Samstag, August 10, 2013

Der Tod ist mein Lehrling

Ohne den Tod gäbe es nur Götter. Und ohne die Angst vor dem Tod gäbe es keinen einzigen Gott. Erst das Bewusstsein über unser irdisches Ende hat die Bedrängnis durch den Tod und damit die Idee des Überirdischen hervorgebracht.

Der Tod ist das Gipfelkreuz auf der Spitze des Angstberges. Die Angst vor dem Ende der Existenz erwächst aus der existenziellen Angst vor der Zukunft, unter dem Gipfelkreuz in ewigem Eis konserviert. Je vielschichtiger sich die Möglichkeiten des Denkens entwickeln, desto stärker bestimmen die Möglichkeiten des Ungewissen das Bewusstsein. Dabei überwiegen die negativen Utopien. Die Lebensform Mensch hat sich aufgrund ihrer Fähigkeit des negativen Denkens innerhalb der Weltordnung durchgesetzt. Optimismus bedeutet Stillstand.

Ausgelöst durch den Angstinstinkt führt das negative Denken zur Planung, Vorsorge und Absicherung gegen ungünstige Möglichkeiten der Zukunft. Kein Rind spart Gras. Der Mensch spart alles. Für die Möglichkeit schlechter Zeiten, auch wenn es ihm gut geht.

Die Angst vor dem Tod dient dem evolutionären Zweck, das Fortbestehen der eigenen Art durch eine langfristige Besetzung von Lebensräumen durchzusetzen. Obgleich der Mensch in der Lage ist, das Phänomen einer rasant wachsenden Weltbevölkerung rational zu bewerten, bleibt dieser Angstmechanismus ein fest verschraubtes Bauteil im Lebensgetriebe. Die Logik der Natur kennt den Stillstand nur in Form des Todes. Leben bedeutet gnadenlose Verdrängung und Streben nach Wachstum.

Für den Einzelnen ist die Angst vor dem Tod unbegründet, denn der Tod setzt keine besonderen Kenntnisse und keine Befähigung voraus. Der Tod ist eine Prüfung, die am Ende jeder besteht. Billionen Lebewesen haben den Beweis für das Unausweichliche erbracht und das Sterben vorgelebt.

Erst die Religion formuliert moralische Begründungen für die Angst vor dem Tod und steigert diese Angst über ihren evolutionären Zweck hinaus. Jede institutionelle Religion ist auf einem hierarchischen System begründet, und jedes hierarchische System beruht auf der Ausübung von Macht. Angst ist ein wirksames Machtinstrument. Die Methode der Religionen besteht darin, Menschen mittels ihrer Angst vor dem Tod einzuschüchtern. Wer sich nach dem Verhaltenskodex der jeweiligen Religion richtet, erhält zur spirituellen Belohnung die Aussicht auf ein besseres Dasein - aber erst nach dem Tod.

Gegenwart benötigt keinen Gott. Und wenn der Tod uns irgendwann sucht, wird er wissen, wo er uns findet. Bis dahin sollten wir ihm alles beigebracht haben, was er über uns wissen muss.

7 Comments:

Anonymous der Nachbar said...

Ohne Angst keinen Gott? Gebiert Angst nicht das Gegenteil von Gott, auch und gerade Angst vor dem Tode? Ist der Mensch nicht überall da frei von Angst, wo das Vertrauen und die Liebe, wo Gott vorherrscht? Gott ist doch immer die Auflösung von Angst und dort wo Gott neue Angst gebiert, ist es nicht Gott, sondern der Mensch, der dem Menschen letztendlich Angst macht. -

Gibt es in der Logik der Natur Stillstand? Ist der Tod des Menschen nicht nur die Auflösung eines egozentrisch-bewussten Zustands? Nur in der Logik des Menschen gibt es Stagnation. Die Natur setzt sich über den Menschen hinweg, assimiliert ihn und erschafft sich neu mit ihm. -

Hat sich die Lebensform Mensch nicht gerade wegen ihrer Fähigkeit zum Optimismus und zum positiven Denken durchgesetzt und immer weiter entwickelt? Negatives Denken führt in die Selbstauflösung, wie es leider immer wieder geschieht und ich glaube nicht, dass in diesem negativen Denken schöpferische Kraft liegt. Wenn überhaupt, dann gebiert doch das Licht den Schatten und nicht der Schatten das Licht. -

Gott wird missbraucht, da der Mensch alles missbraucht, dessen er habhaft wird, um seine eigenen Machtinteressen auszuleben. Aber ohne Gott wäre die Gegenwart ärmer, ohne Religion gleichwohl oftmals reicher. Gott zerstört die Angst, auch die Angst vor dem Tode, der Mensch kultiviert sie, indem er zuerst Gott zerstört.

