Samstag, Mai 29, 2010

Sehr geehrte Damengeschwader,

früher gab es Rekruten, die vom Komiss ausschieden, zum Abschied brüllend ("NUUULLL!") durch die Gassen zogen und mit zweikommasieben Promille auf dem Kessel zufällige Passanten kontaktierten. Wenn das Kontaktverhalten die Geduld der vornehmlich weiblichen Passanten überstrapazierte oder in handgreiflichen Konflikten mit den Begleitern der Passantinnen kulminierte, kamen militärische Ordnungshüter (im Fachjargon Feldjäger genannt) und sammelten die Kameraden ein. Jenes Reservistenritual wurde von Außenstehenden als lästig empfunden, aber man war damit aufgewachsen und hatte sich im Lauf der Jahre daran gewöhnt.

Ich weiß nicht, ob diese Sitte bei Bundeswehrangehörigen noch gepflegt wird, aber ein weiteres Wochenendphänomen fand in den letzten Jahren zunehmend Verbreitung: Damengeschwader im vermählungsaffinen Alter ziehen durch Innenstädte und bedienen sich Nahkampfvertriebstaktiken, um zweckbefreiten Bauchladenkram an den Mann zu bringen. Auf Nachfrage erfährt man, dass der Erlös in das Wohlergehen einer Braut, die das Leitmotiv dieser Verhaltensauffälligkeit bildet, investiert werden soll. Obwohl Sie mich nachdrücklich bedrängten, habe ich auch diesmal nichts gekauft, weil ich - unter uns gesagt - keinen zweckbefreiten Bauchladenkram benötige und auch keinen zwingenden Anlass feststellen kann, wohlgenährte Bräute unbekannter Herkunft finanziell zu unterstützen.

Einschließlich der gefühlten hundert Augen, die mich in solchen Momenten mit einer Mischung aus halbweggesoffener Schüchternheit und verklemmter Bedrohung fixieren, irritiert mich das alles nicht sonderlich. Aber ich verstehe die verstörenden Aufdrucke Ihrer T-Shirts nicht! Da steht dann zum Beispiel "Wer ist der Depp?" oder eine ähnlich kryptische Botschaft.

Liebe Damengeschwader, ich habe nichts dagegen, wenn Sie auf der Suche nach willenlosen Konsumenten marodierend unsere Innenstädte heimsuchen, aber könnten Sie zukünftig eventuell T-Shirts ohne verstörende Botschaften anziehen? Dann kaufe ich Ihnen sogar mit Vergnügen irgendeinen zweckbefreiten Bauchladenkram ab. Versprochen.

Mit mittelmäßig verstörten Grüßen,
mq

14 Comments:

Blogger mkh said...

Das hieß bestimmt "Her mit dem Nepp!" und stellt somit eine dezente, tiefenpsychologisch wirksame Kaufanregung dar. Du hast dich in deiner mittleren Verstörung sicherlich nur verlesen.

30.5.10  
Blogger DanielSubreal said...

Da offensichtlich mittels prostituierendem naiven Charme auf das Zustecken kleinerer Geldbeträge abgezielt wird, finde ich, dass die Frage nahe liegt "Warum überhaupt T-Shirts?"

30.5.10  
Blogger nora said...

nicht "warum überhaupt t-shirts", sondern "warum überhaupt geld"? für die überwundene schüchterheit scheint es ja meist schon gereicht zu haben und noch weniger schüchternheit erscheint nicht angeraten. aber vielleicht handelt es sich da auch um eine art letztes überwindungsritual. einmal hemmungslos sein - wie besagte Rekruten.

31.5.10  
Blogger Tom said...

bei manchen dieser geschwader bekommt man für eine spende auch ein küßchen von der hauptakteurin. nichtsdesdotrotz halte ich junggesellen und -innenabschiede für popanz.

31.5.10  
Anonymous King Bronkowitz said...

JunggesellInnenabschiede verdienen auf einer Skala der größten Plagen der modernen Menschheit einen Platz hinter Esoterik, aber noch vor ABBA.

1.6.10  
Blogger Frau H. said...

Wissen Sie, Sir MQ, ich persönlich halte es ja in solchen Momenten mit dem Gedanken: "Muss ich eigentlich alles verstehen? Nein, ich muss nicht alles verstehen...". Der ist manchmal extrem toll, dieser Gedanke. Also, wenn man ihn mal ganz bewusst zu Ende denkt. (Im Grunde ist der einzige Gedanke, der in Sachen qualitativem Befindlichkeitsgewinn da rankommt: "Man muss auch loslassen können...." Hach, ich liebe diese von mir endlich aufgeschürften Plattheiten!)

