Nachrichtenbrei und Gelassenheitssirup
Mit zunehmendem Alter macht sich die Gelassenheit breit. Wie zäher Sirup kittet sie Risse zwischen weltbewegenden Themen. Jedes dieser großen Themen wie Terroranschläge, Amokläufe oder Kriegsverbrechen ist für sich genommen weltbewegend, übermächtig, eine unfassbare Tragödie. Geschnitten und zerhackt, werden die großen Themen im Nachrichtentopf zur alltäglichen Schonkost verkocht. Wir lassen die Neuigkeiten aus allen Kanälen in den Topf fließen, rühren gelegentlich um, damit nichts anbrennt und löffeln den Nachrichtenbrei dann entweder sprachlos oder mit Kommentargeschwätz garniert in uns hinein. Zum Verdauen bleibt kaum Zeit, der Brei muss schnell durch Kopf und Magen. Den Boden des Topfes sehen wir nie, obwohl wir fressen wie verrückt. Wenn der volle Ranzen gelegentlich zwickt, weil ein großes, schweres Thema uns besonders berührt und hervorsticht, dann lindern wir die Beschwerden mit dem Sirup der Gelassenheit und lassen einen fahren.
Dieses Rezept ist ein delikater Einfall der Natur. Aber die Evolutionsmechanik ist ausgefeilt, sie lässt sich erst mit zunehmendem Alter vom billigen Sirup der Gelassenheit schmieren. In jungen Jahren muss man sich über restlos alles aufregen, weil die Evolution nicht an einem Punkt stehen bleiben darf. Man regt sich über die großen, schweren Themen auf und will die Welt aus den Angeln heben. Manchen gelingt es sogar. Mit dem Sirup ist es dann wie mit dem Bier, mit den Jahren gewöhnt man sich an den bitteren Nachgeschmack der Gelassenheit, und irgendwann ist der Sirup ein Bestandteil jeder Katastrophenmahlzeit.
Und plötzlich sind es die kleinen Aufregungen, in die wir uns hineinsteigern. Weil wir bei den großen Katastrophen nur noch gelassen reagieren können, aber Aufregungen brauchen wie die Luft zum atmen, regen wir uns darüber auf, dass die zerlesene Zeitung im Café nicht in der richtigen Reihenfolge zusammengefaltet wurde. Und wir fragen uns in unserer eigenen Kleinkariertheit, was in diesen kleinkarierten Menschen vorgeht, die nicht einmal eine geliehene Zeitung in einem ordentlichen Zustand für nachfolgende Leser zurücklassen können.
Dabei handelt es sich vermutlich um dieselben Menschen, die im Kino nach der Filmvorführung die Sitzreihen blockieren, weil sie jeden Abspann stur bis zum Ende anglotzen. Mit geheucheltem Interesse an den Namen des dritten Beleuchters und des Käsebrotbelegers eines Kameraassistenten müssen diese Menschen fett in ihren Sitzen kleben und eine scheinbare Kompetenz zur Schau stellen, damit sie sich als konsumierender Teil der Unterhaltungsmaschine auch ein wenig wichtig fühlen dürfen.
Die Dummheit und die kleinen Aufregungen lauern in jeder Alltagsnische. Man möchte Konservenbüchsen schmeißen, wenn junge Menschen an der Supermarktkasse blöd in die Gegend starren, während ihre Waren über den Scanner gezogen werden. Erst wenn die Summe genannt wird, fangen diese Dummköpfe an, umständlich nach ihrem Portemonnaie zu suchen. "Lasst euch Zeit, ihr seid völlig allein auf diesem ausgestorbenen Planeten", möchte man schreien, während die Schlange an der Kasse länger wird. Und wenn alle Kupfermünzen gezählt sind und der Betrag nicht passend vorliegt, werden 2,57 Euro mit Karte bezahlt. Man kann sich glücklich schätzen, wenn der Dummkopf seine Geheimzahl auf Anhieb richtig eingibt.
In die Kategorie der unerträglichen Dummköpfe fallen auch sämtliche selbsternannten Fußballexperten, die sich nach einem kräftigen Zug aus der Bierflasche über einen "total lahmarschigen Stürmer" beschweren, aber selbst die 100 Meter niemals unter 30 Sekunden bewältigen könnten und anschließend sofort eine Zigarette rauchen müssten. Wenn man einen solchen Menschen hört und sieht, will man ihn anbrüllen, dass er sich einen Spiegel besorgen oder wenigstens die blöde Fresse halten soll.
