Freitag, Juni 02, 2006

Ace of Spades (Motörhead, 1980)

Ace of spadesDas Pik-Ass begleitet mich durchs Leben. Als Songtitel einer monumentalen Rockformation und in Gestalt einer Spielkarte, die mir ein Zauberer im Tigerpalast zuwarf.

Meine erste Begegnung mit Johnny Klinkes Tigerpalast hatte ich Mitte der Neunziger, kurz nach dem Umzug ins Frankfurter Ostend. Ich war abends in Bornheim unterwegs, hatte einen halben Schluck Bier zuviel getrunken und suchte meinen Weg nach Hause. Ich weiß nicht mehr, wie spät es war, als mir plötzlich ein Tiger ins Ohr fauchte.

Ich blieb stehen und dachte, jetzt sei es mittels surrealistischer Zwangsvorstellungen an diesem Abend endgültig um den letzten Rest objektiver Wahrnehmung der mich umgebenden Welt geschehen. Langsam drehte ich meinen Kopf nach rechts und blickte direkt in die geweiteten Pupillen des Tigers. Ich schloss meine Augen, aber ich hörte weiterhin das durchdringende Schnurren der Katze.

Aufgrund des Alkoholspiegels konnte ich die Augen nicht lange geschlossen halten, da sich sofort ein Schwindelgefühl einstellte. Die kurze, kognitiv genutzte Pause reichte jedoch für die Erkenntnis, dass es sich um einen realen Tiger handelte und dass sich die Raubkatze hinter Gitterstäben befand. Sofort fiel mir Rilke ein. Und dann fiel mir ein, dass es in Rilkes Gedicht kein Tiger, sondern ein Panther war. Verfluchter Alkohol.

Ich schaute mich um und stellte anhand der Leuchtreklame fest, dass ich mich ungefähr auf Höhe des Eingangs zum Tigerpalast befand. Der notorische Palasttiger war in einer Art Zirkuswagen neben dem Bordstein geparkt und wartete auf seine Spätvorstellung in dem Variete zwischen Konstablerwache und Zoo. Die Wartezeit vertrieb sich das Tier auf- und abschleichend mit Fauchen und Schnurren.

Etwa ein Jahr später arbeitete ich für eine amerikanische Unternehmensberatung, die ihre Mitarbeiter zu einer Weihnachtsfeier in den Tigerpalast einlud. Die Firma konnte sich das leisten, weil der kleine, spitzbübische Schwindel mit einer angeblich neuen Ökonomie zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgeflogen war und die sogenannten neuen Märkte sich fröhlichster Sektlaune erfreuten.

Die Darbietungen der überwiegend osteuropäischen Artisten waren beeindruckend. An diesem Abend sah ich auch den Tiger wieder, der an einer Kette zwischen dem Publikum durch den Raum geführt wurde. Er tat so, als würde er mich nicht kennen und schaute in eine andere Richtung.

Mein Pik-Ass-Schlüsselerlebnis aber war ein Zauberer aus Las Vegas, der Kartentricks zeigte und nach jedem Trick einzelne Karten treffsicher bestimmten Personen im Raum zuwarf. Wie er das anstellte, weiss ich nicht. Fest steht, dass er eine Zielperson im halb abgedunkelten Raum auswählte und die Spielkarte dann in einem weiten Bogen der anvisierten Person auf den Schoß warf.

Ich saß über zehn Meter von der Bühne entfernt. Als der Zauberer mich ansah und mit ausgestrecktem Arm auf mich zeigte, hielt ich es für unmöglich, dass er treffen könnte. Er hob den Arm und schnippste die Karte aus seinen Fingern. Ohne dass ich die Flugbahn verfolgen konnte, kam die Karte von links aus dem düsteren Raum, traf mich auf der Brust und fiel in meinen Schoß.

Um den Applaus für den Zauberer zu bekräftigen, hielt ich die Karte hoch. Im Licht des auf mich gerichteten Scheinwerfers konnte man erkennen, dass es das Pik-Ass war. Die Rückseite war mit Werbung eines Spirituosenherstellers bedruckt: Kornbrenner für Kornkenner.Korn

Die Karte war einige Jahre verschollen. Vor kurzem fand ich sie wieder, als Lesezeichen in der Fassbinder-Biografie Schlafen kann ich wenn ich tot bin.
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