Donnerstag, Juli 26, 2012

Legendäre Automaten



Manchmal gelingt dem Alltag eine Überraschung. Vor einigen Wochen hatte ich den Pizzabackautomaten in der B-Ebene des Frankfurter Hauptbahnhof entdeckt. Damals hielt ich es zunächst für ein Trugbild, dann für eine Attrappe zur Irritation des kollektiven Trotts. Instinktiv nahm ich meine Kunstabwehrhaltung ein, ignorierte das Werk und ging weiter. Verstohlen hielt ich nach versteckten Kameras Ausschau.

Ich bekenne mich zum Segen der Automatisierung. Automaten sind materialisierte Götter unseres Zeitalters. Es sollte Automaten für jeden Bedarf geben. In Gesprächen über dieses Thema erhält man spätestens an dieser Stelle die Information, unabhängig vom Alter, Geschlecht, sozialen Status, Bildungsgrad und kulturellen Hintergrund des Gegenübers, dass es in Japan angeblich Automaten für getragene Damenunterwäsche gibt. Die Information wird stets mit einem Überzeugungsgrad eingestreut, als ob sich das jeweilige Gegenüber regelmäßig mit getragener Damenunterwäsche aus japanischen Automaten versorgt.* Hiermit weise ich die Weltbevölkerung darauf hin, dass ich keine weiteren Informationen über japanische Automaten für getragene Damenunterwäsche benötige. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ich an einem Gähnkrampf ersticke.

Die entgegengesetzte Form des Ablebens hätte mich beinahe in Karlsruhe ereilt. Dort gab es bereits vor über zwanzig Jahren die "Automaten-Emma", einen 24-Stunden Laden ohne humanoides Personal, wo man nach der Sperrstunde noch Bier besorgen konnte. Auch wenn man keinen weiteren Alkohol mehr vertrug, war es ein Ritual (s.a. "materialisierte Götter unseres Zeitalters"), an der verschwommenen Schwelle zum Morgengrauen das letzte Kleingeld in die "Automaten-Emma" zu werfen, die Nummer für das Bier zu wählen und sich der hypnotischen Wirkung der Robotermechanik hinzugeben. Mit eckigen Bewegungen steuerte die Robotermechanik das Bierfach an, entnahm eine Flasche und transportierte diese zur Ausgabeklappe, wo man das Kaltgetränk entgegennahm.

Eines Nachts stand ich vor dem Automatenschaufenster mit den vielen Lebensmitteln und anderen bunten Dingen dahinter und wartete darauf, dass die Robotermechanik wie gewohnt in Richtung Bier manövrierte. Aber es rumpelte nur ein wenig in den Eingeweiden der "Automaten-Emma". Ansonsten passierte nichts. Ich hatte mein Geld schon abgeschrieben, aus rituellem Pflichtgefühl gegen den Automaten getreten und wollte gerade gehen, als plötzlich die Ausgabeklappe geöffnet wurde und sich mir eine Hand mit einer Flasche Bier entgegenstreckte. Mein Herz muss für mindestens zwei Schläge ausgesetzt haben, und vielleicht habe ich in meinem vernebelten Zustand sogar eine Art Kung Fu Schrei ausgestoßen. Da erklärte mir eine menschliche Stimme hinter der Klappe, dass irgendwas an der Mechanik der "Automaten-Emma" defekt sei und daher manuell ausgeliefert werden müsse. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Bier aus einer Hand ohne Gesicht entgegenzunehmen.

Der Automat in der B-Ebene des Frankfurter Hauptbahnhofs steht immer noch an derselben Stelle. Pizza Margherita vier Euro, Pizza Salami vierfünfzig. Ich werde kein Geld einwerfen, aber falls sich ein Gourmet an dieses heiße Eisen wagen sollte, bin ich gespannt auf die Vergabe der Sterne.



* "In Japan wurde 1993 der Versuch unternommen, Verkaufsautomaten für getragene Unterwäsche (hauptsächlich Mädchenslips) aufzustellen, die Betreiber wurden jedoch wegen gesetzlicher Verstöße verhaftet und die Automaten wieder abgebaut.[4] Obwohl es seither immer wieder Berichte über angebliche Sichtungen solcher Automaten in Japan gibt, die sich meist als tatsächlich existierende Automaten für frische, unbenutzte Unterwäsche herausstellen, dürften die so genannten „Mädchenschlüpfer-Automaten“ mittlerweile als Urban Legend einzustufen sein." (Quelle: Wikipedia)

12 Comments:

Blogger MudShark said...

der automat schlechthin! was haben wir gelacht!

27.7.12  
Anonymous Frau H. said...

Besonders viele sind ja nicht mehr verfügbar...scheint also doch ganz gut angenommen werden, das "Dings".
Mir fällt dazu allerdings spontan ein: BIELEFELD! Und wie das mit Bielefeld ist, das weiss man ja... Wäre also nicht nur aus gaumenfreundlichen Gründen vorsichtig.

