Mittwoch, Januar 11, 2012

Zu Gast in Mandels Büro

Begeben Sie sich nach Paris. Unternehmen Sie einen Spaziergang durch La Défense (oder von mir aus durchs Marais, wenn Sie sich dort wohler fühlen), und besteigen Sie anschließend den späten Nachtzug nach Berlin. Wenn es noch Raucherabteile gäbe, würde ich empfehlen, eine Romeo y Julietta Mille Fleurs anzuschneiden und einen Portwein zu entkorken, den Sie aus der Flasche trinken. Es darf auch ein Gin der Marke Beefeater sein, dann aber bitte im Glas. Dabei lehnen Sie sich zurück in den abgewetzten Samtsitz und verbringen die Fahrt mit einem Besuch in "Mandels Büro", dem Debütroman von Berni Mayer.

Max Mandel und Sigi Singer sind ehemalige Musikredakteure, die das Erbe von Mandels Onkel antreten und dessen Büro für private Ermittlungen übernehmen. Während die Perspektive eines Ich-Erzählers in den meisten literarischen Fällen unerträglich ist, wendet Berni Mayer einen überzeugenden Kniff an, indem er seinen Ich-Erzähler Singer nicht nur die eigenen Gedanken widergeben lässt, sondern mit dessen Stimme vor allem die Erlebnisse der Hauptfigur Mandel schildert. Über weite Textstrecken wird mittels dieses Ego-Tricks in der Dritten Person erzählt - eine ungewöhnliche Erzähltechnik, bei der verschiedene Wahrnehmungswinkel miteinander verschmelzen.

Gleich auf der ersten Seite wird man vom bitterschönen Wort "Zustandsgruft" eiskalt erwischt. Und sofort nimmt die Geschichte Tempo auf, wie es sich für einen Kriminalroman ziemt. Der Plot ist ein Mix aus Mord im Musikermilieu und Berliner Szenesatire, ausgeleuchtet durch die profunden Kenntnisse Mayers, der die Hintergründe der Musikindustrie aus langjähriger beruflicher Praxis kennt wie die Westentasche des Anzugs, den er auf dem Innenklappcover trägt.

Die Sprache ist nicht sparsam, sondern bildhaft, dennoch direkt, pointiert und eingängig. Immer wieder setzt der Autor Akzente mittels Aphorismen. Da sagt Singer im Zusammenhang mit seinem Unbehagen in Altbauten: "Ich bin froh um diese Neubauten. Der zweite Weltkrieg hat dieser Stadt nicht nur geschadet." Weniger provokant ist eine elementare Frage angesichts unzähliger Band Revivals, die uns seit Jahrzehnten plagen und die Popgeschichte verstopfen: "Welche Band löst sich denn heutzutage noch ernsthaft auf Dauer auf?"

Man soll die Leser da draußen vor den Bildschirmen nicht mit ausschweifenden Interpretationen anöden. Deswegen verrate ich nur noch kurz das Ende des Romans und die Auflösung der Geschichte. Oder vielleicht lieber doch nicht. Dafür soll wenigstens die Frage beantwortet werden, warum man den Kriminalroman "Mandels Büro" ausgerechnet im Nachtzug von Paris nach Berlin lesen sollte: Die 336 Seiten schaffen Sie aufgrund des kurzweiligen Stils auch auf der Strecke zwischen Frankfurt und Berlin, aber unterwegs will man zuweilen aus dem Fenster in die Finsternis starren. So mache ich das jedenfalls bei Nachtfahrten. Und dann könnte es knapp werden, falls man sich für einen längeren Moment in der Finsternis verliert. Fahren, fliegen oder gehen Sie, wohin Sie wollen. Und packen Sie "Mandels Büro" in Ihre Reisetasche.

Jetzt ärgere ich mich zum Schluss ein wenig, weil ich ursprünglich irgendeine negative Kleinigkeit unterbringen wollte, damit die Kritik glaubwürdiger daherkommt. Aber mir fällt nichts Negatives ein. Besorgen Sie sich halt das Buch und erfinden Sie selbst irgendwas Negatives, wenn es Sie beruhigt.

>> Trailer zum Buch
>> Lesung am 17.1.2012

5 Comments:

Blogger MudShark said...

allein schon das wohlige bild des lesens mit einer flasche port und zigarre im samtig verrauchten nachtzug überzeugt mich das buch zu kaufen. allerdings würde ich den port gerne durch eine buddel "caol ila 18y" austauschen. leider habe ich aufgehört zu rauchen. vielleicht sollte ich jetzt wieder damit anfangen.

eine zeit lang bin ich häufig und lange im dunklen nachtzügen gefahren. starren in die dunkelheit tat ich auch gern, damals am liebsten mit killing joke im ohr.

12.1.12  
Blogger mkh said...

Danke für den Tipp! Vielleicht folgt ja gelegentlich noch das Hörbuch, um bei unbeschwertem Lesegenuss in die Finsternis starren zu können ...

14.1.12  
Anonymous stilhäschen said...

Mit Verlaub, die negative Kleinigkeit hätt' ich schon parat: ich ganz persönlich find' nämlich das Umschlagklappenbild (ja, das mit der Weste) schon ziemlich... also "affig" trifft's nicht ganz. Vielleicht "nicht ganz affig genug, um als ironisch durchzugehen" oder so. Blöd halt. Oder: ohne Foto wär' das Buch noch besser. (Nicht daß ich schon durch wäre, ich bin nur so selten wach im Nachtzug.)

20.1.12  
Blogger mq said...

/MudShark: Scotch ist gestattet und ebenso angemessen wie tödlicher Humor.

/mkh: Sollte ein Hörbuch folgen, empfehle ich eine Skalierung der Route mittels Orient-Express.

/stilhäschen: Wir müssen uns das wahrscheinlich so vorstellen, dass da eine Armada von Literaturagenten und Stilberatern um den Autor herumschwirrt. Über solche Nebensächlichkeiten wie Kleidung etc. kann man doch in einer solchen Position überhaupt nicht mehr selbst entscheiden. Bevor du dich versiehst, hat dein Manager eine Marketingvereinbarung mit einem Pariser Modehaus unterzeichnet. Und wenn der Rubel dann erstmal rollt, sitzt das Vertragskorsett entsprechend eng. Der Anzug ist ok, einen Pluspunkt gibt es für die Hände in den Hosentaschen.

30.1.12  
Blogger mkh said...

/mq Stimmt auch wieder.

30.1.12  

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