Wagner und die Egoshooters
In der Linie 12 erzählt ein strickender Mann seinem Sitznachbarn, dass er in den Neunzigern, als alle mit Doom und Resident Evil beschäftigt gewesen seien, Richard Wagner studiert habe. Das andere Ende des Wollfadens zwischen seinen Fingern verschwindet in einer Jutetasche, wie man sie einst statt Plastik verwendete. Hellbraune Wildlederschuhe, graue Wollsocken, grüne Feincordhose, herbsthimmelblauer Pullover, weinrotes Leinensakko, gelbe Schirmkappe mit Ölfirmalogo, tiefschwarze Sonnenbrille. Der Zusammenhang zwischen seiner Garderobe, Richard Wagner und den Egoshooters wird deutlich, als der Mann an der Haltestelle einen Blindenstock aus der Jutetasche hervorzieht und aufklappt. Er verlässt die Straßenbahn mit zielbewusstem Schritt.
6 Comments:
Es könnte neue Perspektiven eröffnen, in einer Welt ohne sichtbare Oberflächen zu leben.
Das klingt nach einer mutigen aber nicht völlig unzulässigen Farbabstimmung, so voll der Öko-Chic (abgesehen von dem Ölfirmenlogo vielleicht).
Die Neunziger habe ich eher mit "Jutta statt Plastik" in Erinnerung.
Beruhigend, dass man kein Ziel vor Augen braucht, um zielbewussten Schrittes zu gehen! Irgendwie beneide ich den Mann, den Sie da so schön aus Ihrer trefflichen Beobachtungsgabe heraus beschreiben...
was hat er gestrickt, etwa klorollenwärmer mit bommel für die hutablage?
ein kumpel hat als zivi blinde durch die gegend gefahren. die wussten immer ganz genau, wenn er falsch abgebogen ist.
/mkh: Und es würde andere Perspektiven verschließen.
/100 Goldfischli: Man muss weder Öko noch blind sein, um sich >merkwürdig zu kleiden.
/Frau H.: Ich bin allerdings davon überzeugt, dass er trotz seiner Blindheit ein klares Ziel vor Augen hatte.
/MudShark: Du glaubst nicht im Ernst, dass ich erkennen könnte, was irgendjemand strickt! Auf diesem Auge bin ich blind.
Ich weiß... ;)
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