Freitag, Oktober 30, 2009

Sehr geehrter Herr Lagerfeld,

immer wieder schaffen Sie es, mich mit Ihrer großkotzbrockigen Art zu begeistern. Nachdem Sie auf fundamental böse Weise das physiognomische Erscheinungsbild des Herrn Seal ins Zentrum Ihrer Vulgärattacken gerückt hatten, befürchtete ich bereits, nun würden Sie sich zügeln. Weit gefehlt.

Mit Ihren jüngsten Äußerungen, die in der französischen Fachzeitschrift "La Revue du Vin de France" zitiert wurden, gelingt es Ihnen vorzüglich, dem Menschenschlag der Weinliebhaber eine rotzige Breitseite zu verpassen. In gewohnt brachialcharmanter Manier äußern Sie unverblümt, warum ihnen das Getue rund ums Weintrinken auf die Nerven geht. Gegenüber Leuten, die "ihr Glas hin- und herdrehen, fünfzehn Mal daran schnuppern, sich so wahnsinnig wichtig geben"* komme man sich vor wie ein Idiot. Sie fordern, "diese ganze Liturgie" und das "Tralala" rund um das Thema Wein zu beenden und das Getränk als leicht euphorisierende, erlaubte weiche Droge anzusehen.

Ich bin zwar kein Abstinenzler wie Sie, pflichte Ihnen jedoch in allen Punkten der We(h)(in)klage bei. Wein ist vergorener Traubensaft. Um vergorenen Orangensaft gibt es keine Diskussion, man kippt das verdorbene Lebensmittel kurzerhand in den Ausguss. Um vergorenen Traubensaft hingegen hat sich eine weltweite Industrie entwickelt. Aber mir fällt auf Anhieb eine weitere Industrie ein, die sich auf "Tralala", Wichtigtuerei und liturgisch anmutenden Ritualen begründet und Ihnen, Herr Modezar, den Kühlschrank mit goldenen Brötchen füllt.

Sie genießen trotzdem meine Anerkennung, denn wie man spätestens seit Werner Herzogs biografischem Werk "Mein liebster Feind" weiß, bereitete es selbst dem Herrn Kinski Anstrengungen, seine endlosen Schimpftiraden zu fabulieren. Sie sind ein professioneller Punk, der es versteht, die eine Hälfte der Welt grandios zu verachten und die andere Hälfte leidenschaftlich zu verabscheuen. Lieber Lagerfeld, weiter so!

Mit pastisbeseelten Grüßen,
mq
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*Zitate aus der Übersetzung, gefunden bei >>Yahoo Nachrichten

5 Comments:

Blogger mkh said...

Und was genau bringt es, Misanthrop zu sein?

31.10.09  
Blogger mq said...

Internationalen Erfolg und goldene Brötchen im Kühlschrank? Und was genau bringt es, kein Misanthrop zu sein?

1.11.09  
Blogger mq said...

Nachtrag: Zusätzlich kann Misanthropie Unterhaltungswert bringen. "Ich kümmer mich sehr gut um mich selber. Das ist meine Hauptbeschäftigung." (Weiteres Lagerfeld-Zitat dieser Woche.)

1.11.09  
Blogger mkh said...

Ich finde etliche gesellschaftshippe Tralalaliturgien ebenfalls zum K. Nun kenne ich ja Herrn Lagerfeld nicht, allenfalls ein paar Fotos, die ihn zeigen. Ich habe bisher nicht mal irgendewelche Zitate von ihm gelesen und der Mann hat mich auch niemals interessiert. Ich mag mich täuschen, aber seine Worte klingen für mich eher nach jenem Zynismus, den ich noch weniger mag als aufgesetzt konforme Weinkennermanieren und sonstigen Statuspipapo. Es hört sich für mich nach lächerlichem Schwachsinn an, wenn Karl Seal´s Physiognomie öffentlich belästert. Das ist die bissige Rückseite des selben inszenierten Sozialgetues, wie es auf der anderen Seite durch aufgesetzte Schickimanieren produziert wird. Wenn das was mit Punk zu tun haben sollte, dann ist Punk tot. - Tschul´chung, Marc, aber das musste am Montagmorgen nach schlecht geschlafener Nacht jetzt mal raus. Wahrscheinich die gleiche selbstunausgeglichene Anriebsfeder wie bei den Hetztiraden von Karl.

2.11.09  
Blogger mkh said...

Nachtrag: "Ich kümmer mich sehr gut um mich selber." ist allerdings eine sehr gelungene Devise, wie ich Karl in diesem Fall anstandslos beipflichte.

*coldso*

2.11.09  

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