München - Venedig (XX): Das Ziel ist das Ziel
Als ich am nächsten Tag die Augen aufschlug, erwachte ich inmitten eines bösen Traums, dem ich am Abend zuvor durch die Flucht in den Schlaf entkommen war. Auf einem Campingplatz von irrsinnigen Ausmaßen erinnerte ich mich mit Grauen an das endlose Gehen entlang der Zäune anderer Campingplätze von irrsinnigen Ausmaßen. Der wohlklingende Name "Jesolo" hatte sich als Fluch einer Campinghölle entpuppt. Welche Sünden mussten die vielen Menschen begangen haben, um an einen solchen Urlaubsort verdammt zu werden? Wie bei der Besteigung des Piz Boè im XII. Kapitel meiner Alpenüberquerung vergaß ich aufgrund der Verstörung jede fotografische Dokumentation.
Venedig war nur wenige Kilometer entfernt, hastig entfernte ich mich aus dem Fegefeuer der Sonnenanbeter. Bereits am frühen Morgen stiegen die Temperaturen schnell, und weil eine Schwalbe allein noch keinen Sommer macht, hatten sich zahlreiche Vertreter dieser Vogelart auf Stromleitungen niedergelassen, um den Job zu erledigen.
Der Luxus der Entbehrung hatte ein Ende, am Straßenrand gab es Läden mit einer zivilisationsgerechten Bandbreite von überflüssigen Lebensmitteln. Ich genoss den Komfort eines Cappuccinos in der Morgensonne und versuchte, mir die kommunistische Rockereidechse aus Venedig vorzustellen, die sich auf einem Müllcontainer verewigt hatte.
Am späten Vormittag tauchte es auf, das Meer. Irgendwer hatte es aus dem Himmel gesaugt und einen fabelhaft blauen Wasserteppich vor mir ausgerollt.
Da es ohne neutestamentarische Tricks nicht möglich war, den Weg zu Fuß fortzusetzen, erwarb ich ein Ticket für die Fähre, das einzige Verkehrsmittel seit meinem Aufbruch in München.
Kurz nach dem Ablegen wurde die Fähre von einem Boot überholt, das einen Sarg an Bord hatte. Erwartete mich der Tod in Venedig? Weder Thomas Mann noch die Pest persönlich würden mich jetzt noch von einem Spaziergang am Lido abhalten.
Venedig ist bis in den letzten Winkel die perfekte Reinform des Kitsches. Beinahe fühlte ich mich auf eine sonderbare Weise schuldig, weil ich mich von diesem Kitsch schon von weitem um den Finger wickeln ließ und mich in den folgenden Tagen in der kuscheligen Betriebsamkeit wohlfühlte.
Mit großer Weitsicht muss diese Stadt auf Stelzen bereits vor vielen hundert Jahren für Millionen Touristen entwickelt worden sein. Wüsste man es nicht besser, wollte man sofort eine Oper schreiben und die ganze Stadt mit ihren Kanälen, Souvenirläden, Herrenhäusern und Zuckergussbrücken als Bühne benutzen. Die Touristenhorden würden dabei nicht stören, sondern wären ein unverzichtbarer Bestandteil der Kulisse.
Am achtzehnten Tag nach meinem Aufbruch in München hatte ich das Ziel erreicht. Ich stand auf dem Markusplatz. Und darin bestand das Ziel. Zu keinem Zeitpunkt der Reise war allein der Weg das Ziel. Der Weg war immer nur der Weg.
(Ende.)
Venedig war nur wenige Kilometer entfernt, hastig entfernte ich mich aus dem Fegefeuer der Sonnenanbeter. Bereits am frühen Morgen stiegen die Temperaturen schnell, und weil eine Schwalbe allein noch keinen Sommer macht, hatten sich zahlreiche Vertreter dieser Vogelart auf Stromleitungen niedergelassen, um den Job zu erledigen.
Der Luxus der Entbehrung hatte ein Ende, am Straßenrand gab es Läden mit einer zivilisationsgerechten Bandbreite von überflüssigen Lebensmitteln. Ich genoss den Komfort eines Cappuccinos in der Morgensonne und versuchte, mir die kommunistische Rockereidechse aus Venedig vorzustellen, die sich auf einem Müllcontainer verewigt hatte.
Am späten Vormittag tauchte es auf, das Meer. Irgendwer hatte es aus dem Himmel gesaugt und einen fabelhaft blauen Wasserteppich vor mir ausgerollt.
Da es ohne neutestamentarische Tricks nicht möglich war, den Weg zu Fuß fortzusetzen, erwarb ich ein Ticket für die Fähre, das einzige Verkehrsmittel seit meinem Aufbruch in München.
