Holz.

Es roch nach Putzmitteln, und Escher hörte zwei Stimmen, die sich darüber zu unterhalten schienen, ob es Menschen gab. Eine der Stimmen meinte, dass der Mensch existieren müsse, denn schließlich könne es Götter nur geben, wenn jemand an ihr Dasein glaubte.

- Woher sollten wir unseren Sinn beziehen, wenn es kein Wesen gäbe, in dessen Vorstellung wir existierten?
- Aber müssen nicht wir die Menschheit erschaffen haben, damit sie an uns glauben kann?
- Ebenso wenig, wie ich mich an meine eigene Erschaffung erinnere, weiß ich von der Schöpfung einer Welt. Zu welchem Nutzen sollte sie uns dienen? Die Menschheit hingegen musste Götter erschaffen, um uns übernatürliche Kräfte zuzuschreiben und in die Ewigkeit zu verbannen.
- Aber warum sollte die Menschheit uns benötigen, worin bestünde unser Verwendungszweck? Und wenn wir übernatürliche Kräfte besäßen, was fingen wir damit an? Besitzen wir Götter nicht dieselben Eigenschaften, die wir den Menschen unterstellen? Wir schufen eine Vorstellung von Menschen, die uns erhöhen, gleichsam wie unsere Vorstellung, also die Menschheit, erhöht sein will.
- Sie beziehen Kraft aus der Annahme, dass sich die Angst vor dem Tod mittels unserer Existenz überwinden lässt. Mit unserer Hilfe rechtfertigen sie ihren Wunsch nach ewigem Leben, zusätzlich die Furcht vor ewiger Verdammnis als Werte für ihr Dasein.
- Wenn wir aber annehmen, dass es keine Menschen gibt, die uns erschaffen haben, sondern dass die Menschheit nur in unserer Vorstellung existiert, wie können wir sicher sein, dass es uns selbst gibt? Sind wir nicht nur eine Idee im Kopf einer Idee, die wir selbst hatten?
- Gäbe es uns nicht, weil wir nicht als Idee in den Köpfen der Menschen existierten, wie könnten wir uns verständigen?
- Woher wissen wir, dass wir uns verständigen?
- Würden wir uns nicht verständigen, dann befände sich an der Stelle dieses Dialogs ein Teil des Nichts.

Als Escher die Luft nicht mehr anhalten konnte, atmete er geräuschvoll ein. Anschließend vernahm er keine Stimmen mehr aus der Abstellkammer. Escher zögerte. Dann ging er in die Küche und briet sich ein Ei.

Labels:

7 Comments:

Blogger MudShark said...

wenn escher die luft anhält, kann er also die götter hören. das muss ich auch sofort ausprobieren.

och menno, ich höre nur, wie das blut in meinen adern pulsiert. gut, ich suche jetzt den nächsten abstellraum.

was geht hier vor?
wortbestätigung: oplate

23.9.10  
Anonymous der Nachbar said...

Kein Wind weit und breit, aber ein großes Segel und somit die nanometergenaue Erforschung der Stelle. Schön, dass er wieder einatmete und noch schöner, dass er das Ei briet.

23.9.10  
Blogger mkh said...

Die beiden versuchen das einfach zu logisch anzugehen. Außerdem lautet die Antwort 42.

25.9.10  
Anonymous Frau H. said...

Über eines stolpere ich: Escher hält die Luft an und atmet am Ende geräuschvoll EIN? Hätte er nicht erst einmal ausatmen müssen? Aber Escher ist ja eh ein unglaublich wundervolles Unikum...von daher ;)
Ich werde jetzt 'mal einatmen und dann die Luft anhalten. Dann lege ich ein Ohr an die noch immer vor dem endgültigen FIN stehende Tür meiner Abstellkammer und lausche ein wenig. Ich weiß zwar schon jetzt, dass ich da nichts hören werde, als den Abwasserfluß des restlichen Hauses, aber na ja, man weiß ja nie...und sollte immer offen sein für neue Gedanken. (Die Idee, dass auch Götter Identitätskrisen haben können, gefällt mir übrigens exorbitant gut! Sehr schön zurecht gesponnen!)

25.9.10  
Anonymous Frau H. said...

Ach ja, das mit dem Ei finde ich auch toll!
Ein herrliches Ende, sozusagen...

25.9.10  
Blogger mq said...

/MudShark: Wer sich hier mühevollen Exerzitien unterwirft, soll wenigstens nicht verhungern.

/der Nachbar: Wer Wind säht, will Sturm ernten. Und bei ungewissen meteorologischen Rahmenbedingungen können Proteine nicht schaden.

/mkh: Weitere korrekte Antworten lauten 17, -5 und 3.437.119. Alle anderen Zahlen treffen ebenfalls zu.

/Frau H.: Sie begeben sich ins Innere seiner Persönlichkeit, geschätzte Frau H. Escher atmet nie aus. Er atmet stets nur ein, denn die eingeatmete Luft erscheint ihm zu kostbar, als dass er sie wieder hergeben würde.

26.9.10  
Blogger mkh said...

Alles ist 1.

27.9.10  

Kommentar veröffentlichen

<< Home