München - Venedig (XVII): Tag aus Blei
Während der Nacht ergriffen Gespenster Besitz von jenem Raum, Schatten verwandelten die Konturen der altertümlichen Möbel in unfreundliche Fratzen. Meine Gedanken belauerten mich. Aus den Augenwinkeln nahm ich feindselige Bewegungen wahr, aber wenn ich meinen Blick dann blitzschnell in die Richtung eines drohenden Schemens wendete, verhöhnte mich die Totenstarre lebloser Gegenstände. Nichts passiert außerhalb unserer Köpfe. Sämtliche Ereignisse finden in den Gehäusen der Gehirne statt, wo alles zum Leben erweckt werden kann. Manches lässt sich schwerer vernichten als erschaffen.
In der Morgendämmerung fühlten sich meine Gliedmaßen zerschlagen an, als hätten mich Dämonen durch nächtliche Sümpfe gejagt. Mein Körper erschien mir wie ein Gefäß aus brüchigem Leder, das mit einem abgestandenen, bitteren Sud gefüllt war. Nichts besaß eine Bedeutung, selbst das Nichts besaß keine Bedeutung. Das Gehen führte durch sattes Grün unter flüssigem Grau. Falls sich ein Ziel hinter allem Grün und Grau verbarg, zu welchem Zweck wollte man es erreichen?
Was würde passieren, wenn man das Ziel aus dem Sinn verlor und dennoch immer weiter ging? Würde man irgendwann an der Kante zur Unendlichkeit stehen, weil sich herausstellte, dass die Welt doch eine Scheibe war? Oder würde man mit dem Ziel auch jede Wahrnehmung verlieren und zu einem mechanischen Schatten werden?
Das Foto musste hunderttausendfach aufgenommen worden sein. Bestimmt machten alle, die an der Mulinetto della Croda vorbeikamen, das gleiche Bild. Wie alle, die an der Golden Gate Bridge, dem Taj Mahal oder den Pyramiden von Gizeh vorbeikommen, immer das gleiche Bild machen. Meistens sind die spektakulären Motive zugleich die banalsten. Man sollte ausschließlich Fotos von Mülleimern, Kanaldeckeln oder Straßenlaternen als Verlängerung in die Vergangenheiten sammeln.
Irgendwo auf dem Weg nach Priùla entlud sich das schwere Grau über mir. Dem Regen folgte ein pausenloses Donnergrollen, das mich bis ans Ende des Tages begleitete.
(...)
In der Morgendämmerung fühlten sich meine Gliedmaßen zerschlagen an, als hätten mich Dämonen durch nächtliche Sümpfe gejagt. Mein Körper erschien mir wie ein Gefäß aus brüchigem Leder, das mit einem abgestandenen, bitteren Sud gefüllt war. Nichts besaß eine Bedeutung, selbst das Nichts besaß keine Bedeutung. Das Gehen führte durch sattes Grün unter flüssigem Grau. Falls sich ein Ziel hinter allem Grün und Grau verbarg, zu welchem Zweck wollte man es erreichen?
Was würde passieren, wenn man das Ziel aus dem Sinn verlor und dennoch immer weiter ging? Würde man irgendwann an der Kante zur Unendlichkeit stehen, weil sich herausstellte, dass die Welt doch eine Scheibe war? Oder würde man mit dem Ziel auch jede Wahrnehmung verlieren und zu einem mechanischen Schatten werden?
Das Foto musste hunderttausendfach aufgenommen worden sein. Bestimmt machten alle, die an der Mulinetto della Croda vorbeikamen, das gleiche Bild. Wie alle, die an der Golden Gate Bridge, dem Taj Mahal oder den Pyramiden von Gizeh vorbeikommen, immer das gleiche Bild machen. Meistens sind die spektakulären Motive zugleich die banalsten. Man sollte ausschließlich Fotos von Mülleimern, Kanaldeckeln oder Straßenlaternen als Verlängerung in die Vergangenheiten sammeln.
Irgendwo auf dem Weg nach Priùla entlud sich das schwere Grau über mir. Dem Regen folgte ein pausenloses Donnergrollen, das mich bis ans Ende des Tages begleitete.
(...)
10 Comments:
Es gibt immerhin schöne und unterschiedliche Ansichten des erwähnten Motives.
Wir haben mehr Angst davor, das Ziel aus dem Sinn zu verlieren, wie es nötig wäre. Am Ende würden wir einfach nur ein paar Stunden oder Tage oder Wochen länger an der Molinetto della Croda verbleiben und dann irgendwohin, wo´s die Sinne schön fänden, weiter schlendern. Es wäre wohl nicht mehr mal wichtig, ob die Erde eine Scheibe oder eine Kartoffel ist.
Schön, deine Nummero XVII zu lesen!
alte landgüter haben ein eigenleben. die gebäude ächzen unter dem gewicht der eigenen geschichte. dein körperlicher zustand hat deine psyche wohl für eine nacht mit der stöhnenden bausubstanz und dem interieur synchronisiert. alles fließt und ist bei kurzem betrachten doch starr.
@mkh: die erde IST eine kartoffel, aber das weißt du ja selber.
Die Erde ist Kartoffel + Scheibe = ein Kartoffelpuffer!
Kartoffelpuffer ist eine interessante Theorie, und es wird Zeit, sie in die Reihe anderer Spekulationen (Hohle Erde; Wachsende Erde usw.) einzuordnen!
Ob die Geoid- sprich Kartoffelinterpretation unserer Tage wohl Zukunft hat?
Ansonsten kann ich dir, mudshark, nur beipflichten dazu, was du über alte Bauwerke schreibst. Und dazu, dass alles fließt!
Jedes Motiv nutzt sich durch wiederholtes Fotographieren ab. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es ganz fadenscheinig. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit (oder der Aufnahmen) bis sich an seinem Platz das große Tor/Loch/Mülleimer/Kloake zum Nüschts auftut. I´m sure!
Aber brüchige Beutel aus Leder sind gegen alle Unbilden des lebens gefeit -stellen sie doch eines der größten an sich dar.
Gerb on!
/Andie Kanne: Ansichtssache.
/mhk: Merci vielmals. (Und falls du dich irgendwann in einer afrikanischen Gegend laut wundern solltest, warum der Zug nicht kam, wirst du den fröhlichen Hinweis erhalten, das sei kein Problem, weil doch schon in zehn bis zwölf Tagen der nächste Zug komme. Und dann tanzen alle.)
/MudShark: Falls die Synchronisationstheorie zutrifft, werde ich vorsichtshalber nie wieder unter einer Autobahnbrücke nächtigen.
/Andie Kanne + mkh: Auch die Möglichkeit der Bratkartoffel sollte einer empirischen Betrachtung unterzogen werden.
/joppi: Ich habe Verständnis für Angehörige von Naturvölkern, die sich nicht fotografieren lassen, weil sie meinen, damit würde man ihre Seele rauben. Denn dafür gibt es eindeutige Beweise, z.B. Wahlplakate.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
[von mkh]
Muss ein professioneller Politiker seine Seele nicht schon am Eingang abgeben?
Ich hatte bereits beim Schreiben das ungute Gefühl, dass sich irgendwo ein logischer Fehler verbirgt.
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