Freitag, August 23, 2013

Sehr geehrte DB,

in Zeiten, in denen jeder auf Sie einprügelt - und an andere Zeiten kann ich mich kaum erinnern - ist es an der Zeit, Ihre guten Seiten zu beleuchten. Man kann nicht bestreiten, dass Züge sich verspäten oder ausfallen, aber im öffentlichen Diskurs werden solche Unregelmäßigkeiten behandelt, als ob sie beabsichtigt herbeigeführt würden und mindestens mit der Todesstrafe für sämtliche Bahnbedienstete geahndet werden müssten.

Auch wenn man die physikalische Erklärung nachvollziehen kann, warum sich tonnenschwere Flugzeuge in der Luft halten können, sollte jede Flugreise ein kindliches Staunen über dieses wundersame Phänomen hervorrufen. Ähnlich verhält es sich mit Netz- und Fahrplänen für Zugverbindungen: rechnerisch erklärbar und tiefgründig logisch, aber in ihrer Komplexität schwer nachzuvollziehen. Daher mag der rechnerisch durchschnittlich begabte Reisende wenig Verständnis dafür aufbringen, dass sich die Ankunft eines Zuges in Passau verzögern kann, wenn zuvor eine Kettenreaktion durch ein Unwetter in Kiel ausgelöst wurde, die sich dann über die unzähligen Abhängigkeiten im Streckennetz auf das gesamte Bundesgebiet auswirkt.

Schlechte Erfahrungen nisten sich im Speicher der Erinnerungen nachhaltiger ein als gute Erfahrungen. Daher erinnert sich der Reisende selten an die vielen pünktlichen und angenehmen Fahrten mit Ihnen, sondern meistens an die Ausnahmeerlebnisse, wenn ein Zug oder eine Klimaanlage ausfiel, oder wenn es kein Bier im Bistrowagen gab.

Alles lässt sich verbessern. Aber wer Zugreisen in Asien oder Afrika erlebt hat, lernt Ihre Annehmlichkeiten zu schätzen, sogar ohne Bistrobier und Sitzplatzreservierung im handyfreien Bereich mit Tisch, Stromanschluss und klimatisiertem Fensterplatz in Fahrtrichtung. Man kann auch nicht behaupten, dass sich Ihre Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Dienstleistungsbranchen oder Ländern durch markante Unfreundlichkeit auszeichnen. Häufig sind Zugbegleiter unaufgefordert bereit, sich für Unannehmlichkeiten, die sie nicht im Entferntesten persönlich verschuldet haben, zu entschuldigen. Und häufig bekommen sie dennoch die Wut der Passagiere in beleidigender Form zu spüren.

Liebe DB, Ihre Probleme sind nicht durch die vielen Menschen verschuldet, die zu Ihrem Betrieb beitragen, sondern durch die jeweils regierenden Parteien, die sich auf Börsengangdiskussionen einlassen, Ihre Personalpolitik zum bestimmenden Teil mitverantworten und als Mehrheitseigentümer Überschüsse nicht ins Netz investieren, weil sie nicht begreifen, wie entscheidend eine funktionierende Logistik zur gesellschaftlichen Entwicklung beiträgt, und warum sich der Staat dieser Verantwortung stellen sollte.

Aber im Sommerlochtheater, noch dazu vor Wahlen, war es noch keiner Partei zu peinlich, themenunabhängig ihre Verantwortung für die eigenen Fehler der politischen Konkurrenz in die Schuhe zu schieben. Man fragt sich nur immer, ob diese Typen alle anderen für geistesgestört halten oder selbst geistesgestört sind. Die Antwort darauf ist Ihnen bekannt.

Mit mobilen Grüßen,
mq

Samstag, August 10, 2013

Der Tod ist mein Lehrling

Ohne den Tod gäbe es nur Götter. Und ohne die Angst vor dem Tod gäbe es keinen einzigen Gott. Erst das Bewusstsein über unser irdisches Ende hat die Bedrängnis durch den Tod und damit die Idee des Überirdischen hervorgebracht.

Der Tod ist das Gipfelkreuz auf der Spitze des Angstberges. Die Angst vor dem Ende der Existenz erwächst aus der existenziellen Angst vor der Zukunft, unter dem Gipfelkreuz in ewigem Eis konserviert. Je vielschichtiger sich die Möglichkeiten des Denkens entwickeln, desto stärker bestimmen die Möglichkeiten des Ungewissen das Bewusstsein. Dabei überwiegen die negativen Utopien. Die Lebensform Mensch hat sich aufgrund ihrer Fähigkeit des negativen Denkens innerhalb der Weltordnung durchgesetzt. Optimismus bedeutet Stillstand.

Ausgelöst durch den Angstinstinkt führt das negative Denken zur Planung, Vorsorge und Absicherung gegen ungünstige Möglichkeiten der Zukunft. Kein Rind spart Gras. Der Mensch spart alles. Für die Möglichkeit schlechter Zeiten, auch wenn es ihm gut geht.

Die Angst vor dem Tod dient dem evolutionären Zweck, das Fortbestehen der eigenen Art durch eine langfristige Besetzung von Lebensräumen durchzusetzen. Obgleich der Mensch in der Lage ist, das Phänomen einer rasant wachsenden Weltbevölkerung rational zu bewerten, bleibt dieser Angstmechanismus ein fest verschraubtes Bauteil im Lebensgetriebe. Die Logik der Natur kennt den Stillstand nur in Form des Todes. Leben bedeutet gnadenlose Verdrängung und Streben nach Wachstum.

Für den Einzelnen ist die Angst vor dem Tod unbegründet, denn der Tod setzt keine besonderen Kenntnisse und keine Befähigung voraus. Der Tod ist eine Prüfung, die am Ende jeder besteht. Billionen Lebewesen haben den Beweis für das Unausweichliche erbracht und das Sterben vorgelebt.

Erst die Religion formuliert moralische Begründungen für die Angst vor dem Tod und steigert diese Angst über ihren evolutionären Zweck hinaus. Jede institutionelle Religion ist auf einem hierarchischen System begründet, und jedes hierarchische System beruht auf der Ausübung von Macht. Angst ist ein wirksames Machtinstrument. Die Methode der Religionen besteht darin, Menschen mittels ihrer Angst vor dem Tod einzuschüchtern. Wer sich nach dem Verhaltenskodex der jeweiligen Religion richtet, erhält zur spirituellen Belohnung die Aussicht auf ein besseres Dasein - aber erst nach dem Tod.

Gegenwart benötigt keinen Gott. Und wenn der Tod uns irgendwann sucht, wird er wissen, wo er uns findet. Bis dahin sollten wir ihm alles beigebracht haben, was er über uns wissen muss.

Samstag, August 03, 2013

Unter der Drachenhaut

Das rostige Drahtseil war zwischen zwei entgegengesetzten Gedanken gespannt. Escher versuchte, sein Gleichgewicht zu halten. Er blickte in den Abgrund und nahm die nächtlichen Schemen seiner Gehirnlandschaften wahr.

Im Fallen träumte er, nicht zu existieren, und nachdem er erwacht war, zweifelte Escher daran, dass es ein Traum gewesen sein konnte. Bis ihm der Drachen begegnete, der sich einen Menschen tätowieren ließ.

Die Oberfläche im Inneren erinnerte ihn an brüchigen Beton. Es stank nach Aas. Anstelle von Wachs verdampfte Beuteblut. Die Kerzenflamme warf ein bitteres Licht an die Wand seiner Seele. Als Escher das Licht trank, wurde ihm bewusst, dass er ein verbleichendes Bild unter der Haut des Drachens bleiben würde.

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