Sonntag, September 11, 2011

Mit dem Riesenrad um die Welt

Als Kind wollte ich Förster werden. Die einzige Alternative wäre Autoscooterchauffeur gewesen. Diese Typen hatten einen Dauerchip am Fuchsschwanz und durften den ganzen Tag lässig auf Autoscootern stehen und rückwärts einparken. Wenn man sich heute auf einer Kirmes für ein paar Sekunden neben die Viertelstarken am Autoscooter stellt, bekommt man Dialoge mit, die sich jedem Versuch einer schriftlichen Dokumentation mittels massivster Peinlichkeitsattacken entziehen und ernste Zweifel daran aufkommen lassen, dass man selbst jemals so jung gewesen und am Autoscooter herumgehangen sein könnte.
Ich lasse keine Kirmes aus und fahre jedes Mal eine Runde mit dem Riesenrad um die Welt, während ich zwei rituelle Mohrenköpfe aka Negerküsse mit Kokosstreuseln esse. Hinterher ist mir dann immer saumäßig schlecht, aber das muss so sein.
Früher hingen an vielen Buden Zettel mit dem Hinweis, dass ein "junger Mann zum mitreisen" gesucht sei. Das war die gängige Formel der Schausteller. Man hätte auch schreiben können "Hilfskraft für Kettenkarussel gesucht", aber jeder hielt sich an die Formel "junger Mann zum mitreisen gesucht". Ich habe schon lange keinen solchen Zettel mehr gesehen. Vermutlich beziehen die Schausteller ihre Eineurosklaven inzwischen direkt aus Weißrussland oder der Ukraine.
Auf einer Kirmes gibt es bizarre Beschäftigungsverhältnisse. Seit den Zeiten, als Autoscooterchauffeur die einzige Alternative zur Försterei gewesen wäre, hat sich einiges getan. Mit seinem Vocoder hat der Witzbold am Mikrofon sicher viel Spaß, wenn er mit Mickymausstimme und vierfachem Echo die Beschleunigung des "Polypen" auf Mach 3 ansagt.
Außer dem Riesenrad betrete ich kein Fahrgeschäft. Vor der Geisterbahn bleibe ich aber immer eine Weile stehen. Dort geistern inzwischen farblich markierte Untote aus echtem Fleisch und Blut zwischen den Besuchern herum. Und wie fühlt sich der Mann auf dem Balkon bei seinen stundenlangen Bemühungen, mit einer Plastikspinne an der Angel Passanten zu erschrecken? Die Geisterbahn wirbt mit dem Slogan "Weg ins Ungewisse". Klingt reizvoll.

7 Comments:

Anonymous Frau H. said...

Hm? Vielleicht sollte ich doch 'mal wieder auf den Dom gehen. Wenn es da auch diese "Kokosküsse" gibt, dann....bei uns gab es die früher lose beim Bäcker und ich fand sie herrlich. Allerdings fand (und finde) ich sie vor allem dann besonders herrlich, wenn sie innen schon etwas klebrig (also eigentlich alt) sind. Und Riesenrad bin ich noch NIE in meinem Leben gefahren, unglaublich eigentlich. Ich erkläre es mir damit, dass meine Mutter mit mir im zarten Alter von ungefähr sechs oder sieben Jahren das erste Mal auf einem richtigen Rummel war und mit mir nicht ins Riesenrad wollte, weil sie es für zu gefährlich hielt. Statt dessen fuhr sie dann mit mir Achterbahn, während mein älterer Bruder mit Onkel Willi genüsslich Riesenrad fuhr. Ich weiß nicht wer mehr geschrien hat, damals: Ich oder meine Mutter.
Achterbahn bin ich danach komischerweise noch häufiger gefahren. Riesenrad noch nie.
Ich glaub', ich geh wirklich 'mal auf den Dom, bei Gelegenheit.... Vielen Dank für die Anregung!

12.9.11  
Blogger Herr MiM said...

Ich habe vor zwei Monaten einen solchen Zettel gesehen, auf der Kirmes hier vor Ort. Es handelte sich um ein Gewerbe die sich auf die kleinen Schiffsschaukeln spezialisiert hatten.

Dabei pfiff ich dann den Song ´Ich war noch niemals in New York´ vor mich hin. Was bis heute auch der Tatsache entspricht.

13.9.11  
Blogger Sironie said...

Ist denn schon wieder Dippemess fast ohne Dippe? Kinners wie die Zeit vergeht.

13.9.11  
Blogger mq said...

/Frau H.: Ich bevorzuge unverdorbene, mit kokoshaltiger Kakaofettglasur überzogene Schaumküsse, aber unter dem Ladentisch wird bestimmt auch Antikware verkauft. Für die Achterbahn empfehle ich eine doppelte Portion.

/Herr MiM: Ich will Sie keiner neuen beruflichen Perspektive berauben, bezweifle jedoch, dass die kleinen Schiffschaukeln Sie nach New York bringen.

/Sironie: Eine funktionierende Zeitmaschine würde die Marktlücke zwischen den Fahrgeschäften schließen. (Wobei es sich, genau genommen, im Fall der Autoscooter eindeutig um Zeitmaschinen handelt.)

13.9.11  
Blogger Herr MiM said...

Das deprimiert mich dann doch schon ein wenig.

14.9.11  
Anonymous mkh said...

Beim Autoscootern hat meine zart in eine aufmüpfige Jugend aufblühende Kindheit erstmals auf die Nase bekommen - und die kleine Dreiviertelstarkenbande war im Vergleich zu uns, also meiner pubertär multiplen Persönlichkeit, eindeutig in der Überzahl. Aus irgendeinem Grund hatte ich auf Kerwe späterhin keine Lust mehr. An der Geisterbahn, die als Kind mein Fahrvorit war und mich heute vermutlich bis ins Mark erschrecken könnte, scheiden sich die Geister.

19.9.11  
Blogger mq said...

/Herr MiM: Kopf hoch. Wenn man mit dem Riesenrad um die Welt fahren kann, wird die kleine Schiffschaukel Sie vielleicht auch nach NYC bringen. Sorgen Sie vorab für einen ausreichenden Trinkwasservorrat.

/mkh: Um die Lust an der Geisterbahn wieder zu wecken, empfehle ich geistige Getränke.

27.9.11  

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