Donnerstag, April 24, 2014

Der große Mayer

Vor acht Jahren ist an dieser Stelle ein Beitrag über den, anatomisch gesehen, Breitensport Wrestling erschienen. Damals ging es um >> Queen Mimi & King Hansen, zwei Kartenfiguren aus einem Quartettspiel, das ich dereinst in Kuala Lumpur erworben und während einer langen Busfahrt durch Malaysia über mehrere Stunden vollkommen regellos mit der dreijährigen Tochter eines Mitreisenden gespielt hatte. Nun endlich folgt plangemäß der zweite Teil des Fachbeitrags, denn am Gründonnerstag lag die Vorbestellung von Berni Mayers neuem Roman "Der große Mandel" im Briefkasten. Dafür habe ich kurzzeitig die Lektüre von Donna Tartts rund tausendseitigem Opus "Der Distelfink" unterbrochen.

Sie werden sich vielleicht fragen "Warum kurzzeitig? Der Mayer hat doch beachtliche 350 Seiten zu Papier gebracht!" Das liegt daran, dass es sich nach den ersten beiden Romanen aus der Serie um die privaten Ermittler Max Mandel und Sigi Singer auch in diesem Fall um einen Pageturner handelt. (Und jetzt regen Sie sich bitte erstmal über den Anglizismus auf. Das ging mir genauso, aber mir fällt spontan keine angemessene Übersetzung ein.)

Es ist schon dreist, das erste Kapitel eines Romans "Ende" zu nennen. Der Leser hält sich sogleich für extrem geistesgegenwärtig und kombiniert, dass man es mit einer Rückwärtsgeschichte zu tun hat, weil man sich beim Mayer über solche Kniffe nicht wundern würde, wenn man seine beiden anderen Romane kennt. Aber dann werden die Ereignisse doch umgekehrt andersherum, also nicht von hinten aufgezäumt.

Auch diese Geschichte, die in den Niederungen des provinzheimatlichen Wrestling-Milieus angesiedelt ist, wird aus der Perspektive Sigi Singers erzählt. Stilistisch durchsetzt ist der Text diesmal mit den Notizen Mandels, in seiner lakonischen Art auf Zettel geworfen. Diese Technik verleiht dem Roman glaubwürdige Dimensionen zweier Ich-Perspektiven.

Die Erkenntnisse über die Randgruppenbespaßung Wrestling sind auch für Leute interessant, die keine Plastikfiguren oder andere Showcatcher-Devotionalien sammeln. Und beiläufig erwirbt man weiteres exotisches Wissen. Zum Beispiel, dass Robert Fripp, Mastermind von King Crimson und zweifelsfrei einer der profiliertesten Rock- und Jazzgitarristen überhaupt, die Systemmusik für Windows Vista geschrieben hat. Lachen Sie nicht. Diese Information ist mindestens so wertvoll wie die Fähigkeit, ein schmackhaftes Spiegelei zu braten.

Und endlich kommt auch der kulturgeschichtlich unterbewertete Frank Zander zu seiner verdienten Geltung. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung von Romanschauplätzen wie Siegen oder Gießen hingegen kann ich nichts sagen. (Im direkten Vergleich mit Frank Zander vermutlich eher gering.)

An einigen Stellen leuchtet der Erzähler in weltanschauliche Tiefen. So wird über die Sozialisierung der Landflüchtigen spekuliert, "wie wohl alles gekommen wäre, wäre man nie von zu Hause weggezogen. Vielleicht hätte die Multioptionalität, in die man in der Großstadt fast zwangsweise hineinschlitterte, einem nie das Urvertrauen beschädigt, indem sie einem permanent vorgaukelte, was man alles sein konnte, weil alle anderen immer so viel waren und man selbst so wenig."

Auch falls Sie über keine Zeitmaschine oder ähnliche Gerätschaft verfügen, um das Buch rückwirkend an Ostern 2014 zu lesen und meiner Kritik mittels eigener Lektüre zuvorzukommen, bestellen Sie den Roman trotzdem und freuen Sie sich auf das nächste Wochenende. Es kommt bestimmt, und Sie werden sich nicht langweilen.

Ein Audiojingle zum Text finden Sie übrigens auf Bernis Blog >> St. Burnster.
Und falls Sie weitere Verbraucherinformationen über die ersten beiden Romane mit dem Mandel und dem Singer wünschen, kann ich auch hierzu mit Kritiken dienen:
>> Mandels Büro
>> Black Mandel