12.8.13  
Anonymous Frau H. said...

Ganz polemisch: "Gott ist tot."

In jenen Momenten, in denen wir Menschen Orientierung suchen und brauchen, verleugnen wir uns selbst so wir uns an einen "Gott" wenden. Im Grunde suchen wir in diesen Momenten doch die uns ewig und eindeutig und simpel nährende "Mutterbrust". Und flüchten vor dem, was wir sind. Lebewesen deren Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen. Meiner Meinung nach.

Für mich dienen Religionen - so sie "regeln" - immer vor allem einem: Dem eigene Wunsch nach Unverantwortlichkeit.

So, wie der werte Herr Nachbar es beschreibt, regeln Religonen allerdins etwas anders: Den gegenseitigen Umgang - und das sehe auch ich als die andere Seite der Medaille. Sie beschränken unseren Egoismus, unsere "Zerstörungswut" und damit das in uns, was uns als Gesamtes irgendwann auslöschen wird (auszulöschen vermag). Vielleicht sollten wir Religionen einfach als eine Versuch begreifen, wirklich menschlich zu werden? Wirklich BEWUSST fühlend und denkend. Emphatisch, eben. Und damit überholen sich die "verschiedenen" Religionen irgendwann selbst, so wie ein ABC Buch sich irgendwann überholt?

Dass wir um den Tod wissen? Nun ja, für diesen Fall gibt es im Extrem die Dissoziation. Und davon bin ich mittlerweile überzeugt - die setzt immer dann ein, wenn wir "quasi" drohen zu sterben.

Alles andere ist - wahrscheinlich - anerzogene Scheiße.
Aber so ein "Fegefeuer" hat halt schon mehr Macht, da haben Sie vollkommen recht, mal wieder. Und Vorteile für jene, die den Tod so sehr fürchten, dass sie den Umstand nicht akzeptieren können, dass auch sie sterblich sind. Und zurückgekommen ist ja noch kein "sterblicher", nur die "unsterblichen" kommen schließlich zurück.

Egal, es ist spät.

http://de.wikipedia.org/wiki/Guten_Abend,_gut’_Nacht

"Morgen früh, wenn Gott will,
wirst du wieder geweckt."

13.8.13  
Blogger mkh said...

Göttlicher Text. Kein Wunder. Steckt ja alles in uns.

14.8.13  
Blogger mq said...

/der Nachbar:
Gebiert Angst nicht das Gegenteil von Gott, auch und gerade Angst vor dem Tode?
Angst gebiert die Sehnsucht nach Sicherheit, und die Erfindung der Hölle ist ein Teil des Machtinstruments.
Ist der Mensch nicht überall da frei von Angst, wo das Vertrauen und die Liebe, wo Gott vorherrscht?
Darin besteht der Zweck der Illusion.
Gibt es in der Logik der Natur Stillstand?
Der Tod ist das Ende und mit ihm kommt ein Leben zum Stillstand. Auflösung ist ein weiterer zutreffender Begriff.
Hat sich die Lebensform Mensch nicht gerade wegen ihrer Fähigkeit zum Optimismus und zum positiven Denken durchgesetzt und immer weiter entwickelt?
Erst die Erfolge des negativen Denkens, der Antizipation von Bedrohung, führen zur Zuversicht. Wenn die Erfolge ausbleiben, führt das negative Denken in die Depression und in die Selbstauflösung.

Ich bezweifle, dass die Gegenwart ohne Religion reicher wäre. Denn die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und die damit verbundene Anstrengung hat einen erheblichen Teil der menschlichen Geistesgeschichte hervorgebracht, wenngleich man auf manche Folgen der Religion verzichten könnte.

/Frau H.: Eine interessante Fragestellung, wie sich die menschliche Fähigkeit zur Empathie und die Entstehung von Religionen gegenseitig bedingen. (Ich bin davon überzeugt, dass auch Tiere die Fähigkeit zur Empathie besitzen, zweifle jedoch an der Existenz von Religiösität im Tierreich.)

Religionen als Urheber von Regelwerken bilden die Grundlage von Rechtssystemen. (Und dies gilt ebenso für politische Systeme, die Religiösität ablehnen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen.)

/mkh: Gott sei Dank.

23.8.13  
Blogger Frau H. said...

Stellt sich die Frage: Was ist Empathie? Und was ist Religion?

