Mittwoch, September 02, 2009

München - Venedig (XIX): Der weite Weg zum Strand

Hinter dem Horizont verbargen sich weitere Horizonte, aber mit jedem Schritt blieb der neue Horizont ebenso weit entfernt wie der letzte. Die sichtbaren Entfernungen ließen das Gehen auf dem flachen Land aussichtsloser erscheinen als in den Bergen. Zwar bestand jener Teil von Venetien aus einer fruchtbaren Ebene, wo sich weite Weinfelder mit anderen Agrarflächen abwechselten, aber das grenzenlose Gehen mündete in Monotonie, und dann konnte sich zwischen fruchtbar und furchtbar nur ein Buchstabe nicht entscheiden.



Allein der Anblick des Meeres war die große Erwartung, die mich antrieb. Man hat schon viele Meere gesehen, aber dieser Anblick musste etwas Besonderes sein: Noch nie war der Weg zum Strand so weit.



Ein Kriegerdenkmal an der Straße zeigte einen Soldat mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett. Kriegerdenkmale verklären Schlachtfelder zu Schauplätzen des Heldentums. Als Kind war ich beeindruckt von den gewaltigen Figuren und Tafeln aus Stein oder Metall, die mit unzähligen Namen beschriftet waren. Im Herbst sammelte ich Kastanien, die man immer in der Nähe eines Kriegerdenkmals fand. Damals klangen die Listen auf den Totentafeln altmodisch, heute geben Eltern ihren Söhnen wieder Namen wie Hans, Paul oder Leo. Werden Kriegerdenkmale wieder in Mode kommen? Wird man für die Gefallenen, die in Afghanistan ihr Leben verlieren, auch Kriegerdenkmale errichten, an denen Kinder in dreißig Jahren Kastanien sammeln? Der Begriff des "gefallenen Soldaten" wird in Verbindung mit einer Vorstellung von Ehre gebraucht. Umgekehrt verhält es sich, wenn von einem "gefallenen Mädchen" die Rede ist. Die Sprache selbst ist ein trügerisches Mahnmal.



Wenn sich meine Gedanken auf den Schlachtfeldern der Erinnerung gegenseitig aufrieben, sang ich Lieder wie "Nothing ever happens" von Del Amitri oder "Vampiresa Mujer" von Jonathan Richman. Und wenn ich dann an einem einsamen Haus vorbeikam, kläfften hinter dem Gartenzaun klobürstenähnliche Hunde. Im Gegensatz zu mir schienen sie sich überhaupt nicht blödsinnig vorzukommen.
(...)
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>> Kriegerdenkmal

5 Comments:

Blogger Jan Spengler said...

Letztes Jahr habe ich eine Site angelegt über die Toten und Vermissten meines Heimatdorfes, auf Basis einer Gedenktafel. Von erstaunlich vielen der Toten des Ersten und Zweiten WK konnte ich auch noch die Sterbebildchen auftreiben mit Details, ebenso gibt es viele (unpolitische) Informationen im Internet. Die Seite erfährt in dem Ort einen ungemeinen Zuspruch, da sich viele Ältere scheinbar erstmals relativ frei mit dieser Episode befassen und darüber reden können.

Der Hintergrund zur Erstellung liegt nicht in erwünschter Verherrlichung oder ähnlichem, sondern ergab sich bei einer Wanderung in Frankreich. Dort sah ich viele der in Dörfern obligaten Gedenktafeln und musste daran denken, dass vielleicht genau diese Soldaten den Soldaten aus meinem Ort gegenüberstanden.

Eine reine Namensliste ist sehr anonym. Hinter vielen -natürlich längst nicht allen- Namen stecken "normale" Menschen, die vom Acker oder der Werkbank weg in den Krieg mussten. Bilder helfen dabei, den Toten wieder ein Gesicht zu geben.

Die Aufbereitung der Site war aufwändig, aber überaus interessant, da ich mich auch selbst erstmals ernsthaft mit der Episode beschäftigt habe.

Ich denke die Denkmäler sind sinnvoll, da sie uns an das Grauen erinnern. Ein reitender kaiserlicher Bronzekoloss Wilhelm fällt dabei ebenfalls unter die Kategorie Abschreckung und Grauen.

2.9.09  
Anonymous stilhäschen said...

Zu den Kriegerdenkmälern kann ich jetzt nix sagen (außer daß Sie natürlich Recht haben mit den Namen, die Eltern aber auch, es kann nicht jede Generation KevinMarvinTschackeline sein), aber: schön, daß es/die Reise hier weitergeht! Und "nothing ever happens" ist ja wohl sowieso einer der besten Songs ever, wenn nicht überhaupt.

3.9.09  
Blogger Frau H. said...

Sie singen beim Wandern? Eine schöne alte Tradition...
(Ich hätte aus exakt diesen Gründen wahrscheinlich sowas wie "Das wandern ist des Müllers Lust..." oder "Aus den blauen Bergen kommen wir..." gesungen. Sie sind also weit vorn!) Und heutzutage geht der Trend nur noch zu namenlosen Mahnmälern. Entpersonifiziert wie die Zeit in der wir leben.
Ich finde es gut, wenn solche Orte ins LEBEN einbezogen werden indem Kinder an ihnen Kastanien sammeln. Oder ähnliches tun. Das Schreckliche gehört zum Leben. Erst wenn man das begriffen hat - und man begreift es nuneinmal leichter durch Antasten, als durch Unantasten - kann man versuchen, diesen Umstand zu ändern oder zumindest in Grenzen zu halten...

Und so bleibt nur noch zu wünschen, dass das mehr nicht mehr allzufern ist, nun...

3.9.09  
Blogger mq said...

/Andie Kanne: Die geschilderte Form der Erinnerungsarbeit ist ein wertvoller Beitrag für die Bereicherung des historischen Bewusstseins!

(Und die Namenstafeln gaben keinen Anlass zur kritischen Betrachtung, vielmehr ein mancherorts martialischer Gestus der Plastiken.)

/stilhäschen: Ich bin schonmal gespannt auf die neuen, kleinen Gustavs, Wilhelmines und Adalberts.

/Frau H.: Sowas hätte ich vermutlich auch gesungen, wenn mir nur die Texte eingefallen wären ...

Das Denkmal des unbekannten Soldaten. Leider blieben diese Soldaten - oder das, was von ihnen übrig blieb - allzu oft unbekannt. Krieg ist die absolute Form der Entpersonifizierung. (Dicht gefolgt vom Internet.)

14.9.09  
Blogger Frau H. said...

Für diesen Fall empfiehlt sich das Mitführen einer "Mundorgel"....

Und: Entpersonifiziert, weil funktionalisiert. DARIN besteht das Übel!

(Das Internet ist im Allgemeinen da weit harmloser. Und oft weit weniger entpersonifiziert als man auf den ersten Blick so denkt. Aber grundsätzlich haben Sie natürlich recht...)

16.9.09  

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