89, Winter der Liebe
Irgendwann Mitte der Achziger war ich für ein paar Stunden in Ostberlin. Am Alexanderplatz gab es eine Imbissbude, wo Hamburger verkauft wurden. Ich hatte keinen dringenden Hunger, es waren vielmehr Neugier und meine kapitalistische Sozialisierung, die dafür sorgten, dass ich wenigstens ein paar Ostmark aus dem Zwangsumtausch loswerden wollte. Zuvor war ich den halben Nachmittag angestanden, um ein Anatomiebuch zu erwerben, das komisch roch, wie sich nach dem Kauf herausstellte. In der Imbissbude roch es auch komisch, ähnlich wie in dem Anatomiebuch.
Der missgelaunte Kerl hinter dem Tresen trug eine schmierige Schürze, die aus alten Rotarmeebeständen stammte und mindestens seit Gründung der DDR nicht mehr gewaschen worden war. So stellte ich mir das jedenfalls vor. Er garnierte eine eiskalte Bulette mit einem bräunlichen Salatblatt und goss eine gelbe Flüssigkeit darüber, die haargenau denselben Farbton besaß wie seine Schürze. Dann packte er den realsozialistischen Kunstgegenstand zwischen zwei Scheiben Graubrot, wickelte das Ganze in einen Fetzen Pergamentersatz, legte es auf den Tresen und zeigte wortlos auf den Preis, der mit Kreide auf eine Tafel neben das Wort Hamburger gemalt war.
Ich habe mich sogar ein wenig geschämt, als ich den Hamburger in sicherer Distanz zur Imbissbude in einen Abfalleimer warf. Immer, wenn ich seither die Bezeichnung DDR höre oder lese, muss ich an diesen Hamburger denken, und gleichzeitig steigt mir wieder der Anatomiebuchgeruch in die Nase.
Am 9. November 1989 stand ich in einer süddeutschen Stadt auf einer Leiter und half einem Freund, seine marode Unterkunft zu renovieren. Im Radio überschlugen sich die Berichte über den Mauerfall, und weil der Kampf um die Bewohnbarkeit der Unterkunft aussichtslos erschien, setzten wir uns in den rostigen VW Polo und fuhren über Nacht nach Berlin. Nachhaltig hat mich damals dieser endlose Stau aus Trabants und Wartburgs beeindruckt, der sich im Morgengrauen über einen weiten Abschnitt der Transitautobahn erstreckte.
Als wir übernächtigt in Berlin ankamen und durch die Stadt stolperten, nahm ich die allgegenwärtige Freude mit derselben Mischung aus Gelassenheit und Staunen zur Kenntnis wie die Schlange vor dem Sexshop am Bahnhof Zoo.
Der Jubel war schwer zu begreifen. Ähnlich wie im Fußballstadion oder in Sylvesternächten stand ich ratlos daneben, wenn sich wildfremde Menschen in die Arme fielen. Aber missgönnt habe ich es niemand. Nur dieser Anatomiebuchgeruch hat mich gestört.
Der missgelaunte Kerl hinter dem Tresen trug eine schmierige Schürze, die aus alten Rotarmeebeständen stammte und mindestens seit Gründung der DDR nicht mehr gewaschen worden war. So stellte ich mir das jedenfalls vor. Er garnierte eine eiskalte Bulette mit einem bräunlichen Salatblatt und goss eine gelbe Flüssigkeit darüber, die haargenau denselben Farbton besaß wie seine Schürze. Dann packte er den realsozialistischen Kunstgegenstand zwischen zwei Scheiben Graubrot, wickelte das Ganze in einen Fetzen Pergamentersatz, legte es auf den Tresen und zeigte wortlos auf den Preis, der mit Kreide auf eine Tafel neben das Wort Hamburger gemalt war.
Ich habe mich sogar ein wenig geschämt, als ich den Hamburger in sicherer Distanz zur Imbissbude in einen Abfalleimer warf. Immer, wenn ich seither die Bezeichnung DDR höre oder lese, muss ich an diesen Hamburger denken, und gleichzeitig steigt mir wieder der Anatomiebuchgeruch in die Nase.
Am 9. November 1989 stand ich in einer süddeutschen Stadt auf einer Leiter und half einem Freund, seine marode Unterkunft zu renovieren. Im Radio überschlugen sich die Berichte über den Mauerfall, und weil der Kampf um die Bewohnbarkeit der Unterkunft aussichtslos erschien, setzten wir uns in den rostigen VW Polo und fuhren über Nacht nach Berlin. Nachhaltig hat mich damals dieser endlose Stau aus Trabants und Wartburgs beeindruckt, der sich im Morgengrauen über einen weiten Abschnitt der Transitautobahn erstreckte.