Ansonsten könnten Sie beim nexten Mal auch einfach ihr Bierglas nehmen und den Inhalt der Dame über das Shirt kippen. Ich glaube Mädels dieser Sorte wollten in den tiefsten Tiefen ihrer Tiefe schon immer an einem Miss wet Sie wissen schon teilnehmen...Sie würden ihr also quasi einen Gefallen tun (ich meine, letzte Chance und so) und gleichzeitig bestünde die Möglichkeit, dass der Aufdruck vielleicht nicht wasserfest ist...

1.6.10  
Anonymous joppi said...

Der Inhalt des zweckfreien Bauchladens ist eine Metapher... so wird die Braut und auch der (noch) nicht marodierende Passant auf subtile und die menschliche Eisenfaust, namens Herz, nicht überfordernte Art und weise auf das vorbereitend, was so die traute (oha Wortspül) Beisamkeit mit sich bringen kann/muss/darf/wird.

3.6.10  
Anonymous MoniqueChantalHuber said...

damengeschwader ist mein neues lieblingswort.

5.6.10  
Anonymous kraM said...

diese Damengeschwader sind so ziemlich das widerlichste, neben männlichen Junggesellenabschieden auf dem kiez in hamburg, was da draußen rumläuft. mein beileid.

5.6.10  
Blogger mq said...

/mkh: Danke für die tröstenden Worte, aber leider sind die legasthenischen Tendenzen bei mir nicht hinreichend ausgeprägt.

/DanielSubreal: Ist das etwa ein Vorschlag für einen neuen Aufdruck? Megameta!

/nora: Dabei fällt auf, dass nüchterne Hemmungslosigkeit als soziales Fehlverhalten geahndet wird.

/Tom: Ein Küßchen. Wie süß. Habe ich etwa alles falsch gemacht?

/King Bronkowitz: Abba halte ich für ähnlich unbedeutend wie Jungesellinnenabschiede, aber die Einordnung hinter Esoterik ist 100% korrekt.

/Frau H.: Offenbar ist der Eindruck entstanden, dass ich stets ein Bierglas mit mir führe. Mitnichten. Aber sollte ich beim nächsten Mal über entsprechende Grundnahrungsmittel verfügen, werde ich sie gewiss keiner Dame übers T-Shirt kippen. Ich bin entrüstet. Wofür halten Sie mich, beste Frau H.!

/joppi: Soll das etwa heißen, die wollten mir embryonale Stammzellen unterjubeln?

/MoniqueChantalHuber: Die friedlich militante Grundstimmung des Wortes besitzt einen gewissen semantischen Charme.

/kraM: Ich vertrete gegenüber diesem Phänomen eine grundsätzlich sanftmütige Haltung. Schließlich handelt es sich nur um eine harmlose Ablenkung vom Raubtier Einsamkeit, das in uns allen lauert.

6.6.10  
Blogger Frau H. said...

Oh nein, wertester Sir MQ! Natürlich war dies ein rein rhetorischer Vorschlag meinerseits...ich halte Sie schon für richtig ;)... Aber nun ja, manchmal entgleitet mir meine Phantasie. Geburtsfehler. Oder so....

6.6.10  
Blogger 100 Goldfischli said...

Stichwort "Bauchladen"

... es entspinnt sich folgender Dialog:

"Bitte! Da sind doch bestimmt noch andere Gäste!"
"Ja, schon. Aber das ist doch der Junggesellinnenabschied und wir wollen fragen, ob sie uns vielleicht etwas von..."
"Nein."
"...den Sachen hier..."
"Nein."
"...abkaufen wollen."
"Nein."
"Weil das doch der Junggesellinnenabschied..."
"Nein."
"...und da ist es ein alter Brauch..."
"Hier nicht."
"Nein?"
"Nein."
"Warum denn nicht?"
"Weil ich nicht will!"
"Aber es ist doch der Junggesellinnen..."
"Da hinten sind doch bestimmt noch andere Gäste!"
"Aber wir dachten wir fangen hier mal an..."
"Nein!"
"Weil das doch der Junggesellinnenabschied..."
"ERBARMEN! NEIN! BITTE NICHT! NEIN!"
"Wirklich?"
"AAAARGH!"
"Naja, äh, dann, äh ... schönen Abend noch!"
"Ja."

8.6.10  
Anonymous Burnster said...

heisses eisen, was du da anfasst.

14.6.10  
Anonymous leifmusik said...

Damengeschwader nehmen mich aus unerfindlichen Gründen zum Glück scheinbar gar nicht wahr. Ich beginne schon an die Existenz von Parallelwelten zu glauben. Definitiv in meiner Welt angesiedelt sind leider die Hampelmänner von diversen Menschenrechts- und Tierschutzorganisationen, die sich ungeachtet meines zur Vermeidung zwischenmenschlichen Kontakts weiträumig begonnenen Ausweichbogens mir per Ausfallschritt in den Weg stellen und mit Hundeblick und noch leicht nachwackelndem Kopf so Fragen wie "Sind sie ein Tierfroind?" belästigen.

16.2.11  

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