Ich für mich würde diese Fragen folgendermaßen beantworten: Empathie ist die Fähigkeit die Gefühle eines anderen, von mir getrennten Wesens nachvollziehen, erkennen zu können. Und damit - in diesem Abgleich - bin ich versucht, anderen möglichst keinen Schaden zuzufügen. Das funktioniert allerdings nur so lange, so lange es nicht zu einem Bedürfniskonflikt kommt, in dem es um "Du oder ich" geht. Denn dann werden sich wohl die meisten Lebenwesen für "Ich" entscheiden, mich nicht ausgenommen. Religion versucht diesen "Urkampf" um die eigene Existenz in Bahnen zu lenken, die "vernünftig" sind. Eine kleine Gruppe braucht keine Religion, große Gruppen allerdings schon. Wir Menschen waren im Ursprung "kleine Gruppen", "Rudel". So wie Tiere es eben in der Regel sind. Dann wurden unsere "gesellschaftlichen" Kontexte größer und damit wurde auch der Bedarf nach allgemeingültigen Regeln größer. Die Empathie biss sich mit dem Existenzkampf (und damit mit der Angst), tief in uns drin. Weil die "große Gruppe" auch unsere "Feinde" (andere Rudel) umfasst. Und da könnte dann ja gefühlt nicht genug überbleiben...für uns selbst.

25.8.13  
Anonymous der nachbar said...

nachbar: Gebiert Angst nicht das Gegenteil von Gott, auch und gerade Angst vor dem Tode?

mq: Angst gebiert die Sehnsucht nach Sicherheit, und die Erfindung der Hölle ist ein Teil des Machtinstruments.

nachbar: Sehe ich auch so.

nachbar: Ist der Mensch nicht überall da frei von Angst, wo das Vertrauen und die Liebe, wo Gott vorherrscht?

mq: Darin besteht der Zweck der Illusion.

nachbar: Jeder Glaube, woran auch immer, ist letztendlich Illusion. Auch der Glaube an die Nichtexistenz Gottes oder der Glaube an die Allmacht der Vernunft ist Illusion. Doch wenn es hilft?

nachbar: Gibt es in der Logik der Natur Stillstand?

mq:Der Tod ist das Ende und mit ihm kommt ein Leben zum Stillstand.

nachbar: Das hängt wiederum ab von der jeweiligen Illusion.

nachbar: Hat sich die Lebensform Mensch nicht gerade wegen ihrer Fähigkeit zum Optimismus und zum positiven Denken durchgesetzt und immer weiter entwickelt?

mq: Erst die Erfolge des negativen Denkens, der Antizipation von Bedrohung, führen zur Zuversicht. Wenn die Erfolge ausbleiben, führt das negative Denken in die Depression und in die Selbstauflösung.

nachbar: Das verstehe ich nur teilweise! Wo führt negatives Denken zum Erfolg? Negatives Denken führt zur Aufrechterhaltung depressiver Muster und somit zu einer fragwürdigen Sicherheit. Negatives Denken ist doch Stagnation.

nachbar: Aber ohne Gott wäre die Gegenwart ärmer, ohne Religion gleichwohl oftmals reicher. Gott zerstört die Angst, auch die Angst vor dem Tode, der Mensch kultiviert sie, indem er zuerst Gott zerstört.

mq: Ich bezweifle, dass die Gegenwart ohne Religion reicher wäre. Denn die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und die damit verbundene Anstrengung hat einen erheblichen Teil der menschlichen Geistesgeschichte hervorgebracht, wenngleich man auf manche Folgen der Religion verzichten könnte.

nachbar: Was die Menschheitsentwicklung betrifft, klar, da gab es wichtige entscheidende Impulse. Andererseits ist aber auch die Instrumentalisierung der Religion als Machtinstrument gegen den Menschen schon seit jeher ein großer Angstmacher. Aber eben nur die Instrumentalisierung Gottes und nicht Gott selbst!

25.8.13  
Blogger Frau H. said...

Ich würde dieser "Todes" Diskussion noch gerne was hinzufügen: Ist es nicht (für uns selbst) "scheissegal" ob wir sterben? Ich meine, tot ist tot. Was wird es mich dann noch (selbst) interessieren? Interessieren können? Etweder es wird ein Wandel sein oder ein Nichts. Worum und wofür also die Gedanken? Für uns selbst als gedachte Hinterbliebene, denen wir - vermeintlich - noch etwas schuldig sind? Oder einfach nur unserer "Selbstherrlichkeit", die uns selbst im Tode nicht ruhen lässt?

31.8.13  

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