Montag, Juni 22, 2009

Che, Instantidol?

"Glaubst du an den lieben Gott oder an Guevara? Ich glaube an die Deutsche Bank, denn die zahlt aus in bar", näselte der Barde Müller-Westernhagen reimverdächtig zu einer Zeit, als es noch reuelos konsumierbare Instantideale gab, leicht verdauliche Weltanschauungskost. Nach wie vor steht der liebe Gott ganz oben auf der Speisenkarte im Schnellrestaurant für den Sinnhunger zwischendurch, mit den beiden anderen Menüs tun sich die Geschmacksnerven mancher Konsumenten inzwischen schwer.

Benicio del Toro hat mit seinem Film "Che" tief hineingegriffen, in die Kammer der Konserven mit den verblichenen Etiketten. Der Stoff wurde allerdings nicht in der Mikrowelle der Historienaufwärmung verkocht, sondern kam halbwegs haltbar aus dem Räucherofen. Das liegt zum einen an del Toros glaubwürdiger Verkörperung des Guerilleros und zum anderen daran, dass sich das Drehbuch authentisch an den Tagebüchern Guevaras und der Biografie von John Lee Anderson orientiert.

Bei der Schilderung des Kampfes um Kuba wird vor allem deutlich, dass die Bevölkerung der Insel auf Seiten der Revolutionäre stand, und dass mit Kampfgeist, der aus den Quellen absoluter Überzeugung gespeist wird, ein überlegener Gegner bezwungen werden kann.

In beeindruckenden Bildern zerlegt der Film einen Idealismus jenseits der Grenzen zum Größenwahn in psychosoziale Puzzleteile.
Der auffälligste Charakterzug von Personen, die sich ins Rampenlicht der Weltgeschichte begeben, ist ein markanter Narzissmus. Die Gesellschaft von allen Geißeln befreien zu wollen, ist die eine Sache, aber das Ganze kann nur von der Motivation persönlicher Bestätigungen getrieben sein. Nach den Erfolgen auf Kuba wollte Che seine Revolution in das restliche Lateinamerika exportieren. Am Ende ist er in den bolivianischen Bergen kläglich gescheitert, weil die Schablone seiner Botschaften nicht zum Lebensentwurf der dortigen Bevölkerung passte. Dennoch ist der Argentinier ein Held geblieben, und das hat er nicht nur jener berühmten Fotografie von Alberto Korda zu verdanken, die ihn in heroisch entschlossener Pose zeigt.

Man darf die kubanische Realität nicht aus den Augen verlieren und kann sich über politische und moralische Folgen der Revolution streiten - oder darüber, ob Che tatsächlich ein Wegbereiter scheinbar besserer Lebensbedingungen um den Preis einer Diktatur ohne Presse-, Reise- und anderer Freiheiten war. Aber in erster Linie dient Che als Symbol für den konsequenten Kampf zur Durchsetzung von persönlichen Idealen, auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Che suchte Macht, und dafür wählte er Mittel der Gewalt. Aber von anderen machtbesessenen Kriegsherren unterscheidet er sich durch seine Begabung zum Verzicht. Er verzichtete auf Macht, um an anderen Orten seine, im Rückblick aussichtslose Revolution fortzusetzen. Aber gehört nicht zu jedem großen Erfolg auch ein großes Scheitern?

Ein Freund kam kürzlich von einer längeren Motorradtour durch Nordafrika zurück und berichtete, dass in Ländern wie Mauretanien, Mali und Senegal anhand der T-Shirt-Motive im Straßenbild drei Idole sehr präsent seien: Bin Laden, Obama und Che.

Mittwoch, Juni 17, 2009

Jemen

"Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig", lautet der Titel einer Novelle von Franz Werfel. Nach der Ermordung von Entführungsopfern im Jemen waren vereinzelte Stimmen zu vernehmen, die zwischen den Zeilen hinterfragten, ob die Opfer eine Teilschuld an diesen Verbrechen trifft. Es wurde spekuliert, ob es angemessen war, sich als Bibelschülerin in einem islamischen Land dem Vorwurf der Missionierung, und damit der Aggression von Muslimen auszusetzen, und ob es mit der elterlichen Verantwortung zu vereinbaren war, die eigenen Kinder in Krisenregionen mitzunehmen – auch wenn der Aufenthalt humanitären Zwecken diente.

Ist es womöglich der deutschen Mentalität und Geschichte geschuldet, dass die Ursache eines Verbrechens im interkulturellen Konflikt zunächst in der eigenen Kultur gesucht wird? Man stelle sich eine verschleierte Muslima oder einen traditionell gekleideten Imam vor, die Opfer einer politisch oder religiös motivierten Gewalttat in Deutschland werden. Würden sich Stimmen in der islamischen Welt erheben, die den Opfern eine Teilschuld zuweisen, weil diese sich in einem fremden Kulturkreis sichtbar zu ihrer Religion bekannt haben? Vermutlich nicht. Und dies zu Recht, denn es gibt keinen entschuldbaren Grund für Mord.