Bis zur geistigen Erschöpfung kann man sich hineinsteigern in solche Aufregungen über harmlose Ereignisse und Menschen, die sich über harmlose Ereignisse und Menschen aufregen. Gleichzeitig nehmen wir die Tragödien dieser Welt mit Gelassenheit zur Kenntnis, und manchmal ist die Gelassenheit nur ein schöneres Wort für die Gleichgültigkeit. Das wahre Leid und die Tragweite einer Tragödie spüren wir am Ende doch nur, wenn wir selbst ein Teil der Tragödie sind.
Dieses Rezept ist ein delikater Einfall der Natur. Aber die Evolutionsmechanik ist ausgefeilt, sie lässt sich erst mit zunehmendem Alter vom billigen Sirup der Gelassenheit schmieren. In jungen Jahren muss man sich über restlos alles aufregen, weil die Evolution nicht an einem Punkt stehen bleiben darf. Man regt sich über die großen, schweren Themen auf und will die Welt aus den Angeln heben. Manchen gelingt es sogar. Mit dem Sirup ist es dann wie mit dem Bier, mit den Jahren gewöhnt man sich an den bitteren Nachgeschmack der Gelassenheit, und irgendwann ist der Sirup ein Bestandteil jeder Katastrophenmahlzeit.
Und plötzlich sind es die kleinen Aufregungen, in die wir uns hineinsteigern. Weil wir bei den großen Katastrophen nur noch gelassen reagieren können, aber Aufregungen brauchen wie die Luft zum atmen, regen wir uns darüber auf, dass die zerlesene Zeitung im Café nicht in der richtigen Reihenfolge zusammengefaltet wurde. Und wir fragen uns in unserer eigenen Kleinkariertheit, was in diesen kleinkarierten Menschen vorgeht, die nicht einmal eine geliehene Zeitung in einem ordentlichen Zustand für nachfolgende Leser zurücklassen können.
Dabei handelt es sich vermutlich um dieselben Menschen, die im Kino nach der Filmvorführung die Sitzreihen blockieren, weil sie jeden Abspann stur bis zum Ende anglotzen. Mit geheucheltem Interesse an den Namen des dritten Beleuchters und des Käsebrotbelegers eines Kameraassistenten müssen diese Menschen fett in ihren Sitzen kleben und eine scheinbare Kompetenz zur Schau stellen, damit sie sich als konsumierender Teil der Unterhaltungsmaschine auch ein wenig wichtig fühlen dürfen.
Die Dummheit und die kleinen Aufregungen lauern in jeder Alltagsnische. Man möchte Konservenbüchsen schmeißen, wenn junge Menschen an der Supermarktkasse blöd in die Gegend starren, während ihre Waren über den Scanner gezogen werden. Erst wenn die Summe genannt wird, fangen diese Dummköpfe an, umständlich nach ihrem Portemonnaie zu suchen. "Lasst euch Zeit, ihr seid völlig allein auf diesem ausgestorbenen Planeten", möchte man schreien, während die Schlange an der Kasse länger wird. Und wenn alle Kupfermünzen gezählt sind und der Betrag nicht passend vorliegt, werden 2,57 Euro mit Karte bezahlt. Man kann sich glücklich schätzen, wenn der Dummkopf seine Geheimzahl auf Anhieb richtig eingibt.
In die Kategorie der unerträglichen Dummköpfe fallen auch sämtliche selbsternannten Fußballexperten, die sich nach einem kräftigen Zug aus der Bierflasche über einen "total lahmarschigen Stürmer" beschweren, aber selbst die 100 Meter niemals unter 30 Sekunden bewältigen könnten und anschließend sofort eine Zigarette rauchen müssten. Wenn man einen solchen Menschen hört und sieht, will man ihn anbrüllen, dass er sich einen Spiegel besorgen oder wenigstens die blöde Fresse halten soll.
Bis zur geistigen Erschöpfung kann man sich hineinsteigern in solche Aufregungen über harmlose Ereignisse und Menschen, die sich über harmlose Ereignisse und Menschen aufregen. Gleichzeitig nehmen wir die Tragödien dieser Welt mit Gelassenheit zur Kenntnis, und manchmal ist die Gelassenheit nur ein schöneres Wort für die Gleichgültigkeit. Das wahre Leid und die Tragweite einer Tragödie spüren wir am Ende doch nur, wenn wir selbst ein Teil der Tragödie sind.
