Donnerstag, Oktober 06, 2011

Die Vergangenheit vor uns

Manchmal wecken Begegnungen mit Fremden unsere Erinnerung an eine Vergangenheit, die sich nicht ereignet haben kann, aber immer vor uns liegt. Während der Zugfahrt von Bukarest nach Sibiu bin ich einem Mann gegenüber gesessen, der aussah wie der greise Mircea Eliade auf späten Ablichtungen. Seine übereinander geschlagenen Beine waren so dünn, dass sie sich kaum unter der Hose abzeichneten. Draußen zogen hügelige Herbstlandschaften vorbei, die meinem Ideal einer vergessenen Heimat nahe kamen. Der Mann hatte eine große Schachtel Zigaretten in seiner Westentasche und trug eine dieser alten Quarzuhren mit Taschenrechner am rechten Handgelenk. Er blickte aus dem Fenster, während seine Frau auf ihn einredete. Irgendwann holte er zwei Stofftaschentücher aus dem Nadelstreifensakko, nahm sein Gebiss aus dem Mund und wickelte es sorgfältig zwischen den Taschentüchern ein. Dann begann er, der Frau zu antworten.

3 Comments:

Blogger mkh said...

Offenbar ein Mann, der sich seiner Frau gegenüber jeden bissigen Kommentar verkneifen wollte.

Oder: Jede profane Handlung wird durch Sorgfältigkeit heilig.

Jedenfalls: Schön erzählt.

11.10.11  
Blogger mq said...

Vielleicht wollte er sich nicht länger auf die Zunge beißen. Oder: Der sakrale Zweck heiligt die profanen Mittel. Und: merci.

18.10.11  
Anonymous Burnster said...

@mkh: "Offenbar ein Mann, der sich seiner Frau gegenüber jeden bissigen Kommentar verkneifen wollte. " -> saulustig!

20.10.11  

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