Jeder Mörder ist, unabhängig vom kulturellen Hintergrund, ohne Einschränkungen für seine Tat verantwortlich. Auch wenn diese vollständige Verantwortung für den Ermordeten keine Bedeutung mehr besitzt.

Donnerstag, Juni 11, 2009

München - Venedig (XVI): Schmerz als Heilmittel

Kein Duft übertrifft die Klarheit eines kühlen Sommermorgens, kurz bevor sich die Straßen unter der steigenden Sonne erwärmen und die Hitze vom Asphalt in jeden Winkel der Stadt kriecht. Als ich aufbrach, gähnte der frische Tag, beseelt von einer ansteckenden Freude auf sich selbst, streckte sich und versprach das Blaue vom Himmel.

Belluno gehört zu den schönsten Kleinstädten in der Alpengegend, ein Ort mit interessanten Bauwerken und freundlichen Einwohnern. Man würde es dort länger als eine Nacht aushalten, aber ich nahm mir nur die Zeit für einen kurzen Rundgang. Am vierzehnten Tag meiner Wanderung wollte ich mindestens bis ins 25 Kilometer entfernte Revine gelangen, und auf dem Weg dorthin das italienische Voralpenland des Nevegal hinter mir lassen.

Rathaus Belluno

Nach der Stadtbesichtigung überquerte ich den Fluss Piave, der mir später wieder begegnen und mich begleiten würde, bis er jenseits der venezianischen Lagune in die Adria fließt. Während ich mich von der erwachenden Stadt entfernte, erschien es wie ein Traum, dass sich die Alpen nur zwei Wochen zuvor drohend aufgetürmt hatten und nun bezwungen, aber keinesfalls erniedrigt, in meinen Rücken lagen.

Blick zurück

Seit dem Abstieg aus dem Hochgebirge schmerzten die geschundenen Füße. Mehrere Blasen an den Zehen waren offen, die Socken blutgetränkt.

Schmerz zieht sich wie eine Wand aus Milchglas um das Bewusstsein, aber hinter jeder Art der Gefangenschaft verbergen sich Möglichkeiten des Ausbruchs. Die Überwindung und Beherrschung des Schmerzes ist eine Form der Freiheit. Es gibt unzählige Arten von Schmerzen. Offene Blutblasen zählen zu den harmlosen Erscheinungsformen, die man mit einer gezielten Willenssteuerung kontrollieren kann. Bezwingbarer Schmerz besitzt eine heilsame Wirkung, wenn er bei seinem Verschwinden die Schönheit des Daseins öffnet. "Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt", lautet eine bekannte Redewendung. Ich bin kein Masochist und hätte auf die wunden Füße gerne verzichtet, aber das Unabänderbare muss man nicht erdulden, solange man dagegen kämpfen kann. Bei Tieren äußert sich dieser Kampf im hartnäckigen Versuch, sich Schmerzen nicht anmerken lassen.

Attenti al Cane

An einem Hofgrundstück warnte ein Schild, dass man sich vor dem Hund in acht nehmen solle. Aber anstelle einer schäumenden Bestie auf vier Beinen patrouillierte ein Gänsegeschwader vorbei. Das humoristische Geschnatter und Gewatschel dieses Einsatzkommandos ließ die schmerzenden Zehen für eine Weile vergessen, ganz ohne Willenskontrolle oder Kampf.

Nevegal

Durch eine sanft ansteigende Landschaft ging es über Hügelketten, durch kleine Dörfer und an einzelnen Häusern vorbei. Ich begegnete zwar kaum Menschen, dafür aber Myriaden von Schmetterlingen. Nach den aufregenden Grautönen der Berge hatte das unterschiedliche Grün dieser Gegend eine beruhigende Wirkung.

Die andere Seite

Der Abstieg aus dem Nevegal gestaltete sich unerwartet mühsam. Wenn man die Serpentinenstraße meiden will, nimmt man den kürzeren, aber abschnittweise steilen und dicht bewachsenen Weg, der direkt ins Tal führt. Zweimal landete ich in irgendwelchen Gärten, wo mich gutgelaunte Menschen als "Monaco-Venezia-Wanderer" begrüßten und mir die Richtung wiesen. Offenbar erhielt man hier häufiger unangemeldete Gäste.

Im Tal

In Revine fand ich keinen Platz zum übernachten, also spazierte ich wenige Kilometer weiter nach Tarzo, wo man mir ein Zimmer in einem alten Landgut anbot.
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