12 Comments:
Ich bin ja nun nicht gerade "gläubig" im Sinne einer Weltanschauungsgemeinschaft deren Mitglied ich ja nun schon seit eingen Tagen auch offiziell nicht mehr bin, aber dies hier:
"God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
courage to change the things I can,
and wisdom to know the difference."
war schon immer eine sehr weise Wahrheit oder auch wahre Weisheit für mich...
Lieben Gruss,
Frau H.
Gleichgültigkeit ist gewachsene Resignation. Aber solange man sich über sie ärgert, hat die Wut noch eine Chance.
(Oder die Trauer, natürlich, je nach dem.)
Ich lasse den Film manchmal gern sacken, so während des Nachspanns. Und ja, ich schau mir die Namen an, weil ab und zu ein paar lustige dabei sind. Zählt das zum Dummkopfverhalten?
/Frau H.: Ähnlich wie bei der Annahme eines Gottes, handelt es sich bei der Behauptung, es gäbe unveränderbare Dinge, um eine uralte Legende.
/mkh: All we are singing, is give rage a chance.
/queen of maybe: Freundlichen Dank für diese Illustration von Herrn Picabias Aphorismus "Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann". Diese Argumente sind keinesfalls dummköpfig. Ich bin ein großer Liebhaber von lustigen Namen und verbringe gerne Zeit mit dem Lesen von Klingelschildern, Telefonverzeichnissen und Todesanzeigen.
Wundervoller Text, voll menschlicher Wärme zwischen den Zeilen. Du hast noch nicht aufgegeben MQ, das ehrt dich. Wir sind ja nicht auf Facebook verschwägert (weil du ja da nicht bist), deshalb erzähl ich dir, wie es da zugeht. Wenn man ca. 700 FB-Freunde sein Eigen nennt, ist es schwer etwas zu posten, was nicht mindestens einer davon "liket". Die beste Methode, völliges digitales Schweigen zu generieren, ist Unicef, Oxfam oder so Spendenkram zu verlinken, weil grad eine Massenhungersnot, ein Völkermord oder meistens beides im Gang ist.
Merci für die aufrichtige Ermunterung, Burnster. Die menschliche Wärme ist zwischen den Zeilen versteckt, weil ich mein sorgfältig aufgebautes mies-pseudocooles Image nicht beschädigen will. Beknackte Coolness ist schließlich ein Geheimrezept für das Funktionieren des ganzen Netzkramladens. Da brauch ich nicht auch noch ein Frustbook. Aber man sollte immer auch die guten Seiten sehen, und FB hat sicher unfassbar viel zur Entstehung und Pflege von weltweiten Kontakten beigetragen. Letzlich liegt das von dir sehr anschaulich dargestellte Verhalten nicht am Medium, sondern an den Menschen. Digitale Plattformen bilden das Verhalten der Masse einfach am besten ab.
Sie können also Tote wieder zum Leben erwecken, werter Sir MQ? Oder Sonne in Regen verwandeln? Sehr phantastisches Sein, dass Sie da so pflegen (und das meine ich nicht als Kritik sondern (an)erkennend... ;)
Kern der Aussage ist: "The things I..." (ohne "playing with realaty sozusagen).
Ansonsten stimme ich Ihnen durchaus zu. So im Sinne von "never say never" oder so. Aber ich glaube, ich bin gerade verdammt unklar...
"In der Fantasie geht alles." (Helge Schneider)
"Die Phantasie ist der Vorhof der Realität" oder so ähnlich. (Die Frau der Wahl ;)...)
"Wer die Wirklichkeit verstehen lernen will muss ihr Wesen in Frage stellen." (Ich, soweit ich die ursprüngliche Quelle nicht einfach vergessen habe.)
Die Realität ist ein Derivat der Phantasie.
Das würde ich wiederum als "Perspektivsfrage" betrachten. Von wo aus gesehen?
Die REALITÄT ist, erst einmal und für sich genommen, einfach nur. Ihre DEUTUNG (auch Bedeutung) allerdings, die ist nicht so einfach....zu betrachten. Da sind der Blickwinkel viele, die eben auch wieder NEU erschaffen und verändern können. Wechselspiel halt.
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