Kurz nach dem Ablegen wurde die Fähre von einem Boot überholt, das einen Sarg an Bord hatte. Erwartete mich der Tod in Venedig? Weder Thomas Mann noch die Pest persönlich würden mich jetzt noch von einem Spaziergang am Lido abhalten.
Venedig ist bis in den letzten Winkel die perfekte Reinform des Kitsches. Beinahe fühlte ich mich auf eine sonderbare Weise schuldig, weil ich mich von diesem Kitsch schon von weitem um den Finger wickeln ließ und mich in den folgenden Tagen in der kuscheligen Betriebsamkeit wohlfühlte.
Mit großer Weitsicht muss diese Stadt auf Stelzen bereits vor vielen hundert Jahren für Millionen Touristen entwickelt worden sein. Wüsste man es nicht besser, wollte man sofort eine Oper schreiben und die ganze Stadt mit ihren Kanälen, Souvenirläden, Herrenhäusern und Zuckergussbrücken als Bühne benutzen. Die Touristenhorden würden dabei nicht stören, sondern wären ein unverzichtbarer Bestandteil der Kulisse.
Am achtzehnten Tag nach meinem Aufbruch in München hatte ich das Ziel erreicht. Ich stand auf dem Markusplatz. Und darin bestand das Ziel. Zu keinem Zeitpunkt der Reise war allein der Weg das Ziel. Der Weg war immer nur der Weg.
(Ende.)
15 Comments:
Aus einem mir kaum erklärbaren Grunde möchte ich nicht wissen wie Sie gerochen haben ;)....
Dafür stelle ich mir das Gefühl um so besser vor!
Und Markusplatz (da hätte frau ja auch schon früher mal drauf kommen können....) hat ja was von absoluter Selbstfindung! Großartig!
Danke für die schöne(n) Reisegeschichte(n)!
danke für den bericht, die bilder und die schäine bux!
der weg führt zum ziel, kann aber schöner sein als eben dieses.
Besten Dank für die ausführliche Reisebeschreibung. In 18 Tagen gelaufen, in einem Jahr beschrieben.
Freue mich schon auf die Beschreibung des 2009-er Abenteuers!
das entspannteste zeilfoto, dass ich bis jetzt gesehen habe.
zielfoto, meine ich...
Ein Vollbad in der Reinform des Kitsches nach zwei Wochen roher Wildnis in der alpinen Bergwelt - das hat doch was.
Hat mir viel Freude gemacht, deine Quint´sche Reiseerzählung mitzulesen. Danke und gerne wieder!
Das Ziel ist im Weg!
Hast du eigentlich für das Abschlussbild die Japanerin wiedergefunden? Oder Chinesin?
/Frau H.: Wie riecht man nach einer morgendlichen Dusche und einem Spaziergang mit Cappuccinopause? Nicht unbedingt übel, nehme ich an.
Danke für die gewinnbringenden Kommentare!
/MudShark: Ebenso herzlichen Dank für die gewinnbringenden Kommentare! Ab sofort nur noch mit Ledertrachtenbux.
/Andie Kanne: Und auch bei dir bedanke ich mich für die gewinnbringenden Kommentare! Die nächste Route werde ich in einem Tag laufen und in 18 Jahren beschreiben.
/eon: Auf der >Zeil geht es tatsächlich weniger entspannt zu.
/mkh: Selbst unter Gefahr einer Wiederholung, bedanke ich mich auch bei dir für die gewinnbringenden Kommentare!
Die asiatische Dame vom Tag des Aufbruchs habe ich in Venedig (zufällig) nicht mehr getroffen. An ihrer Stelle knipste mich ein freundlicher US-Amerikaner, sein fünfköpfiger Familienanhang assistierte kompetent.
/joppi: Das Ziel führt zum Weg.
Ich meinte es eher in Bezug auf ihr spärliches Reisegepäck... Aber wahrscheinlich zogen Sie die ganze Zeit heimlich einen rießigen Trolly hinter sich her ;)
Klingt nach einem echt gelungenen Tag, ansonsten...
Ach ja: Und den Ausspruch: "Das Ziel führt zum Weg." möchte ich gerade ganz ganz fett unterschreiben!
Fulli, quasi. Wie die Wortbestätigung verlangt.
Ich verfügte weder über weitere Garderobe, noch über >113 Helfer und Träger. Der Vorteil bei schmalem Reisegepäck besteht u.a. darin, dass man den Klamotten bei regelmäßiger Reinigung einen weitgehend neutralen Duft zuführen kann. Es entströmten also auch dem Rucksack keine Betäubungsgase.
wär ja auch doof wenn der weg das ziel wär und sie plötzlich vom weg abkommen.
Gute Wahl für einen Urlaub! Herzlichen Glückwunsch!
Es ist toll, dass Sie die Möglichkeit, die venezianischen Schönheiten zu bewundern war.
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