Atemrost
Während der Lungenkrebs in meinem Großvater wucherte, lungerten auf dem Gang der Krankenstation alte Männer, die sich an rollenden Infusionsgestellen oder an Bierflaschen festhielten und rauchten, als ginge es darum, dem Tod eine zweite Überholspur zu teeren. Der Kippenautomat stand vor dem Eingang, der Bierautomat im Keller der Klinik.
Zu jener Zeit zog ich dem Großvater täglich die Marke des Gründers von New York, dessen Namen ich damals nicht richtig aussprechen konnte und der bis heute mystisch auf mich wirkt, aus dem Automat. Hierfür wurde das Kind mit der Verantwortung über ein Zweimarkstück ausgestattet. Die Aufgabe erledigte ich mit größter Gewissenhaftigkeit, denn ein silbernes Zweimarkstück musste von enormem Wert sein. Am Zigarettenautomat hat das Kind die Mechanik von Geld und Gegenwert begriffen.
Ich schaute dem Großvater gerne beim Rauchen zu. Die Formen, die der Rauch seiner Zigaretten in der Luft hinterließ und der Geruch gefielen dem Kind. Nur diesen verrosteten Atem, den der Großvater ausstieß, wenn er nicht rauchte, mochte ich nicht. Und seine vergilbten Fingernägel mochte ich auch nicht.
Rauchen war ein Symbol der Souveränität. Im vergangenen Jahrhundert glich das erste Inhalieren von Nikotin einem Initiationsritus. Ein Raucher galt als erwachsen oder durfte sich zumindest so fühlen. Ich bin bislang keiner Person begegnet, die sich in den 1980er Jahren mit dem Heranwachsen auseinandersetzen musste und nicht spätestens im Alter von vierzehn Jahren den ersten Glimmstengel auf Lunge geraucht hat. Paffer ernteten Verachtung. Heute soll es Jugendliche geben, die angeblich noch nie an einer Zigarette gezogen haben. Und kaum jemand kennt noch die Herkunft der Frage, wer denn gleich in die Luft gehen wird oder die Behauptung, dass Raucher der Marke, die nach einer baltischen Stadt benannt war, kleine Kinder fressen.
Geraucht wurde überall. Im Kino, im Fernsehen, in der Werbung, in der Literatur, im Büro, in der Politik, im Hotel, im Krankenhaus, im Flugzeug, im Wirtshaus, im Zug, im Bus, im Taxi, im Schlafzimmer, in Amerika, einfach überall. Helmut Schmidt wird gelobt für seine mentholverzierten Mattscheibensperenzchen, aber man sollte auch hervorragende Televisionsraucher wie Manfred Krug, Reiner Werner Fassbinder oder Klaus Kinski nicht vergessen.
Das Ende der Tabakära zeichnete sich ab, als ich 2002 durch San Francisco spazierte. Plötzlich drehte sich ein Passant vor mir um und meinte "Sorry". Wohlsituierte Amerikaner entschuldigen sich für jeden Quatsch, aber in diesem Fall konnte ich bei aller Bemühung nicht nachvollziehen, was mir der Mann getan haben wollte. Auf meine Nachfrage erklärte er sein Bedauern, dass mich der Rauch seiner Zigarette aufgrund der Gegenwindverhältnisse belästigt haben könnte. In diesem Moment wurde mir klar, dass die Hysterie eines Tages die ganze Welt erfassen würde.
Zum Kettenraucher war ich geworden, als ich während der Zeit beim Roten Kreuz von meinem ersten Unfalleinsatz mit mehreren Toten auf einer Landstraße zurückkam und im Verlauf der restlichen Nacht jede Selbstgedrehte an der vorigen angezündet habe. Einige Jahre später habe ich ebenso plötzlich aufgehört, weil jede Form einer Abhängigkeit die Freiheit einschränkt und weil ich kein innerlich verrosteter Mann mit Atem wie verbranntes Metall und vergilbten Fingernägeln werden wollte.
