München - Venedig (XVIII): Ein Bild betrachtet sich selbst
Grau uniformierte Wolkenarmeen, die abends noch den Himmel belagert hatten, waren am nächsten Morgen weggefegt. Der neue Tag präsentierte sich in einem gebügelten Sommerblau.
Piave, Blickrichtung Norden
Ohne einem bestimmten Pfad zu folgen, ging es durch Büsche am steinigen Bett des Piave entlang. Flusslandschaften sind beruhigend und aufregend zugleich. In einer verbindlichen Gleichmäßigkeit ist alles lebendig und ständig in Bewegung, sogar der knirschende Kies unter meinen Füßen schien zu atmen. Die Sinneseindrücke beim Gehen sind weiträumig und unverdichtet, durch die Langsamkeit der Fortbewegung dringen Landschaften tief in meine Wahrnehmung ein und schimmern als kondensierte Essenz von den Wänden der Gedankenspeicher.
Mit der Projektion seiner Umgebung in die Innenräume wird der Gehende zu einem Teil der Umgebung, und gleichermaßen umgibt er seine Umgebung. In seiner Vorstellung ist er nicht der Denkende, sondern wird von der Außenwelt gedacht, aber auch seine Vorstellung ist nur ein Produkt einer anderen, größeren Vorstellung. Die Welt erfindet den Gehenden und lässt ihn ein Bild durchqueren, das sie von sich selbst malt. Dieses Selbstporträt ist nie vollendet. Figuren kommen und gehen, Berge entstehen und verschwinden. Wir sind Teile des Bildes. Auf die nebensächliche Frage nach dem Ursprung gibt es zahllose Antworten. Aber die Kernfragen lauten: Wer ist der Betrachter? In welchem Teil der Ausstellung hängt das Bild? (Und hat es einen Rahmen?)
Wenn man, auf sich selbst zurückgeworfen, tagelang durch das Kopfmuseum spaziert, kommen bizarre Gebilde zum Vorschein. Aber die Hitze und Erschöpfung waren nicht groß genug, um sich ein Segelschiff am Straßenrand einzubilden.
Handelte es sich um mittelschweres Kriegsgerät der österreichischen Gebirgsmarine, mit deren Regelwerk ich bereits im VII. Kapitel meiner Reise konfrontiert wurde? Da ich weder militärische Manöver, noch weitere Teile eines Flottenverbands ausmachen konnte, musste nicht mit unmittelbaren Kampfhandlungen gerechnet werden. "Weit und breit kein Fahrwasser. Österreich wird nie den Status einer globalen Seemacht erreichen", lautete die Analyse. Ich befand mich auf einem Damm, der offenbar Überschwemmungen des Piave vorbeugen sollte. Hatten die Invasoren jahreszeitbedingte Hochwasser genutzt? Aber wie hatte man die Alpen überquert? Elefanten? Fitzcarraldo? Jetzt rechnete ich mit allem.
Ich kam an einer verrosteten Industrieruine vorbei. Wer hatte jene Festung aufgegeben? Waren die Insassen belagert worden? Es gab keine Spuren zu entdecken, die ballistische Rückschlüsse zugelassen hätten.
Auch Friedhofsforschungen trugen im weiteren Verlauf zu keiner historischen Klärung bei. Der Tag wuchs mir über den Kopf, und aus Trotz quartierte ich mich in einem lächerlich teuren Hotel ein.
(...)
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>> Piaveschlachten
Piave, Blickrichtung Norden
Ohne einem bestimmten Pfad zu folgen, ging es durch Büsche am steinigen Bett des Piave entlang. Flusslandschaften sind beruhigend und aufregend zugleich. In einer verbindlichen Gleichmäßigkeit ist alles lebendig und ständig in Bewegung, sogar der knirschende Kies unter meinen Füßen schien zu atmen. Die Sinneseindrücke beim Gehen sind weiträumig und unverdichtet, durch die Langsamkeit der Fortbewegung dringen Landschaften tief in meine Wahrnehmung ein und schimmern als kondensierte Essenz von den Wänden der Gedankenspeicher.