Die Geschichte mit der Hand ohne Gesicht ist grossartig! Und sind Automaten das nicht irgendwie immer? "Hände" ohne Gesicht dahinter?

Mein schönstes "Automatenerlebnis" hatte ich irgendwann Ende der 80er in Amsterdam; da gab es so "Fastfood-Automaten-Restaurants" in denen auch warme Speisen rund um die Uhr maschinell "gezogen" werden konnten.
Ich hatte sowas wie frittiertes Bami-Goreng namens "Bami-Burger" (sah aus wie ein Fischfilet, enthielt aber Bami-Goreng - wie die auf Burger kamen, ist mir allerdings nach wie vor ein Rätsel).
Fand ich sau lecker damals. Was allerdings wahrscheinlich nicht an der Qualität des Bami-Burgers lag, sondern wohl eher der Uhrzeit und anderen nicht weiter auszuführenden Faktoren gelegen haben wird...

27.7.12  
Blogger mkh said...

Erinnert mich an diese Sache ...

28.7.12  
Blogger frech'n'nett said...

Frau H.,

der Niederländer bezeichnet das als "eten uit de muur", also "Essen aus der Wand". Gibt es übrigens nicht nur in A'dam, sondern über's ganze Land verteilt. Die Schnell-Ess-Kette Febo betreibt ca. 70 Filialen.

Uni Münster, eten uit de muur

Ich stehe ja mehr auf die gute alte Patat-Bude und heel lekker dort find ik Patat oorlog, (sonder uitjes verdomme!). Wenn ich mir allerdings die Frittenkiste Ecke Brouwersgracht/Prinsengracht letzte Woche in erinnerung rufe, dann wünschte ich mir, dass nicht ein in der Friteuse geduscht erscheinender Mensch, sondern ein freundlicher Automat mir die Portion gereicht hätte....

28.7.12  
Anonymous Frau H. said...

A:

Ich liebe Deine holländisch Kenntnisse! Vielen Dank!
Und dass es das noch immer gibt, wäre fast ein Grund 'mal wieder dorthin zu fahren... (Obwohl ein erneuter Genuss wahrscheinlich sehr desillusionierend wäre, nu ja...)

4.8.12  
Blogger 100 Goldfischli said...

yyF 31Vor einigen Jahren haderten auch bereits verschiedene Cartoonisten mit der Sache.

Einerseits gibt es da Gerhad Seyfrieds legendären Fahrscheinautomaten (sorry, online kein Bild gefunden) und der Herr Quirit hat auch schon verschiedenes zum Thema gemacht. Etwa dieses hier und den anderen Automaten muss ich jetzt wohl bei mir im Blog online stellen, weil er so malerisch zum Thema passt.

6.8.12  
Blogger mq said...

/MudShark: Die Mutter aller Automaten. Legendär.

/Frau H.: Sollte mich die Muse der Technik überkommen, werde ich vielleicht einen Automaten für das Oktoberfest in München konstruieren, aus dem man Schweinsbraten mit Klößen und Brathendl ziehen kann. Vielleicht auch nicht.

/mkh: Wir leben in einem Land, in dem "500g Schinkengulasch, mager, vom Schwein" (Netto) für 2,39 € angeboten werden. Auch das zur Erinnerung.

/f'n'n: Der Niederländer ist als Gourmet und Experte in Sachen Haute Cuisine weltweit bekannt und geachtet.

/100 Goldfischli: Herr Quirin hat die Rückseite der Automatenfütterung (s. mkh) dokumentiert. Konsequent.

8.8.12  
Anonymous burnster said...

Eine Geschichte (die mit der Emma-Hand), die rein motivisch aus einem Literaturmagazin stammen könnte. Trieft ja vor Allegorismus, was ich positiv meine. Den Doc Ök-Automaten kauf ich mir und stell ihn in unsere Küche. Oder ich komm nur wegen ihm nach Frankfurt.

23.10.12  
Blogger mq said...

Dann treffen wir uns vor dem Ding. (In Frankfurt oder bei dir in der Küche.)

24.10.12  
Blogger 100 Goldfischli said...

Hab den Fahrscheinautomaten von Seyfried endlich wiedergefunden: http://goldfischli.blogspot.de/2012/10/automat.html

29.10.12  
Blogger 100 Goldfischli said...

Schiet! Es hätte ein Link sein sollen.

29.10.12  
Anonymous Moss said...

Beim Thema Essen aus Automaten muß ich immer an die Koruna-Automatenrestaurants in der Vor-Wende-CSSR denken, wo man auch noch früh um halb sechs auf dem Heimweg ins Inter•Conti irgendwas mit bömischen Knödeln auf die vielen Biere der Nacht schieben konnte. Leider wohl inzwischen vom westlichen Lebensstil unter die Räder genommen worden.

Muß ich mir eigentlich Gedanken machen, warum das Captcha mich einen prverso nennt?

30.10.12  

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