Als wir übernächtigt in Berlin ankamen und durch die Stadt stolperten, nahm ich die allgegenwärtige Freude mit derselben Mischung aus Gelassenheit und Staunen zur Kenntnis wie die Schlange vor dem Sexshop am Bahnhof Zoo.
Der Jubel war schwer zu begreifen. Ähnlich wie im Fußballstadion oder in Sylvesternächten stand ich ratlos daneben, wenn sich wildfremde Menschen in die Arme fielen. Aber missgönnt habe ich es niemand. Nur dieser Anatomiebuchgeruch hat mich gestört.
9 Comments:
hach, erinnert mich ein kleinwenig an den uralten, ungarischen kioskbesitzer, bei dem ich nur einkaufe, weil ich ihn so gern hab, die sandwiches auch essen, geht leider gar nicht.
und dann erinnert`s mich noch daran, dass ich mir als kind nicht vorstellen konnte, wie man einen länderumspannenden eisernen vorhang montieren kann und wozu. ich stellte mir das enorm unpraktisch vor. das hat mich sehr intensiv beschäftigt, genauso wie die frage warum zonengabis erste banane eine gurke war.
Also jetzt verstehe ich, warum Sie Vegetarier wurden... ;)
Und an sich sind diese "Zonen"erinnerungsgeschichten eine schöne Idee! Könnte glatt inspirieren...'mal sehen... (Haben Sie das Buch noch? Oder wanderte es ebenso schnell, wie mein fleischiger Stadtgenosse in den Müll???)
Ich erinnere mich, wie ich mich, beim Aufwachen in einem zu kleinen Auto, nach einer kurzen Nacht mit vielen Kilometern aus dem Süden Deutschlands kommend, mit eben soviel Flüssignahrung intus, fast übergeben musste mitten im Trabbi-Stau. Die Abgase dieser knatternden Gefährte stanken unerträglich.
Interessant, das man die DDR vor allem nasal in Erinnerung hat - wenn man wie ich den Luxus einer stasifreien Jugend erleben durfte.
Ich finde, du solltest das Anatomiebuch zurückgeben.
zur döderö habe ich gar kein richtiges verhältnis. wir durften nämlich bei unserer berlinexkusrion im jahre 1986 wegen redioaktivem fallout, der selbstverständlich nur über ostberlin fiel, nicht 'rübermachen'. das war uns aber eigentlich auch wurscht, denn wir kauften uns ein paar farbspray- und viele bierdosen und sprühten irgend einen quatsch an die mauer.
ich erinnere mich wohl an die tristen, grauen, schiefergetäfelten häuser, den abgesorbenen fichtenwald, den gestank nach braunkohlebrand und die abgase der rennpappen entlang der transitstrecke.
und an den satz mit gänsefleisch.
@ mudshark:
>> ... die tristen, grauen, schiefergetäfelten häuser ...
Schiefertäfelung? Häuser? Nicht an der Transitstrecke. Ich fürchte ... ich fürchte ... ich fürchte sehr ... Du warst gar nicht in der DDR ... Du warst im Sauerland!
@100 golfischli
aah, im sauerland gibt es die auch, stimmt, genauso in der eifel und sonst wo. die in thüringen sind mir mitsamt ihrem umfeld sehr viel trister erschienen. jahre später habe ich das dortige völkchen als sehr lustig und spochtlich beim rennsteiglauf erleben dürfen. schonmal den schneewalzer mit 5000 leuten am start eines marathons gesungen?
'd' vergessen tstststs
/MoniqueChantalHuber: Kein Wunder. "Eiserner Vorhang" ist ein völlig falsch gewählter Begriff. Erstens war das Ding nicht aus Eisen, sondern aus Beton. Und zweitens konnte man die Gardine nicht beliebig auf- und zuziehen. Erwachsene schrecken vor nichts zurück, wenn es darum geht, Kinder zu verwirren.
/Frau H.: Das Buch? Was mir tatsächlich fehlt, ist eine olfaktorische Gedächtnislücke.
/Andie Kanne: Selbst die Gerüche nach dem verbrannten Zweitakter-Giftgas schienen an diesem historischen Datum zu kulminieren, oder gab es in der DDR jemals vor dem 9.11.89 einen Stau?
/mkh: Wem?
/MudShark: Ich musste mal an einer Mitropa-Raststätte nachts um halb drei 50 DM für einen Strafzettel bezahlen, weil der linke Vorderreifen meines R4 eine Parkmarkierung berührte - auf einem riesigen, ansonsten leeren Parkplatz. Als ich gegenüber dem Vopo (sachlich) mein Unverständnis äußerte, durfte ich zusätzlich die Sitze ausbauen. Und da gibt es tatsächlich Menschen, die sich jenes Regime zurückwünschen. Unvorstellbar.
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