Mit der Projektion seiner Umgebung in die Innenräume wird der Gehende zu einem Teil der Umgebung, und gleichermaßen umgibt er seine Umgebung. In seiner Vorstellung ist er nicht der Denkende, sondern wird von der Außenwelt gedacht, aber auch seine Vorstellung ist nur ein Produkt einer anderen, größeren Vorstellung. Die Welt erfindet den Gehenden und lässt ihn ein Bild durchqueren, das sie von sich selbst malt. Dieses Selbstporträt ist nie vollendet. Figuren kommen und gehen, Berge entstehen und verschwinden. Wir sind Teile des Bildes. Auf die nebensächliche Frage nach dem Ursprung gibt es zahllose Antworten. Aber die Kernfragen lauten: Wer ist der Betrachter? In welchem Teil der Ausstellung hängt das Bild? (Und hat es einen Rahmen?)
Wenn man, auf sich selbst zurückgeworfen, tagelang durch das Kopfmuseum spaziert, kommen bizarre Gebilde zum Vorschein. Aber die Hitze und Erschöpfung waren nicht groß genug, um sich ein Segelschiff am Straßenrand einzubilden.
Handelte es sich um mittelschweres Kriegsgerät der österreichischen Gebirgsmarine, mit deren Regelwerk ich bereits im VII. Kapitel meiner Reise konfrontiert wurde? Da ich weder militärische Manöver, noch weitere Teile eines Flottenverbands ausmachen konnte, musste nicht mit unmittelbaren Kampfhandlungen gerechnet werden. "Weit und breit kein Fahrwasser. Österreich wird nie den Status einer globalen Seemacht erreichen", lautete die Analyse. Ich befand mich auf einem Damm, der offenbar Überschwemmungen des Piave vorbeugen sollte. Hatten die Invasoren jahreszeitbedingte Hochwasser genutzt? Aber wie hatte man die Alpen überquert? Elefanten? Fitzcarraldo? Jetzt rechnete ich mit allem.
Ich kam an einer verrosteten Industrieruine vorbei. Wer hatte jene Festung aufgegeben? Waren die Insassen belagert worden? Es gab keine Spuren zu entdecken, die ballistische Rückschlüsse zugelassen hätten.
Auch Friedhofsforschungen trugen im weiteren Verlauf zu keiner historischen Klärung bei. Der Tag wuchs mir über den Kopf, und aus Trotz quartierte ich mich in einem lächerlich teuren Hotel ein.
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>> Piaveschlachten
5 Comments:
Die Piaveschlachten und der Gebirgskrieg 15/18 waren vermutlich weniger beruhigend als aufregend. Aber immer noch besser in einem andern Lande ein Dreimaster auf dem Trocknen als Berge in Flammen!
(Hommage an Ernest Hemingway, Luis Trenker und alle Alpinisten, denen zuweilen der Tag über den Kopf wuchs.)
Und Danke für die Geschichtsstunde. Jetzt kann ich in den Alpenhütten wieder mitreden!
Typisch für Europa. Fördermittel für die krisenanfällige MTW Werft in Wismar werden durch die Mafia abgeleitet an den Piava. Schon nach dem ersten Schiffsentwurf sind neben den Fördermitteln sowohl die Arbeiter als kurz darauf die ganze Werft verschwunden.
/mkh: Mit einem Vortrag über die Piaveschlachten bist du auf jeder Alpenhütte die wundersamste Attraktion, garantiert.
(Und Hemingway war vermutlich Experte für Einquartierungen in lächerlich teuren Hotels.)
/Andie Kanne: ... aber der Fördermittelstrom fließt unbemerkt weiter in die angebliche Sanierung eines Haufens Industrieschrott im einsamen Hinterland.
Okay, wird ins Vortragsprogramm aufgenommen! Und wenn die Amerikaauswanderung hierzuland gut ankommt, warum nicht die gebirgskriegsbedingte Amerikaeinwanderung Hemingways in den Alpen?
So weit ich recherchiert habe (und mich erinnere), war derselbige übrigens eher in alpinen Lazarettzelten einquartiert. Lächerlich irgendwie! Dabei standen im Gebirgskrieg 15/18 doch vermutlich die allerteuersten Alpenhotels leer... Verrückte Zeit.
... dieses Detail war mir entgangen! Möglicherweise handelt es sich um den Grauexport des vormaligen Brennelementewerks Hanau, kostspieligst schein-saniert.
Oder ist das vielleicht perfide Tarnung für das Bernsteinzimmer?
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