Zu jener Zeit zog ich dem Großvater täglich die Marke des Gründers von New York, dessen Namen ich damals nicht richtig aussprechen konnte und der bis heute mystisch auf mich wirkt, aus dem Automat. Hierfür wurde das Kind mit der Verantwortung über ein Zweimarkstück ausgestattet. Die Aufgabe erledigte ich mit größter Gewissenhaftigkeit, denn ein silbernes Zweimarkstück musste von enormem Wert sein. Am Zigarettenautomat hat das Kind die Mechanik von Geld und Gegenwert begriffen.
Ich schaute dem Großvater gerne beim Rauchen zu. Die Formen, die der Rauch seiner Zigaretten in der Luft hinterließ und der Geruch gefielen dem Kind. Nur diesen verrosteten Atem, den der Großvater ausstieß, wenn er nicht rauchte, mochte ich nicht. Und seine vergilbten Fingernägel mochte ich auch nicht.
Rauchen war ein Symbol der Souveränität. Im vergangenen Jahrhundert glich das erste Inhalieren von Nikotin einem Initiationsritus. Ein Raucher galt als erwachsen oder durfte sich zumindest so fühlen. Ich bin bislang keiner Person begegnet, die sich in den 1980er Jahren mit dem Heranwachsen auseinandersetzen musste und nicht spätestens im Alter von vierzehn Jahren den ersten Glimmstengel auf Lunge geraucht hat. Paffer ernteten Verachtung. Heute soll es Jugendliche geben, die angeblich noch nie an einer Zigarette gezogen haben. Und kaum jemand kennt noch die Herkunft der Frage, wer denn gleich in die Luft gehen wird oder die Behauptung, dass Raucher der Marke, die nach einer baltischen Stadt benannt war, kleine Kinder fressen.
Geraucht wurde überall. Im Kino, im Fernsehen, in der Werbung, in der Literatur, im Büro, in der Politik, im Hotel, im Krankenhaus, im Flugzeug, im Wirtshaus, im Zug, im Bus, im Taxi, im Schlafzimmer, in Amerika, einfach überall. Helmut Schmidt wird gelobt für seine mentholverzierten Mattscheibensperenzchen, aber man sollte auch hervorragende Televisionsraucher wie Manfred Krug, Reiner Werner Fassbinder oder Klaus Kinski nicht vergessen.
Das Ende der Tabakära zeichnete sich ab, als ich 2002 durch San Francisco spazierte. Plötzlich drehte sich ein Passant vor mir um und meinte "Sorry". Wohlsituierte Amerikaner entschuldigen sich für jeden Quatsch, aber in diesem Fall konnte ich bei aller Bemühung nicht nachvollziehen, was mir der Mann getan haben wollte. Auf meine Nachfrage erklärte er sein Bedauern, dass mich der Rauch seiner Zigarette aufgrund der Gegenwindverhältnisse belästigt haben könnte. In diesem Moment wurde mir klar, dass die Hysterie eines Tages die ganze Welt erfassen würde.
Zum Kettenraucher war ich geworden, als ich während der Zeit beim Roten Kreuz von meinem ersten Unfalleinsatz mit mehreren Toten auf einer Landstraße zurückkam und im Verlauf der restlichen Nacht jede Selbstgedrehte an der vorigen angezündet habe. Einige Jahre später habe ich ebenso plötzlich aufgehört, weil jede Form einer Abhängigkeit die Freiheit einschränkt und weil ich kein innerlich verrosteter Mann mit Atem wie verbranntes Metall und vergilbten Fingernägeln werden wollte.
3 Comments:
Wenn ich es mir so recht überlege - ich wollte sie nicht missen, die zwanzig Jahre meines Rauchens, so ungefähr von 1980 bis 2000. Alles hat seine Zeit, auch das Rauchen hat seine Zeit ...
Die Ära zog vorbei wie Nikotinqualm und ich erkenne erschrocken, wie alt ich bin. Was mich noch mehr erschreckt ist, dass eine lebensverachtende Industrie alle Lebensbereiche so stark durchdringt, dass wir tatsächlich von einer Ära sprechen.
/mkh: Schlimm ist dieses nostalgische Gefühl, das einen beim Gedanken an verrauchte Nächte in überfüllten Kneipen oder einsamen Autobahnraststätten überfällt.
/der Nachbar: Im Rückblick ist es erstaunlich, wie sehr die Sucht vom Herdentrieb bestimmt war.
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